II. Ersparnis an den Arbeitsbedingungen auf Kosten der Arbeiter


[98] Kohlenbergwerke. Vernachlässigung der notwendigsten Auslagen.


»Bei der Konkurrenz, die unter den Besitzern von Kohlengruben... herrscht, werden nicht mehr Auslagen gemacht als nötig sind, um die handgreiflichsten physischen Schwierigkeiten zu überwinden; und bei der Konkurrenz unter den Grubenarbeitern, die gewöhnlich in Überzahl vorhanden sind, setzen diese sich bedeutenden Gefahren und den schädlichsten Einflüssen mit Vergnügen aus für einen Lohn, der nur wenig höher ist als der der benachbarten Landtaglöhner, da die Bergwerksarbeit zudem gestattet, ihre Kinder profitlich zu verwenden. Diese doppelte Konkurrenz reicht vollständig hin... um zu bewirken, daß ein großer Teil der Gruben mit der unvollkommensten Trockenlegung und Ventilation betrieben wird; oft mit schlecht gebauten Schachten, schlechtem Gestänge, unfähigen Maschinisten, mit schlecht angelegten und schlecht ausgebauten Stollen und Fahrbahnen; und dies verursacht eine Zerstörung an Leben, Gliedmaßen und Gesundheit, deren Statistik ein entsetzendes Bild darstellen würde.« (»First Report on Children's Employment in Mines and Collieries etc., 21. April 1829«, p. 102.)

In den englischen Kohlengruben wurden gegen 1860 wöchentlich im Durchschnitt 15 Mann getötet. Nach dem Bericht über »Coal Mines Accidents« (6. Febr. 1862) wurden in den 10 Jahren 1852-1861 zusammen 8466 getötet. Diese Zahl ist aber viel zu gering, wie der Bericht selbst sagt, da in den ersten Jahren, als die Inspektoren erst eben eingesetzt und ihre Bezirke viel zu groß waren, eine große Masse Unglücks- und Todesfälle gar nicht angemeldet wurden. Gerade der Umstand, daß trotz der noch sehr großen Schlächterei und der ungenügenden Zahl und geringen Macht der Inspektoren, die Zahl der Unfälle sehr abgenommen hat seit Einrichtung der Inspektion, zeigt die natürliche Tendenz der kapitalistischen Exploitation. – Diese Menschenopfer sind größtenteils geschuldet dem schmutzigen Geiz der Grubenbesitzer, die z.B. oft nur einen Schacht graben ließen,[98] so daß nicht nur keine wirksame Ventilation, sondern auch kein Ausweg möglich, sobald der eine verstopft war.

Die kapitalistische Produktion, wenn wir sie im einzelnen betrachten und von dem Prozeß der Zirkulation und den Überwucherungen der Konkurrenz absehn, geht äußerst sparsam um mit der verwirklichten, in Waren vergegenständlichten Arbeit. Dagegen ist sie, weit mehr als jede andre Produktionsweise, eine Vergeuderin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn. Es ist in der Tat nur durch die ungeheuerste Verschwendung von individueller Entwicklung, daß die Entwicklung der Menschheit überhaupt gesichert und durchgeführt wird in der Geschichtsepoche, die der bewußten Rekonstitution der menschlichen Gesellschaft unmittelbar vorausgeht. Da die ganze Ökonomisierung, von der hier die Rede, entspringt aus dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, so ist es in der Tat gerade dieser unmittelbar gesellschaftliche Charakter der Arbeit, der diese Verschwendung von Leben und Gesundheit der Arbeiter erzeugt. Charakteristisch in dieser Hinsicht ist schon die vom Fabrikinspektor R. Baker aufgeworfne Frage:

»The whole question is one for serious consideration, in what way this sacrifice of infant life occasioned by congregational labour can be best averted?« (»Rep. Fact., Oct. 1863«, p. 157.)

Fabriken. Es gehört hierher die Unterdrückung aller Vorsichtsmaßregeln zur Sicherheit, Bequemlichkeit und Gesundheit der Arbeiter auch in den eigentlichen Fabriken. Ein großer Teil der Schlachtbulletins, die die Verwundeten und Getöteten der industriellen Armee aufzählen (siehe die alljährlichen Fabrikberichte), stammt hieher. Ebenso Mangel an Raum, Lüftung etc.

Noch Oktober 1855 beklagt sich Leonard Horner über den Widerstand sehr zahlreicher Fabrikanten gegen die gesetzlichen Bestimmungen über Schutzvorrichtungen an Horizontalwellen, trotzdem daß die Gefahr fortwährend durch, oft tödliche, Unfälle bewiesen wird und die Schutzvorrichtung weder kostspielig ist, noch den Betrieb irgendwie stört. (»Rep. Fact., Oct. 1855«, p. 6.) In solchem Widerstand gegen diese und andre gesetzliche Bestimmungen wurden die Fabrikanten redlich unterstützt von den unbezahlten Friedensrichtern, die, meist selbst Fabrikanten oder deren Freunde, über solche Fälle zu entscheiden hatten. Welcher Art die Urteile[99] dieser Herren waren, sagte der Oberrichter Campbell mit Bezug auf eins derselben, wogegen an ihn appelliert wurde: »Dies ist nicht eine Auslegung des Parlamentsakts, es ist einfach seine Abschaffung« (l.c. p. 11). – In demselben Bericht erzählt Horner, daß in vielen Fabriken die Maschinerie in Bewegung gesetzt wird, ohne dies den Arbeitern vorher kundzugeben. Da auch an der stillstehenden Maschinerie immer etwas zu tun ist, sind dann immer Hände und Finger darin beschäftigt, und fortwährende Unfälle entstehn aus dieser einfachen Unterlassung eines Signals (l.c. p. 44). Die Fabrikanten hatten damals eine Trades-Union zum Widerstand gegen die Fabrikgesetzgebung gebildet, die sog. »National Association for the Amendment of the Factory Laws« in Manchester, die im März 1855 vermittelst Beiträgen von 2 sh. per Pferdekraft eine Summe von über 50000 Pfd. St. aufbrachte, um hieraus die Prozeßkosten der Mitglieder gegen gerichtliche Klagen der Fabrikinspektoren zu bestreiten und die Prozesse von Vereins wegen zu führen. Es handelte sich zu beweisen, daß killing no murder ist, wenn es um des Profits willen geschieht. Der Fabrikinspektor für Schottland, Sir John Kincaid, erzählt von einer Firma in Glasgow, daß sie mit dem alten Eisen in ihrer Fabrik ihre sämtliche Maschinerie mit Schutzvorrichtungen versah, was ihr 9 Pfd. St. 1 sh. kostete. Hätte sie sich an jenen Verein angeschlossen, so hätte sie für ihre 110 Pferdekraft 11 Pfd. St. Beitrag zahlen müssen, also mehr als ihr die gesamte Schutzvorrichtung kostete. Die National Association war aber 1854 ausdrücklich gestiftet worden, um dem Gesetz zu trotzen, das solche Schutzvorrichtungen vorschrieb. Während der ganzen Zeit von 1844-1854 hatten die Fabrikanten nicht die geringste Rücksicht darauf genommen. Auf Anweisung Palmerstons kündigten die Fabrikinspektoren den Fabrikanten jetzt an, daß nun mit dem Gesetz Ernst gemacht werden soll. Sofort stifteten die Fabrikanten ihre Assoziation, unter deren hervorragendsten Mitgliedern viele selbst Friedensrichter waren und in dieser Eigenschaft das Gesetz selbst anzuwenden hatten. Als April 1855 der neue Minister des Innern, Sir George Grey, einen Vermittlungsvorschlag machte, wonach die Regierung sich mit fast nur nominellen Schutzvorrichtungen zufriedengeben wollte, wies die Assoziation auch dies mit Entrüstung zurück. Bei verschiednen Prozessen gab sich der berühmte Ingenieur WilliamA2 Fairbairn dazu her, als Sachverständiger zugunsten der Ökonomie und verletzten Freiheit des Kapitals seinen Ruf in die Schanze zu schlagen. Der Chef der Fabrikinspektion, Leonard Horner, wurde von den Fabrikanten in jeder Weise verfolgt und verlästert.[100]

Die Fabrikanten ruhten jedoch nicht, bis sie ein Urteil des Court of Queen's Bench erwirkt, nach dessen Auslegung das Gesetz von 1844 keine Schutzvorrichtungen vorschrieb bei Horizontalwellen, die mehr als 7 Fuß über dem Boden angebracht waren, und endlich 1856 gelang es ihnen durch den Mucker Wilson-Patten – einen von jenen frommen Leuten, deren zur Schau getragne Religion sich stets bereit macht, den Rittern vom Geldsack zu Gefallen schmutzige Arbeit zu tun – einen Parlamentsakt durchzusetzen, mit dem sie unter den Umständen zufrieden sein konnten. Der Akt entzog tatsächlich den Arbeitern allen besondren Schutz und verwies sie für Schadenersatz bei Unfällen durch Maschinerie an die gewöhnlichen Gerichte (reiner Hohn bei englischen Gerichtskosten), während er andrerseits durch eine sehr fein ausgetüftelte Vorschrift wegen der einzuhaltenden Expertise es den Fabrikanten fast unmöglich machte, den Prozeß zu verlieren. Die Folge war rasche Zunahme der Unfälle. Im Halbjahr Mai bis Oktober 1858 hatte Inspektor Baker eine Zunahme der Unfälle von 21% allein gegen das vorige Halbjahr. 36,7% sämtlicher Unfälle konnten nach seiner Ansicht vermieden werden. Allerdings hatte 1858 und 1859 die Zahl der Unfälle sich gegen 1845 und 1846 bedeutend vermindert, nämlich um 29%, bei einer Vermehrung der Arbeiterzahl in den der Inspektion unterworfnen Industriezweigen um 20%. Aber woher kam dies? Soweit der Streitpunkt bis jetzt (1865) erledigt ist, ist er hauptsächlich erledigt worden durch die Einführung neuer Maschinerie, bei der die Schutzvorrichtungen schon von vornherein angebracht sind und wo sie sich der Fabrikant gefallen läßt, weil sie ihm keine Extrakosten machen. Auch war es einigen Arbeitern gelungen, für ihre verlornen Arme schweren gerichtlichen Schadenersatz und diese Urteile bis in die höchste Instanz bestätigt zu erhalten. (»Rep. Fact., 30. April 1861«, p. 31, ditto April 1862, p. 17.)

Soweit über Ökonomie in den Mitteln zur Sicherung des Lebens und der Glieder der Arbeiter (worunter viele Kinder) vor den Gefahren, die direkt aus ihrer Verwendung bei Maschinerie entspringen.

Arbeit in geschloßnen Räumen überhaupt. – Es ist bekannt, wie sehr die Ökonomie am Raum, und daher an den Baulichkeiten, die Arbeiter in engen Lokalen zusammendrängt. Dazu kommt noch Ökonomie an den Lüftungsmitteln. Zusammen mit der längern Arbeitszeit produziert beides große Vermehrung der Krankheiten der Atmungsorgane und folglich vermehrte Sterblichkeit. Die folgenden Illustrationen sind genommen aus den Berichten über »Public Health, 6tb Rep. 1863«; der Bericht ist kompiliert von dem aus unserm Buch I wohlbekannten Dr. John Simon.

Wie es die Kombination der Arbeiter und ihre Kooperation ist, die die[101] Anwendung der Maschinerie auf großer Stufenleiter, die Konzentration der Produktionsmittel und die Ökonomie in ihrer Anwendung erlaubt, so ist es dies massenhafte Zusammenarbeiten in geschloßnen Räumen und unter Umständen, für die nicht die Gesundheit der Arbeiter, sondern die erleichterte Herstellung des Produkts entscheidend ist – es ist diese massenhafte Konzentration in derselben Werkstatt, die einerseits Quelle des wachsenden Profits für den Kapitalisten, andrerseits aber auch, wenn nicht kompensiert sowohl durch Kürze der Arbeitszeit wie durch besondere Vorsichtsmaßregeln, zugleich Ursache der Verschwendung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter ist.

Dr. Simon stellt als Regel auf, die er durch massenhafte Statistik beweist:

»Im Verhältnis wie die Bevölkerung einer Gegend auf gemeinschaftliche Arbeit in geschloßnen Räumen angewiesen wird, in demselben Verhältnis steigt, bei sonst gleichen Umständen, die Sterblichkeitsrate dieses Distrikts infolge von Lungenkrankheiten« (p.23). Die Ursache ist die schlechte Ventilation. »Und wahrscheinlich gibt es in ganz England keine einzige Ausnahme von der Regel, daß in jedem Distrikt, der eine bedeutende, in geschloßnen Räumen betriebne Industrie besitzt, die vermehrte Sterblichkeit dieser Arbeiter hinreicht, die Sterblichkeitsstatistik des ganzen Distrikts mit einem entschiednen Überschuß von Lungenkrankheiten zu färben« (p.23).

Aus der Sterblichkeitsstatistik mit Bezug auf Industrien, die in geschloßnen Räumen betrieben werden und die 1860 und 1861 vom Gesundheitsamt untersucht wurden, ergibt sich: auf dieselbe Zahl von Männern zwischen 15 und 55 Jahren, auf die in den englischen Ackerbaudistrikten 100 Todesfälle von Schwindsucht und andren Lungenkrankheiten kommen, ist die Zahl für eine gleiche Bevölkerungszahl von Männern: in Coventry 163 Todesfälle von Schwindsucht, in Blackburn und Skipton 167, in Congleton und Bradford 168, in Leicester 171, in Leek 182, in Macclesfield 184, in Bolton 190, in Nottingham 192, in Rochdale 193, in Derby 198, in Salford und Ashton-under-Lyne 203, in Leeds 218, in Preston 220 und in Manchester 263 (p. 24). Die nachfolgende Tabelle gibt ein noch schlagenderes Beispiel. Sie gibt die Todesfälle durch Lungenkrankheiten getrennt für beide Geschlechter für das Alter von 15 bis 25 Jahren und berechnet auf je 100000. Die ausgewählten Distrikte sind solche, wo nur die Frauen in der in geschloßnen Räumen betriebnen Industrie, die Männer aber in allen möglichen Arbeitszweigen beschäftigt werden.

In den Bezirken der Seidenindustrie, wo die Beteiligung der Männer an der Fabrikarbeit größer, ist auch ihre Sterblichkeit bedeutend. Die Sterblichkeitsrate an Schwindsucht etc. bei beiden Geschlechtern enthüllt hier, wie es in dem Bericht heißt,

[102] »die empörenden (atrocious) sanitären Umstände, unter denen ein großer Teil unsrer Seidenindustrie betrieben wird«.

Und es ist dies dieselbe Seidenindustrie, bei der die Fabrikanten, unter Berufung auf die ausnahmsweise günstigen Gesundheitsbedingungen ihres Betriebs, ausnahmsweis lange Arbeitszeit der Kinder unter 13 Jahren verlangten und auch teilweis bewilligt erhielten (Buch I, Kap. VIII, 6, S. 296/286).


Todesfälle von Lungenkrankhei—Distrikt Hauptindustrie ten zwischen 15 und 25 Jahren,berechnet auf je 100000Männer Weiber———————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————Berkhampstead Strohflechterei, von Weibern betrieben 219 578Leighton Buzzard Strohflechterei, von Weibern betrieben 309 554Newport Pagnell Spitzenfabrikation durch Weiber 301 617Towcester Spitzenfabrikation durch Weiber 239 577Yeovil Handschuhmachen, meist durch Weiber 280 409Leek Seidenindustrie, Weiber vorwiegend 437 856Congleton Seidenindustrie, Weiber vorwiegend 566 790Macclesfield Seidenindustrie, Weiber vorwiegend 593 890Gesunde Landgegend Ackerbau 331 333

»Keine der bisher untersuchten Industrien hat wohl ein schlimmeres Bild geliefert als das, welches Dr. Smith von der Schneiderei gibt... Die Werkstätten, sagt er, sind sehr verschieden in sanitärer Beziehung; aber fast alle sind überfüllt, schlecht gelüftet und der Gesundheit in hohem Grade ungünstig... Solche Zimmer sind notwendig ohnehin heiß; wenn aber das Gas angesteckt wird, wie bei Tage während des Nebels und des Abends im Winter, steigt die Hitze auf 80 und selbst 90 Grad« (Fahrenheit, = 27-33°C) »und verursacht triefenden Schweiß und Verdichtung des Dunstes auf den Glasscheiben, so daß das Wasser fortwährend herabrieselt oder vom Oberlicht heruntertropft und die Arbeiter gezwungen sind, einige Fenster offenzuhalten, obgleich sie sich dabei unvermeidlich erkälten. – Von dem Zustand in 16 der bedeutendsten Werkstätten des Westends von London gibt er folgende Beschreibung: Der größte Kubikraum, der in diesen schlechtgelüfteten Zimmern auf einen Arbeiter kommt, ist 270 Kubikfuß; der geringste 105 Fuß, im Durchschnitt aller nur 156 Fuß pro Mann. In einer Werkstatt, in der eine Galerie rundherum läuft und die nur Oberlicht hat, werden von 92 bis über 100 Leute beschäftigt, eine große Menge Gasflammen[103] gebrannt; die Abtritte sind dicht daneben, und der Raum übersteigt nicht 150 Kubikfuß pro Mann. In einer andern Werkstatt, die nur als ein Hundehaus in einem von oben erhellten Hof bezeichnet, und nur durch ein kleines Dachfenster gelüftet werden kann, arbeiten 5 oder 6 Leute in einem Raum von 112 Kubikfuß per Mann.« Und »in diesen infamen (atrocious) Werkstätten, die Dr. Smith beschreibt, arbeiten die Schneider gewöhnlich 12-13 Stunden des Tages, und zu gewissen Zeiten wird die Arbeit während 15-16 Stunden fortgesetzt« (p.25, 26, 28).


Anzahl der beschäf— Industriezwecke Sterblichkeitsrate protigten Leute und Lokalität 100000 im Alter von25 — 35 35 — 45 45 — 55—————————————————————————————————————————————————————————————————————————————————958.265 Ackerbau, England und Wales 743 805 1.14522.301 Männer und12.377 Weiber Schneider, London 958 1.262 2.09313.803 Schriftsetzer und Drucker, London 894 1.747 2.367

(p. 30.) Es ist zu bemerken und ist in der Tat von John Simon, dem Chef der medizinischen Abteilung, von dem der Bericht ausgeht, bemerkt, daß für das Alter von 25-35 Jahren die Sterblichkeit der Schneider, Schriftsetzer und Drucker in London zu gering angegeben ist, weil in beiden Geschäftszweigen die Londoner Meister eine große Zahl junger Leute (wahrscheinlich bis zu 30 Jahren) vom Lande als Lehrlinge und »improvers«, d.h. zur weitern Ausbildung, erhalten. Sie vermehren die Anzahl der Beschäftigten, worauf die industriellen Sterblichkeitsraten für London berechnet werden müssen; aber sie tragen nicht in gleichem Verhältnis bei zur Anzahl der Todesfälle in London, weil ihr Aufenthalt dort nur zeitweilig ist; erkranken sie während dieser Zeit, so gehn sie aufs Land nach Hause zurück, und dort wird, wenn sie sterben, der Todesfall eingetragen. Dieser Umstand affiziert noch mehr die frühern Altersstufen und macht die Londoner Sterblichkeitsraten für diese Stufen vollständig wertlos als Maßstäbe der industriellen Gesundheitswidrigkeit (p. 30).

Ähnlich wie mit den Schneidern verhält es sich mit den Schriftsetzern, bei denen zum Mangel an Ventilation, zur Pestluft usw. noch Nachtarbeit hinzukommt. Ihre gewöhnliche Arbeitszeit dauert 12 bis 13 Stunden, manchmal 15 bis 16.

»Große Hitze und Stickluft, sobald das Gas angezündet wird... Es kommt nicht selten vor, daß Dünste von einer Gießerei oder Gestank von Maschinerie oder Senkgruben aus dem untern Stockwerk heraufsteigen und die Übel des obern Zimmers verschlimmern. Die erhitzte Luft der untern Räume heizt die obern schon durch Erwärmung[104] des Bodens, und wenn die Räume bei großem Gasverbrauch niedrig sind, ist dies ein großes Übel. Noch schlimmer ist es da, wo die Dampfkessel im untern Raum stehn und das ganze Haus mit unerwünschter Hitze füllen... Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die Lüftung durchweg mangelhaft und total ungenügend ist, um die Hitze und die Verbrennungsprodukte des Gases nach Sonnenuntergang zu entfernen, und daß in vielen Werkstätten, besonders wo sie früher Wohnhäuser waren, der Zustand höchst beklagenswert ist.« »In einigen Werkstätten, besonders für Wochenzeitungen, wo ebenfalls Jungen von 12 bis 16 Jahren beschäftigt werden, wird während zwei Tagen und einer Nacht fast ununterbrochen gearbeitet; während in andern Setzereien, die sich auf die Besorgung ›dringender‹ Arbeit legen, auch der Sonntag dem Arbeiter keine Ruhe gibt und seine Arbeitstage 7 statt 6 in jeder Woche betragen.« (p. 26, 28.)

Die Putzmacherinnen (milliners and dressmakers) beschäftigten uns schon in Buch I, Kap. VIII, 3, S.249/241 mit Bezug auf Überarbeit. Ihre Arbeitslokale werden in unserm Bericht von Dr. Ord geschildert. Selbst wenn während des Tages besser, sind sie während der Stunden, wo Gas gebrannt wird, überhitzt, müffig (foul) und ungesund. In 34 Werkstätten der bessern Sorte fand Dr. Ord, daß die Durchschnittsanzahl von Kubikfuß Raum für je eine Arbeiterin war:

»In 4 Fällen mehr als 500; in 4 andern 400-500; in 5 [andern von 300-400; in 5 andern von 250-300; in 7 andern] von 200-250; in 4 von 150-200; und endlich in 9 nur 100-150. Selbst der günstigste dieser Fälle genügt nur knapp für andauernde Arbeit, wenn das Lokal nicht vollkommen gelüftet ist... Selbst mit guter Lüftung werden die Werkstätten sehr heiß und dumpfig nach Dunkelwerden wegen der vielen erforderlichen Gasflammen.«

Und hier ist die Bemerkung Dr. Ords über eine von ihm besuchte Werkstatt der geringern, für Rechnung eines Zwischenfaktors (middleman) betriebnen Klasse:

»Ein Zimmer, haltend 1280 Kubikfuß; anwesende Personen 14; Raum für jede 91,5 Kubikfuß. Die Arbeiterinnen sahen hier abgearbeitet und verkommen aus. Ihr Verdienst wurde angegeben auf 7-15 sh. die Woche, daneben den Tee... Arbeitsstunden von 8-8. Das kleine Zimmer, worin diese 14 Personen zusammengedrängt, war schlecht ventiliert. Es waren zwei bewegliche Fenster und ein Kamin, der aber verstopft war; besondre Lüftungsvorrichtungen irgendwelcher Art waren nicht vorhanden« (p.27).

Derselbe Bericht bemerkt mit Bezug auf die Überarbeit der Putzmacherinnen:

[105] »Die Überarbeitung junger Frauenzimmer in fashionablen Putzmacherläden herrscht nur für ungefähr 4 Monate des Jahrs in dem monströsen Grad vor, der bei vielen Gelegenheiten die Überraschung und den Unwillen des Publikums für einen Augenblick hervorgerufen hat; aber während dieser Monate wird in der Werkstatt als Regel während voller 14 Stunden täglich gearbeitet, und bei gehäuften eiligen Aufträgen während ganzer Tage 17-18 Stunden. Während andrer Jahreszeiten wird in der Werkstatt wahrscheinlich 10-14 Stunden gearbeitet; die zu Hause arbeiten, sind regelmäßig 12 oder 13 Stunden am Werk. In der Konfektion von Damenmänteln, Kragen, Hemden etc., die Arbeit mit der Nähmaschine einbegriffen, sind die in der gemeinsamen Werkstatt zugebrachten Stunden weniger, meist nicht mehr als 10-12; aber, sagt Dr. Ord, die regelmäßigen Arbeitsstunden sind in gewissen Häusern zu gewissen Zeiten bedeutender Ausdehnung unterworfen durch besonders bezahlte Überstunden, und in andern Häusern wird Arbeit mit nach Hause genommen, um nach der regelmäßigen Arbeitszeit fertiggemacht zu werden: Die eine wie die andre Art der Überarbeit, können wir hinzufügen, ist oft zwangsmäßig« (p. 28).

John Simon bemerkt in einer Note zu dieser Seite:

»Herr Radcliffe, der Sekretär der Epidemiological Society, der besonders viel Gelegenheit hatte, die Gesundheit von Putzmacherinnen der ersten Geschäftshäuser zu prüfen, fand auf je 20 Mädchen, die von sich sagten, sie seien ›ganz wohl‹, nur eine gesund; die übrigen zeigten verschiedne Grade physischer Kräfteabspannung, nervöser Erschöpfung und zahlreicher daher stammender Funktionsstörungen. Er gibt als Gründe an: In erster Instanz die Länge der Arbeitsstunden, die er im Minimum auf 12 täglich selbst in der stillen Jahreszeit schätzt; und zweitens Überfüllung und schlechte Lüftung der Werkstätten, durch Gasflammen verdorbne Luft, ungenügende oder schlechte Nahrung und Mangel an Sorge für häuslichen Komfort.«

Der Schluß, zu dem der Chef des englischen Gesundheitsamts kommt, ist der, daß

»es für die Arbeiter praktisch unmöglich ist, auf dem zu bestehn, was theoretisch ihr erstes Gesundheitsrecht ist: das Recht, daß, zur Vollendung welcher Arbeit ihr Beschäftiger sie auch zusammenbringt, diese gemeinsame Arbeit, soweit an ihm liegt und auf seine Kosten, von allen unnötigen gesundheitsschädlichen Umständen befreit werden soll; und daß, während die Arbeiter selbst tatsächlich nicht imstande sind, diese sanitäre Justiz für sich selbst zu erzwingen, sie ebensowenig, trotz der präsumierten Absicht des Gesetzgebers, irgendwelchen wirksamen Beistand erwarten können von den Beamten, die die Nuisances Removal Acts durchzuführen haben« (p.29). – »Ohne Zweifel wird es einige kleine technische Schwierigkeiten machen, die genaue Grenze zu bestimmen, von welcher an die Beschäftiger der Regulierung unterworfen werden sollen. Aber... im Prinzip ist der Anspruch auf Gesundheitsschonung universell. Und im Interesse von Myriaden Arbeiter und Arbeiterinnen, deren Leben jetzt ohne Not[106] verkümmert und verkürzt wird durch die unendlichen physischen Leiden, die ihre bloße Beschäftigung erzeugt, wage ich die Hoffnung auszusprechen, daß die sanitären Bedingungen der Arbeit ebenso universell unter geeigneten gesetzlichen Schutz gestellt werden; wenigstens soweit, daß die wirksame Lüftung aller geschloßnen Arbeitsräume sichergestellt und daß in jedem seiner Natur nach ungesunden Arbeitszweig die besondre gesundheitsgefährliche Einwirkung soviel wie möglich beschränkt wird.« (p.31.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 98-107.
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