4. Kapitel
Verschiedener Wert / I Bau

[125] Die Leute des Altertums waren nicht ohne Schätze, aber ihre Schätze waren verschieden von denen heutzutage. Sun Schu Au war krank. Im Begriff zu sterben ermahnte er seinen Sohn und sprach: »Der König wollte mich oft belehnen, aber ich habe es nicht angenommen. Wenn ich nun sterbe, so wird der König dich belehnen, nimm keinesfalls ein reiches Gebiet an. Zwischen Tschu und Yüo ist der Berg der Entschlafenen. Dieses Land ist nicht reich und sein Name ist den Leuten sehr anstößig. Die Leute von Tschu fürchten sich vor Gespenstern und die Leute von Yüo glauben an[125] Vorbedeutungen. Darum ist gerade dieser Platz einer, den man dauernd im Besitz behalten kann.«

Als Sun Schu Au gestorben war28, wollte wirklich der König seinen Sohn mit einem schönen Lande belehnen, aber der Sohn lehnte es ab und bat um den Berg der Entschlafenen. Darum hat bis auf den heutigen Tag das Geschlecht den Besitz nicht verloren. Sun Schu Au's Weisheit bestand darin, daß er nicht im äußeren Gewinn den wahren Gewinn sah, sondern daß er wußte, daß was andere verabscheuten, einem selbst zur Freude gereichen kann. In diesem Stücke unterscheiden sich die Kenner der Wahrheit von den Weltmenschen29.

Wu Yün war landesflüchtig geworden, und die Leute waren eifrig hinter ihm her. Als er den Tai Hang Berg bestiegen hatte, erblickte er das Land Dschong und sprach: »Dieses Land hat eine gefährliche Lage. Seine Bewohner sind Vielwisser. Sein Fürst ist sicher ein gewöhnlicher Fürst, mit dem es sich nicht verlohnt zusammen Rats zu pflegen.« So verließ er Dschong und kam nach Hü. Er trat vor den Herzog von Hü und fragte, wohin er gehen solle. Der Herzog von Hü anwortete ihm nicht, aber er spuckte aus in der Richtung nach Südosten. Wu Yün verneigte sich tief zum Dank für den Rat und sprach: »Ich weiß nun, wohin ich mich zu wenden habe.« So begab er sich denn nach Wu. Dabei mußte er aber durch Tschu. Als er an den Yangtsekiang kam, wollte er übersetzen. Da sah er einen Alten, der ein kleines Boot ruderte und gerade im Begriff war zu fischen. Er wandte sich mit seiner Bitte an ihn. Darauf setzte ihn der Alte über den Strom. Da fragte er ihn nach Namen und Herkunft, aber jener verweigerte die Antwort. Da band er sein Schwert ab, um es dem Alten zu überreichen, indem er sprach: »Dies Schwert ist tausend Lot Silber wert. Ich will es Euch schenken.« Der Alte aber weigerte sich es anzunehmen und sagte: »Der Staat Tschu hat eine Verordnung erlassen, daß wer den Wu Yün fängt, in den Grafenstand erhoben wird, mit einem Jahreseinkommen von zehntausend Scheffeln und obendrein ein Geldgeschenk von zwanzigtausend Lot Gold erhält. Nun ist soeben Wu Yün über den Fluß gekommen, und ich habe[126] ihn dennoch nicht gefangen. Was soll ich da mit Eurem Schwert, das tausend Lot Silber wert ist, machen?« Als Wu Yün nach Wu gekommen war, sandte er Leute, um den Alten an dem Strome zu suchen, aber sie konnten ihn nicht finden. Von da ab opferte Wu Yün dem Alten stets bei Tisch und betete zu ihm, indem er sprach: »Alter am Flusse, die Welt ist groß, die Menschen so viele, und jeder verfolgt seine eigenen Zwecke; wer aber ist, der sich Zwecklosigkeit zum Zwecke gesetzt und ohne Nebenabsichten handelt, dessen Namen man nicht vernehmen kann, der sich dem Wiedersehen entzieht? Das seid nur Ihr, Alter am Flusse30

Ein Bauer in Sung fand beim Pflügen einen Edelstein. Er überreichte ihn dem Stadthauptmann Dsï Han. Dsï Han nahm ihn nicht an. Der Bauer bat ihn und sprach: »Dies ist mein Schatz, und ich möchte, daß Ihr, Herr Minister, mir die Güte erweiset ihn anzunehmen.« Dsï Han sprach: »Ihr haltet den Edelstein für einen Schatz, ich halte das Nichtnehmen für einen Schatz.« Darum sprachen die Ältesten von Sung: »Dsï Han ist nicht ohne Schätze, aber seine Schätze sind verschieden von denen anderer Leute.«

Wenn man ein kleines Kind zwischen hundert Lot Silber und einem Reiskloß wählen ließe, so würde es sicher den Reiskloß wählen. Wenn man einen Laien zwischen hundert Lot Silber und dem Ho Nephritring wählen ließe, so würde der Laie sicher die hundert Lot Silber wählen. Wenn man einen Weisen wählen ließe zwischen dem Ho Nephritring und Worten höchster Weisheit und Güte, so wird der Weise sicher die Weisheit wählen. Je feiner die Erkenntnis ist, desto feiner ist das gewählte Gut; je gröber die Erkenntnis ist, desto gröber ist das gewählte Gut.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 125-127.
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