15. Weichen oder Bleiben

[62] Der Herzog Wen von Tong befragte den Mong Dsï und sprach: »Tong ist ein kleiner Staat. Ich mag mir Mühe geben, wie ich will, um den großen Nachbarstaaten zu dienen, ich werde ihnen doch nicht entgehen. Was ist da zu machen?«

Mong Dsï erwiderte und sprach: »Einst wohnte der Große König im Lande Bin, und die wilden Grenzstämme machten ihre Einfälle. Da brachte er ihnen Pelze dar und Seidenzeug, doch es half ihm nichts. Da brachte er ihnen Hunde dar und Pferde, doch es half ihm nichts. Da brachte er ihnen Perlen dar und Edelsteine, doch es half ihm nichts. Darauf versammelte er die Ältesten des[62] Landes und teilte es ihnen mit. Er sprach: ›Was jene Wilden wollen, das ist mein Land. Ich habe sagen hören: Der Edle bringt nicht durch das, wodurch er die Menschen erhalten soll, die Menschen in Schaden. Meine Kinder, was tut's, wenn ihr nun keinen Herrn mehr habt? Ich will weggehen.‹ So verließ er Bin, überstieg den Berg Liang, baute eine Stadt am Fuße des Berges Ki und wohnte daselbst. Da sprachen die Leute von Bin: ›Das ist ein guter Mensch! den dürfen wir nicht verlieren.‹ Und sie folgten ihm nach in solchen Scharen, als ginge es zu einem Markte.

Oder aber kann man sagen: ›Das Erbe der Vergangenheit muß für künftige Geschlechter gewahrt werden. Es ist nicht etwas, worüber der Einzelne frei verfügen könnte. Lieber sterben, als es preisgeben!‹

Ich bitte Eure Hoheit, unter diesen beiden Möglichkeiten zu wählen.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 62-63.
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