57. Der echte Einfluß[61] 1

Zur Leitung des Staates braucht man Regierungskunst,

zum Waffenhandwerk braucht man außerordentliche Begabung.

Um aber die Welt zu gewinnen, muß man frei sein von Geschäftigkeit.

Woher weiß ich, daß es also mit der Welt steht?

Je mehr es Dinge auf der Welt gibt, die man nicht tun darf,

desto mehr verarmt das Volk.

Je mehr die Menschen Mittel des Wohlstandes haben,

desto mehr kommt Reich und Haus in Verwirrung.

Je mehr die Leute Kunst und Schlauheit pflegen,

desto mehr erheben sich Wunderlichkeiten.

Je mehr die Gesetze und Befehle prangen,

desto mehr gibt es Diebe und Räuber.

Darum spricht ein Berufener:

Ich handle nicht, und das Volk wandelt sich von selbst.

Ich liebe die Stille, und das Volk wird von selber recht.

Ich habe keine Geschäfte, und das Volk wird von selber reich.

Ich habe keine Begierden, und das Volk wird von selber einfach.


Erklärung

1 Der Ausdruck »Regierungskunst« beruht auf einer Konjektur für den Ausdruck »Geradheit«, der in den meisten Texten steht. Doch werden in der alten Sprache die Ausdrücke gelegentlich ausgetauscht.

Auch läßt sich unsre Auffassung durch den jap. Komm. belegen.

Hier wieder die paradoxe Antithese der beiden ersten Sätze zum dritten.

Die sachlichen Ausführungen kommen in ihrer negativen Seite mit den Aussprüchen Kungs, Gespräche Buch II, 1 und 3 (pag. 8), durchaus überein, nur daß Kung außer dem LEBEN (der Kraft des Geistes) auch die Sitte (Anstand) als wichtigen Faktor nimmt, die Laotse bekanntlich sehr niedrig einschätzt (vgl. Nr. 38). Zum Schluß statt der sonst üblichen Nutzanwendung Zitat eines alten Reimspruches.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 61-62.