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Anhang IV

Die Sache Gottes vertheidigt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und mit all seinen Handlungen

[503] 1. Die Vertheidigung der Sache Gottes gereicht nicht blos zum Ruhme Gottes, sondern auch zu unserem Nutzen, damit wir sowohl seine Grösse, d.h. seine Macht und seine Weisheit verehren, sowie auch seine Güte und das daraus Abfliessende, seine Gerechtigkeit und Heiligkeit lieben und so weit wir vermögen, diese nachahmen. Diese Abhandlung hat zwei Theile; der erste ist mehr vorbereitend und der andere ist der hauptsächliche. Der erstere behandelt die Grösse und die Güte, jede besonders, der zweite fasst beide zusammen; darin ist die Vorsehung für alle Geschöpfe und die Regierung über die vernünftigen enthalten, besonders in Betreff der Frömmigkeit und des Heils.

2. Die strengern Theologen haben mehr die Grösse Gottes als seine Güte berücksichtigt; dagegen galten den wahren Rechtgläubigen beide Vollkommenheiten von gleicher Wichtigkeit. Man könnte den Irrthum, welcher die Grösse Gottes erschüttert, Anthropomorphismus und den, welcher die Güte beseitigt, Despotismus nennen.

[503] 3. Die Grösse Gottes ist sorgfältig, besonders gegen die Socinianer und einige Halb-Socinianer zu schützen; Conrad Vorstius hat am meisten von ihnen dagegen gesündigt. Man kann die Grösse auf zwei Hauptkapitel zurückführen, auf die Allmacht und auf die Allwissenheit.

4. Die Allmacht befasst sowohl Gottes Unabhängigkeit von Andern, wie Aller Abhängigkeit von ihm.

5. Die Unabhängigkeit Gottes tritt im Dasein und im Handeln hervor. Im Dasein, insofern Gott nothwendig und ewig ist, und, wie man gemeiniglich sagt, ein Ding an sich. Daraus folgt auch, dass Gott unermesslich ist.

6. Im Handeln ist Gott in natürlicher und in moralischer Weise unabhängig. In natürlicher Weise, insofern er der freieste ist und nur von sich selbst zum Handeln bestimmt wird; in moralischer Weise, insofern er anypeuthynos (nicht unterwürfig) ist, oder keinen über sich hat.

7. Die Abhängigkeit der Dinge von Gott erstreckt sich sowohl auf alles Mögliche, oder auf das, was keinen Widersprach enthält, wie auch auf alles Wirkliche.

8. Die Möglichkeit der Dinge, die nicht wirklich bestehen, hat in dem göttlichen Dasein ihre begründete Wirklichkeit, denn wenn Gott nickt wäre, so würde es auch nichts Mögliches geben; das Mögliche ist daher von Ewigkeit in den Vorstellungen des göttlichen Verstandes enthalten.

9. Das Wirkliche hängt, in Rücksicht theils des Seins, theils des Handelns, von Gott ab, und zwar nicht blos von seinem Verstande, sondern auch von seinem Willen; nämlich in Rücksicht des Seins, insofern alle Dinge frei von Gott erschaffen sind und auch von Gott erhalten werden, und es ist keine falsche Lehre, dass die göttliche Erhaltung eine fortgehende Schöpfung sei, gleich dem Strahl, der stetig von der Sonne ausstrahlt, wenn auch die Geschöpfe nicht aus Gottes Wesen und auch nicht nothwendig hervorgehen.

10. Im Handeln hängen die Dinge von Gott ab, indem Gott zum Handeln der Dinge mitwirkt, insoweit in[504] den Handlungen einige Vollkommenheit enthalten ist, welche allerdings von Gott herkommen muss.

11. Die Mitwirkung Gottes (auch die gewöhnliche und nicht wunderbare) ist zugleich eine unmittelbare und eine besondere; und zwar eine unmittelbare, indem die Wirkung nicht blos deshalb von Gott abhängt, weil dessen Ursache von Gott entstanden ist, sondern weil Gott nicht weniger, noch entfernter in Hervorbringung der Wirkung mitwirkt, als in Hervorbringung von dessen Ursache.

12. Eine besondere ist aber die Mitwirkung, weil sie nicht blos auf die Entstehung der Sache und der Handlung gerichtet ist, sondern auch auf die Art und die Eigenschaften des Seins, so weit ihnen etwas von Vollkommenheit einwohnt, was immer von Gott, dem Vater des Lichts und dem Geber alles Guten herkommt.

13. So viel von der Macht Gottes; jetzt ist von seiner Weisheit zu sprechen, welche von ihrer Unermesslichkeit die Allwissenheit genannt wird. Da diese selbst die vollkommenste ist (ebenso wie die Allmacht) so umfasst sie alles Vorstellen und alle Wahrheit, d.h. alles Einfache und Verbundene, was ein Gegenstand des Wissens sein kann und sie befasst sowohl das Mögliche, wie das Wirkliche.

14. Sie betrifft das Mögliche, wo sie das Wissen der einfachen Einsicht heisst und sie umfasst sowohl die Dinge, wie deren Verbindungen; beide sind entweder nothwendige oder zufällige.

15. Das zufällige Mögliche kann gewusst werden, theils als getrenntes, theils geordnet zu ganzen möglichen unzähligen Welten, deren jede Gott vollkommen bekannt ist, wenn auch von ihnen nur eine in das Sein übergeführt wird. Denn mehrere wirkliche Welten anzunehmen, hat keine Bedeutung, da die eine die ganze Gemeinschaft der Geschöpfe in allen Zeiten und Orten umfasst und in diesem Sinne das Wort Welt hier genommen wird.

16. Das Wissen des Wirklichen, oder der zum Dasein übergeführten Welt, und alles Vergangenen, Gegenwärtigen und Kommenden in ihr heisst das schauende Wissen und ist von dem Wissen der einfachen[505] Einsicht dieser Welt, als einer möglichen aufgefasst, nicht weiter verschieden, als dass die rückbezügliche Kenntniss hinzukommt, wodurch Gott seinen Beschluss, die Welt zum Dasein überzuführen, kennt. Auch bedarf es keiner andern Grundlage für das göttliche Vorauswissen.

17. Das Wissen, welches gewöhnlich das mittlere genannt wird, ist unter dem Wissen der einfachen Einsicht in dessen, hier angegebenem Sinne enthalten. Will indess jemand ein mittleres Wissen zwischen dem Wissen der einfachen Einsicht und dem schauenden Wissen festhalten, so kann er das schauende und das mittlere Wissen anders fassen, als gewöhnlich geschieht, nämlich dass das mittlere nicht blos von den künftigen bedingten Dingen, sondern auch allgemein von dem möglichen Zufälligen verstanden wird. Dann wird das rissen der einfachen Einsicht enger gefasst, nämlich dass es nur von den möglichen und dabei nothwendigen Wahrheiten handelt, und das mittlere Wissen von den möglichen und dabei zufälligen Wahrheiten und das schauende Wissen von den zufälligen und dabei wirklichen Wahrheiten. Das mittlere Wissen wird dann mit dem erstem das gemeinsam haben, dass es von den möglichen Wahrheiten handelt und mit dem letztem, dass es von den zufälligen Wahrheiten handelt.

18. So viel von der göttlichen Grösse; nun werde ich von der göttlichen Güte handeln. So wie die Weisheit, oder das Wissen des Wahren eine Vollkommenheit des Verstandes ist, so ist die Güte, oder das Begehren des Guten eine Vollkommenheit des Willens. Jeder Wille hat zwar das Gute zum Gegenstande, wenigstens das anscheinende, aber der göttliche Wille hat nur das Gute und zugleich Wahre zum Gegenstande.

19. Ich werde also auch den Willen, und seinen Gegenstand, das Gute und Schlechte betrachten, so weit es einen Grund zum Wollen oder Nicht-Wollen darbietet. Beim Willen werde ich dessen Natur und dessen Arten betrachten.

20. Zur Natur des Willens gehört die Freiheit, welche darin besteht, dass die Willenshandlung aus ihm selbst hervorgeht und überlegt ist und also auch der[506] Art dass sie die Notwendigkeit ausschliesst, welche die Ueberlegung aufhebt.

21. Es wird die metaphysische Nothwendigkeit ausgeschlossen, deren Gegentheil unmöglich ist oder einen Widerspruch enthält; aber nicht die moralische Notwendigkeit, deren Gegentheil das Unangemessene ist. Denn wenn auch Gott in seinem Wählen nicht irren kann, also immer das passendste wählt, so steht dies doch seiner Freiheit nicht entgegen, vielmehr macht es sie nur vollkommener. Es würde der Freiheit entgegen sein, wenn nur ein Gegenstand des Willens möglich wäre, oder wenn nur eine Gestalt der Dinge möglich wäre; in diesem Falle würde die Wahl wegfallen und die Weisheit und Güte des Handelnden könnte nicht gelobt werden.

22. Deshalb irren die, oder sprechen wenigstens sehr unpassend, welche nur das für möglich erklären, was wirklich geschieht oder was Gott gewählt hat. Hierin versah es der Stoiker Diodorus bei Cicero und unter den Christen Abälard, Wicleff, Hobbes. Unten wird mehr über die Freiheit gesagt werden, wo die menschliche zu schützen sein wird.

23. So viel über die Natur des Willens; es folgt die Eintheilung des Willens, welche für den gegenwärtigen Gebrauch hauptsächlich eine doppelte ist; nach der einen ist der Wille ein vorgehender und ein nachfolgender; nach der andern ein hervorbringender und ein erlaubender.

24. Die erste Eintheilung geht dahin, dass der Wille entweder ein vorgehender oder auch vorläufiger, oder ein nachfolgender oder schliesslicher ist, oder, was dasselbe ist, dass der Wille entweder ein sich hinneigender oder ein beschliessender ist. Jener ist weniger vollständig, dieser ist aber vollständig unbedingt. Allerdings pflegt diese Eintheilung dem ersten Ansehen nach von Einigen anders und dahin aufgefasst zu werden, dass der vorgehende Wille Gottes (z.B. alle Menschen zu erretten) der Ueberlegung vorangehe und der nachfolgende (z.B. einige zu verdammen) der Ueberlegung folge. Allein jener geht auch andern einzelnen Willen Gottes vor und dieser folgt nach, du die Betrachtung der That der Geschöpfe selbst nicht blos gewissen einzelnen[507] Wollen Gottes vorausgestellt wird, sondern dies auch mit gewissen Wollen Gottes geschieht, ohne welche eine That der Geschöpfe nicht vorausgesetzt werden kann. Deshalb nahmen Thomas und Scotus und Andere die Eintheilung in meinem Sinne, also, dass der vorgehende Wille zu einem an sich Guten treibt und zwar nach dessen jedesmaligen Grade; deshalb ist dieser Wille nur ein Wille auf Einzelnes; dagegen sieht der nachfolgende Wille auf das Ganze und enthält die schliessliche Entscheidung. Deshalb ist er unbedingt und beschliessend und wenn der göttliche Wille gemeint ist, ein solcher, welcher seine volle Wirkung hat. Uebrigens will ich, wenn jemand meine Erklärung nicht mag, über Worte nicht streiten und man mag dann statt des vorgehenden und nachfolgenden Willens die Worte vorläufig und schliesslich setzen.

25. Der vorgehende Wille ist überhaupt ernst und rein und nicht mit dem Wollen-mögen (wo jemand wollte, wenn er könnte und wo jemand können möchte) zu verwechseln, welches bei Gott nicht vorkommt; auch nicht mit dem bedingten Willen, über den hier nicht gehandelt wird. Der vorgehende Wille bei Gott strebt alles Gute zu gewähren und alles Schlechte abzuwenden, insoweit sie ein solches sind und nach Verhältniss des Grades, in welchem sie es sind. Wie ernst aber dieser Wille sei, hat Gott selbst erklärt, als er so ernstlich sagte, dass er den Tod des Sünders nicht wolle, dass er alle gerettet sehen wolle, und dass er die Sünde hasse.

26. Der nachfolgende Wille entstellt aus dem Zusammentreffen aller vorgehenden Willen, damit nämlich, wenn alle diese Willen nicht zugleich wirklich werden können, die möglichst grösste Wirkung erreicht werde, welche sich durch die Weisheit und Macht erreichen lässt. Dieser Wille pflegt auch der Beschluss genannt zu werden.

27. Hieraus erhellt, dass auch die vorgehenden Willen nicht ganz nutzlos sind und ihre Wirksamkeit haben, nur ist diese von ihnen erreichte Wirkung nicht immer eine volle, da sie durch das Zusammentreffen anderer Willen beschränkt wird. Allein der aus allen treibenden Willen hervorgehende beschliessende Wille, erlangt immer seine volle Wirkung, wenn die Macht dem[508] Wollenden nicht fehlt, wie dies bei Gott sicherlich der Fall nicht sein kann. Nur bei dem beschliessenden Willen gilt der Satz: Wer es kann und will, der thut es; indem nämlich dadurch, dass selbstverständlich unter der Macht das zum Handeln nöthige Wissen mitverstanden wird, gesetzt wird, dass der Handlung innerlich und äusserlich nichts mehr fehlt. Auch geht dem Glück und der Vollkommenheit des wollenden Gottes nichts ab, wenn nicht jeder Wille von ihm einen vollen Erfolg hat; denn er will das Gute nur nach dem Grade der Güte, welche in jedwedem Dinge bestellt. Am meisten wird seinem Willen Genüge geleistet, wenn damit der beste Erfolg erreicht wird.

28. Der nachfolgende Wille wird eingetheilt in den hervorbringenden für die eignen Handlungen und in den erlaubenden für die fremden Handlungen. Manches kann auch erlaubt werden (d.h. nicht gehindert werden) was man nicht thun darf, z.B. die Sünden, über die gleich gesprochen werden wird. Der eigentliche Gegenstand des erlaubenden Willens ist nicht das, was erlaubt wird, sondern die Erlaubniss selbst.

29. So viel über den Willen, jetzt gehe ich über zum Grunde des Willens, oder zum Guten und Uebeln. Beides ist dreierlei Art; ein metaphysisches, ein physisches und ein moralisches.

30. Das metaphysische besteht allgemein in der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der Dinge, selbst der unbeseelten Dinge. Christus hat gesagt, dass der himmlische Vater auch für die Lilien auf dem Felde und für die Sperlinge Sorge trage und bei Jonas nimmt Gott selbst auf die wilden Thiere Rücksicht.

31. Das physische wird besonders bezogen auf das Angenehme und Unangenehme der verständigen Substanzen; hierher gehört das Uebel der Strafe.

32. Das moralische bezieht sich auf die tugendhaften und auf die schlechten Handlungen derselben; hierher gehört das Uebel der Schuld. Das physische Uebel pflegt in diesem Sinn aus dem moralischen zu entstehen, wenn auch nicht immer in denselben Personen, was jedoch, da es eine Abirrung zu sein scheinen könnte, durch den Erfolg verbessert wird, dass die Unschuldigen[509] wünschen würden, nicht gelitten zu haben. Auch ist das später in § 55 Gesagte hinzuzunehmen.

33. Gott will vorgehend mindestens das Gute an sich; also sowohl die Vollkommenheit der Dinge überhaupt, als insbesondere das Glück und die Tugend aller verständigen Geschöpfe und zwar jedes Gut nach dem Grade seiner Güte, wie ich schon gesagt habe.

34. Die Uebel fallen zwar nicht in den vorgehenden Willen Gottes, als nur so, dass er auf deren Entfernung gerichtet ist; aber sie fallen mittelbar in den nachfolgenden Willen; weil wenn diese Uebel entfernt würden, mitunter grössere Güter nicht erlangt werden könnten, in welchem Falle die Entfernung der Uebel nicht zur Verwirklichung kommt und, wenn sie auch in dem vorgehenden Willen enthalten ist, doch nicht in den nachfolgenden eintritt. Deshalb sagte Thomas von Aquino nach Augustinus ganz passend, Gott erlaube dass manche Uebel eintreten, damit nicht vieles Gute gehemmt werde.

35. Die metaphysischen und physischen Uebel (wie die Unvollkommenheiten in den Dingen und das Uebel der Strafe bei den Personen) werden mitunter mittelbare Güter, als Mittel zu grösseren Gütern.

36. Dagegen hat das moralische Uebel oder das Uebel der Schuld niemals die Natur eines Mittels, denn (wie der Apostel erinnert) man darf nichts Böses thun, damit Gutes eintrete; allein mitunter hat es doch die Natur einer Bedingung, welche eine unumgängliche oder eine verbundene oder mitbegleitende Bedingung heisst; d.h. ohne welche das schuldige Gute nicht erlangt werden kann, wobei unter dem schuldigen Gute auch die schuldige Beraubung eines Uebels enthalten ist. Das Uebel wird aber nicht aus einem Grunde unbedingter Nothwendigkeit zugelassen sondern nach dem Princip der Angemessenheit. Denn es muss ein Grund da sein, weshalb Gott das Uebel zulässt und nicht vielmehr nicht zulässt und jeder Grund für den göttlichen Willen kann nur aus dem Guten entnommen werden.

37. Auch das Uebel der Schuld ist für Gott nie Gegenstand seines hervorbringenden Willens, sondern nur bisweilen des erlaubenden Willens, weil Gott nie eine Sünde begeht, sondern nur höchstens mitunter zulässt.

38. Die allgemeine Regel für die Gestattung der[510] Sünde ist Gott und den Menschen gemeinsam; nämlich niemand darf eine fremde Sünde zulassen, er müsste denn durch deren Verhinderung selbst eine schlechte Handlung verüben. Mit einem Wort, die Sünde zu gestatten, ist niemals erlaubt, wenn man es nicht schuldig ist; über welchen Unterschied der § 66 handelt.

39. Gott hat daher unter den Gegenständen seines Willens das Beste, als letztes Ziel; ferner das Gute jeder Art, auch als einen untergeordneten Zweck; dagegen die gleichgültigen Dinge und auch das Uebel der Strafe oft als Mittel; aber das Uebel der Schuld als die unumgängliche Bedingung einer von anderwärts her schuldigen Sache, in dem Sinne, wie Christus sagt, es müsse Aergerniss bestellen.

40. Bis hierher habe ich von der Grösse und Güte Gottes getrennt das gesagt, was als Einleitung dieser Abhandlung angesehen werden kann; jetzt werde ich von dem sprechen, was ein Zubehör von beiden ist. Das Gemeinsame der Grösse und der Güte Gottes ist also hier das, was nicht aus der blosen Güte, sondern auch aus der Grösse (d.h. aus der Weisheit und Macht) hervorgeht, denn die Grösse macht dass die Güte ihre Wirkung erreicht. Die Güte bezieht sich entweder auf alle Geschöpfe überhaupt, oder im Besonderen auf die verständigen. In der ersten Weise bildet sie mit der Grösse die Vorsehung in Erschaffung und Regierung der Welt; in letzterer Weise die Gerechtigkeit in der besondern Regierung der mit Vernunft begabten Substanzen.

41. Da die gegen die Geschöpfe überhaupt sich äussernde Güte durch die Weisheit geleitet wird, so folgt, dass die göttliche Vorsehung sich in der ganzen Reihenfolge der Welt zeigt und man muss sagen, dass Gott aus den unzähligen möglichen Reihen der Dinge die beste gewählt habe und deshalb sei es die, welche wirklich besteht. Denn alles in der Welt stimmt mit einander überein und der Weiseste beschliesst erst wenn er alles geprüft hat und also nur über das Ganze. Für die Theile einzeln genommen, kann ein vorgängiger Wille bestehen, für das Ganze ist er als beschliessender Wille aufzufassen.

42. Deshalb bedarf es, genau gesprochen keiner Ordnung für die göttlichen Beschlüsse sondern man kann sagen, dass es nur ein Beschluss Gottes gewesen, wonach[511] die jetzige Reihe der Dinge zum Dasein gelangen sollte, nachdem vorher das in dieser Reihe Enthaltene erwogen und mit dem in den andern Reihen Enthaltenen verglichen worden war.

43. Deshalb ist der Beschluss Gottes auch unveränderlich, weil alle Gründe, die ihm entgegengestellt werden können, schon in Betracht genommen worden sind; allein daraus entsteht keine andere Nothwendigkeit, als die der Folge, oder der sogenannten bedingten, nämlich aus der vorausgesetzten Voraussicht und Vorausordnung. Aber es bestellt keine unbedingte Nothwendigkeit oder eine Nothwendigkeit des Folgenden, weil auch eine andere Ordnung der Dinge möglich war, sowohl in den Theilen wie für das Ganze und Gott, indem er die Zufälligkeit der Dinge erwählte, deren Zufälligkeit nicht geändert hat.

44. Auch sind wegen der Gewissheit der Dinge die Gebete und die Arbeiten nicht vergeblich für die Erlangung des Zukünftigen, was wir wünschen. Denn in der Vorstellung Gottes von dieser Reihe der Dinge, als einer möglichen, bevor er nämlich seinen Beschluss fasste, waren (im Fall sie erreicht werden sollte) auch diese zukünftigen Gebete und andern Ursachen der in ihr zusammengefassten Wirkungen enthalten und haben zur Wahl dieser Reihe und also auch zu den in ihr befassten Ereignissen, wie billig, mit beigetragen. Das, was Gott jetzt zum Handeln und Gestatten bestimmt, hat ihn damals schon zu dem Beschlüsse von dem bestimmt, was er thun und erlauben werde.

45. Auch habe ich schon oben gesagt, dass durch das göttliche Vorauswissen und Voraussehen die Dinge nicht unbedingt bestimmt werden, also nicht so, dass es gleichgültig wäre, ob man deshalb etwas thue oder nicht, sondern dass sie durch ihre Ursachen und Gründe bestimmt werden. Wenn daher jemand die Gebete, oder den Fleiss und die Arbeit für nutzlos erklärt, so geräth er in den Trugschluss, welchen schon die Alten den faulen nannten. Man sehe § 106 107 unten.

46. Die unbeschränkte Weisheit des Allmächtigen hat verbunden mit seiner unermesslichen Güte bewirkt, dass nichts besseres werden konnte, als was von Gott geschehen ist, und dass so alles vollkommen harmonisch ist, und aufs Schönste mit einander übereinstimmt, ebenso die[512] formalen Ursachen oder Seelen mit den stofflichen Ursachen, oder den Körpern, wie die wirkenden oder natürlichen Ursachen mit den Endursachen oder den moralischen und wie das Reich der Gnade mit dem Reiche der Natur.

47. Deshalb hat man, so oft etwas in dem Wirken Gottes als tadelnswerth erscheint, anzunehmen, dass es uns nicht genügend bekannt sei und dass der Weise, welcher es durchschauen könnte, urtheilen werde, dass es besser nicht einmal gewünscht werden könne.

48. Daraus folgt weiter, dass es nichts glücklicheres giebt, als einem so guten Gott zu dienen und daher Gott über alles zu lieben und ihm gänzlich zu vertrauen.

49. Der wichtigste Grund für die Erwählung der besten Reihe der Dinge (nämlich die vorhandene selbst) ist Christus, der Gottmensch gewesen, da derselbe, als das zur höchsten Stufe gelangte Geschöpf, in dieser vorzüglichsten Reihe der Dinge als ein Theil der erschaffenen Welt mit enthalten sein musste, ja als deren Haupt, dem endlich alle Gewalt im Himmel und auf Erden verliehen worden, in dem alle Völker gesegnet werden sollen, durch den alle Geschöpfe von der Knechtschaft der Verderbniss zur Freiheit des Ruhmes der Kinder Gottes werden erlöst werden.

50. So viel von der allgemeinen Vorsehung. Ferner hat die Güte insbesondere in Bezug auf die verständigen Geschöpfe in Verbindung mit der Weisheit die Gerechtigkeit gebildet, deren höchster Grad die Heiligkeit ist; deshalb befasst die Gerechtigkeit in diesem weiten Sinne nicht blos das strenge Recht, sondern auch die Billigkeit und folglich auch die löbliche Barmherzigkeit.

51. Die allgemeine Gerechtigkeit kann aber eingetheilt werden in die Gerechtigkeit im engeren Sinne und in die Heiligkeit. Die Gerechtigkeit im engern Sinne bezieht sich auf das physische Gute und Ueble Anderer, nämlich verständiger Geschöpfe; die Heiligkeit aber auf das moralisch Gute und Böse.

52. Die physischen Güter und Uebel sind sowohl in diesem, wie in dem zukünftigen Leben vorhanden. In diesem Leben beklagen Viele im Allgemeinen, dass die menschliche Natur so vielen Uebeln ausgesetzt sei, ohne zu bedenken, dass ein grosser Theil derselben von der[513] Schuld der Menschen herkommt und dass in Wahrheit wir die göttlichen ausgewählten Wohlthaten nicht dankbar genug anerkennen und mehr auf unser Uebel, wie auf unser Gutes achten.

53. Andern missfällt es vorzüglich, dass die physischen Uebel und Güter nicht nach den moralischen Uebeln und Gütern vertheilt seien, sondern dass es oft den Guten schlecht und den Schlechten gut gehe.

54. Auf diese Klagen ist zweierlei zu antworten; das eine stellt der Apostel auf, nämlich dass die Bedrängnisse dieser Zeit nicht zu vergleichen seien mit dem zukünftigen Ruhm, welcher uns offenbart werden wird; das zweite hat Christus durch sein schönes Gleichniss angedeutet, wonach, wenn das Korn, in die Erde gestreut, nicht stürbe, es keine neue Frucht tragen würde.

55. Deshalb werden die Leiden nicht blos reichlich ausgeglichen werden, sondern sie werden auch zur Vermehrung des Glückes beitragen und diese Uebel sind nicht blos nützlich, sondern auch nöthig. Man sehe § 32.

56. Bei dem zukünftigen Leben ist die Schwierigkeit noch grösser; es wird eingeworfen dass auch dort die Güter von den Uebeln weit übertroffen werden, weil nur Wenige erwählt seien. Origenes hat zwar die ewige Verdammniss überhaupt aufgehoben; einige Alte, unter denen Prudentius war, nahmen an, dass wenigstens nicht Viele in Ewigkeit verdammt seien; Andere, zu denen auch Hieronymus sich geneigt zu haben scheint, meinten, dass alle Christen zuletzt errettet werden würden.

57. Allein wir brauchen zu diesen verwerflichen Sonderbarkeiten unsere Zuflucht nicht zu nehmen; die richtige Antwort ist, dass der ganze Umfang des himmlischen Reichs nicht nach dem, was wir davon wissen, abzuschätzen ist; denn der Ruhm der Seligen im Anschauen der Gottheit kann so gross sein, dass die Uebel aller Verdammten damit nicht verglichen werden können; auch erkennt die Schrift unzählige selige Engel an und die grosse Mannigfaltigkeit der Geschöpfe zeigt die Natur uns selbst, wie die neu aufgefundenen dies bestätigen; deshalb können wir zuverlässiger als Augustin und andere Alten das Uebergewicht des Guten über das Uebel behaupten.

[514] 58. Unsere Erde ist nämlich nur der Begleiter der einen Sonne und der Sonnen giebt es so viele, als Fixsterne und wahrscheinlich befindet sich ein ungeheurer Raum zwischen den einzelnen Fixsternen; es können deshalb diese Sonnen oder vorzüglich die Gegenden jenseit der Sonnen von glücklichen Geschöpfen bewohnt werden, obgleich auch glückliche Planeten nach dem Vorbild des Paradieses sein oder werden können. In dem Hause unseres Vaters giebt es viele Wohnungen. Christus spricht im Besondern von dem Himmel der Seligen, welchen einige Theologen das Empyreum nennen und jenseit der Sterne oder Sonnen verlegen, wenn man auch nichts Gewisses über den Ort der Seligen behaupten kann. Einstweilen kann man als wahrscheinlich annehmen, dass es auch in der sichtbaren Welt viele Wohnungen vernünftiger Geschöpfe, geben werde, von denen die einen glücklicher sind, als die andern.

59. Deshalb ist der von der Menge der Verdammten entnommene Grund nur auf unsere Unwissenheit gestützt und wird durch die eine, oben angedeutete Antwort widerlegt; hätten wir Alles durchschaut, so würde sich zeigen, dass man es nicht einmal besser wünschen könne, als Gott es gemacht hat. Auch dauern die Strafen der Verdammten fort, weil sie in ihrer Bosheit verharren. Deshalb widerlegt ein ausgezeichneter Theolog, Johann Fechtius, in einem scharfsinnigen Buche über den Stand der Verdammten diejenigen gut, welche bestreiten, dass in dem zukünftigen Leben die Sünden eine Strafe verdienten, als wenn die Gott wesentliche Gerechtigkeit irgend einmal aufhören könnte.

60. Am stärksten sind endlich die Schwierigkeiten in Bezug auf die Heiligkeit Gottes, oder auf seine Vollkommenheit, wenn sie auf die moralischen Güter und Uebel der Andern bezogen wird, da diese Heiligkeit bewirkt, dass auch in Andern die Tugend geliebt und das Laster gehasst wird und da sie sich von allem Schmutz und aller Ansteckung der Sünde am meisten abwendet; und doch herrschen Verbrechen im Mitten des Reiches des mächtigsten Gottes. Allein wenn auch hier mancherlei Schwierigkeiten bestellen, so werden sie doch schon in diesem Leben mit Hülfe des göttlichen Lichts so weit überwunden,[515] dass die Frommen und die welche Gott lieben, sich so weit es nöthig ist, beruhigen können.

61. Man wirft ein, dass Gott zu sehr bei der Sünde mitwirke und der Mensch nicht genug; Gott solle zu sehr physisch und moralisch mitwirken zu dem moralischen Uebel, indem sein Wille sowohl hervorbringend, wie erlaubend für die Sünde sei.

62. Man bemerkt, dass die moralische Mitwirkung stattfinde, da, wenn auch Gott durch Handeln nichts zur Sünde beitrage, er dieselbe doch erlaube, oder wenigstens nicht hindere, obgleich er es doch könne.

63. Gott wirke vielmehr in Wahrheit moralisch und physisch mit, weil er die Sündigenden nicht blos nicht hindere, sondern gewissermassen unterstütze, indem er ihnen die Kräfte und die Gelegenheiten gewähre. Daher finden sich in der heiligen Schrift Ausdrücke, wie dass Gott die Bösen verhärte und anreize.

64. Man wagt daraus zu folgern, dass Gott auf beide Arten, oder wenigstens auf eine von beiden, Mitschuldiger der Sünde, ja deren Urheber sei und stösst auf diese Weise die göttliche Heiligkeit, Gerechtigkeit und Güte um.

65. Andere wollen lieber die göttliche Allwissenheit und Allmacht, mit einem Worte, seine Grösse schwächen, indem er das Uebel nicht kenne und sich nicht darum kümmere, oder dem Strome der Uebel nicht sich entgegenstellen könne. Es war dies die Ansicht der Epikuräer und der Manichäer. Etwas ähnliches, wenn auch in milderer Weise, lehren die Socinianer, welche allerdings mit Recht sich hüten, die göttliche Heiligkeit zu beschmutzen, aber mit Unrecht andere Vollkommenheiten Gottes aufgeben.

66. Um zuerst in Bezug auf die moralische Mitwirkung, die in dem Gestatten enthalten sein soll, zu antworten, habe ich das früher Angefangene fortzuführen, wonach die Erlaubniss der Sünde zulässig ist (oder dass sie moralisch möglich ist) wenn sie als eine schuldige (oder als eine moralisch nothwendige) erfunden wird; nämlich wenn eine fremde Sünde nicht gehindert werden kann, ohne eignen Verstoss, d.h. ohne Verletzung dessen, was jemand Anderen oder sich selbst schuldig ist. So darf z.B. der auf einen Posten gestellte[516] Soldat, namentlich in gefährlicher Zeit, denselben nicht verlassen, um zwei Freunde, die sich duelliren wollen, davon abzuhalten. Man nehme § 36 oben hinzu. Das schuldig-sein zu etwas darf indess bei Gott nicht in menschlicher Weise aufgefasst werden, sondern so, wie es sich bei Gott geziemt, nämlich insofern er andernfalls seinen Vollkommenheiten Abbruch thun würde.

67. Wenn ferner Gott die beste Folgeordnung der Welt (in welcher die Sünde sich mit einmengt) nicht erwählt hätte, so hätte er etwas Schlimmeres als alle Sünden der Geschöpfe sind, begangen; denn er hätte seiner eignen Vollkommenheit und folgeweise auch der Anderer Abbruch gethan, denn die göttliche Vollkommenheit darf von der besten Wahl nicht ablassen, weil das geringere Gute die Natur des Bösen hat. Und es würde dann Gott, es würde Alles aufgehoben, wenn Gott an einer Machtlosigkeit litte, oder in seinem Wissen irrte, oder es ihm am Willen fehlte.

68. Die physische Mitwirkung Gottes zur Sünde hat es veranlasst, dass Manche Gott zur Ursache und zum Urheber der Sünde gemacht haben; dann würde auch das Uebel der Schuld ein Gegenstand des hervorbringenden Willens von Gott sein. Am meisten verletzen hier die Epikuräer und Manichäer. Aber auch hier ist Gott, indem er den Sinn erleuchtet, sein eigner Rechtfertiger in der frommen und der Wahrheit ergebenen Seele. Ich werde also erklären, was es heisst, dass Gott bei der Sünde sachlich mitwirke, d.h. zu dem, was in dem Uebel gutes ist, aber dass er nicht formal dazu mitwirke.

69. Es ist nämlich zu antworten, dass in den Geschöpfen und in deren guten und bösen Handlungen nur das an rein positiver Vollkommenheit und Wirklichkeit enthalten ist, was sie Gott verdanken und dass die Unvollkommenheit der Handlung in einer Beraubung besteht und aus den ursprünglichen Schranken der Geschöpfe entspringt, welche sie schon in dem Stand der reinen Möglichkeit (d.h. in dem Gebiete der ewigen Wahrheiten, oder in den Vorstellungen des göttlichen Verstandes) ihrem Wesen nach an sich haben; denn was von Schranken frei wäre, würde kein Geschöpf, sondern ein Gott sein. Beschränkt wird aber ein[517] Geschöpf genannt, weil es Schranken oder Grenzen seiner Grösse, Macht, seines Wissens und jedweder Vollkommenheit hat. So ist die Grundlage des Uebels eine nothwendige, aber seine Entstellung ist dennoch zufällig, d.h. es ist nothwendig, dass die Uebel möglich sind, aber es ist zufällig, dass die Uebel wirklich sind; aber als ein nicht zufälliges geht es wegen der Harmonie der Dinge von der Möglichkeit zur Wirklichkeit über, weil es zu der besten Reihe der Dinge passt, von welcher es einen Theil ausmacht.

70. Was ich hier über die beraubende Natur des Uebels nach Augustinus, Thomas, Lubinus und andern alten und neuem Schriftstellern behaupte, werde ich, da es Vielen als eitel oder wenigstens als höchst dunkel erscheint, aus der Natur der Dinge selbst so erklären, dass nichts zuverlässiger erscheinen wird, indem ich dabei als Aehnlichkeit etwas Sinnliches und Stoffliches benutze, was auch in einer Beraubung besteht und dem der berühmte Naturforscher Kepler den Namen der natürlichen Trägheit der Körper gegeben hat.

71. Wenn nämlich (um ein leichtes Beispiel zu benutzen) der Fluss die Schiffe mit sich hinabführt, so drückt er ihnen eine Schnelligkeit ein, welche aber durch deren Trägheit beschränkt wird, so dass (wenn sonst die Umstände die gleichen sind) die schwereren langsamer sich bewegen. So geschieht es, dass die Schnelligkeit vom Flusse und die Langsamkeit von der Last kommt; das Positive von der Kraft des Stossenden, das Beraubende von der Trägheit des Gestossenen.

72. Ohngefähr in dieser Weise kann man sagen, dass auch Gott den Geschöpfen die Vollkommenheit zutheilt, welche aber durch deren Empfänglichkeit beschränkt wird; so kommt das Gute von der göttlichen Kraft und das Uebel von der Stumpfheit der Geschöpfe.

73. So wird aus Mangel an Aufmerksamkeit oft der Verstand irren und aus Mangel an Lebendigkeit oft der Wille zurückgedrängt werden; nämlich so oft der Geist, wenn er bis zu Gott oder bis zu dem höchsten Gut sich erheben soll, durch die Trägheit des Geschöpfes aufgehalten wird.

74. Bis hierher ist denen geantwortet worden, welche meinen, dass Gott zu viel bei dem Uebel mitwirke;[518] jetzt werde ich denen antworten, welche meinen, der Mensch wirke dabei nicht genug mit, oder er sei bei dem Sündigen nicht schuldig genug, so dass sie sonach die Anklage gegen Gott zurückwenden. Dies suchen nämlich die Gegner zu beweisen, theils aus der Schwachheit der menschlichen Natur, theils aus dem Mangel der göttlichen Gnade, die zur Unterstützung unserer Natur nöthig ist. Ich werde deshalb in der Natur des Menschen theils die Verderbniss betrachten, theils auch die Ueberbleibsel von dem göttlichen Ebenbilde, die aus dem Stande der Reinheit ihm geblieben sind.

75. Von der menschlichen Verderbniss werde ich ferner sowohl den Ursprung, wie auch deren Zustand betrachten. Der Ursprung kommt theils von dem Fall der zuerst Gefallenen, theils von der Fortpflanzung des ansteckenden Uebels her. Bei dem Falle ist dessen Ursache und dessen Natur zu untersuchen.

76. Die Ursache des Falles, weshalb nämlich der Mensch gefallen ist, während Gott es wüsste, erlaubte und mitwirkte, ist nicht in einer despotischen Gewalt Gottes zu suchen, als wenn die Gerechtigkeit und Heiligkeit keine Eigenschaften Gottes wären, was in der That richtig sein würde, wenn er keine Rücksicht auf Recht und Gerechtigkeit nähme.

77. Ebensowenig ist die Ursache des Sündenfalls in einer Gleichgültigkeit Gottes in Bezug auf Gutes und Uebles, auf Gerechtes und Ungerechtes zu suchen, als wenn er dieselben blos nach seinem Belieben gemacht hätte; denn aus solcher Annahme würde folgen, dass jedwedes von ihm mit gleichem Recht und Grund, d.h. überhaupt aus keinem Grunde hätte festgestellt werden können; denn auch dies würde alles Lob der Gerechtigkeit und Weisheit zu nichte machen, sofern nämlich Gott keine Auswahl bei seinen Handlungen träfe, oder keine Unterlage für seine Auswahl hätte.

78. Auch in keinen, gewissermassen Gott zugeschriebenen Willen, der nicht heilig und nicht liebenswerth wäre, ist die Ursache des Sündenfalls zu verlegen, als wenn er nur den Ruhm seiner Grösse im Auge gehabt und der Güte ledig, mit grausamer Barmherzigkeit Elende gemacht hätte, damit deren da wären, die er[519] bemitleiden könne und als wenn er mit Verkehrung der Gerechtigkeit gewollt hätte, dass welche da wären, die er strafen könne; denn alles dies ist tyrannisch und von dem wahren Ruhme und der Vollkommenheit weit entfernt, deren Zierde nicht blos auf Gottes Grösse, sondern auch auf seine Güte bezogen wird.

79. Vielmehr liegt die wahre Wurzel des Sündenfalls in der ursprünglichen Unvollkommenheit, und Schwäche der Geschöpfe, welche bewirkte, dass die Sünde der möglichst besten Reihe der Dinge mit einwohnte, wie ich oben gezeigt habe. Daher ist es gekommen, dass der Sündenfall des Menschen trotz der göttlichen Tugend und Weisheit mit Recht gestattet worden, ja ohne Verletzung dieser Eigenschaften gestattet werden musste.

80. Die Natur des Sündenfalls ist mit Baelius nicht so zu fassen, als wenn Gott den Adam zur Strafe seiner Sünde zum ferneren Sündigen sammt seiner Nachkommenschaft verurtheilt hätte und ihm deshalb (zur Vollstreckung seines Spruches) die Sündhaftigkeit eingegeben hätte, vielmehr ist diese Sündhaftigkeit durch die Kraft der ersten Sünde, gleichsam mittelst einer physischen Verknüpfung gefolgt, so wie ja aus der Betrunkenheit auch viele Sünden entspringen.

81. Daran schliesst sich die Fortpflanzung des ansteckenden Uebels, was durch den Sündenfall der er sten Menschen entstanden ist und in die Seelen der Nachkommen übergeht. Diese Fortpflanzung wird nicht passender sich erklären lassen, als dass man annimmt, die Seelen der Nachkommen seien schon im Adam angesteckt worden. Um dies besser zu verstellen, muss man wissen, wie aus den Beobachtungen und Begründungen der Neuem erhellt, dass die Bildung der Thiere und Pflanzen nicht aus einer gewissen verworrenen Masse hervorgeht, sondern aus einem, im Samen bereits verhüllt enthaltenen, schon etwas vorgebildeten und schon längst beseelten Körper. Daraus folgt, dass kraft des ersten göttlichen Segens gewisse organische Anfänge alles Lebendigen (und in Bezug auf die Thiere die Form unvollkommner Thiere) und die Seelen gewissermassen schon selbst in dem ursprünglichen Bildungsstoffe jeder Gattung längst bestanden haben, welche[520] dann mit der Zeit sich sämmtlich daraus entwickeln. Aber in Bezug auf die Seelen und das Lebendige im Saamen, die für die menschlichen Körper bestimmt waren, muss man annehmen, dass sie mit den übrigen Saamenthierchen, welche eine solche Bestimmung nicht hatten, blos innerhalb der Stufe der blos empfindenden Natur bestanden haben, bis sie durch die letzte Empfängniss von den übrigen sich trennten und zugleich deren organischer Körper zur menschlichen Gestalt eingerichtet und deren Seele zur Stufe der Vernünftigkeit erhoben wurde, wobei ich unbestimmt lasse, ob dies durch eine gewöhnliche oder aussergewöhnliche Wirksamkeit Gottes erfolgte.

82. Daraus erhellt auch, dass man zwar ein Vorherbestehen der Vernünftigkeit nicht annehmen kann, aber dass man doch dafür halten kann, wie in dem Vorherbestehenden göttlicherseits schon vorher festgestellt und vorbereitet worden, dass dereinst nicht blos ein menschlicher Körper daraus hervorgehe, sondern auch die Vernünftigkeit selbst, indem der bezeichnete Akt so zu sagen, der Ausübung vorhergeht. Zugleich ist auch die Verderbniss der Seele, wenn sie auch nicht die menschliche war, wie diese Verderbniss durch den Fall Adams herbeigeführt worden, unter späterm Hinzutritt des Grades der Vernünftigkeit in die Kraft einer ursprünglichen Sündhaftigkeit übergegangen. Uebrigens erhellt aus den neuesten Beobachtungen, dass blos von dein Vater das Belebende und die Seele kommt und dass von der Mutter bei der Empfängniss nur die Einkleidung die Form des Eies, wie man annimmt und das zur Vollkommenheit des neuen organischen Körpers nothwendige Wachsthum gegeben wird.

83. So lösen sich die zum Theil philosophischen Schwierigkeiten, über die Entstellung der Formen und der Seelen und über die Stofflosigkeit der Seele, folglich auch über ihre Untheilbarkeit, welche bewirkt, dass eine Seele aus einer andern nicht entstehen kann.

84. Ferner lösen sich damit auch die theologischen Bedenken in Betreff der Verderbniss der Seele, so dass man nicht sagen kann, dass von Gott eine reine vernünftige Seele, entweder als eine im Voraus bestellende, oder als eine neu erschaffene einer verdorbenen Masse eingefügt werde und sie dadurch selbst verderben müsse.

[521] 85. Es besteht also eine gewisse Ueberführung, aber eine solche die verständlicher ist, als die, welche Augustinus und andere ausgezeichnete Männer angenommen haben, nämlich eine Ueberführung nicht einer Seele aus einer andern Seele (welche von den Alten verworfen worden ist, wie aus Prudentius erhellt und welche der Natur der Dinge nicht entspricht), sondern eines Lebendigen aus einem Lebendigen.

86. So viel über die Ursache unserer Verderbniss und ich komme nun zur Natur und Verfassung derselben. Sie besteht in der ersten Sünde und in der abgeleiteten Sünde. Die erste Sunde hat nur die Macht, dass sie die Menschen im Natürlichen schwach und im Geistigen zu Todten vor der Wiedergeburt macht; sie haben dadurch ihren Verstand auf das Sinnliche und ihren Willen auf das Fleischliche gerichtet, so dass wir von Natur Kinder des Zornes sind.

87. Indess darf man den Baelius und andern Gegnern, welche die göttliche Güte bekämpfen oder wenigstens durch gewisse ihrer Einwürfe niederdrücken, nicht zugeben, dass die, welche blos der Erbsünde verfallen sind und ohne wirkliche Sünde noch vor dem hinlänglichen Gebrauche ihrer Vernunft sterben (wie die Kinder welche vor der Taufe und die welche ausserhalb der Kirche sterben) nothwendig den ewigen Flammen verfallen; vielmehr ist es besser, solche der Gnade des Schöpfers zu überlassen.

88. Deshalb lobe ich auch die Mässigung in dieser Sache von Johann Hülsemann, Johann Adam Osiander und einigen anderen angesehenen Theologen Augsburgischen Bekenntnisses, welche sich auch dieser Meinung zugeneigt haben.

89. Denn die Funken des göttlichen Ebenbildes sind nicht ganz erloschen, wie ich bald darlegen werde, vielmehr können sie durch die zuvorkommende Gnade Gottes auch im Geistigen wieder erettet werden; jedoch so, dass die blose Gnade die Bekehrung bewirkt.

90. Also hat auch die erste Sünde die verdorbene Masse des menschlichen Geschlechts nicht ganz der allgemeinen Güte Gottes entfremdet; vielmehr hat trotzdem Gott die Welt, wenn sie auch im Argen gelegen,[522] so geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn für die Menschen hingegeben hat.

91. Die abgeleitete Sünde ist eine zweifache, eine wirkliche und eine angewöhnte. In diesen beiden besteht die Uebung der Verderbniss, so dass sie nämlich in ihren Gründen und Modificationen wechselt und in verschiedener Weise in Handlungen hervorbricht.

92. Die wirkliche besteht theils in blos innerlichen Handlungen, theils in Erwählungen, die aus innerlichen und äusserlichen Handlungen zusammengesetzt sind, und sie besteht bald in Begehrungen, bald in Unterlassungen und ist theils schuldbar aus natürlicher Schwachheit, theils auch absichtlich böse aus der Bosheit der Seele.

93. Die gewohnheitsmässige Sünde entsteht aus häufigen, oder wenigstens schweren bösen Handlungen in Folge der Menge oder Stärke der Eindrücke. So fügt die gewohnheitsmässige Bosheit der ursprünglichen Verdorbenheit noch etwas an Schlechtigkeit hinzu.

94. Indess ist diese Knechtschaft der Sünde, wenn sie sich auch über das ganze Leben des Nicht-Wiedergebornen ausdehnt, doch nicht so weit auszudehnen, dass durchaus keine Handlung der Nicht-Wiedergebornen eine wahrhaft tugendhafte und unschuldige sein könnte, und dass sie alle wirklich sündiger Art seien.

95. Denn auch die Nicht-Wiedergebornen können mitunter aus Liebe zur Tugend und für das öffentliche Wohl, getrieben von der rechten Vernunft, ja im Hinblick auf Gott handeln, ohne etwaige Beimischung schlechter ehrgeiziger Absichten, oder persönlicher Vortheile, oder fleischlicher Begierden.

96. Indess geht doch alles, was sie thun, aus einer nur angesteckten Wurzel hervor und es ist ihm etwas Böses (wenn auch mitunter nur das angewöhnte) beigemischt.

97. Uebrigens macht diese Verderbniss und menschliche Schlechtigkeit, wie gross sie auch sein mag, deshalb den Menschen nicht entschuldbar und befreit ihn nicht von der Zurechnung, als hätte er nicht genügend von sich selbst und freiwillig gehandelt; denn es sind in ihm Spuren des göttlichen Ebenbildes geblieben welche bewirken, dass die Gerechtigkeit Gottes bei Bestrafung der Sünder unversehrt bleibt.

98. Die Spuren des göttlichen Ebenbildes bestehen[523] theils in dem eingebornen Lichte des Verstandes, theils in der miteingebornen Freiheit des Willens. Beides ist zur tugendhaften oder bösen Handlung nöthig, nämlich dass wir das, was wir thun, kennen und wollen, und dass wir auch von dieser Sünde, welche wir begehen, ablassen können, wenn wir nur den genügenden Eifer anwenden.

99. Das eingeborne Licht besteht theils in einfachen Vorstellungen, theils in den daraus entstehenden zusammengesetzten Kenntnissen. Dadurch ist Gott und das ewige Gesetz Gottes in unsere Herzen eingeschrieben, wenn sie auch durch die Nachlässigkeit der Menschen und die sinnlichen Affekte oft verdunkelt werden.

100. Bewiesen wird dieses Licht gegen einige neuere Schriftsteller theils aus der heiligen Schrift, welche bezeugt, dass in unserem Herzen das Gesetz Gottes eingeschrieben sei, theils aus der Vernunft, weil die nothwendigen Wahrheiten nur aus den, dem Geiste eingebornen Grundsätzen, und nicht aus der Ableitung von den Sinnen, bewiesen werden können. Denn die Ableitung aus dem Einzelnen führt nie zu einer allgemeinen Nothwendigkeit.

101. Auch die Freiheit bleibt trotz der noch so grossen menschlichen Verderbniss, unverletzt, so dass also der Mensch, wenn er auch unzweifelhaft sündigen wird, doch niemals aus Nothwendigkeit die sündige Handlung begeht, welche er begeht.

102. Die Freiheit ist sowohl der Nothwendigkeit, wie dem Zwange entnommen. Die Nothwendigkeit wird nicht durch das Zukünftig-sein der Wahrheiten, noch durch das Vorauswissen und die Vorausbestimmung Gottes und auch nicht durch die vorherige Einrichtung der Dinge herbeigeführt.

103. Nicht durch das Zukünftig-Sein; denn wenn auch die Wahrheit der zukünftigen zufälligen Dinge bestimmt ist, so darf doch die gegenständliche Gewissheit, oder die untrügliche Bestimmung der Wahrheit, welche jenem Zufälligen einwohnt, nicht mit der Nothwendigkeit verwechselt werden.

104. Auch das Vorauswissen und die Vorherbestimmung Gottes legt keine Nothwendigkeit auf, wenn sie selbst auch untrüglich ist. Denn Gott sieht die Dinge in der idealen Reihe des Möglichen, wie sie sein wird und in dieser sieht er den Menschen als einen, der frei sündigt[524] und er hat dadurch, dass er das Dasein für diese Reihe beschloss, die Natur der Dinge nicht geändert, noch das Zufällige zu einem Nothwendigen gemacht.

105. Auch die Vorhereinrichtung der Dinge oder die Reihe der Ursachen schadet der Freiheit nicht. Denn wenn auch niemals etwas geschieht, wofür man keinen Grund angeben könnte und es niemals eine völlige Unbestimmtheit des Willens giebt, (als wenn in und ausserhalb einer freien Substanz alles nach den beiden entgegengesetzten Seiten sich völlig gleich verhielte) vielmehr immer einige Vorbereitungen in der handelnden Ursache und in dem nebenbei Einwirkenden bestehen, welche Andere die Vorherbestimmungen nennen, so sind diese bestimmenden Dinge doch nur treibende aber nicht zwingende, so dass immer einige Unbestimmtheit oder Zufälligkeit vorhanden bleibt. Auch ist in uns keine Erregung und kein Begehren so Gros, das daraus die Handlung mit Notwendigkeit hervorginge, denn so lange der Mensch seiner Sinne mächtig ist, kann er doch, auch wenn er noch so heftig vom Zorn, vom Durst oder einem ähnlichen Umstände getrieben wird, immer noch einen Grund für die Aufhaltung des Begehrens auffinden und mitunter genügt selbst der blose Gedanke, dass man seine Freiheit zeigen und ihre Macht über die Affekte darlegen wolle.

106. Deshalb ist die Vorherbestimmung oder Vorhereinrichtung aus Ursachen, wie ich sie genannt habe, weit entfernt eine Nothwendigkeit herbeizuführen, welche dem Zufall oder der Reinheit oder der Moralität widerspricht. Gerade in diesem unterscheidet sich das Mahomedanische Schicksal von dem Christlichen und das Widersinnige von dem Vernünftigen, dass die Türken sich um die Ursachen nicht kümmern, dagegen die Christen und jedweder Verständige aus der Ursache die Wirkung ableiten.

107. Die Türken halten nämlich dafür, wie man sagt (obgleich ich nicht alle für so unverständig halte) dass man vergeblich der Pest und andern Uebeln entgehen könne, und zwar unter dem Vorwand, dass das Kommende oder Beschlossene eintreten werde, was man auch thun oder nicht thun werde; dies ist falsch, da die Vernunft lehrt, dass der, welcher gewiss an der Pest sterben wird, auch ganz gewiss die Ursachen der Pest[525] nicht vermeiden werde; denn, wie ein deutsches Sprichwort richtig sagt, der Tod will seinen Grund haben und dasselbe gilt für alle andern Ereignisse. Man sehe auch § 15 oben.

108. Auch der Zwang ist bei den Willenshandlungen nicht vorhanden; denn wenn auch die Vorstellungen der äussern Dinge viel über unsern Geist vermögen, so bleiben doch immer die Aeusserungen unseres Willens solche, die von ihm ausgehen, da der Anfang derselben in ihm selbst enthalten ist. Dies erhellt deutlicher wie aus dem bisherigen, aus der Harmonie zwischen Körper und Seele, welche von Anfang ab von Gott vorausbestimmt worden ist.

109. Bis hier habe ich von der Schwäche der menschlichen Natur gehandelt; jetzt werde ich über die Hilfe der göttlichen Gnade sprechen, deren Mangelhaftigkeit die Gegner geltend machen und damit die Schuld wieder von dem Menschen auf Gott übertragen. Die Gnade kann in zweifacher Art aufgefasst werden; die eine ist hinlänglich für den Wollenden, die andere hilft, dass wir wollen.

110. Die zum Wollen hinreichende Gnade wird Niemandem versagt, wie man anerkennen muss. Es ist ein altes Wort, dass dem, der alles thut, was von ihm abhängt, die nöthige Gnade nicht fehlen werde und Gott verlässt nur den, welcher ihn verlässt, wie auch den altern Kirchenvätern auch selbst Augustinus anerkannt hat. Diese hinreichende Gnade ist theils eine ordentliche, durch das Wort und die Sakramente, theils eine ausserordentliche, wie Gott eine solche gegen Paulus geübt hat, und welche Gott überlassen werden muss.

111. Denn wenn auch viele Völker die Heilslehre Christi niemals empfangen haben und man nicht glauben kann, dass seine Predigt bei allen, denen sie nicht geworden ist, vergeblich gewesen sein würde, da Christus selbst von Sodom das Gegentheil ausgesprochen hat, so ist es doch nicht nothwendig, dass jemand ohne Christus gerettet oder verdammt werde, selbst wenn er alles geleistet haben sollte, was er vermochte. Denn es sind uns nicht alle Wege Gottes bekannt und wir wissen nicht, ob nicht die Gnade auf eine ausserordentliche Weise den Sterbenden gewährt wird. Denn es ist auch nach dem Beispiele des Cornelius[526] als gewiss festzuhalten, dass, wenn man annimmt, die, denen das Licht gegeben wurde, haben desselben sich gut bedient, man auch annehmen kann, dass es auch denen, die es noch nicht erhalten haben, nach ihrem Bedarf gegeben werden werde, selbst wenn es ihnen auch erst in der Stunde des Todes gegeben werden sollte.

112. Denn so wie die Theologen des Augsburger Bekenntnisses auch in den getauften Kindern der Gläubigen einigen Glauben annehmen, wenn auch keine Spuren davon sich zeigen, so hindert nichts, dass Gott den erwähnten Personen, wenn sie auch bisher noch keine Christen gewesen, in dem Todeskampfe noch einiges nothwendige Licht auf ausserordentliche Weise zukommen lässt, was ihnen vorher durch ihr ganzes Leben gefehlt hatte.

113. Deshalb sind auch die ausserhalb Stehenden, denen allein die äussere Predigt versagt ist, der Gnade und Gerechtigkeit Gottes zu überlassen, wenn wir auch nicht wissen, welchen Personen, und durch welche Mittel er ihnen beistehen wird.

114. Da es indess gewiss ist, dass nicht Allen die Gnade des Willens gewährt wird, namentlich nicht die Gnade, welche mit einem glücklichen Ende gekrönt wird, so folgern schon hier die Gegner der Wahrheit einen Hass gegen die Menschen oder ein Uebersehen, was das Elend der Menschen nicht beachte und was nicht Alle errette, obgleich er dies doch könne, oder was wenigstens die nicht erwähle, welche es verdienten.

115. Und allerdings könnte, wenn Gott den grössten Theil der Menschen nur deshalb geschaffen hätte, um durch deren ewige Bosheit und Elend, sich den Ruhm der Gerechtigkeit zu erwerben, weder seine Güte, noch Weisheit, noch selbst seine Gerechtigkeit gelobt werden.

116. Auch entgegnet man vergeblich, dass wir bei ihm nicht mehr gelten, als ein Wurm bei uns, denn diese Entschuldigung würde die Härte nicht mindern, sondern erhöhen, da alle Menschenliebe beseitigt würde, wenn Gott für den Menschen nicht mehr Sorge trüge, als wie für den kleinsten Wurm, dem wir weder helfen können noch wollen, während der Vorsehung Gottes wegen ihrer Klarheit nichts verborgen bleibt und dieselbe durch die Menge der Wesen nicht gestört wird. Er ernährt die Sperlinge, und liebt die Menschen: bei jenen sorgt er für[527] ihre Nahrung und diesen bereitet er, so weit es von ihm abhängt, das Glück.

117. Wenn jemand noch weiter ginge und behauptete, dass die Macht Gottes so von allem losgelöst, seine Regierung so aller Regel baar sei, dass er selbst den Unschuldigen, und zwar mit Recht verdamme, so ersieht man dann nicht mehr, was überhaupt die Gerechtigkeit bei Gott sein würde und wie ein solcher Leiter der Welt, dem mit Recht der Menschenhass und die Tyrannei beigelegt werden könnten, von dem mächtigen bösen Prinzip der Dinge sich unterschiede.

118. Denn es ist klar, dass ein solcher Gott zwar wegen seiner Grösse gefürchtet werden müsste, aber seiner Güte wegen nicht geliebt werden könnte. Sicher ist, dass tyrannische Handlungen keine Liebe, sondern Hass erwecken wie gross auch die Macht des Handelnden sein möchte, und zwar um so mehr, je grösser die Macht wäre, wenn auch die Zeichen des Hasses aus Furcht unterdrückt würden.

119. Auch würden die Menschen, welche einen solchen Gott verehrten, durch dessen Nachahmung, von der Liebe auch zur Härte und Grausamkeit verleitet werden. Deshalb hat man in unrichtiger Weise unter dem Verwände eines bei Gott vorhandenen unbeschränkten Rechtes dergleichen Handlungen ihm beigelegt; man müsste dann zugestehen, dass wenn ein Mensch so handelte, er ganz schlecht handle. In dieser Weise ist auch Manchem das Wort entfallen, das das, was bei Andern schlecht sei, es bei Gott nicht sei, weil ihm selbst kein Gesetz gegeben sei.

120. Indess gebieten uns die Vernunft, die Frömmigkeit, Gott selbst, ganz Anderes von ihm zu glauben. Seine höchste Weisheit in Verbindung mit seiner höchsten Güte bewirken, dass er im reichsten Maasse die Gesetze der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der Tugend einhält, dass er für Alle sorgt, hauptsächlich für die vernünftigen Geschöpfe, die er nach seinem Ebenbilde geschaffen und dass er so viel an Glück und Tugend herbeiführt als das beste Einzelwesen der Welt fassen kann und dass er nur so weit Fehler und Elend zulässt, als in der besten Reihe der Dinge nicht vermieden werden konnte.

121. Und wenn wir auch vor dem unendlichen Gotte[528] selbst als ein Nichts erscheinen so ist es doch das Vorrecht seiner unendlichen Weisheit, dass er für die unendlich Kleinen durchaus vollkommen sorgen kann, denn wenn sie auch in keinem irgend angebbaren Verhältniss zu ihm stehen, so bewahren sie doch unter sich das Verhältniss und verlangen die Ordnung, welche Gott ihnen eingeflösst hat.

122. Hierin ahmen die Gedanken gleichsam Gott nach, indem sie durch die neue Analysis des Unendlichen aus der Vergleichung des unendlich Kleinen und nicht Angebbaren Grösseres und Nützlicheres als man glauben sollte, für die angebbaren Grössen ableiten.

123. Ich verwerfe deshalb jenen hässlichen Menschenhass und vertheidige mit Recht die höchste Menschenliebe bei Gott, welcher ernstlich gewollt hat, dass Alle zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, Alle von den Sünden zur Tugend bekehrt werden und Alle gerettet werden und welcher diesen Willen durch vielfache Hülfe der Gnade hat erkennen lassen. Wenn aber die Thaten hier nicht immer so sind, wie er gewollt hat, so trifft das die widerstrebende Bosheit der Menschen.

124. Allein, sagt man, seine höchste Macht konnte diese überwinden. Ich räume dies ein, aber Gott war dazu durch keine Pflicht genöthigt und die Vernunft gestattete dies im Uebrigen nicht.

125. Man wird einwenden, dass eine so grosse Güte, als man Gott mit Recht zuschreibt, über das, was er zu leisten schuldig war, hinausgegangen sein würde; ja der beste Gott sei zu den besten Leistungen verpflichtet wenigstens nach der Güte seiner eignen Natur.

126. Hier muss ich endlich zum Reichthum der höchsten Weisheit mit Paulus zurückgreifen, welche nicht gestattete, dass Gott der Ordnung der Dinge und den Naturen Gewalt ohne Gesetz und Maass anthue, so dass dadurch die allgemeine Harmonie gestört und eine andere als die beste Reihe der Dinge erwählt würde. In dieser war aber enthalten, dass Alle ihrer Freiheit, und also auch Einige ihrer Bosheit überlassen würden, was man auch daraus abnehmen kann dass es wirklich so geschehen ist. Man sehe § 142.

127. Einstweilen erhellt die allgemeine Menschenliebe Gottes, oder sein Wille Alle zu erretten aus den[529] Hülfen selbst, welche Allen, selbst den Gottlosen genügend, ja sehr oft im Ueberfluss gewährt worden sind, wenn auch die Gnade nicht bei Allen Siegerin geblichen ist.

128. Uebrigens sehe ich nicht ein, weshalb die Gnade, wo sie die volle Wirkung erreicht, diese immer durch ihre Natur erreichen oder durch sich wirksam sein soll, da recht wohl derselbe Grad der Gnade bei dem Einen wegen seines Widerstandes oder der Umstände halber die Wirkung nicht erreicht, welche sie bei einem Andern erreicht. Auch dürfte weder aus der Vernunft, noch aus der Offenbarung sich beweisen lassen, dass die siegende Gnade immer so gross sein müsse, dass sie jedweden Widerstand und jede Ungunst der Umstände besiegen könne. Der Weise pflegt keine überflüssigen Kräfte anzuwenden.

129. Indess bestreite ich nicht, dass Gott mitunter jener triumphirenden Gnade sich gegen die grössten Hindernisse und den heftigsten Widerstand bedient, damit man niemals bei irgend Einem zu verzweifeln brauche, wenn auch daraus keine Regel gemacht werden darf.

130. Viel schwerer irren Diejenigen, welche nur bei den Erwählten die Gnade, den Glauben, die Rechtfertigung, die Wiedergeburt annehmen; als wenn (gegen die Erfahrung) die schon vorher Gläubigen alles Heuchler wären und weder von der Taufe, noch vom Abendmahl und überhaupt nicht von dem Worte und von den Sakramenten eine geistige Hülfe bekommen könnten, oder als wenn kein Erwählter und einmal wahrhaft Gerechtfertigter in das Verbrechen oder die Sünde durch seine eigne Wahl wieder zurückfallen könnte, oder wenn, wie Andere meinen, der Erwählte mitten in seinen Verbrechen die Gnade der Wiedergebornen nicht verlöre. Diese pflegen von dem Gläubigen die sicherste Ueberzeugung eines Glaubens bis an's Ende zu verlangen, indem sie entweder leugnen müssen, dass den Verworfenen der Glaube anbefohlen werde, oder annehmen müssen, dass denselben geboten werde, das Falsche zu glauben.

131. Allein diese strengere Lehre, die ganz willkürlich angenommen ist und auf keinen Grund sich stützt und von den alten Aussprüchen der Kirche und selbst von denen des Augustinus ganz abweicht, könnte auf das Handeln Einfluss erlangen und selbst bei dem Gottlosen die verwegene Ueberzeugung seines künftigen Heiles erzeugen[530] oder selbst bei den Frommen den ängstlichen Zweifel über seine gegenwärtige Aufnahme in die Gnade veranlassen und zwar bei beiden nicht ohne die Gefahr zu grosse Sicherheit oder Verzweiflung zu erzeugen und deshalb möchte ich, nächst dem Despotismus, von dieser Art besondern Glaubens sehr abrathen.

132. Glücklicherweise massigen die Meisten die Strenge einer so grossen und so sonderbaren Neuerung, und die etwa noch vorhandenen Vertheidiger einer so schlüpfrigen Lehre halten sich nur innerhalb der reinen Theorie und enthalten sich der schlechten Folgerungen für die Praxis, da die Frommen unter ihnen, wie es nach der bessern Lehre billig ist, ihr Heil durch kindliche Furcht und volles Vertrauen auf die Liebe sich erwerben.

133. Wir können des Glaubens, der Gnade und der gegenwärtigen Rechtfertigung sicher sein, so weit wir uns dessen, was jetzt in uns geschieht, bewusst sind wir haben gute Hoffnung auf die spätere Ausdauer, aber sorgen uns deshalb nur massig, indem der Apostel ermahnt, dass der, welcher stellt, zusehe, dass er nicht falle. Dagegen dürfen wir wegen der Ueberzeugung, erwählt zu sein, um dem Bestreben nach Frömmigkeit nicht nachlassen und dürfen uns nicht auf die spätere Rene verlassen.

134. Dies wird gegen den, Gott zugeschriebenen Menschenhass genügen; jetzt habe ich zu zeigen, dass auch kein Ansehen der Person Gott mit Recht zur Last gelegt werden kann, als wenn nämlich seine Erwählung des Grundes entbehrte. Die Grundlage der Erwählung ist Christus, aber weil Einige weniger Christi theilhaftig sind, so ist deren eigne Bosheit die Ursache, welche Gott missbilligend voraussah.

135. Allein hier wird wieder gefragt, weshalb verschiedene Hülfen, innern oder wenigstens äussern Verschiedenen gewährt worden seien, welche bei dem Einen die Bosheit überwinden und bei dem Andern von dieser überwunden werden? Hier sind die Ansichten von einander abweichend. Manche meinen, Gott habe den weniger Schlechten oder wenigstens denen, welche weniger Widerstand leisten würden, mehr geholfen; nach Andern habe die gleiche Hülfe bei diesen mehr gewirkt und[531] Andere wollen dagegen nicht, dass der Mensch bei Gott sich durch den Vorzug einer bessern, oder doch weniger schlechten Natur unterscheide.

136. Allerdings wird unzweifelhaft bei dem Weisen unter den Gründen seiner Wahl auch die Beschaffenheit des Gegenstandes mit in Betracht genommen; allein dennoch bestimmt die für sich genommene Vorzüglichkeit des Gegenstandes nicht immer die Auswahl, sondern es wird mehr das Passliche der Sache für einen bestimmten Zweck unter einer gewissen Voraussetzung der Dinge beachtet.

137. So kann es kommen, dass bei einem Bau oder bei einem Anzug nicht der schönste oder der kostbarste Stein gewählt wird, sondern der, welcher den leeren Platz am besten ausfüllt.

138. Am sichersten ist es jedoch, wenn man annimmt, dass alle Menschen, da sie geistig todt sind, gleich böse seien und nicht blos ähnlich böse. Sie mögen trotzdem in ihren schlechten Neigungen sich unterscheiden und so mag es kommen, dass diejenigen vorgezogen werden, welche in der Reihe der Dinge günstigen Umständen gegenüber gestellt worden, wo sie weniger Gelegenheit (wenigstens schliesslich) gefunden, ihre besondere Bosheit auszuüben und mehr Gelegenheit zum Empfang der Gnade.

139. So erkennen denn auch unsere Theologen, indem sie der Erfahrung folgen, einen bedeutenden Unterschied der Menschen, wenigstens in den äussern Hülfen der Gnade an, wenn auch die innere Gnade die gleiche sein sollte und in der Anordnung der äussern, uns erregenden Umstände nehmen sie ihre Zuflucht zu der Tiefe des Paulus, da die Menschen durch die Umstände bei der Geburt, durch Erziehung, durch Umgang, durch Lebensweise und mancherlei Zufälle oft verdorben oder gebessert werden.

140. So kommt es, dass ausser Christus und neben dem vorausgesehenen letzten Ausharren in dem heilsamen Zustande, welcher ihm anhängt, uns keine Grundlage für die Erwählung oder für die Verleihung des Glaubens bekannt ist und daher auch keine Regel aufgestellt werden kann, deren Anwendung wir gelten lassen müssten und[532] durch welche die Menschen entweder sich schmeicheln oder über Andere erheben könnten.

141. Denn mitunter besiegt Gott eine ungewöhnlich grosse Schlechtigkeit und den höchsten hartnäckigen und beharrlichen Widerstand, damit Niemand an seinem Erbarmen verzweifle, was Paulus von sich selbst andeutet. Mitunter fallen die lange gut Gewesenen mitten in ihrem Laufe, damit Niemand sich zu sehr vertraue. Meist aber geniessen die, welche weniger in ihrer Schlechtigkeit Widerstand leisten und die einen grössern Eifer für das Wahre und Gute haben, die grössere Frucht der Gnade Gottes, damit Niemand denke, es sei für das Heil gleichgültig, wie die Menschen sich führen. Man siehe § 112.

142. Aber die Tiefe selbst in dem Schatz der göttlichen Weisheit, oder in dem verborgenen Gotte, oder (was auf dasselbe zurückkommt) in der allgemeinen Harmonie der Dinge ist uns verborgen, und sie hat es bewirkt, dass diese Reihe des Universum's, die verwickelten Ereignisse, welche wir anstaunen, die Entscheidungen, welche wir verehren, von Gott für die besten und allen vorzuziehenden gehalten wurden. Man sehe § 126.

143. Das Theater der körperlichen Welt zeigt uns mehr und mehr durch das Licht, der Natur selbst in diesem Leben seinen Glanz, seitdem die Systeme des Makrokosmus und Mikrokosmus sich durch die Erfindungen der Neuem aufzuthun beginnen.

144. Aber der schönste Theil der Dinge, der Staat Gottes, ist ein Schauspiel, dessen Schönheit zu erkennen wir dereinst, erleuchtet durch das Licht der göttlichen Gnade, näher werden zugelassen werden. Denn jetzt kann es nur mit den Augen des Glaubens, d.h. mit dem festen Vertrauen auf die göttliche Vollkommenheit erfasst werden. Je mehr wir hier nicht blos die Hebung der Macht und Weisheit, sondern auch die Güte des höchsten Geistes einsehen, desto mehr werden wir von der Liebe zu Gott erglühen und zu einer Art Nachahmung der göttlichen Güte und Gerechtigkeit begeistert werden.


Ende der Theodicee.[533]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879.
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