4. Nachruf an »M. Heß«

[98] »Was Engels und Marx noch nicht konnten, das vollendet M. Heß.«

Großer, göttlicher Übergang, der dem heiligen Manne durch das relative »Können« und »Nichtkönnen« der Evangelisten so fest in den Fingern sitzengeblieben ist, daß er in jedem Aufsatze des Kirchenvaters passend oder unpassend seine Stelle finden muß.

»Was Engels und Marx noch nicht konnten, das vollendet M. Heß.« Und was ist das »Was«, das »Engels und Marx noch nicht konnten«? Nun, nichts mehr und nichts weniger, als – Stirner kritisieren. Und warum »konnten« Engels und Marx Stirner »noch nicht« kritisieren? Aus dem zureichenden Grunde, weil – Stirners Buch noch nicht erschienen war, als sie die »Heilige Familie« schrieben.

Dieser spekulative Kunstgriff, Alles zu konstruieren und das Disparateste in einen vorgeblichen Kausalzusammenhang zu bringen, ist unsrem Heiligen wirklich aus dem Kopf in die Finger gefahren. Er erreicht bei ihm die gänzliche Inhaltslosigkeit und sinkt herab zu einer burlesken Manier, Tautologien mit wichtiger Miene zu sagen. Z.B. schon in der »Allg[emeinen] Literat[ur]-Z[ei]t[un]g« I, 5:

»Der Unterschied zwischen meiner Arbeit und den Blättern, die z.B. ein Philippson vollschreibt« (also den leeren Blättern, auf die »z.B. ein Philippson« schreibt), »muß dann auch so beschaffen sein, wie er in der Tat beschaffen ist« !!!

»M. Heß«, für dessen Schriften Engels und Marx durchaus keine Verantwortlichkeit übernehmen, ist dem heiligen Kritiker eine so merkwürdige Erscheinung, daß er weiter nichts tun kann als lange Stellen aus den »Letzten Philosophen« abschreiben und das Urteil fällen, daß »diese Kritik in einzelnen Punkten den Feuerbach nicht kapiert hat oder auch« (o, Theologie!) »das Gefäß sich gegen den Töpfer empören will«. Vergl. Römer, 9, 20-21. Nach einer erneuerten »sauren Arbeit« des Zitierens kommt unser heiliger Kritiker dann schließlich zu dem Resultate, daß Heß, weil er die beiden Worte »vereinigt« und »Entwicklung« gebraucht, Hegel abschreibt. Sankt Bruno mußte natürlich den in der »Heiligen Familie« gelieferten Nachweis seiner totalen[98] Abhängigkeit von Hegel durch einen Umweg auf Feuerbach zurückzuwerfen suchen.

»Siehe, so mußte Bauer enden! Er hat gegen alle Hegelschen Kategorien«, mit Ausnahme des Selbstbewußtseins, »gekämpft, wie und was er nur konnte«, speziell in dem famosen Literaturzeitungskampf gegen Herrn Hinrichs. Wie er sie bekämpft und besiegt hat, haben wir gesehen. Zum Überfluß zitieren wir noch Wigand p. 110, wo er behauptet, daß die

»wahre« (1) »Auflösung« (2) »der Gegensätze« (3) »in Natur und Geschichte« (4), »die wahre Einheit« (5) »der getrennten Relationen« (6), »der wahrhafte« (7) »Grund« (8) »und Abgrund« (9) »der Religion, die wahre unendliche« (10), »unwiderstehliche, selbstschöpferische« (11) »Persönlichkeit« (12) »noch nicht gefunden ist«.

In drei Zeilen nicht zwei zweifelhafte, wie bei Heß, sondern ein volles Dutzend »wahrer, unendlicher, unwiderstehliche[r]« und durch »die wahre Einheit der getrennten Relationen« sich als solche beweisende[r] Hegelsche[r] Kategorien – »siehe, so mußte Bauer enden«! Und wenn der heilige Mann in Heß einen gläubigen Christen zu entdecken meint, nicht weil Heß »hofft«, wie Bruno sagt, sondern weil er nicht hofft und weil er von »Auferstehen« spricht, so setzt uns der große Kirchenvater in den Stand, ihm aus ebenderselben pagina 110 das prononcierteste Judentum nachzuweisen. Er erklärt dort,

»daß der wirkliche, lotende und leibhaftige Mensch noch nicht geboren ist« !!! (neuer Aufschluß über die Bestimmung des »einzigen Geschlechts«) »und die erzeugte Zwittergestalt« (Bruno Bauer?!?) »noch nicht imstande ist, aller dogmatischen Formeln Herr zu werden« pp. –

d.h., daß der Messias noch nicht geboren ist, daß des Menschen Sohn erst in die Welt kommen soll und diese Welt, als Welt des Alten Bundes, noch unter der Zuchtrute des Gesetzes, »der dogmatischen Formeln«, steht.

In derselben Weise, wie Sankt Bruno oben »Engels und Marx« zu einem Übergange zu Heß benutzte, dient ihm hier Heß dazu, Feuerbach schließlich wieder in einen Kausalnexus mit seinen Exkursen über Stirner, die »Heilige Familie« und die »Letzten Philosophen« zu bringen:

»Siehe, so mußte Feuerbach enden!« »Die Philosophie mußte fromm enden« pp., Wigand p. 145.

Der wahre Kausalnexus ist aber der, daß diese Exklamation eine Nachahmung einer u. a. gegen Bauer gerichteten Stelle aus Heß' »Letzten Philosophen«, Vorrede, p. 4, ist:

[99] »So [...] und nicht anders mußten die letzten Nachkommen der christlichen Asketen [...] Abschied von der Welt nehmen.«

Sankt Bruno schließt sein Plaidoyer gegen Feuerbach und angebliche Konsorten mit einer Anrede an Feuerbach, worin er ihm vorwirft, er könne nur »ausposaunen«, »Posaunenstöße erlassen«, während Monsieur B. Bauer oder Madame la critique »die erzeugte Zwittergestalt« des unaufhörlichen »Vernichtens« nicht zu erwähnen, »auf seinem Triumphwagen fährt und neue Triumphe sammelt« (p. 125), »vom Throne stößt« (p. 119), »niedermetzelt« (p. 111), »niederdonnert« (p. 115), »ein für allemal zugrunde richtet« (p. 120), »zerschmettert« (p. 121), der Natur nur zu »vegetieren« erlaubt (p. 120), »straffere« (!) »Gefängnisse« baut (p. 104) und endlich mit »niedermetzelnder« Kanzelberedsamkeit frischfrommfröhlichfrei das »Fixfirmfestbestehende« p. 105 entwickelt. Feuerbach p. 110 »das Felsige und den Felsen« an den Kopf wirft und schließlich mit einer Seitenwendung auch Sankt Max überwindet, indem er die »kritische Kritik«, die »gesellschaftliche Gesellschaft«, »das Felsige und den Felsen« noch durch »die abstrakteste Abstraktheit« und »härteste Härte« p. 124 ergänzt.

Alles dies hat Sankt Bruno vollbracht »durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst«, denn er ist »Er selber«, ja er ist »stets und selbst der Größeste und kann der Größeste sein« (ist es und kann es sein!) »durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst« (p. 135). Sela.

Sankt Bruno wäre für das weibliche Geschlecht allerdings gefährlich, da er die »unwiderstehliche Persönlichkeit« ist, fürchtete er nicht »auf der andern Seite ebensosehr« »die Sinnlichkeit als die Schranke, an der sich der Mensch den Todes-Stoß geben muß«. Er wird daher »durch sich selbst und in sich selbst und mit sich selbst« wohl keine Blumen brechen, sondern sie verwelken lassen in unbegrenzter Sehnsucht und schmachtender Hysterie nach der »unwiderstehlichen Persönlichkeit«, die »dieses einzige Geschlecht und diese einzigen, bestimmten Geschlechtsorgane besitzt«.36[100]

36

[Im Manuskript gestrichen:]

5. Sankt Bruno auf seinem »Triumphwagen«

Ehe wir unseren »siegreichen und siegsgewissen« Kirchenvater verlassen, treten wir für einen Augenblick unter die gaffende Masse, die ebenso eifrig herbeiläuft, wenn er »auf seinem Triumphwagen fährt und neue Triumphe sammelt«, als wenn der General Tom Thumb mit seinen vier Ponies eine Diversion macht. Wenn wir einzelne Gassenlieder brummen hören, so »liegt es doch im Begriff« des Triumphats »überhaupt«, mit Gassenliedern empfangen zu [werden.]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 98-101.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon