[155] 18. Unersättlichkeit der Moral

Yang Dschu sprach: »Bequeme Wohnung, schöne Kleider, feine Speisen und schöne Frauen: wer diese vier Dinge hat, was braucht der mehr zu begehren? Wer diese Dinge hat und dennoch mehr begehrt, der ist eine unersättliche Natur; eine unersättliche Natur aber ist wie eine Made im Haushalt der Welt.

(Was man so zum Beispiel) Pflichttreue nennt, ist keineswegs ausreichend, dem Herrn, dem man dient, Ruhe zu verschaffen; aber sie ist vollständig ausreichend, das eigne Ich in Gefahr zu bringen. Uneigennützigkeit ist keineswegs ausreichend, den Nebenmenschen zu nützen; aber sie ist vollständig ausreichend, das eigne Leben zu schädigen.

Wenn erst die Oberen Ruhe finden, ohne auf die Pflichttreue angewiesen zu sein, dann wird der Ruhm der Pflichttreue verblassen; wenn erst die Nebenmenschen ihren Nutzen finden, ohne auf ihre gegenseitige Uneigennützigkeit angewiesen zu sein, dann wird der Ruhm der Uneigennützigkeit aufhören.

Daß Fürsten und Untertanen miteinander Ruhe finden und die Mitwelt und das eigne Ich miteinander Ruhe finden: das war der Sinn des Altertums.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 155.
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