Achtes Kapitel.
Von nutzlosen Sätzen

[228] § 1. (Manche Sätze vermehren das Wissen nicht.) Ob die in dem vorigen Kapitel behandelten Grundsätze für das wirkliche Wissen so nützlich seien, wie man allgemein annimmt, überlasse ich der Erwägung; allein so viel möchte ich fast behaupten, dass es allgemeine Sätze giebt, die trotz ihrer gewissen Wahrheit unserm Verstande kein Licht zuführen und unser Wissen nicht vermehren.

§ 2. (Identische Sätze.) Dazu gehören erstens alle rein identischen Sätze, von denen man gleich auf den ersten Blick und augenfällig sieht, dass sie keine Belehrung gewähren. Wenn man einen Ausdruck nur von ihm selbst aussagt, so zeigt er, mag er blos dem Worte oder seinem wirklichen Sinne nach genommen werden, nur das, was man schon vorher sicher wissen musste, ehe man solchen Satz bildete oder vorgelegt erhielt. Allerdings kann der allgemeine Satz: Was ist, das ist, mitunter eine Widersinnigkeit darlegen, deren man sich schuldig macht, wenn man in Folge von Umschreibungen oder zweideutigen Ausdrücken in einem einzelnen Falle ein Ding von sich selbst verneint; denn offen bietet Niemand dem gesunden Verstande so Trotz, dass er in klaren Worten deutlich Widersprechendes behauptete, und geschähe es, so musste alles Gespräch mit ihm abgebrochen weiden. Allein dennoch lehrt uns keiner dieser anerkannten Grundsätze oder ähnlicher identischer Sätze Etwas. Allerdings mag bei Sätzen dieser Art jener grosse und viel gerühmte Grundsatz, welcher als die Grundlage aller Beweise gepriesen wird, zu deren Bestätigung beitragen; allein alle damit geführten Beweise sagen zuletzt nur, dass jedes Wort sicher von sich selbst bejaht werden kann. Solchen Satz bezweifle ich nicht, aber er gewährt kein wirkliches Wissen.[228]

§ 3. Denn in dieser Weise kann selbst der Dümmste, wenn er nur einen Satz bilden kann und weiss, was er meint, wenn er ja oder nein sagt, Millionen von Sätzen bilden, von deren Wahrheit er überzeugt ist, und doch wird er damit kein Ding in der Welt kennen lernen; z.B. durch Sätze, wie: Was eine Seele ist, ist eine Seele; oder: eine Seele ist eine Seele; ein Geist ist ein Geist; ein Fetisch ist ein Fetisch u.s.w. Sie gleichen alle dem Satze: Was ist, das ist, d.h. was Dasein hat, hat Dasein, oder was eine Seele hat, hat eine Seele. Dies ist nur ein Spiel mit Worten und gleicht dem Spiel des Affen, der seine Auster aus einer Hand in die andere nimmt, und wenn er sprechen könnte, sicherlich sagen würde: Die Auster in der rechten Hand ist der Gegenstand, und die in der linken Hand ist das Beiwort; damit hätte er den selbstgewissen Satz über Austern gebildet, dass die Auster eine Auster ist, aber er wäre mit alledem kein Haarbreit klüger oder kenntnissvoller geworden. Mit solchem Verfahren könnte man so wenig den Hunger des Affen wie den Verstand eines Menschen zufrieden stellen; jener würde damit nicht in seinem umfange und dieser nicht in seinem Wissen zugenommen haben.

Da identische Sätze selbstgewiss sind, so nehmen Manche viel Antheil daran, und glauben den Wissenschaften zu nützen, wenn sie laut verkünden, dass sie alles Wissen in sich enthalten und der Verstand nur durch sie zur Wahrheit geleitet werde. Ich will auch gern zugeben, dass sie sämmtlich wahr und selbstverständlich sind, und dass die Grundlage unsers Wissens in dem Vermögen besteht, jede Vorstellung als dieselbe aufzufassen und von den übrigen zu unterscheiden, wie ich in dem vorigen. Kapitel dargelegt habe; allein ich kann nicht einsehen, weshalb es nicht ein blosses Spiel sein soll, wenn man mit identischen Sätzen das Wissen vermehren will. Man mag noch so oft wiederholen, dass der Wille der Wille ist, und man mag das grösste Gewicht auf solche Sätze legen, so hilft dieser und unzählige andere gleicher Natur doch nichts zur Ausdehnung des Wissens. Ein Mensch kann, soweit es die Zahl der Worte gestattet, von solchen Sätzen überströmen, wie z.B.: das Gesetz ist das Gesetz; die Verbindlichkeit ist die Verbindlichkeit; Recht ist Recht; unrecht ist Unrecht; er wird[229] aber mit alledem nichts von der Ethik kennen lernen noch sich selbst oder Andere in der Moral unterrichten. Wer nicht weiss und vielleicht niemals wissen wird, was Recht und Unrecht ist, und woran man sie bemisst, kann dennoch solche und ähnliche Sätze als völlig zuverlässig und untrüglich wahr aufstellen, gleich dem besten Kenner der Moral; aber welchen Nutzen bringen solche Sätze für die Kenntniss der zum Leben nöthigen und nützlichen Dinge? – Man würde es nur für Spielerei halten, wenn Jemand behufs Aufklärung des Verstandes in einem Gebiete des Wissens sich mit identischen Sätzen abmühte und auf Grundsätze Werth legte, wie die: Die Substanz ist die Substanz, und der Körper ist der Körper; das Leere ist das Leere, und ein Wirbel ist ein Wirbel; ein Centaur ist ein Centaur, und eine Chimäre ist eine Chimäre; denn diese und ähnliche sind alle gleich wahr, gleich gewiss und gleich selbstverständlich. Sie können trotzdem nur als eine Spielerei gelten, wenn man von ihnen als Grundsätzen bei dem Unterricht Gebrauch macht und sie als eine Hülfe des Wissens behandelt, da sie nichts lehren, was nicht Jeder, der sprechen kann, auch ohnedem weiss, nämlich dass dasselbe Wort dasselbe und dieselbe Vorstellung dieselbe ist. Deshalb war ich und bin noch jetzt der Ansicht, dass die Aufstellung und Einprägung solcher Sätze, um dem Verstand neues Licht zuzuführen oder Einlass in die Erkenntniss der Dinge zu gewähren, nur ein Possenspiel ist. – Die Belehrung liegt in etwas ganz Anderem, und wer sich oder Andere mit neuen Wahrheiten bereichern will, muss vermittelnde Vorstellungen aufsuchen und sie eine zu der andern so ordnen, dass der Verstand die Uebereinstimmung oder Nicht-Uebereinstimmung der betreffenden Vorstellungen ersehen kann. Sätze, die dies leisten, sind belehrend; aber solche, die nur denselben Ausdruck von sich selbst bejahen, sind weit davon entfernt, und kein Mittel, den Geist in irgend einem Gebiete weiter zu führen. Dies hilft so wenig dazu, wie zum Lesen-Lernen die Einprägung von Sätzen helfen würde, wie A ist A, und B ist B, man kann solche Sätze so gut wie der Schulmeister kennen und doch sein Leben lang nicht lesen lernen; solche identische Sätze helfen dazu nicht einen Schritt weiter, mag man sie benutzen wie man will. –[230] Wenn man mich tadelt, dass ich dies ein Possenspiel nenne, so lese man doch das früher mit klaren Worten Gesagte nach; man wird dann sehen, dass ich unter identischen Sätzen nur solche verstehe, wo derselbe Ausdruck in gleicher Bedeutung von sich selbst bejaht wird. Dies ist der wahre Begriff identischer Sätze, und von diesen kann ich sicherlich auch fernerhin behaupten, dass es nur Possen sind, wenn man sie als belehrend behandelt. Niemand mit Verstand kann sie entbehren, wo man auf sie achten muss, und Niemand kann sie bezweifeln, wenn er auf sie achtet; ob es aber richtiger ist, Sätze, wo dasselbe Wort nicht an sich selbst bejaht wird, identische zu nennen, überlasse ich Andern zur Entscheidung; wenigstens trifft Alles, was man von solchen Sätzen sagt, nicht mich und meinen Ausspruch über Sätze, wo dasselbe Wort von sich selbst bejaht wird. Ich möchte wohl einen Fall wissen, wo der Gebrauch eines solchen Satzes Jemand in seinem Wissen weiter gebracht hätte. Andere Fälle mag man beliebig benutzen, aber da sie nicht identisch sind, gehören sie nicht hierher.

§ 4. (2.: Wenn ein Theil einer zusammengesetzten Vorstellung von der ganzen ausgesagt wird.) Zweitens gehören zu den nutzlosen Sätzen die, wo von einer zusammengesetzten Vorstellung ein Theil ausgesagt wird, und die, wo ein Theil der Definition von dem definirten Worte ausgesagt wird. Dahin gehören alle Sätze, wo die Gattung von der Art oder ein umfassenderes Wort von einem weniger umfassenden ausgesagt wird. Denn welche Belehrung enthält wohl ein solcher Satz, wie der: Das Blei ist ein Metall, für Jemand, der die mit Blei bezeichnete Vorstellung kennt? Alle einfachen Vorstellungen, die in die mit Metall bezeichnete Gesammtvorstellung eingehen, sind schon vorweg in der enthalten, welche mit dem Worte Blei bezeichnet wird. Wenn Jemand nur die Bedeutung des Wortes Metall, aber nicht die des Wortes Blei kennt, so ist es allerdings das Kürzeste, letzteres damit zu erklären, dass man es für ein Metall erklärt, was alle einfachen Vorstellungen in einem Worte befasst, statt diese einzeln aufzuzählen und zu sagen: es ist ein sehr schwerer, schmelzbarer und biegsamer Körper.

§ 5. (Und wenn ein Stück der Definition[231] von dem definirten Worte ausgesagt wird.) Eine gleiche Spielerei ist es, ein Stück der Definition von dem definirten Worte auszusagen, oder eine einzelne Vorstellung aus einer Gesammtvorstellung von dieser auszusagen; z.B.: Alles Gold ist schmelzbar; denn die Schmelzbarkeit ist eine von den einfachen Vorstellungen, welche die Gesammtvorstellung des Goldes bilden, und es ist deshalb nur ein Spiel mit Lauten, vom Golde das auszusagen, was in seiner bekannten Bedeutung schon enthalten ist. Es würde sehr lächerlich klingen, wenn man ernsthaft es als eine wichtige Wahrheit behauptete, dass das Goldgelb sei, und doch ist der Satz, dass Gold schmelzbar ist, nicht um ein Haar bedeutender, es müsste denn diese Eigenschaft aus der Vorstellung des Goldes weggeblieben sein. Welche Belehrung kann es sein, für Jemand das schon Gehörte oder schon Gewusste zu wiederholen? denn ich weiss entweder schon die Bedeutung des von einem Andern gebrauchten Wortes, oder er muss sie mir sagen; und wenn ich weiss, dass Gold die Vorstellung eines gelben, schweren, schmelzbaren, biegsamen Körpers bezeichnet, so wird es mich nicht belehren, wenn hinterher feierlich ein Satz daraus gemacht und gesagt wird: Alles Gold ist schmelzbar. Solche Sätze zeigen höchstens die Unaufrichtigkeit bei Jemand, der von den Definitionen seiner Worte abgehen will, indem sie ihm diese in Erinnerung bringen; aber sie enthalten kein anderes Wissen, als was die Worte schon allein bedeuten, wenn sie auch noch so gewiss sind.

§ 6. (Ein Beispiel an Mensch und Zelter.) Jeder Mensch ist ein lebendiger Körper; dies ist ein Satz, so gewiss als möglich; allein er hilft zur Erkenntniss der Dinge nicht mehr als der Satz: Ein Zelter ist ein einherschreitendes Thier oder ein wieherndes, einherschreitendes Thier; beide Sätze geben nur die Bedeutung des Wortes und lehren nur dies; nämlich dass Körper, Empfindung und Bewegung oder das Vermögen, zu empfinden und sich zu bewegen, drei Vorstellungen sind, die ich immer unter dem Worte Mensch befasse; wo sie sich nicht beisammenfinden, kommt der Name Mensch dem Dinge nicht zu, und ebenso sind: Körper, Empfindung, eine Art zu gellen mit einer Art Stimme einige von den Vorstellungen, welche ich mit dem Worte Zelter[232] verbinde; wenn sie in einem Dinge nicht beisammen angetroffen werden, kann es nicht Zelter genannt werden. Dasselbe geschieht, wenn einzelne Worte für Vorstellungen, die zusammen die Mensch genannte Gesammtvorstellung bilden, von dem Worte Mensch ausgesagt werden. Wenn z.B. ein Römer unter dem Wort Homo die folgenden zu einem Gegenstande verbundenen Vorstellungen versteht, als: Körperlichkeit, Empfindung, Vermögen sich zu bewegen, Vernünftigkeit, Fähigkeit zu lachen, so kann er unzweifelhaft all diese Vorstellungen einzeln oder zusammen von dem Wort Homo aussagen, allein er sagt damit nur, dass in seinem Lande das Wort Homo in seiner Bedeutung all diese Vorstellungen enthält. Ganz ebenso könnte ein fahrender Ritter mit dem Wort Zelter die Vorstellungen befassen: ein Körper von bestimmter Gestalt, vierbeinig, empfindend, sich bewegend, einherschreitend, wiehernd, weiss, gewohnt, eine Dame zu tragen, und er könnte ebenso sicher diese Vorstellungen von dem Wort Zelter aussagen; allein er lehrte damit nur, dass das Wort Zelter in seiner Sprache diese Vorstellungen sämmtlich bezeichnet und von keinem Dinge ausgesagt wird, dem eine davon abginge. Wer mir dagegen sagt, dass das Ding, in dem Empfindung, Bewegung, Vernunft und Lachen vereint sind, einen Begriff von Gott habe, oder durch Opium in Schlaf verfalle, bildet einen belehrenden Satz, weil diese letzten beiden Bestimmungen in der Vorstellung, welche das Wort Mensch bezeichnet, nicht enthalten sind, und man daher damit mehr als blos die Bedeutung des Wortes erfährt; deshalb ist das in einem solchen Satze gebotene Wissen mehr, und betrifft nicht blos Worte.

§ 7. (Denn damit wird nur die Bedeutung des Wortes erläutert.) Wenn Jemand einen Satz aufstellt, so muss er die dabei gebrauchten Worte verstehen; sonst schwatzt er wie ein Papagei, ahmt nur die Laute nach und setzt Worte, so wie er es von Andern gelernt hat, zusammen, aber nicht so wie ein vernünftiges Wesen, das sie für die Vorstellungen in seiner Seele benutzt. Auch der Hörer muss die Worte verstehen, sonst spricht man unverständlich und macht blos ein Getöse; deshalb spielt Der nur mit Worten, welcher Sätze bildet, die nicht mehr enthalten, als schon eines der[233] darin enthaltenen Worte aussagt, und wo dies schon vorher dem Andern bekannt war; dies gilt z.B. von dem Satze: Ein Dreieck hat drei Seiten oder: Saffran ist gelb. Dies ist nur statthaft bei Erklärung der Worte für Jemand, der sie nicht kennt; es wird damit nur die Bedeutung des Wortes und sein Gebrauch gelehrt.

§ 8. (Aber kein wirkliches Wissen geboten.) Hiernach kann man die Wahrheit von zwei Arten von Sätzen mit voller Gewissheit kennen; einmal von jenen spielenden Sätzen, die zwar eine Gewissheit in sich haben, aber nur eine Wort-Gewissheit und keine belehrende; und zweitens von Sätzen, die etwas aussagen, was sich als nothwendige Folge der gebrauchten Gesammtvorstellung ergiebt, aber nicht darin enthalten ist, wie z.B.: dass der Aussenwinkel eines Dreiecks grösser ist als jeder der beiden innern, ihm gegenüberliegenden. Diese Beziehung ist in der Gesammtvorstellung des Wortes Dreieck nicht enthalten, und der Satz ist eine wirkliche Wahrheit und gewährt ein belehrendes wirkliches Wissen.

§ 9. (Allgemeine Sätze über Substanzen sind oft nur spielende.) Da man über die Verbindung einfacher Vorstellungen zu Substanzen wenig mehr, als was die Sinne bieten, weiss, so kann man allgemeine Sätze über sie nur so weit bilden, als ihr Wort-Wesen es darbietet. Dies sind aber nur wenig und unbedeutende Wahrheiten im Vergleich zu denen, welche von ihrer wirklichen Verfassung abhängen, und deshalb sind die über Substanzen aufgestellten allgemeinen Sätze, wenn sie gewiss sind, meist spielende Sätze; sind sie aber belehrend, so sind sie ungewiss, und von der Art, dass man über ihre wirkliche Wahrheit trotz aller Hülfe von Beobachtungen und Analogien keine Gewissheit erlangen kann. Man trifft deshalb oft auf klare und zusammenhängende Abhandlungen, die doch nichts bedeuten. Die Namen von Substanzen können, wie andere Namen, wenn man ihnen eine Bedeutung giebt, mit aller Wahrheit zu verneinenden und bejahenden Sätzen verbunden werden, je nachdem ihre Definitionen dies gestatten, und mit derselben Klarheit können Sätze, die aus solchen Worten bestehen, ebenso von einander abgeleitet werden, wie Sätze, die eine wirkliche Wahrheit bieten. Dies Alles kann geschehen, ohne dass man die Natur der Dinge[234] kennt; und auf diese Weise kann man Beweise und unzweifelhafte Sätze in Worten aufstellen und trotzdem nicht einen Schritt in der Erkenntniss der Dinge weiter kommen. Hat man z.B. die folgenden Worte in ihrer gewöhnlichen Bedeutung erlernt: Substanz, Mensch, Thier, Gestalt, Seele, Pflanze, empfindend und vernünftig, so kann man unzweifelhafte Sätze über die Seele bilden, ohne im Mindesten zu wissen, was die Seele ist. In dieser Weise kann man zahllose Sätze, Ausführungen und Schlüsse in Büchern über Metaphysik, scholastische Theologie und eine Art von Naturphilosophie finden, und nach alledem doch von Gott, den Geistern und Körpern so wenig wie vorher wissen.

§ 10. (Und weshalb?) Wer die Bedeutung der Substanz-Worte nach seinem Belieben definirt (wie Jeder thut, der damit seine eignen Vorstellungen bezeichnet) und sie auf das Gerathewohl aufstellt, indem er dabei nur seine und Anderer Einfälle beachtet und nicht die Natur der Dinge selbst erforscht, der kann allerdings ohne Schwierigkeit eines aus dem andern beweisen, je nach den Beziehungen und Verhältnissen, die er ihnen zu einander gegeben hat; allein wie die Dinge selbst ihrer Natur nach übereinstimmen oder nicht, davon weiss er nichts; er kennt nur seine Begriffe und die ihnen beigelegten Namen; er vermehrt also sein Wissen damit so wenig, wie Derjenige sein Vermögen, welcher aus einem Beutel von Zahlpfennigen den einen Zahlpfennig einen Thaler, den andern einen Groschen und den dritten einen Pfennig nennt; er kann damit richtig rechnen, und je nach Stellung und Bedeutung seiner Zahlpfennige eine grosse Summe herausbringen; allein er wird damit um keinen Heller reicher, und er braucht nicht einmal dabei zu wissen, was Thaler, Groschen und Pfennige sind, sofern er nur weiss, dass der eine 32 mal und der andere 30 mal in den hohem enthalten ist. Ebenso kann man mit den Worten verfahren, wenn man sie in Verhältniss zu einander mehr oder weniger umfassend oder gleich annimmt.

§ 11. (3.: Gebraucht man Worte in verschiedenem Sinne, so ist dies nur ein Spiel mit denselben.) In Betreff der meisten Worte, die bei Begründungen und Streitigkeiten benutzt werden, herrscht noch[235] ein vor Allem beklagenswerthes Spiel, was die Sicherheit des Wissens wesentlich vermindert und die Belehrung über die Natur und die Kenntniss der Dinge sehr erschwert, indem die Schriftsteller die Worte schwankend brauchen, anstatt durch die Innehaltung eines festen und beständigen Sinnes derselben ihre Ausführungen klar und einfach zu halten (selbst wenn sie auch nicht belehrend sind), obgleich dies nicht schwer sein würde, wenn es ihnen nicht darauf ankäme, ihre Unwissenheit oder Hartnäckigkeit mit der Dunkelheit und Verworrenheit ihrer Worte zu verdecken; auch mögen mitunter Unaufmerksamkeit und üble Angewöhnungen bei Manchem dazu beitragen.

§ 12. (Die Zeichen von blossen Wort-Sätzen sind:) Schliesslich können die blossen Wortsätze an folgenden Kennzeichen erkannt werden:

(1.: Aussagen in Allgemeinheiten.) Erstens haben alle Sätze, wo zwei allgemeine Worte von einander ausgesagt werden, nur die Bedeutung der Wortlaute. Denn jede allgemeine Vorstellung kann nur mit sich selbst identisch sein, und wenn sie daher von einem andern Worte ausgesagt wird, so heisst dies nur, dass sie mit diesem Worte bezeichnet werden kann, oder dass beide Worte dieselbe Vorstellung bezeichnen. So kann man sagen: Sparsamkeit ist Mässigkeit; Dankbarkeit ist Gerechtigkeit; diese oder jene Handlung ist oder ist nicht gemässigt. Solche Sätze klingen sehr schön; allein bei näherer Prüfung ihres Inhalts geben sie nur die Bedeutung der gebrauchten Worte an.

§ 13. (2.: Die Aussage eines Theils der Definition von dem definirten Worte.) Zweitens sind alle Sätze, in denen ein Stück von der Gesammtvorstellung, die ein Wort bezeichnet, von diesem Worte ausgesagt wird, nur blosse Wort-Sätze; so z.B. wenn man sagt: Gold ist ein Metall, oder: Gold ist schwer. Deshalb sind alle Sätze, wo umfassendere Worte, Gattungen genannt, von andern weniger umfassenden, Arten oder Einzelne genannt, ausgesagt werden, blosse Wort-Sätze. – Prüft man nach diesen beiden Regeln die in- und ausserhalb der Bücher aufgestellten Sätze, so dürfte sich zeigen, dass mehr Sätze, als man denkt, sich nur um die Bedeutung der Worte drehen und nur von dem Gebrauche und der Anwendung dieser Zeichen handeln.[236] Wenigstens kann es wohl als untrügliche Regel gelten, dass, den Fall ausgenommen, wenn die mit dem Worte bezeichnete Vorstellung unbekannt ist oder etwas in der Vorstellung nicht Enthaltenes bejaht oder verneint wird, überall sonst unser Denken sich nur in. Lauten bewegt und weder die Wahrheit noch die Unwahrheit erreicht. Wird dies beachtet, so kann es uns viel vor nutzlosen Ergötzlichkeiten und Streitigkeiten schützen und viele Mähe und Wege bei Aufsuchung des wahren und wirklichen Wissens ersparen.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 228-237.
Lizenz:
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Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
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