[168] 15. Der Pferdekenner

Herzog Mu von Tsin redete zu (dem Pferdekenner) Be Yüo und sprach: »Eure Jahre sind vorgerückt. Habt Ihr in Eurem Stamm einen, den man brauchen kann, um Pferde auszusuchen?«[168]

Be Yüo erwiderte und sprach: »Ein gutes Pferd kann man nach seiner Gestalt, seinen Muskeln und Knochen beurteilen. Ein Allerweltspferd aber hat etwas Unsichtbares an sich, das sich aller Beschreibung entzieht. Ein solches wirbelt keinen Staub auf und hinterläßt keine Fußspuren. Meine Söhne sind alle ungeschickt; denen kann man allenfalls ein gutes Pferd erklären, aber nicht ein Allerweltspferd. Ich kenne aber einen, mit dem ich zusammen Brennholz und Gemüse getragen, namens Giu Fang Gau. Der ist, was Pferde anbelangt, nicht schlechter als ich. Ich bitte, ihn vorlassen zu wollen!«

Herzog Mu ließ ihn vor und schickte ihn aus, ein Pferd zu suchen.

Nach drei Monaten kam er zurück und berichtete: »Ich habe eins! Es ist in Sandberg (Scha kiu).«

Herzog Mu sprach: »Was ist's für ein Pferd?«

Er erwiderte: »Es ist eine gelbe Stute.«

Man sandte einen Mann, um es zu holen; da war es ein schwarzer Hengst. Herzog Mu ward ungehalten, berief den Be Yüo und sagte zu ihm: »Es ist gefehlt! Der, den Ihr mir empfohlen habt, um Pferde zu suchen, kann nicht einmal die Farbe und das Geschlecht unterscheiden. Was versteht der von Pferden!«

Be Yüo seufzte tief und sprach: »Hat er es so weit gebracht! Damit steht er über der Beurteilung der großen Menge. Was Giu Fang Gau erblickt, ist das innerste Wesen. Er erfaßt den Geist und vergißt das Grobstoffliche; er dringt ins Innere ein und vergißt darüber das Äußere. Man muß auf das sehen, was er sieht, und nicht auf das, was er nicht sieht; man muß das erblicken, was er erblickt, und beiseite lassen, was er nicht erblickt. Das Pferd, das Giu Fang Gau ausgesucht hat, ist sicher edler als alle anderen Pferde.« Das Pferd kam an, und richtig war es ein Allerweltspferd.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 168-169.
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