1. Kapitel
Vorsichtiger Wandel / Schen Hing Lun

[387] Auf den Wandel muß man sorgfältig achthaben. Wenn man nicht acht gibt, so ist es, als stürzte man sich in eine tiefe Schlucht: dann ist die Reue zu spät. Der Edle denkt bei seinem Wandel daran, daß er mit der Gerechtigkeit übereinstimmt. Der Gemeine denkt bei seinem Wandel nur an Gewinn und erreicht doch keinen Gewinn, Wer den Gewinn des Nichtaufgewinnausseins erkannt hat, mit dem kann man vernünftig reden.

Der Prinz Ping von Tschu hatte einen Beamten, namens Fe Wu Gi, der den Kronprinzen Giän haßte und ihn beseitigen wollte. Der König suchte für seinen Sohn eine Frau im Staate Tsin, die sehr schön war. Wu Gi redete dem König zu, sie selbst zu heiraten. Der König nahm sie selbst und war gegen den Kronprinzen kalt und abweisend.

Wu Gi riet dem König und sprach: »Dsin hat die Vorherrschaft erlangt, weil es mitten im Reich liegt. Dschu ist abgelegen, darum können wir nicht mit ihm wetteifern. Das beste wäre, Tschong Fu stark zu befestigen und den Kronprinzen dorthin zu setzen, um den Norden zu erobern. Eure Majestät halten den Süden fest, auf diese Weise wird man den ganzen Erdball erlangen.«

Der König wars zufrieden und wies dem Kronprinzen Tschong Fu zum Aufenthalt an. Nachdem er ein Jahr dort geweilt hatte, machte Fe Wu Gi ihn beim König verhaßt, indem er sprach: »Der Kronprinz Giän hat sich mit Liän Yin zusammengetan. Sie wollen auf Fang Tschong gestützt sich empören.«

Der König sprach: »Er ist doch mein Sohn, was will er denn noch mehr?«

Jener sprach: »Er hat noch den Haß wegen der Heirat, und außerdem fühlt er sich vernachlässigt1. Die Staaten Tsi und Dsin helfen ihm noch dabei. Sie beabsichtigen Tschu zugrundezurichten. Ihre Pläne sind schon beinahe reif.«[387]

Der König glaubte ihm, ließ den Liän Yin verhaften, darauf entfloh der Kronprinz Giän.

Der Rat zur Linken, Hi Wan und alle Bürger des Reiches waren für den Prinzen. Wu Gi wollte darum auch ihn ums Leben bringen. Darum sprach er zum Kanzler Dsï Tschang: »Hi Wan beabsichtigt Euch zum Weine einzuladen.« Ebenso sagte er zu Hi Wan: »Der Kanzler will in Dein Haus zu einem Weingelage kommen.«

Hi Wan sprach: »Ich bin nur ein geringer Mann und nicht wert, daß der Kanzler unter mein Dach kommt. Wenn er käme, wäre es eine Schande für ihn. Und was sollte ich ihm vorzusetzen haben?«

Wu Gi sprach: »Der Kanzler liebt Panzer und Waffen. Ihr könnt Eure Waffen hervorsuchen und an Eurem Tore aufstellen. Wenn der Kanzler kommt, wird er sie sicher betrachten. Dann könnt Ihr nachher sie ihm vorführen lassen.«

Als der verabredete Tag erschien, da stellte jener vor seinem Tore rechts und links Panzer und Waffen auf.

Nun sprach Wu Gi zum Kanzler: »Beinahe hätte ich Euch ins Unglück gebracht. Hi Wan will Euch töten. Die Waffen hat er schon an seinem Tore aufgestellt.« Der Kanzler sandte jemand hin, um nachzusehen und glaubte ihm. Darum griff er den Hi Wan in seinem Hause an und tötete ihn.

Die Bürger des Reiches waren sehr aufgebracht darüber und alle seine Gehilfen verurteilten den Kanzler. Der Baron Sehen Hü sprach zu dem Kanzler: »Dieser Fe Wu Gi ist der größte Verleumder in Tschu. Er hat den Kronprinzen Giän außer Landes gejagt und den Liän Yin ums Leben gebracht. Er hält dem König Augen und Ohren zu. Nun habt Ihr ihn auch noch benützt, um Unschuldige zu töten und da durch dem Verleumder zu Einfluß verholfen, das bringt Euch selbst in Gefahr.«

Da sprach der Kanzler Dsï Tschang: »Es ist mein Fehler. Ich will es wieder gut machen.« Darauf tötete er den Fe Wu Gi und rottete sein ganzes Geschlecht aus, um die Bürger des Volkes zu befriedigen.

Fe Wu Gi war in all seinem Beginnen nicht auf Gerechtigkeit bedacht, sondern dachte nur daran, andere zu schädigen, ohne zu[388] bedenken, daß die andern auch ihn schädigen konnten, und dadurch hat er seine ganze Familie vernichtet.

Die beiden Barone von Tsi, Tsui Schu und King Fong, verschworen sich, den Herzog Dschuang von Tsi zu töten. Nachdem Herzog Dschuang getötet war, setzten sie den Herzog Ging ein, und Tsui Schu wurde sein Kanzler. King Fong wollte nun auch den Tsui Schu töten, um an seiner Stelle Kanzler zu werden. Er stachelte daher die Söhne des Tsui Schu an, um die Nachfolge zu streiten, und tatsächlich fingen diese an, sich untereinander zu bekämpfen. Tsui Schu ging zu King Fong und sagte es ihm. King Fong sprach zu Tsui Schu: »Bleib vorerst hier. Ich werde Soldaten ausrüsten, um sie zu töten.« So befahl er dem Lu Man Biä Soldaten zu nehmen und sie zu töten. Jener tötete die ganze Familie des Tsui Schu und alle seine Verwandten und verbrannte alle seine Schlösser. Darauf kehrte er zurück und berichtete Tsui Schu: »Ich habe sie getötet.«

Tsui Schu kehrte heim, aber er fand keine Heimat mehr vor. Deshalb erhängte er sich selbst. King Fong wurde zum Kanzler des Herzogs Ging. Der Herzog Ging aber litt darunter und als King Fong eines Tages auf die Jagd ging, da wollte der Herzog Ging zusammen mit Tschen Wu Yü und Gung Sun Dsau und Gung Sun Tschai den King Fong töten. King Fong widersetzte sich mit seinem ganzen Anhang. Aber er konnte nicht widerstehen und mußte fliehen. Er ging nach Lu. Da machte Tsi dem Staate Lu Vorwürfe. Darauf verließ er Lu und ging nach Wu. Der König von Wu belehnte ihn mit Dschu Fang. Der König Ling von Tschu hörte es und versammelte die Fürsten, um Wu anzugreifen. Er belagerte Dschu Fang und eroberte es. King Fong wurde gefangen genommen. Man ließ ihn Beil und Block auf dem Rücken tragen und sandte ihn in dem ganzen Heer der Fürsten umher. Man befahl ihm, zu rufen: »Macht es nicht so wie ich, King Fong von Tsi. Ich habe meinen Fürsten getötet und seinen verwaisten Sohn vergewaltigt und einen Rat des Volkes ums Leben gebracht.« Darauf wurde er getötet.

Wenn auch jemand so würdig ist wie Huang Di, muß er doch[389] sterben, wenn auch einer so weise ist, wie Yau und Schun, muß er doch sterben. Und wenn auch jemand so tapfer ist wie Mong Ben, so muß er doch sterben. Die Menschen müssen freilich alle sterben. Aber King Fong hat den zweifachen Tod erlitten. Seine Person erlitt Schmach, seine eigene Familie sah er nicht wieder, weil sein Wandel so böse war.

Die Verbrecher betreiben ihre Unternehmungen so, daß sie anfangs einander helfen, aber mit der Zeit hassen sie einander. Wer recht handelt, dem geht es nicht so. Anfangs arbeitet er mit seinesgleichen zusammen, allmählich fassen sie Vertrauen zueinander und endlich gewinnen sie einander lieb, und die Nachwelt nimmt sie zum leuchtenden Vorbild.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 387-390.
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