Kapitel III.

Von den Vorstellungen, welche wir durch einen einzigen Sinn erhalten

[89] Man kann nun die einfachen Vorstellungen nach den Mitteln ordnen, welche uns ihre Wahrnehmungen gewähren, denn dies geschieht entweder 1) mittels eines Sinnes, oder 2) mittels mehr als eines Sinnes, oder 3) durch die Reflexion, oder 4) auf allen Wegen der Sinnlichkeit so gut wie durch die Reflexion. Was die anbetrifft, welche durch einen einzigen Sinn uns zukommen, der besonders dazu angelegt ist, sie aufzunehmen, so kommen uns das Licht und die Farben einzig durch die Augen zu; alle Arten Geräusch, Klänge und Töne durch die Ohren die verschiedenen Geschmäcke durch den Gaumen und die Gerüche durch die Nase. Die Organe oder Nerven bringen[89] sie zum Gehirn und wenn das eine oder andere dieser Organe zerstört worden ist, können diese sinnlichen Empfindungen nur durch eine Hintertür eingelassen werten. Die wichtigsten Beschaffenheiten für das Gefühl sind die Kälte, die Wärme und die Dichtigkeit. Die anderen bestehen entweder in der Anordnung der sinnlich empfindbaren Teile, die das Glatte und das Rauhe, oder in ihrer Verbindung, die das Feste, Weiche, Harte, Zerbrechliche ausmacht.

Theophilus. Ich gebe, was Sie sagen, bereitwillig zu, obgleich ich bemerken könnte, daß es nach dem Experiment des verstorbenen Mariotte über das fehlendes Sehens an der Stelle des Gesichtsnerven scheint, daß die Membranen mehr als die Nerven die sinnliche Empfindung erhalten, sowie, daß es für das Hören und für den Geschmack eine Hintertür gibt, da die Zähne und der Scheitel dazu beitragen, einen Ton vernehmlich zu machen, und die Geschmäcke sich wegen der inneren Verbindungen dieser Organe einigermaßen durch die Nase erkennen lassen. Aber dies alles ändert hinsichtlich der Erklärung der Vorstellungen im Grunde nichts. Und was die fühlbaren Beschaffenheiten angeht, so kann man sagen, daß das Glatte oder Rauhe, und das Harte oder Weiche nur Modifikationen des Widerstandes oder der Dichtigkeit sind.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 89-90.
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