2. »Catéchisme politique des industriels«

[488] Da Stein diese Schrift gewöhnlich als »Catéchisme des industriels« zitiert, so kennt Herr Grün keinen andern Titel. Die Angabe des richtigen Titels wenigstens wäre um so eher von Herrn Grün zu verlangen gewesen, als er da, wo er ex officio von dieser Schrift spricht, ihr nur zehn Zeilen dediziert.

Nachdem Herr Grün aus Stein abgeschrieben hat, daß Saint-Simon in dieser Schrift der Arbeit die Herrschaft geben will, fährt er fort:

»Die Welt teilt sich für ihn jetzt in Müßiggänger und Industrielle.« p. 85.

Herr Grün begeht hier ein Falsum. Er schiebt dem »Catéchisme« eine Unterscheidung unter, die er bei Stein viel später, bei Gelegenheit der saint-simonistischen Schule, vorfindet:[488]

Stein, p. 206:

»Die Gesellschaft besteht gegenwärtig nur aus Müßiggängern und Arbeitern.« (Enfantin.)

Statt dieser untergeschobenen Einteilung findet sich im »Catéchisme« die Einteilung in drei Klassen, die classes féodale, intermédiaire et industrielle, auf die Herr Grün natürlich nicht eingehen konnte, ohne Stein abzuschreiben, da er den »Catéchisme« selbst nicht kannte.

Herr Grün wiederholt hierauf noch einmal, daß die Herrschaft der Arbeit der Inhalt des »Catéchisme« ist, und schließt dann seine Charakteristik dieser Schrift folgendermaßen:

»Wie der Republikanismus sagt: Alles für das Volk, Alles durch das Volk, so sagt Saint-Simon: Alles für die Industrie, Alles durch die Industrie.« (ibid.)

Stein, p. 165:

»Da Alles durch die Industrie geschieht, so muß auch Alles für sie geschehen.«

Wie Stein richtig angibt (p. 160, Note), findet sich bereits auf der Schrift Saint-Simons »L'industrie« von 1817 das Motto: Tout par l'industrie, tout pour elle. Herrn Grüns Charakteristik des »Catéchisme« besteht also darin, daß er, außer dem obigen Falsum, das Motto einer viel früheren Schrift, die er gar nicht kennt, falsch zitiert.

Hiermit hat die deutsche Gründlichkeit den »Catéchisme politique des industriels« hinreichend kritisiert. Wir finden indes noch an andern sehr zerstreuten Stellen des Grünschen Sammelsuriums einzelne hieher gehörige Glossen. Herr Grün verteilt mit innerem Vergnügen über seine eigene Schlauheit die Sachen, die er bei Steins Charakteristik dieser Schrift zusammenfindet, und verarbeitet sie mit anerkennenswerter Courage:

Herr Grün, p. 87:

»Die freie Konkurrenz war ein unreiner, ein konfuser Begriff, ein Begriff, der in sich selbst eine neue Welt von Kampf und Unglück enthielt, den Kampf zwischen Kapital und Arbeit und das Unglück des kapitallosen Arbeiters. Saint-Simon reinigte den Begriff der Industrie, er reduzierte ihn auf den Begriff der Arbeiter, er formulierte die Rechte und Beschwerden des vierten Standes, des Proletariats. Er mußte das Erbrecht aufheben, weil es zum Unrecht am Arbeiter, am Industriellen wurde. Diese Bedeutung hat sein ›Katechismus der Industriellen‹.«

Herr Grün fand bei Stein, p. 169, bei Gelegenheit des »Catéchisme«:

»Das ist mithin die wahre Bedeutung Saint-Simons, diesen Gegensatz« (von Bourgeoisie und peuple) »als einen bestimmten vorausgesehen zu haben.«[489]

Dies das Original zu der »Bedeutung« des »Katechismus« bei Herrn Grün.

Stein:

»Er« (Saint-Simon im »Catéchisme«) »beginnt mit dem Begriff des industriellen Arbeiters.«

Hieraus macht Herr Grün den kolossalen Unsinn, daß Saint-Simon, der die freie Konkurrenz als einen »unreinen Begriff« vorfand, »den Begriff der Industrie reinigte und ihn auf den Begriff der Arbeiter reduzierte«. Daß der Begriff des Herrn Grün von der freien Konkurrenz und Industrie ein sehr »unreiner« und »konfuser« ist, zeigt er an allen Ecken.

Noch nicht zufrieden mit diesem Unsinn, wagt er die direkte Lüge, Saint-Simon habe die Aufhebung des Erbrechts verlangt.

Immer noch auf die Art gestützt, wie er den »Catéchisme« nach Stein versteht, sagt er p. 88:

»Saint-Simon hatte die Rechte des Proletariats festgesetzt, er hatte die neue Parole bereits ausgegeben: Die Industriellen, die Arbeiter sollen auf die erste Stufe der Macht erhoben werden. Das war einseitig, aber jeder Kampf führt die Einseitigkeit mit sich; wer nicht einseitig ist, kann nicht kämpfen.«

Herr Grün mit seiner schönrednerischen Maxime von der Einseitigkeit begeht hier selbst die Einseitigkeit, den Stein dahin mißzuverstehen, Saint-Simon habe die eigentlichen Arbeiter, die Proletarier, »auf die erste Stufe der Macht erheben« wollen. Vgl. p. 102, wo über Michel Chevalier gesagt wird:

»M. Chevalier spricht noch mit sehr großer Teilnahme von den Industriellen... aber dem Jünger sind die Industriellen nicht mehr die Proletarier, wie dem Meister; er faßt Kapitalist, Unternehmer und Arbeiter in einen Begriff zusammen, rechnet also die Müßiggänger mit zu einer Kategorie, die nur die ärmste und zahlreichste Klasse umfassen sollte.«

Bei Saint-Simon gehören zu den Industriellen außer den Arbeitern auch die fabricants, négociants, kurz, sämtliche industrielle Kapitalisten, an die er sich sogar vorzugsweise adressiert. Herr Grün konnte dies bereits auf der ersten Seite des »Catéchisme« finden. Man sieht aber, wie er, ohne die Schrift selbst je gesehen zu haben, nach dem Hörensagen belletristisch über sie phantasiert.

Bei seiner Besprechung des »Catéchisme« sagt Stein:

»Von... kommt Saint-Simon zu einer Geschichte der Industrie in ihrem Verhältnis zur Staatsgewalt... er ist der erste, der es zum Bewußtsein gebracht hat, daß in der[490] Wissenschaft der Industrie ein staatliches Moment verborgen liege... es läßt sich nicht leugnen, daß ihm ein wesentlicher Anstoß gelungen ist. Denn erst seit ihm besitzt Frankreich eine Histoire de l'économie politique« pp., p. 165, 170.

Stein selbst ist im höchsten Grade konfus, wenn er von einem »staatlichen Moment« in »der Wissenschaft der Industrie« spricht. Er zeigt indes, daß er eine richtige Ahnung hatte, indem er hinzufügt, daß die Geschichte des Staats aufs genaueste zusammenhänge mit der Geschichte der Volkswirtschaft.

Sehen wir, wie Herr Grün später, da er von der saint-simonistischen Schule spricht, diesen Fetzen Steins sich aneignet.

»Saint-Simon hatte in seinem ›Katechismus der Industriellen‹ eine Geschichte der Industrie versucht, indem er das staatliche Element in ihr hervorhob. Der Meister selbst brach also die Bahn zur politischen Ökonomie.« p. 99.

Herr Grün verwandelt »also« zunächst das »staatliche Moment« Steins in ein »staatliches Element« und macht es zu einer sinnlosen Phrase, indem er die näheren Data, die Stein gegeben hatte, wegläßt. Dieser »Stein, den die Bauleute verworfen haben«, ist für Herrn Grün wirklich zum »Eckstein« seiner »Briefe und Studien« geworden. Zugleich aber auch zum Stein des Anstoßes. Aber noch mehr. Während Stein sagt, Saint-Simon habe durch Hervorhebung dieses staatlichen Moments in der Wissenschaft der Industrie die Bahn gebrochen zur Geschichte der politischen Ökonomie, läßt Herr Grün ihn die Bahn zur politischen Ökonomie selbst brechen. Herr Grün räsoniert etwa so: Ökonomie gab es bereits vor Saint-Simon; wie Stein erzählt, hob er das staatliche Moment in der Industrie hervor, machte also die Ökonomie staatlich – staatliche Ökonomie = politische Ökonomie, also brach Saint-Simon die Bahn zur politischen Ökonomie. Herr Grün verrät unleugbar einen sehr heitern Geist bei Bildung seiner Konjekturen.

Der Art, wie Herr Grün Saint-Simon die Bahn zur politischen Ökonomie brechen läßt, entspricht die Art, wie er ihn die Bahn zum wissenschaftlichen Sozialismus brechen läßt:

»Er« (der Saint-Simonismus) »enthält... den wissenschaftlichen Sozialismus, indem Saint-Simon sein ganzes Leben lang nach der neuen Wissenschaft suchte«! p. 82.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 488-491.
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