f) Irland

[725] Zum Schluß dieses Abschnitts müssen wir noch einen Augenblick nach Irland wandern. Zunächst die Tatsachen, worauf es hier ankommt.

Irlands Bevölkerung war 1841 auf 8222664 Personen angewachsen, 1851 auf 6623985 zusammengeschmolzen, 1861 auf 5850309, 1866 auf 5 1/2 Million, ungefähr auf ihr Niveau von 1801. Die Abnahme begann mit dem Hungerjahr 1846, so daß Irland in weniger als 20 Jahren mehr als 5/16 seiner Volksmenge verlor.994 Seine Gesamtemigration von Mai 1851 bis Juli 1865 zählte 1591487 Personen, die Emigration während der letzten 5 Jahre 1861-1865 mehr als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten Häuser verminderte sich von 1851-1861 um 52990. Von 1851-1861 wuchs die Zahl der Pachthöfe von 15-30 Acres um 61000, die der Pachthöfe über 30 Acres um 109000, während die Gesamtzahl aller Pachten um 120000 abnahm, eine Abnahme, die also ausschließlich der Vernichtung von Pachten unter 15 Acres, alias ihrer Zentralisation geschuldet ist.[726]

Die Abnahme der Volksmenge war natürlich im großen und ganzen von einer Abnahme der Produktenmasse begleitet. Für unsren Zweck genügt es, die 5 Jahre 1861-1865 zu betrachten, während deren über 1/2 Million emigrierte und die absolute Volkszahl um mehr als 1/3 Million sank. (s. Tab. A.)


Tabelle A

Viehstand


{titel}Tabelle AViehstandJahr Pferde Hornvieh———————————————————— ——————————————————————————————Gesamtzahl Abnahme Gesamtzahl Abnahme Zunahme1860 619.811 3.606.3741861 614.232 5.579 3.471.688 134.6861862 602.894 11.338 3.254.890 216.7981863 579.978 22.916 3.144.231 110.6591864 562.158 17.820 3.262.294 118.0631865 547.867 14.291 3.493.414 231.120Jahr Schafe Schweine—————————————————————————————— ——————————————————————————————Gesamtzahl Abnahme Zunahme Gesamtzahl Abnahme Zunahme1860 3.542.080 1.271.0721861 3.556.050 13.970 1.102.042 169.0301862 3.456.132 99.918 1.154.324 52.2821863 3.308.204 147.928 1.067.458 86.8661864 3.366.941 58.737 1.058.480 8.9781865 3.688.724 321.801 1.299.893 241.413

Aus der vorhergehenden Tabelle ergibt sich:

Pferde Absolute Abnahme 71944

Hornvieh Absolute Abnahme 112960

Schafe Absolute Zunahme 146662

Schweine Absolute Zunahme 28821995


Wenden wir uns jetzt zum Ackerbau, der die Lebensmittel für Vieh und Mensch liefert. In der folgenden Tabelle ist Ab- oder Zunahme für jedes einzelne Jahr mit Bezug auf das unmittelbar vorhergehende berechnet. Die Kornfrucht umfaßt Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, Bohnen und Erbsen, die Grünfrucht Kartoffeln, Turnips, Mangold- und Runkelrübe, Kohl, gelbe Rüben, Parsnips, Wicke usw.


[727] Tabelle B

Zu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide) benutzten Bodenareals in Acres


{TITEL}Tabelle BZu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide) benutzten Bodenareals in AcresKorn— Grünfrucht Grasland Flachs Alles zu Ackerbau und Vieh—frucht und Klee zucht dienende Land———————————————— ———————————————— ———————————————— ————————————————Jahr Abnahme Abnahme Zunahme Abnahme Zunahme Abnahme Zunahme Abnahme Zunahme1861 15.701 36.974 47.969 19.271 81.3731862 72.734 74.785 6.623 2.055 13.88411863 144.719 19.358 7.724 63.922 92.4311864 122.437 2.317 47.486 87.761 1.04931865 72.450 25.421 68.970 50.159 28.2181861—65 428.041 108.013 82.834 122.850 330.370

Im Jahr 1865 kamen unter der Rubrik »Grasland« 127470 Acres hinzu, hauptsächlich weil das Areal unter der Rubrik »unbenutztes wüstes Land und Bog (Torfmoor)« um 101543 Acres abnahm. Vergleichen wir 1865 mit 1864, so Abnahme in Kornfrucht 246667 Qrs., wovon 48999 Weizen, 166605 Hafer, 29892 Gerste usw.; Abnahme an Kartoffeln, obgleich das Areal ihrer Bebauung 1865 wuchs, 446398 Tonnen usw.


[728] Tabelle C

Zu- oder Abnahme in dem Areal des bebauten Bodens, dem Produkt per Acre und dem Gesamtprodukt. 1865 verglichen mit 1864996


{TITEL}Tabelle CZu- oder Abnahme in dem Areal des bebauten Bodens, dem Produkt per Acre und dem Gesamtprodukt. 1865 verglichen mit 1864Produkt Acres bebautes Land Zu— oder Ab— Produkt Zu— oder Ab— Totalproduktnahme 1865 per Acre nahme 1865——————————————————— ——————————————— ——————————————————————————————————————————1864 1865 + — 1864 1865 + — 1864 1865 Zu— oder Abnahme+ 1865 —————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————Zentner Zentner Zentner Zentner Qrs. Qrs. Qrs. Qrs.Weizen 276.483 266.989 — 9.494 13,3 13,0 — 0,3 875.782 826.783 — 48.999Hafer 1.814.886 1.745.228 — 69.658 12,1 12,3 0,2 — 7.826.332 7.659.727 — 166.605Gerste 172.700 177.102 4.402 — 15,9 14,9 — 1,0 761.909 732.017 — 29.892Bere &Roggen 8.849 10.091 1.197 — 8,5 10,4 1,9 — 12.680 18.364 5.684 —Tonnen Tonnen Tonnen Tonnen Tonnen Tonnen Tonnen TonnenKartoffeln 1.039.724 1.066.260 26.536 — 4,1 3,6 — 0,5 4.312.388 3.865.990 — 446.398Turnips 337.355 334.212 — 3.143 10,3 9,9 — 0,4 3.467.659 3.301.683 — 165.976Mangoldwurzel 14.073 14.389 316 — 10,5 13,3 2,8 — 147.284 191.937 44.653 —Kohl 31.821 33.622 1.801 — 9,3 10,4 1,1 — 297.375 350.252 52.877 —Flachs 301.693 251.433 — 50.260 34,2* 25,2* — 9,0* 64.506 39.561 — 24.945Heu 1.609.569 1.678.493 68.924 — 1,6 1,8 0,2 — 2.607.153 3.068.707 461.554 —* Stones v. 14 Pfd.

Von der Bewegung der Bevölkerung und Bodenproduktion Irlands gehn wir über zur Bewegung in der Börse seiner Landlords, größeren Pächter und industriellen Kapitalisten. Sie spiegelt sich im Ab und Zu der Einkommensteuer. Zum Verständnis der folgenden Tabelle D sei bemerkt, daß Rubrik D (Profite mit Ausnahme der Pächterprofite) auch sog. »professionelle« Profite einbegreift, d.h. die Einkommen von Advokaten, Ärzten usw., die nicht besonders aufgezählten Rubriken C und E aber die Einnahmen von Beamten, Offizieren, Staatssinekuristen, Staatsgläubigern usw.


Tabelle D

Der Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd. St.997


{TITEL}Tabelle DDer Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd. St.1860 1861 1862 1863 1864 1865{F}Rubrik A{/F}Grundrente 12.893.829 13.003.554 13.398.938 13.494.091 13.470.700 13.801.616{F}Rubrik B{/F}Pächterprofite 2.765.387 2.773.644 2.937.899 2.938.823 2.930.874 2.946.072{F}Rubrik D{/F}Industrielleetc. Profite 4.891.652 4.836.203 4.858.800 4.846.497 4.546.147 4.850.199{F}Sämtliche Ru—briken A bis E{/F} 22.962.885 22.998.394 23.597.574 23.658.631 23.236.298 23.930.340

Unter Rubrik D betrug die Zunahme des Einkommens im Jahresdurchschnitt von 1853-1864 nur 0,93, während sie in derselben Periode in Großbritannien 4,58 betrug. Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Profite (mit Ausschluß der Pächterprofite) für die Jahre 1864 und 1865:


Tabelle E

Rubrik D. Einkommen aus Profiten (über 60 Pfd. St.) in Irland998


{titel}Tabelle ERubrik D. Einkommen aus Profiten (über 60 Pfd. St.) in Irland1864 1865Pfd. St. Verteilt Pfd. St. Verteiltunter unterPersonen PersonenJährliche Gesamteinnahme von 4.368.610 17.467 4.669.979 18.081Jährliche Einkommen über 60und unter 100 Pfd. St 238.726 5.015 222.575 4.703Von der jährl. Gesamteinnahme 1.979.066 11.321 2.028.571 12.184Rest der jährl. Gesamteinnahme von 2.150.818 1.131 2.418.833 1.194Davon: 1.073.906 1.010 1.097.927 1.0441.076.912 121 1.320.906 150430.535 95 584.458 122646.377 26 73.448 28262.819 3 274.528 3

England, ein Land entwickelter kapitalistischer Produktion und vorzugsweise industriell, wäre verblutet an einem Volksaderlaß gleich dem irischen. Aber Irland ist gegenwärtig nur ein durch einen breiten Wassergraben abgezäunter Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn, Wolle, Vieh, industrielle und militärische Rekruten liefert.

Die Entvölkerung hat viel Land außer Bebauung geworfen, das Bodenprodukt sehr vermindert999, und, trotz des erweiterten Areals der Viehzucht, in einigen ihrer Zweige absolute Abnahme erzeugt, in andren kaum nennenswerten, durch beständige Rückschritte unterbrochnen Fortschritt. Dennoch stiegen mit dem Fall der Volksmasse fortwährend Bodenrenten und Pachtprofite, obgleich letztere nicht so konstant wie die erstren. Der Grund ist leicht verständlich. Einerseits verwandelte sich mit der Zusammenwerfung der Pachtungen und der Verwandlung von Ackerland in Viehweide ein größerer Teil des Ge samtprodukts in Mehrprodukt. Das Mehrprodukt[730] wuchs, obgleich das Gesamtprodukt, wovon es einen Bruchteil bildet, abnahm. Andrerseits stieg der Geldwert dieses Mehrprodukts noch rascher als seine Masse, infolge der seit den letzten 20 und ganz besonders seit den letzten 10 Jahren steigenden englischen Marktpreise für Fleisch, Wolle usw.

Zersplitterte Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als Beschäftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu verwerten, sind ebensowenig Kapital, als das von seinem eigenen Produzenten verzehrte Produkt Ware ist. Wenn mit der Volksmasse auch die Masse der in der Agrikultur angewandten Produktionsmittel abnahm, so nahm die Masse des in ihr angewandten Kapitals zu, weil ein Teil früher zersplitterter Produktionsmittel in Kapital verwandelt ward.

Das außerhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte Gesamtkapital Irlands akkumulierte während der letzten zwei Dezennien langsam und unter beständiger großer Fluktuation. Um so rascher entwickelte sich dagegen die Konzentration seiner individuellen Bestandteile. Endlich, wie gering immerhin sein absolutes Wachstum, relativ, im Verhältnis zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es angeschwollen.

Hier entrollt sich also, unter unsren Augen, auf großer Stufenleiter, ein Prozeß, wie die orthodoxe Ökonomie ihn nicht schöner wünschen konnte zur Bewähr ihres Dogmas, wonach das Elend aus absoluter Übervölkerung entspringt und das Gleichgewicht durch Entvölkerung wiederhergestellt wird. Es ist dies ein ganz anders wichtiges Experiment als die von den Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, den Produktions- und entsprechenden Bevölkerungsverhältnissen des 19. Jahrhunderts den Maßstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so übersah diese Naivetät noch obendrein, daß, wenn jener Pest und der sie begleitenden Dezimation diesseits des Kanals, in England, Befreiung und Bereicherung des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, größere Knechtung und erhöhtes Elend auf dem Fuß nachfolgten.1000

Die Hungersnot erschlug 1846 in Irland über eine Menschenmillion, aber nur arme Teufel. Sie tat dem Reichtum des Landes nicht den geringsten Abbruch. Der nachfolgende zwanzigjährige und stets noch anschwellende[731] Exodus dezimierte nicht, wie etwa der Dreißigjährige Krieg, mit den Menschen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand eine ganz neue Methode, ein armes Volk Tausende von Meilen vom Schauplatz seines Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten übergesiedelten Auswanderer schicken jährlich Geldsummen nach Haus, Reisemittel für die Zurückgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht nächstes Jahr einen andren Trupp nach. Statt Irland etwas zu kosten, bildet die Auswanderung so einen der einträglichsten Zweige seines Exportgeschäftes. Sie ist endlich ein systematischer Prozeß, der nicht etwa vorübergehend ein Loch in die Volksmasse bohrt, sondern aus derselben jährlich mehr Menschen auspumpt, als der Nachwuchs ersetzt, so daß das absolute Bevölkerungsniveau von Jahr zu Jahr sinkt.1001

Welches waren die Folgen für die zurückbleibenden, von der Übervölkerung befreiten Arbeiter Irlands? Daß die relative Übervölkerung heute so groß ist wie vor 1846, daß der Arbeitslohn ebenso niedrig steht und die Arbeitsplackerei zugenommen hat, daß die Misere auf dem Land wieder zu einer neuen Krise drängt. Die Ursachen sind einfach. Die Revolution in der Agrikultur hielt Schritt mit der Emigration. Die Produktion der relativen Übervölkerung hielt mehr als Schritt mit der absoluten Entvölkerung. Ein Blick auf Tabelle B zeigt, wie die Verwandlung von Ackerbau in Viehweide in Irland noch akuter wirken muß als in England. Hier wächst mit der Viehzucht der Bau von Grünfrucht, dort nimmt er ab. Während große Massen früher bestellter Acker brachgelegt oder in permanentes Grasland verwandelt werden, dient ein großer Teil des früher unbenutzten wüsten Landes und Torfmoors zur Ausdehnung der Viehzucht. Die kleineren und mittleren Pächter – ich rechne dazu alle, die nicht über 100 Acres bebauen – machen immer noch ungefähr 8/10 der Gesamtzahl aus.1002 Sie werden progressiv in ganz andrem Grad als zuvor von der Konkurrenz des kapitalistisch betriebenen Ackerbaus erdrückt und liefern daher der Klasse der Lohnarbeiter beständig neue Rekruten. Die einzige große Industrie Irlands, die Leinenfabrikation, braucht verhältnismäßig wenig erwachsne Männer und beschäftigt überhaupt, trotz ihrer Expansion seit der Verteuerung der Baumwolle 1861-1866, nur einen verhältnismäßig[732] unbedeutenden Teil der Bevölkerung. Gleich jeder andren großen Industrie produziert sie durch stete Schwankungen in ihrer eignen Sphäre beständig eine relative Übervölkerung, selbst bei absolutem Wachstum der von ihr absorbierten Menschenmasse. Die Misere des Landvolks bildet das Piedestal riesenhafter Hemdenfabriken etc., deren Arbeiterarmee zum größten Teil über das flache Land zerstreut ist. Wir finden hier das früher geschilderte System der Hausarbeit wieder, welches in Unterzahlung und Überarbeit seine methodischen Mittel der »Überzähligmachung« besitzt. Endlich, obschon die Entvölkerung nicht so zerstörende Folgen hat wie in einem Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich nicht ohne beständigen Rückschlag auf den innern Markt. Die Lücke, welche die Auswanderung hier schafft, verengert nicht nur die lokale Arbeitsnachfrage, sondern auch die Einkünfte der Kleinkrämer, Handwerker, kleinen Gewerbsleute überhaupt. Daher der Rückgang der Einkommen zwischen 60 und 100 Pfd. St. in Tabelle E.

Eine durchsichtige Darstellung der Lage der ländlichen Tagelöhner in Irland findet sich in den Berichten der irischen Armenverwaltungs-Inspektoren (1870).1003 Beamte einer Regierung, die sich nur durch die Bajonette und den bald offnen, bald verhüllten Belagerungszustand hält, müssen sie alle die Rücksichten der Sprache beobachten, die ihre Kollegen in England verachten; trotzdem aber erlauben sie ihrer Regierung nicht, sich in Illusionen zu wiegen. Nach ihnen hat sich die immer noch sehr niedrige Lohnrate auf dem Lande in den letzten 20 Jahren doch um 50-60% erhöht und steht jetzt im Durchschnitt auf 6-9 sh. die Woche. Hinter dieser scheinbaren Erhöhung aber verbirgt sich ein wirkliches Fallen des Lohns, denn sie gleicht nicht einmal den inzwischen erfolgten Preisaufschlag der notwendigen Lebensmittel aus; Beweis folgender Auszug aus den amtlichen Rechnungen eines irischen Workhouse.


Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr.

Kopf


Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr. KopfJahr Nahrung Kleidung Zusammen29. Sept. 1848 bis 29. Sept. 1849 1 sh. 3 1/4 d. 0 sh. 3 d. 1 sh. 6 1/4 d.29. Sept. 1868 bis 29. Sept. 1869 2 sh. 7 1/4 d. 0 sh. 6 d. 3 sh. 1 1/4 d.

Der Preis der notwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und der der Kleidung genau zweimal so hoch als vor zwanzig Jahren.[733] Selbst abgesehn von diesem Mißverhältnis, ergäbe bloße Vergleichung der in Geld ausgedrückten Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. Vor der Hungersnot wurde die große Masse der ländlichen Löhne in natura entrichtet, in Geld nur der kleinste Teil; heute ist Geldzahlung Regel. Schon daraus folgt, daß, welches auch die Bewegung des wirklichen Lohns, seine Geldrate steigen mußte.

»Vor der Hungersnot besaß der Ackerbautagelöhner ein Stückchen Land, worauf er Kartoffeln baute und Schweine und Geflügel zog. Heutzutage muß er nicht nur alle seine Lebensmittel kaufen, sondern es entgehn ihm auch die Einnahmen aus dem Verkauf von Schweinen, Geflügel und Eiern.«1004

In der Tat flossen früher die Landarbeiter zusammen mit den kleinen Pächtern und bildeten meistens nur den Nachtrab der mittleren und großen Pachtungen, auf denen sie Beschäftigung fanden. Erst seit der Katastrophe von 1846 hatten sie angefangen, einen Bruchteil der Klasse reiner Lohnarbeiter zu bilden, einen besonderen Stand, der mit seinen Lohnherren nur noch durch Geldverhältnisse verknüpft ist.

Man weiß, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich noch verschlimmert. Ein Teil der Landtaglöhner, der indes von Tag zu Tag abnimmt, wohnt noch auf den Ländereien der Pächter in überfüllten Hütten, deren Scheußlichkeiten das Schlimmste weit übertreffen, das uns die englischen Landdistrikte in dieser Art vorführten. Und das gilt allgemein, mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Süden in den Grafschaften Cork, Limerick, Kilkenny etc.; im Osten in Wicklow, Wexford etc.; im Zentrum in King's und Queen's County, Dublin etc.; im Norden in Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo, Roscommon, Mayo, Galway etc. »Es ist«, ruft einer der Inspektoren aus, »es ist eine Schande für die Religion und die Zivilisation dieses Landes.«1005 Um den Taglöhnern die Wohnlichkeit ihrer Höhlen erträglicher zu machen, konfisziert man systematisch die seit undenklicher Zeit dazugehörigen Stückchen Land.

»Das Bewußtsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und ihren Verwaltern getan sind, hat bei den Landtaglöhnern entsprechende Gefühle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die, welche sie als eine rechtlose Race behandeln.«1006

Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergrößtem Maßstab und wie nach einem von oben gegebenen Losungswort, die auf dem Arbeitsfeld[734] gelegenen Hütten wegzufegen. Viele Arbeiter wurden so gezwungen, in Dörfern und Städten Schutz zu suchen. Dort warf man sie wie Schund in Dachkammern, Löcher, Keller und in die Schlupfwinkel der schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien, die sich selbst nach dem Zeugnis von in nationalen Vorurteilen befangnen Engländern durch ihre seltne Anhänglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose Heiterkeit und durch häusliche Sittenreinheit auszeichneten, fanden sich so plötzlich verpflanzt in die Treibhäuser des Lasters. Die Männer müssen jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pächtern und werden nur auf den Tag gemietet, also in der prekärsten Lohnform; dabei

»haben sie jetzt weite Wege zur Pachtung und zurück zu machen, oft naß wie die Ratten und andren Unbilden ausgesetzt, die häufig Abschwächung, Krankheit und damit Mangel herbeiführen«1007.

»Die Städte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Überschuß von Arbeitern in den Landdistrikten galt«1008, und dann wundert man sich noch, »daß in den Städten und Dörfern Überschuß, und auf dem Lande Mangel an Arbeitern herrscht!«1009 Die Wahrheit ist, daß dieser Mangel nur fühlbar wird »zur Zeit dringlicher Ackerbauarbeiten, im Frühjahr und Herbst, während den Rest des Jahres viele Hände müßig bleiben«1010; daß »nach der Ernte, vom Oktober bis zum Frühling, es kaum Beschäftigung für sie gibt«1011 und daß sie auch während der beschäftigten Zeit »häufig ganze Tage verlieren und Arbeitsunterbrechungen aller Art ausgesetzt sind«1012.

Diese Folgen der agrikolen Revolution, d.h. der Verwandlung von Ackerland in Viehweide, der Anwendung von Maschinerie, der strengsten Arbeitsersparung etc. – werden noch verschärft durch die Muster-Grundherren, solche, die, statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so gnädig sind, in Irland auf ihren Domänen zu wohnen. Damit das Gesetz von Nachfrage und Angebot ganz ungekränkt bleibe, ziehen diese Herren

»jetzt fast ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pächtern, die so gezwungen sind, für ihre Grundherrn zu schanzen für einen im allgemeinen geringeren Lohn als der der gewöhnlichen Taglöhner, und das ohne alle Rücksicht auf die Unbequemlichkeiten[735] und Verluste, die daraus entstehn, daß sie zur kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre eignen Felder vernachlässigen müssen«1013.

Die Unsicherheit und Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, die häufige Wiederkehr und lange Dauer der Arbeitsstockungen, alle diese Symptome einer relativen Übervölkerung figurieren also in den Berichten der Armenverwaltungs-Inspektoren als ebensoviel Beschwerden des irischen Ackerbauproletariats. Man erinnert sich, daß wir beim englischen Landproletariat ähnlichen Erscheinungen begegnet sind. Aber der Unterschied ist, daß in England, einem industriellen Lande, die industrielle Reserve sich auf dem Lande rekrutiert, während in Irland, einem Ackerbauland, die Ackerbaureserve sich in den Städten, den Zufluchtsorten der vertriebenen Landarbeiter, rekrutiert. Dort verwandeln sich die Überzähligen des Landbaus in Fabrikarbeiter; hier bleiben die in die Städte Gejagten, während sie gleichzeitig auf den städtischen Lohn drücken, Landarbeiter und werden beständig aufs Land auf Arbeitsuche zurückgeschickt.

Die amtlichen Berichterstatter fassen die materielle Lage der Ackerbautaglöhner zusammen, wie folgt:

»Obwohl sie mit der äußersten Frugalität leben, reicht ihr Lohn doch kaum hin, ihnen und ihren Familien Nahrung und Wohnung zu bestreiten; für Kleidung bedürfen sie weiterer Einnahmen... Die Atmosphäre ihrer Wohnungen, im Verein mit ändern Entbehrungen, setzt diese Klasse in ganz besondrem Grade dem Typhus und der Schwindsucht aus.«1014

Hiernach ist es kein Wunder, daß, nach dem einstimmigen Zeugnis der Berichterstatter, ein finstres Mißvergnügen die Reihen dieser Klasse durchdringt, daß sie die Vergangenheit zurückwünscht, die Gegen wart verabscheut, an der Zukunft verzweifelt, »sich den verwerflichen Einflüssen von Demagogen hingibt« und nur die eine fixe Idee hat, nach Amerika auszuwandern. Das ist das Schlaraffenland, worin das große malthusische Allerweltsheilmittel, die Entvölkerung, das grüne Erin verwandelt hat!

Welches Wohlleben die irischen Manufakturarbeiter führen, dafür genügt ein Beispiel:

»Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland«, sagt der englische Fabrikinspektor Robert Baker, »frappierte mich die Bemühung eines geschickten[736] irischen Arbeiters, aus den allerdürftigsten Mitteln seinen Kindern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage wörtlich, wie ich sie aus seinem Mund erhielt. Daß er eine geschickte Fabrikhand, weiß man, wenn ich sage, daß man ihn zu Artikeln für den Manchester Markt verwendet. Johnson: Ich bin ein beetler und arbeite von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr in die Nacht, von Montag bis Freitag; Samstag endigen wir um 6 Uhr abends und haben 3 Stunden für Mahlzeit und Erholung. Ich habe 5 Kinder. Für diese Arbeit erhalte ich 10 sh. 6 d. wöchentlich; meine Frau arbeitet auch und verdient 5 sh. die Woche. Das älteste Mädchen, zwölfjährig, wartet das Haus. Sie ist unsre Köchin und einzige Gehilfin. Sie macht die jüngeren zur Schule fertig. Meine Frau steht mit mir auf und geht mit mir fort. Ein Mädchen, welches unser Haus entlanggeht, weckt mich um halb 6 Uhr morgens. Wir essen nichts, bevor wir zur Arbeit gehn. Das zwölfjährige Kind sorgt für die Kleineren des Tags über. Wir frühstücken um 8 und gehn dazu nach Hause. Wir haben Tee einmal die Woche; sonst haben wir einen Brei (stirabout), manchmal von Hafermehl, manchmal von Maismehl, je nachdem wir fähig sind, es zu beschaffen. Im Winter haben wir ein wenig Zucker und Wasser zu unsrem Maismehl. Im Sommer ernten wir einige Kartoffeln, womit wir selbst ein Bodenfetzchen bepflanzen, und wenn sie zu Ende sind, kehren wir zum Brei zurück. So geht's tagaus, tagein, Sonntag und Werkeltag, das ganze Jahr durch. Ich bin stets sehr müde des Abends nach vollbrachtem Tagwerk. Einen Bissen Fleisch sehn wir ausnahmsweis, aber sehr selten. Drei unsrer Kinder besuchen Schule, wofür wir 1 d. per Kopf wöchentlich zahlen. Unsre Hausmiete ist 9 d. die Woche, Torf und Feuerung kosten mindestens 1 sh. 6 d. vierzehntägig.«1015

Das sind irische Löhne, das ist irisches Leben!

In der Tat, das Elend Irlands ist wieder Tagesthema in England. Ende 1866 und Anfang 1867 machte sich in der »Times« einer der irischen Landmagnaten, Lord Dufferin, an die Lösung. »Wie menschlich von solch' großem Herrn!«

Aus Tabelle E sah man, daß während 1864 von 4368610 Pfd. St. Gesamtprofit 3 Plusmacher nur 262819, dieselben 3 Virtuosen der »Entsagung« 1865 von 4669979 Pfd. St. Gesamtprofit dagegen 274528 Pfd. St. einsteckten, 1864: 26 Plusmacher 646377 Pfd. St., 1865: 28 Plusmacher 736448 Pfd. St., 1864: 121 Plusmacher 1076912 Pfd. St., 1865: 150 Plusmacher 1320906 Pfd. St., 1864: 1131 Plusmacher 2150818 Pfd. St., beinahe die Hälfte des jährlichen Gesamtprofits, 1865: 1194 Plusmacher 2418833 Pfd. St., mehr als die Hälfte des jährlichen Gesamtprofits. Der Löwenanteil aber, welchen eine verschwindend kleine Anzahl Landmagnaten in England, Schottland und Irland vom jährlichen Nationalrental[737] verschlingt, ist so monströs, daß die englische Staatsweisheit es angemessen findet, für die Verteilung der Grundrente nicht dasselbe statistische Material zu liefern wie für die Verteilung des Profits. Lord Dufferin ist einer dieser Landmagnaten. Daß Rentrollen und Profite jemals »überzählig« sein können oder daß ihre Plethora mit der Plethora des Volkselends irgendwie zusammenhängt, ist natürlich eine ebenso »irrespektable« als »ungesunde« (unsound) Vorstellung. Er hält sich an Tatsachen. Die Tatsache ist, daß, wie die irische Volkszahl abnimmt, die irischen Rentrollen schwellen, daß die Entvölkerung dem Grundeigentümer »wohltut«, also auch dem Grund und Boden, also auch dem Volk; das nur Zubehör des Bodens. Er erklärt also, Irland sei immer noch übervölkert und der Strom der Emigration fließe stets noch zu träg. Um vollständig glücklich zu sein, müsse Irland wenigstens noch 1/3 Million Arbeitsmenschen ablassen. Man wähne nicht, dieser obendrein noch poetische Lord sei ein Arzt aus der Schule Sangrados, der, sooft er seinen Kranken nicht besser fand, Aderlaß verordnete, neuen Aderlaß, bis der Patient mit seinem Blut auch seine Krankheit verlor. Lord Dufferin verlangt einen neuen Aderlaß von nur 1/3 Million, statt von ungefähr 2 Millionen, ohne deren Ablaß in der Tat das Millennium in Erin nicht herstellbar ist. Der Beweis ist leicht geliefert.


Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 1864


Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 18641 2 3 4Pachten nicht Pachten über 1, Pachten über 5, Pachten über 15,über 1 Acre nicht über 5 Acres nicht über 15 Acres nicht über 30 AcresAnzahl Acres Anzahl Acres Anzahl Acres Anzahl Acres48.653 25.394 82.037 288.916 176.368 1.836.310 13.6578 3.051.3435 6 7 8Pachten über 30, Pachten über 50, Pachten Gesamtarealnicht über 50 Acres nicht über 100 Acres über 100 AcresAnzahl Acres Anzahl Acres Anzahl Acres Acres2.906.274 71.961 54.247 3.983.880 31.927 8.227.807 20.319.924
Tabelle 1016


Die Zentralisation hat von 1851 bis 1861 hauptsächlich Pachten der ersten drei Kategorien, unter 1 und nicht über 15 Acres, vernichtet. Sie müssen vor allem verschwinden. Dies gibt 307058 »überzählige« Pächter,[738] und die Familie zum niedrigen Durchschnitt von 4 Köpfen gerechnet, 1228232 Personen. Unter der extravaganten Unterstellung, daß 1/4 davon nach vollbrachter agrikoler Revolution wieder absorbierbar, bleiben auszuwandern: 921174 Personen. Die Kategorien 4, 5, 6, von über 15 und nicht über 100 Acres, sind, wie man längst in England weiß, für den kapitalistischen Kornbau zu klein, für Schafzucht aber fast verschwindende Größen. Unter denselben Unterstellungen wie vorher sind also fernere 788761 Personen auszuwandern, Summe: 1709532. Und, comme l'appétit vient en mangeant, werden die Augen der Rentrolle bald entdecken, daß Irland mit 3 1/2 Millionen immer noch elend, und elend, weil übervölkert ist, also seine Entvölkerung noch viel weiter gehn muß, damit es seinen wahren Beruf erfülle, den einer englischen Schaftrift und Viehweide.1017[739]

Diese einbringliche Methode hat wie alles Gute in dieser Welt ihren Mißstand. Mit der Akkumulation der Grundrente in Irland hält Schritt die Akkumulation der Irländer in Amerika. Der durch Schaf und Ochs beseitigte Ire ersteht auf der andren Seite des Ozeans als Fenier. Und gegenüber der alten Seekönigin erhebt sich drohend und drohender die junge Riesenrepublik.

Acerba fata Romanos agunt

Scelusque fraternae necis.[740]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 23, S. 725-741.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon