Erkenntnis des Irrtums bringt Heilung

[127] Könnten die Menschen sich doch, wie sie selbst die Last auf der Seele

Scheinen zu fühlen, die schwer sie bedrückt und gänzlich ermattet,

Über den Grund der Belastung zur Klarheit kommen, woher nur

Soviel Leids wie ein Stein auf der Brust sich bei ihnen gelagert:

Anders führten ihr Leben sie dann als jetzt man es meistens[127]

Sieht Was er eigentlich will, weiß niemand so recht, und so sucht er

Immer die Stelle zu wechseln, als könnt' er sich dadurch entlasten.

Oft eilt jener hinaus aus seinem geräumigen Hause,

Dem sein Heim ist verleidet. Doch plötzlich wendet er heimwärts,

Da er gemerkt, auf den Straßen ist's auch nicht besser als drinnen.

Dann kutschiert er in sausendem Trab mit den Ponys zum Landgut,

Wie wenn es gälte sein brennendes Dach vor dem Feuer zu retten.

Kaum ist die Schwelle der Villa erreicht, gleich fällt er ins Gähnen

Oder in Schlaf. So sucht er bedrückt sich selbst zu vergessen;

Oder er Wendet zurück und sucht stracks wieder die Stadt auf.

So will jeder sich selber entfliehn. Doch, wie es zu gehn pflegt,

Sich entrinnt er gewiß nicht. Unwillig stockt er und wird nun

Ärgerlich, weil er als Kranker der Krankheit Grund nicht erkannt hat.

Sähe er ihn, dann würde wohl jeder das übrige lassen

Und versuchen zuerst die Natur recht kennen zu lernen;

Denn hier handelt sich's nicht um den Zustand einiger Stunden,

Sondern der Ewigkeiten, in dem sich der Sterblichen Dasein

Abspielt, das nach dem Tode uns bleibt und jeden erwartet.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 127-128.
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