I. Die Bewegung des Goldschatzes

[580] Mit Bezug auf die Aufspeicherung von Noten in Zeiten der Klemme ist zu bemerken, daß hier die Schatzbildung mit edlen Metallen, wie sie in den ursprünglichsten Zuständen der Gesellschaft in unruhigen Zeiten vorkommt, sich wiederholt. Der Akt von 1844 ist in seinen Wirkungen deswegen interessant, weil er alles im Land befindliche Edelmetall in Zirkulationsmittel verwandeln will; er sucht Goldabfluß mit Kontraktion des Umlaufsmittels und Goldzufluß mit Expansion des Umlaufsmittels gleichzusetzen. Dadurch ist dann experimentell der Beweis des Gegenteils geliefert worden. Mit einer einzigen Ausnahme, die wir gleich erwähnen werden, hat die Masse der zirkulierenden Noten der Bank von England seit 1844 nie das Maximum erreicht, das die Bank ausgeben durfte. Und die Krisis von 1857 bewies andrerseits, daß unter gewissen Umständen dies Maximum nicht ausreicht. Vom 13. – 30. November 1857 zirkulierten im Durchschnitt täglich 488830 Pfd. St. über dies Maximum hinaus. (B. A. 1858, p. XI.) Das gesetzliche Maximum war damals 14475000 Pfd. St. plus dem Betrag des Metallschatzes in den Bankkel lern.

Mit Bezug auf den Ab- und Zufluß von Edelmetall zu bemerken:

Erstens ist zu unterscheiden zwischen dem Hin- und Herlaufen des Metalls innerhalb des Gebiets, das kein Gold und Silber produziert, einerseits, und andrerseits dem Strom des Golds und Silbers von ihren Produktionsquellen über die verschiednen andren Länder und der Verteilung dieses Zuschusses unter die letztren.

Vor der Einwirkung der russischen, kalifornischen und australischen Goldminen war seit Anfang dieses Jahrhunderts die Zufuhr nur hinreichend zum Ersatz der verschlissenen Münzen, zum gewöhnlichen Gebrauch als Luxusmaterial und zur Ausfuhr von Silber nach Asien.[580]

Seit jener Zeit jedoch wuchs erstens, mit dem asiatischen Handel Amerikas und Europas, die Silberausfuhr nach Asien außerordentlich. Das aus Europa ausgeführte Silber wurde zum großen Teil ersetzt durch das zusätzliche Gold. Ferner wurde ein Teil des neuzugeführten Goldes von der innern Geldzirkulation absorbiert. Es wird geschätzt, daß bis 1857 ungefähr 30 Mill. Gold zusätzlich in die innere Zirkulation von England eingingen.106 Sodann vermehrte sich seit 1844 die Durchschnittshöhe der Metallreserven in allen Zentralbanken von Europa und Nordamerika. Das Wachstum der inländischen Geldzirkulation brachte es zugleich mit sich, daß nach der Panik, in der darauffolgenden Stillstandsperiode, die Bankreserve schon rascher wuchs infolge der größern Masse der von der inländischen Zirkulation abgestoßnen und immobilisierten Goldmünze. Endlich stieg seit den neuen Goldentdeckungen der Konsum von Edelmetall für Luxusartikel infolge des gewachsnen Reichtums.

Zweitens. Zwischen den nicht Gold und Silber produzierenden Ländern fließt Edelmetall beständig ab und zu; dasselbe Land importiert davon beständig und exportiert ebenso beständig. Es ist nur das Überwiegen der Bewegung nach der einen oder andern Seite, welches entscheidet, ob schließlich Abfluß oder Zufluß stattfindet, da die bloß oszillierenden und oft parallelen Bewegungen sich großenteils neutralisieren. Aber deswegen wird auch, mit Rücksicht auf dies Resultat, die Beständigkeit und der im ganzen parallele Verlauf beider Bewegungen übersehn. Es wird immer nur so aufgefaßt, als ob Mehreinfuhr und Mehrausfuhr von Edelmetall nur Wirkung und Ausdruck des Verhältnisses von Einfuhr und Ausfuhr von Waren, während es[581] zugleich Ausdruck des Verhältnisses einer vom Warenhandel unabhängigen Einfuhr und Ausfuhr von Edelmetall selbst ist.

Drittens. Das Überwiegen der Einfuhr über die Ausfuhr und umgekehrt mißt sich im ganzen an der Zu- oder Abnahme der Metallreserve in den Zentralbanken. Wieweit dieser Gradmesser mehr oder minder exakt ist, hängt natürlich zunächst davon ab, wieweit das Bankwesen überhaupt zentralisiert ist. Denn davon hängt es ab, wieweit das in der sog. Nationalbank aufgespeicherte Edelmetall überhaupt den nationalen Metallschatz repräsentiert. Vorausgesetzt aber, daß dies der Fall ist, ist der Gradmesser nicht exakt, weil zuschüssige Einfuhr unter gewissen Umständen aufgesogen wird durch inländische Zirkulation und wachsende Luxusverwendung von Gold und Silber; ferner aber, weil ohne zuschüssige Einfuhr ein Herausziehn von Goldmünze für inländische Zirkulation stattfinden und so der Metallschatz abnehmen könnte, auch ohne gleichzeitige Vermehrung der Ausfuhr.

Viertens. Eine Metallausfuhr nimmt die Gestalt eines Abflusses (drain) an, wenn die Bewegung der Abnahme für längere Zeit fortdauert, so daß die Abnahme als Tendenz der Bewegung sich darstellt und die Metallreserve der Bank bedeutend unter ihre mittlere Höhe herabdrückt, bis gegen das mittlere Minimum dieser Reserve hin. Dies letztre ist insofern mehr oder minder willkürlich festgesetzt, da es durch die Gesetzgebung über die Deckung für Barzahlung der Noten etc. in jedem einzelnen Fall verschieden bestimmt ist. Über die quantitativen Grenzen, die ein solcher Abfluß in England erreichen kann, sagt New march vor dem B. A. 1857, Evid. Nr. 1494:

»Nach der Erfahrung zu urteilen, ist es sehr unwahrscheinlich, daß der Metallabfluß infolge irgendwelcher Schwankung im auswärtigen Geschäft 3 oder 4 Millionen Pfd. St. übersteigen wird.«

1847 zeigt der niedrigste Stand der Goldreserve der B. of E. am 23. Okt. gegen den 26. Dez. 1846 ein Minus von 5198156 Pfd. St. und gegen den höchsten Stand von 1846 (29. August) ein Minus von 6453748 Pfd. St.

Fünftens. Die Bestimmung der Metallreserve der sog. Nationalbank, eine Bestimmung, die aber keineswegs allein die Größe des Metallschatzes reguliert, denn er kann wachsen durch bloße Lähmung des innern und äußern Geschäfts – ist dreifach: 1. Reservefonds für internationale Zahlungen, in einem Wort Reservefonds von Weltgeld. 2. Reservefonds für die abwechselnd expandierende und kontrahierende inländische metallische Zirkulation. 3. Was mit der Bankfunktion zusammenhängt und mit den Funktionen des Geldes als bloßen Geldes nichts zu tun hat: Reservefonds für[582] Depositenzahlung und für Konvertibilität von Noten. Er kann daher auch affiziert werden durch Verhältnisse, die jede einzelne dieser drei Funktionen berühren; also als internationaler Fonds durch die Zahlungsbilanz, von welchen Gründen diese auch immer bestimmt und was auch immer ihr Verhältnis zur Handelsbilanz sei; als Reservefonds der inländischen metallischen Zirkulation, durch deren Ausdehnung oder Einschrumpfung. Die dritte Funktion, als Garantiefonds, bestimmt zwar nicht die selbständige Bewegung der Metallreserve, wirkt aber doppelt. Werden Noten ausgegeben, die das Metallgeld (also auch Silbermünze in Ländern, wo Silber das Wertmaß) in der inländischen Zirkulation ersetzen, so fällt die Funktion sub 2 des Reservefonds fort. Und ein Teil des Edelmetalls, der dazu gedient hat, wird dauernd ins Ausland wandern. In diesem Falle findet kein Herausziehn von metallischer Münze für inländische Zirkulation statt, und damit fällt zugleich die zeitweilige Verstärkung der Metallreserve durch Immobilisierung eines Teils des zirkulierenden gemünzten Metalls fort. Ferner: Muß ein Minimum von Metallschatz für Auszahlung von Depositen und Konvertibilität von Noten unter allen Umständen festgehalten werden, so affiziert dies in eigner Art die Wirkungen eines Gold-Abflusses oder – Zuflusses; es wirkt auf den Teil des Schatzes, den die Bank unter allen Umständen zu halten verbunden ist, oder auf den, den sie zu andrer Zeit als nutzlos loszuwerden sucht. Bei rein metallischer Zirkulation und konzentriertem Bankwesen würde die Bank ihren Metallschatz ebenfalls als Garantie für Auszahlung ihrer Depositen zu betrachten haben, und bei einem Metallabfluß könnte dieselbe Panik eintreten wie 1857 in Hamburg.

Sechstens. Mit Ausnahme von etwa 1837 brach die wirkliche Krise immer los erst nach Wendung der Wechselkurse, d.h. sobald die Einfuhr von Edelmetall über die Ausfuhr wieder die Oberhand gewonnen.

1825 trat der wirkliche Krach ein, nachdem der Goldabfluß aufgehört hatte. 1839 fand Goldabfluß statt, ohne daß es zum Krach kam. 1847 hörte der Goldabfluß auf im April, und der Krach kam im Oktober. 1857 hatte der Goldabfluß ins Ausland seit Anfang November aufgehört, erst später im November kam der Krach.

Besonders deutlich tritt dies hervor in der Krise von 1847, wo der Goldabfluß im April schon aufhörte, nachdem er eine relativ gelinde Vorkrise bewirkt und dann die eigentliche Geschäftskrise erst im Oktober zum Ausbruch kam.

Die folgenden Aussagen sind abgegeben vor dem Secret Committee of the House of Lords on Commercial Distress 1848; die Zeugenaussagen (evidence) wurden erst gedruckt 1857 (auch zitiert als C. D. 1848/1857).[583]

Aussagen von Tooke:

»Im April 1847 entstand eine Klemme, die streng gesprochen einer Panik gleichkam, aber von verhältnismäßig kurzer Dauer war und nicht begleitet von kommerziellen Falliten von irgendwelcher Bedeutung. Im Oktober war die Klemme weit intensiver als zu irgendeiner Zeit im April, eine fast unerhörte Summe von kommerziellen Bankrotten fand statt.« (2996.) – »Im April legten uns die Wechselkurse, besonders mit Amerika, die Notwendigkeit auf, eine beträchtliche Menge Gold zu exportieren, in Zahlung für ungewöhnlich große Importe; nur durch eine äußerst gewaltsame Anstrengung brachte die Bank den Goldabfluß zum Stocken und trieb den Kurs in die Höhe.« (2997.) – »Im Oktober waren die Wechselkurse zugunsten von England.« (2998.) – »Die Wendung in den Wechselkursen hatte begonnen in der dritten Aprilwoche.« (3000.) – »Sie schwankten im Juli und August; seit Anfang August waren sie stets für England.« (3001.) – Der Goldabfluß im August »entsprang der Nachfrage für innere Zirkulation«. [3003.]

J. Morris, Gouverneur der Bank v. England: Obwohl der Wechselkurs seit August 1847 für England günstig geworden und deshalb Goldeinfuhr stattgefunden hatte, nahm der Metallvorrat in der Bank dennoch ab.

»2200000 Pfd. St. in Gold gingen hinaus ins Land, infolge inländischer Nachfrage.« (137.) – Dies wird erklärt einerseits aus der vermehrten Beschäftigung von Arbeitern bei Eisenbahnbauten, andererseits aus dem »Wunsch der Bankiers, in Zeiten der Krise eine eigne Goldreserve zu besitzen«. (147.)

Palmer, Exgouverneur und seit 1811 Direktor der B. of E.:

684. »Während der ganzen Periode von Mitte April 1847 bis zum Tag der Suspension des Bankakts von 1844 waren die Wechselkurse zugunsten Englands.«

Der Metallabfluß, der im April 1847 eine selbständige Geldpanik bewirkt, ist also hier wie immer nur Vorläufer der Krise und hat sich schon gewendet, ehe diese losbricht. 1839 fand bei großem Geschäftsdruck sehr starker Metallabfluß statt – für Korn usw. – aber ohne Krisis und Geldpanik.

Siebentens. Sobald die allgemeinen Krisen sich ausgebrannt haben, verteilt sich – abgesehn von dem Zufluß von frischem Edelmetall aus den Produktionsländern – das Gold und Silber wieder in den Verhältnissen, worin es als besondrer Schatz der verschiednen Länder, im Zustand ihres Gleichgewichts, existierte. Bei sonst gleichbleibenden Umständen wird seine relative Größe in jedem Land durch dessen Rolle auf dem Weltmarkt bestimmt sein. Von dem Land, das einen größern als den normalen Teil hatte, fließt es ab und dem andern zu; diese Bewegungen des Zu- und Abflusses stellen nur seine ursprüngliche Verteilung unter die verschiednen nationalen[584] Schätze wieder her. Diese Rückverteilung ist jedoch vermittelt durch die Wirkung verschiedner Umstände, die bei Behandlung der Wechselkurse erwähnt werden. So bald die normale Verteilung wieder da – über diesen Punkt hinaus –, tritt zuerst Wachstum ein und dann wieder Abfluß. 〈Dieser letzte Satz gilt selbstredend nur für England als Mittelpunkt des Welt-Geldmarkts. – F.E.}

Achtens. Die Metallabflüsse sind meistens Symptom einer Veränderung in der Lage des auswärtigen Handels, und diese Veränderung ist ihrerseits ein Vorzeichen, daß die Verhältnisse wieder zur Krise heranreifen.107

Neuntens. Die Zahlungsbilanz kann für Asien gegen Europa und Amerika sein.108


Einfuhr von Edelmetall findet statt vorwiegend in zwei Momenten. Einerseits in der ersten Phase niedrigen Zinsfußes, die der Krise folgt und Ausdruck der Einschränkung der Produktion ist; und dann in der zweiten Phase, wo der Zinsfuß steigt, aber noch nicht seine mittlere Höhe erreicht hat. Dies ist die Phase, worin die Rückflüsse sich leicht bewirken, der kommerzielle Kredit groß ist und daher die Nachfrage nach Leihkapital nicht im Verhältnis zur Ausdehnung der Produktion wächst. In beiden Phasen, wo Leihkapital verhältnismäßig reichlich, muß der überschüssige Zufluß von Kapital, das in Form von Gold und Silber existiert, also in einer Form, worin es zunächst nur als Leihkapital fungieren kann, bedeutend auf den Zinsfuß und damit auf den Ton des ganzen Geschäfts wirken.

Andrerseits: Abfluß, fortgesetzte starke Ausfuhr von Edelmetall tritt ein, sobald die Eingänge nicht mehr flüssig, die Märkte überführt sind und die scheinbare Prosperität nur noch durch den Kredit aufrechterhalten wird;[585] sobald also bereits eine sehr verstärkte Nachfrage nach Leihkapital existiert und daher der Zinsfuß mindestens schon seine mittlere Höhe erreicht hat. Unter diesen sich eben im Edelmetallabfluß widerspiegelnden Umständen verstärkt sich bedeutend die Wirkung der fortgesetzten Entziehung von Kapital in einer Form, worin es direkt als leihbares Geldkapital existiert. Es muß dies direkt auf den Zinsfuß wirken. Statt aber daß das Steigen des Zinsfußes die Kreditgeschäfte einschränkte, erweitert es sie und führt zur Überanspannung aller ihrer Hilfsmittel. Diese Periode geht deshalb dem Krach voraus.

Newmarch wird gefragt (B. A. 1857):

1520. »Der Betrag der zirkulierenden Wechsel steigt also mit dem Zinsfuß? – Es scheint so.« – 1522. »In ruhigen, gewöhnlichen Zeiten ist das Hauptbuch das wirkliche Instrument des Austausches; aber wenn Schwierigkeiten entstehn, wenn z.B. unter Umständen, wie ich sie angeführt habe, die Diskontorate der Bank erhöht wird... dann lösen sich die Geschäfte ganz von selbst in Ziehen von Wechseln auf; diese Wechsel sind nicht nur geeigneter, als gesetzlicher Beweis des abgeschloßnen Geschäfts zu dienen, sondern sie passen auch besser für den Zweck, weitre Einkäufe zu machen, und sind vor allen Dingen brauchbar als Kreditmittel, um Kapital aufzunehmen.«

Es kommt hinzu, daß, sobald bei einigermaßen drohenden Umständen die Bank ihre Diskontorate erhöht – womit zugleich die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß die Bank die Laufzeit der von ihr zu diskontierenden Wechsel einer Beschränkung unterwerfen wird –, die allgemeine Befürchtung eintritt, daß dies crescendo gehn wird. Jeder, und am ersten der Kreditritter, sucht also die Zukunft zu diskontieren und soviel Kreditmittel wie möglich im gegebnen Moment zu seiner Verfügung zu haben. Die eben angeführten Gründe kommen also darauf hinaus, daß die bloße Quantität, sei es des eingeführten, sei es des ausgeführten Edelmetalls, nicht als solche wirkt, sondern daß sie wirkt erstens durch den spezifischen Charakter des Edelmetalls als Kapital in Geldform und daß sie zweitens wirkt wie die Feder, die, der Last auf der Waagschale hinzugefügt, hinreicht, die schwankende Waagschale nach der einen Seite endgültig zu senken; wirkt, weil sie in Umständen eintritt, wo irgendein Excess nach dieser oder jener Seite den Ausschlag gibt. Ohne diese Gründe wäre es ganz und gar unbegreiflich, wie ein Goldabfluß sage von 5-8 Mill. Pfd. St., und dies ist die Grenze der bisherigen Erfahrung, irgend bedeutende Wirkungen ausüben könnte; dies geringe Mehr oder Weniger von Kapital, das selbst gegenüber den 70 Mill. Pfd. St. in Gold, die durchschnittlich in England zirkulieren, unbedeutend erscheint, ist in einer Produktion vom Umfang der englischen in der Tat[586] eine verschwindende Größe.109 Es ist aber eben die Entwicklung des Kredit- und Banksystems, das einerseits dahin treibt, alles Geldkapital in den Dienst der Produktion zu pressen (oder was auf dasselbe hinauskommt, alles Geldeinkommen in Kapital zu verwandeln) und das andrerseits in einer gewissen Phase des Zyklus die Metallreserve auf ein Minimum reduziert, worin sie die ihr zukommenden Funktionen nicht mehr vollziehn kann – es ist dies ausgebildete Kredit- und Banksystem, das diese Überempfindlichkeit des ganzen Organismus erzeugt. Auf minder entwickelten Produktionsstufen ist Verringerung oder Vergrößerung des Schatzes, gegen sein Durchschnittsmaß, eine relativ gleichgültige Sache. Ebenso ist andrerseits selbst ein sehr bedeutender Goldabfluß relativ wirkungslos, wenn er nicht in der kritischen Periode des industriellen Zyklus eintritt.

Bei der gegebnen Erklärung ist abgesehn von Fällen, wo der Metallabfluß infolge von Mißernten usw. eintritt. Hier macht die große und plötzliche Störung des Gleichgewichts der Produktion, deren Ausdruck der Abfluß ist, keine weitre Erklärung seiner Wirkung nötig. Diese Wirkung ist um so größer, je mehr solche Störung eintritt in einer Periode, wo die Produktion unter Hochdruck arbeitet.

Wir haben ferner abgesehn von der Funktion des Metallschatzes als Garanten der Konvertibilität der Banknoten und als Angelpunkt des ganzen Kreditsystems. Die Zentralbank ist Angelpunkt des Kreditsystems. Und die Metallreserve ihrerseits ist Angelpunkt der Bank.110 Der Umschlag des Kreditsystems in das Monetarsystem ist notwendig, wie ich schon in Buch I, Kap. III, beim Zahlungsmittel dargestellt habe. Daß die größten Opfer an realem Reichtum nötig sind, um im kritischen Moment die metallne[587] Basis zu halten, ist von Tooke so gut zugegeben wie von Loyd-Overstone. Der Streit dreht sich nur um ein Plus oder Minus, und um die mehr oder minder rationelle Behandlung des Unvermeidlichen.111 Ein gewisses, im Vergleich mit der Gesamtproduktion unbedeutendes Quantum Metall ist als Angelpunkt des Systems anerkannt. Daher, abgesehn von der erschreckenden Exemplifikation dieses seines Charakters als Angelpunkt in den Krisen, der schöne theoretische Dualismus. Solange sie »von Kapital« ex professo handelt, sieht die aufgeklärte Ökonomie mit der größten Verachtung auf Gold und Silber herab als auf die in der Tat gleichgültigste und nutzloseste Form des Kapitals. Sobald sie vom Bankwesen handelt, dreht sich das alles um, und Gold und Silber werden das Kapital par excellence, für dessen Erhaltung jede andre Form von Kapital und Arbeit geopfert werden muß. Wodurch aber unterscheiden sich nun Gold und Silber von den andren Gestalten des Reichtums? Nicht durch die Wertgröße, denn diese ist bestimmt durch die Menge der in ihnen vergegenständlichten Arbeit. Sondern als selbständige Inkarnationen, Ausdrücke des gesellschaftlichen Charakters des Reichtums. 〈Der Reichtum der Gesellschaft besteht nur als Reichtum einzelner, die seine Privateigentümer sind. Er bewährt sich nur dadurch als gesellschaftlicher, daß diese einzelnen, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, die qualitativ verschiednen Gebrauchswerte gegeneinander austauschen. In der kapitalistischen Produktion können sie dies nur vermittelst des Geldes. So wird nur vermittelst des Geldes der Reichtum des einzelnen als gesellschaftlicher Reichtum verwirklicht; im Geld, in diesem Ding, ist die gesellschaftliche Natur dieses Reichtums verkörpert. – F. E.} Dies sein gesellschaftliches Dasein erscheint also als Jenseits, als Ding, Sache, Ware, neben und außerhalb der wirklichen Elemente des gesellschaftlichen Reichtums. Solange die Produktion flüssig, wird dies vergessen. Der Kredit, als ebenfalls gesellschaftliche Form des Reichtums, verdrängt das Geld und usurpiert seine Stelle. Es ist das Vertrauen in den gesellschaftlichen Charakter der Produktion, welches die Geldform der Produkte als etwas nur Verschwindendes und Ideales, als bloße Vorstellung erscheinen läßt. Aber sobald der Kredit erschüttert wird – und diese Phase tritt immer notwendig ein im Zyklus der modernen Industrie –, soll nun[588] aller reale Reichtum wirklich und plötzlich in Geld verwandelt werden, in Gold und Silber, eine verrückte Forderung, die aber notwendig aus dem System selbst hervorwächst. Und alles Gold und Silber, das diesen ungeheuren Ansprüchen genügen soll, beläuft sich auf ein paar Millionen in den Kellern der Bank.112 In den Wirkungen des Goldabflusses tritt also der Umstand, daß die Produktion nicht wirklich als gesellschaftliche Produktion der gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen ist, schlagend hervor in der Form, daß die gesellschaftliche Form des Reichtums als ein Ding außer ihm existiert. Das kapitalistische System hat dies in der Tat gemein mit frühern Produktionssystemen, soweit sie auf Warenhandel und Privataustausch beruhen. Es tritt aber erst in ihm am schlagendsten und in der grotesksten Form des absurden Widerspruchs und Widersinns hervor, weil 1. im kapitalistischen System am vollständigsten die Produktion für den unmittelbaren Gebrauchswert, für den Selbstgebrauch der Produzenten aufgehoben ist, also der Reichtum nur als gesellschaftlicher Prozeß existiert, der sich als Verschlingung von Produktion und Zirkulation ausdrückt; 2. weil mit der Entwicklung des Kreditsystems die kapitalistische Produktion diese metallne Schranke, zugleich dingliche und phantastische Schranke des Reichtums und seiner Bewegung, beständig aufzuheben strebt, sich aber immer wieder den Kopf an dieser Schranke einstößt.

In der Krise tritt die Forderung ein, daß sämtliche Wechsel, Wertpapiere, Waren auf einmal gleichzeitig in Bankgeld konvertibel sein sollen und dies sämtliche Bankgeld wieder in Gold.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 580-589.
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