Kein Heros entrann dem Tode

[127] Nimm auch das folgende Wort bisweilen dir ernstlich zu Herzen:

»Auch der vortreffliche Äneus hat einst sein Auge geschlossen,

Der doch in vielem ein besserer Mann als du Arger gewesen;

Nach ihm sind noch viele der Fürsten und Herrscher gestorben,

Welche vor Zeiten die Reiche gewaltiger Völker regierten.

Selbst der Perser, der über die See einst bahnte die Straße,

Der Legionen geführt durch die wogenden Fluten des Meeres,

Der sein Fußvolk lehrte das salzige Naß zu beschreiten

Und es mit Rossen durchstampfte den brausenden Wogen zum Trotze,

Auch er schied aus dem Lichte und hauchte den Odem im Tod aus.

Scipios Sprosse, der Blitz in der Schlacht, der Schrecken Karthagos,

Gab die Gebeine der Erde, als war' er der niedrigste Diener!

Füge hinzu noch die Schöpfer der Wissenschaften und Künste

Und die Genossen der Musen, von denen Homer sich den Szepter

Einzig errang: auch er ruht schlummernd im Grab wie die andern!

Endlich wie ging's Demokrit? Als ihn die Gebrechen des Alters

Mahnten, daß matter nun werde des regen Gedächtnisses Pulsschlag,

Trug er von selbst sein Haupt freiwillig dem Tode entgegen.

Selbst Epikuros verschied, als des Lebens Fackel sich senkte,

Er, der mit seinem Genie das Menschengeschlecht überstrahlte

Wie die erwachende Sonne am Himmel das Sternengeflimmer.

Und du wolltest noch murren und heimzugehn dich bedenken?

Du, der lebendigen Leibes und sehenden Auges schon tot ist,

Der im Schlafe verbringt die größere Hälfte des Lebens,

Der selbst wachend noch schnarcht und Träume zu spinnen nicht aufhört,

Der sich beständig den Geist mit den nichtigsten Ängsten erreget,

Der auch häufig nicht weiß, was ihm fehlt, der in trunkenem Taumel

Elend sich überallher von tausend Sorgen bedrückt fühlt

Und unsicheren Schrittes im Irrsinn schweifend umherschwankt?«

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 127.
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