6. Kapitel
Betonung der Grundlagen / Wu Ben

[171] Betrachten wir die Aufzeichnungen der ältesten Zeit, so finden wir, daß unter den Gehilfen der drei Könige keine waren, deren Namen nicht einen guten Klang hatten und deren wirkliche Leistungen nicht allgemeine Sicherheit geschaffen hatten. Hierin besteht die Größe ihres Verdienstes. Im Buch der Lieder heißt es:


Riesle Regen, riesle nieder,

Steiget Wolken feucht und schwer,

Regnet auf des Fürsten Acker

Und auf meinen hinterher41.


So verstanden es die Gehilfen der drei Könige alle, die öffentlichen Interessen zu ihren eigenen zu machen.

Die Gehilfen der gewöhnlichen Fürsten begehren an Namen und Leistungen nicht zurückzustehen gegen die Gehilfen der drei Könige, und doch gibt es keinen, der nicht einen schlechten Namen sich gemacht, dessen Leistungen nicht Gefahr für den Staat gebracht hätten. Das kommt daher, daß sie keine Verdienste um das öffentliche Wohl sich erwarben. Sie alle sind nur in Sorgen, wenn ihre Person nicht angesehen ist im Staate, sie sind aber nicht in Sorge, wenn ihr Herr nicht angesehen ist im Reich. Sie alle bekümmern sich nur, wenn ihre Familie nicht reich ist, aber nicht, wenn der Staat nicht groß ist. Auf diese Weise kommen sie trotz ihres Wunsches nach einem guten Namen immer mehr in Verruf und trotzdem sie die Sicherheit der öffentlichen Zustände erstreben, bringen sie ihren Staat immer mehr in Gefahr. Ihre Sicherheit und Ehre beruht auf der Stellung, die sie ihrem Herrn zu verschaffen wissen. Die Stellung des Herrn beruht auf dem Ansehen seiner Ahnen. Das Ansehen der fürstlichen Ahnen beruht auf der Wohlfahrt des Volkes. Für Ordnung und Unordnung im Volke aber sind die Beamten verantwortlich. Im Buch der Wandlungen heißt es: »Rückkehr zum wahren Weg, wie sollte man da Fehler machen42!« D.h. wenn[171] man die rechte Grundlage nicht verläßt, so werden alle Unternehmungen schließlich zu gutem Erfolge führen. Die Beamten von heutzutage sind in ihrer Amtsführung nachlässig und unordentlich, in Geldgeschäften habgierig. Ihren Einfluß beim Fürsten benützen sie zu ihrem persönlichen Vorteil. Als Führer der Leute sind sie träge und feig. Wenn sie dann dabei immer noch reichliche Belohnung von ihrem Herrn erwarten, so werden sie schwerlich einer Enttäuschung entgehen.

Angenommen, jemand sei in seinem moralischen Benehmen berechnend, ohne sich zu schämen, in Geldangelegenheiten sei er nur darauf aus, für sich selbst zu sorgen; wenn ein solcher reich wird, so hat er seinen Reichtum nicht auf andere Weise als ein Räuber erworben. Ein guter Name und Reichtum kommen nicht von selber. Sie hängen ab von wirklichen Verdiensten. Es ist Betrug, auf reichliche Belohnung zu hoffen bei geringen Verdiensten. Es ist Hinterlist, nach Ruhm und Reichtum zu streben ohne Verdienste. Den Weg des Betrugs und der Hinterlist geht ein anständiger Mensch nicht. Viele sagen: »Wenn ich angestellt werde, so wird den Staat kein Leid treffen.« Stellt man sie aber an, so ist das keineswegs der Fall. Besser wäre es, sie würden für die Tüchtigkeit ihrer eigenen Person sorgen; denn wenn sie selbst noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie sollte dann der Staat, der sie anstellt, von Schwierigkeiten verschont bleiben? Sich selbst haben sie in der Hand. Wenn man das, was man in der Hand hat, fahren läßt und etwas ergreift, das man nicht in der Hand hat, so ist das töricht. Wie kann man solche Leute als gut bezeichnen? Wenn man noch nicht imstande ist, einen Staat zu ordnen, so mag man bei der Ordnung des Kleinen beginnen. Beim Dienst der Eltern, im Verkehr mit Freunden läßt sich sicher etwas erreichen. Ist man aber den Eltern gegenüber nicht ehrerbietig und den Freunden gegenüber nicht aufrichtig, so hat man das Ziel noch nicht erreicht. Wie könnte man einen solchen Menschen für gut erklären! Darum wenn man Leute beurteilt, darf man nicht nach dem urteilen, was sie noch nicht erreicht haben, sondern man muß aus dem, was sie schon erreicht haben, auf das schließen, was sie noch nicht erreicht[172] haben. In alter Zeit machten es die Diener der Fürsten so, daß sie erst ihre Fähigkeiten ausbildeten, ehe sie ein Amt übernahmen, daß sie erst sich auf Herz und Nieren prüften, ehe sie ein Einkommen annahmen.

Auch freigebigen Fürsten gegenüber soll der Beamte zögernd im Annehmen sein. In den großen Oden heißt es: Sei ja geteilten Herzens nicht, der Herr vom Himmel schaut auf dich43! Damit ist das Benehmen eines treuen Beamten gezeichnet44. Beispiele hierfür sind: wie der Fürst von Dschong nach Be Dschans Gerechtigkeit fragte, oder wie Bo I45 auf die Fragen des Thronfolgers von We antwortete, daß der Fürst keine drückenden Steuern auflegen dürfe. Diese beiden Männer kamen der Erkenntnis der Grundlagen nahe.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 171-173.
Lizenz: