5. Das Lichtschloß. Liebe zum Besitz und zur Frauenschönheit

[55] König Süan von Tsi befragte den Mong Dsï und sprach: »Jedermann rät mir, das Lichtschloß11 abzubrechen. Soll ich es nun abbrechen oder soll ich es sein lassen?«

Mong Dsï erwiderte: »Das Lichtschloß ist eines großen Königs Schloß. Wenn Eure Hoheit als König der Welt herrschen wollen, so braucht Ihr es nicht abzubrechen.«

Der König sprach: »Darf man hören, wie man als König der Welt herrschen muß?«

Mong Dsï erwiderte: »König Wen herrschte einstens über das Land Ki. Da brauchten die Bauern nur ein Neuntel des Landes für ihn zu pflügen. Die Familien der Staatsdiener behielten ein dauerndes Einkommen. An den Grenzpässen und auf den Märkten wurde eine regelmäßige Aufsicht geübt, doch keine Abgaben erhoben. Fischfang und Jagd waren unbehindert. Verbrechen wurden nicht an den Angehörigen geahndet.

Ein alter Mann, der keine Gattin mehr hat, heißt ein Witwer; eine alte Frau, die keinen Gatten mehr hat, heißt eine Witwe; alte Leute ohne Söhne heißen Einsame; junge Kinder ohne Vater heißen Waisen. Diese vier sind die Elendesten unter allen Menschen, denn sie haben niemand, bei dem sie Hilfe suchen können. Der König Wen ließ bei der Ausübung der Herrschaft Milde walten. Darum sorgte er zuerst für diese Vier. Im Buch der Lieder12 heißt es:


›Und halten's noch die Reichen aus, –

Weh', wer allein steht und verlassen.‹«


Der König sprach: »Fürwahr, trefflich sind diese Worte!«

Mong Dsï sprach: »Wenn sie Eurer Hoheit trefflich scheinen, warum tut Ihr nicht danach?«

Der König sprach: »Ich habe einen Fehler; ich liebe den Besitz.«

Mong Dsï erwiderte: »Der Herzog Liu13 liebte einst auch den Besitz. Im Buch der Lieder14 heißt es von ihm:


›Er sammelte, bewahrte auf,

Dörrfleisch, Getreide kam zuhauf.

In Beuteln, Säcken hob man's auf.

Durch Einung wollt er Ruhm erteilen.

Bewehrt mit Bogen und mit Pfeilen,

Mit Schilden, Speeren, Axten, Beilen,

Macht er sich fertig, fortzueilen.‹
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So hatten die Zurückbleibenden gefüllte Scheunen, und die Ausziehenden hatten Mundvorrat. Darauf erst konnte er sich daran machen, auszuziehen. Wenn Eure Hoheit den Besitz lieben, so teilt ihn mit Euren Leuten. Dann ist das kein Hindernis dafür, König der Welt zu werden.«

Der König sprach: »Ich habe noch einen Fehler; ich liebe die Frauenschönheit.«

Mong Dsï erwiderte: »Der Große König15 liebte einst auch die Frauenschönheit, und er war infolge davon seiner Gattin zugetan. Im Buch der Lieder16 heißt es von ihm:


›Altfürst Dan Fu, beim Morgengrauen

Auf flücht'gem Roßgespann zu schauen,

Kam längs der Westgewässer Auen

Bis an des Ki-Bergs untre Gauen;

Da kam er hin mit Giang, der Frauen,

Um dort mit ihr sich anzubauen.‹


Zu jenen Zeiten gab's in den inneren Gemächern keine unbefriedigten Frauen und draußen keine ledigen Männer. Wenn Eure Hoheit Frauenschönheit lieben, dann laßt Eure Leute auch ihr Teil haben. Dann ist das kein Hindernis dafür, König der Welt zu werden.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 55-57.
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