9. Verschiedene Heiligkeit: Be-I und Liu Hia Hui

[76] Mong Dsï sprach: »Be-I diente niemand, der nicht sein Fürst war; wer nicht sein Freund war, mit dem verkehrte er nicht. Er ging nicht an den Hof eines schlechten Fürsten und redete nicht mit schlechten Menschen. An eines schlechten Fürsten Hof zu kommen, mit einem schlechten Menschen zu reden, wäre ihm ebenso arg gewesen, als mit Feierkleidung angetan in Kot und Asche zu sitzen. So weit ging er in seinem Hasse des Gemeinen, daß, wenn er mit einem Bauern auf der Straße reden wollte und er sah, daß dessen Hut nicht richtig saß, er ihn stehen ließ, ohne ihn zu beachten – gleich als würde er dadurch befleckt. Wenn ihm Fürsten auch die schönsten Anerbietungen machten: er nahm sie nicht an. Der Grund, warum er sie nicht annahm, war auch, daß es ihm nicht reinlich dünkte, hinzugehen.

Liu Hia Hui30 schämte sich nicht eines unreinen Fürsten; ein niedriges Amt schien ihm nicht zu gemein. Wurde er befördert, so verdunkelte er nicht verdienstvolle Männer und ließ nicht ab von seinem Wege. Wurde er vernachlässigt und abgesetzt, so murrte er nicht, kam er in Gefahr und Mißerfolg, so regte er sich nicht auf. So sprach er: ›Du bist du, ich bin ich. Wenn du auch nackt und bloß an meiner Seite stehst, wie kannst du mich beflecken?‹ Darum verkehrte er ganz harmlos mit solchen Menschen, ohne sich selbst zu verlieren. Hielt man ihn zurück, so blieb er. Der Grund, warum er blieb, wenn man ihn zurückhielt, war, daß er es nicht für Pflicht der Reinlichkeit hielt, zu gehen.«

Mong Dsï sprach: »Be-I war zu beschränkt, Liu Hia Hui war zu gleichgültig. Beschränktheit und Gleichgültigkeit ist, was der Edle meidet.«

Fußnoten

1 Gung-Sun Tschou war ein Schüler des Mong aus dem Staate Tsi.


2 Guan Dschung (I-Wu) war der Kanzler des Herzogs Huan von Tsi. Vgl. Lun Yü III, 22; XIV, 10, 17, 18; Liä Dsï V, 7; VI, 3; VII, 1, 7; Yän Dsï (Yän Ping Dschung), Zeitgenosse des Kung, Kanzler unter Herzog Ging von Tsi. Vgl. Lun Yü V, 16. Beides waren sozusagen Nationalhelden von Tsi.


3 Dsong Si ist nach den einen Kommentaren der Enkel, nach den anderen der zweite Sohn des Konfuziusschülers Dsong Dsï. Dsï Lu ist der wegen seines Mutes bekannte Konfuziusjünger, der in den »Gesprächen« häufig vorkommt.


4 Tang, der Begründer der Schangdynastie, ca. 1766 v. Chr. Wu Ding, der zwanzigste Herrscher der Schangdynastie, die inzwischen (durch Pan Gong 1401) in Yin umgenannt war, kam 1324 v. Chr. auf den Thron. Die Schätzung der »würdigen und heiligen« Herrscher von Tang bis Wu Ding ist von Mong recht hoch gegriffen. Dschou Sin kam 1154, also 150 Jahre nach Wu Ding, auf den Thron.


5 Der »Graf We«, We Dsï Ki, der älteste Sohn des Di Yi, des vorletzten Herrschers der Yindynastie. We Dschung Yän war sein zweiter Sohn. Da aber zur Zeit ihrer Geburt ihre Mutter noch Nebenfrau war, hatten sie kein Erbrecht. Dschou Sin, der dritte Sohn, der nach der Beförderung seiner Mutter zur Kaiserin zur Welt kam, folgte seinem Vater auf den Thron. We Dsï wurde später mit dem Staate Sung belehnt, damit die Opfer für die Ahnen der Yindynastie weitergeführt würden. Er hat dann seinem jüngeren Bruder We Dschung die Erbfolge hinterlassen, was der Erbfolgeordnung der Yin entsprach, im Gegensatz zu der Erbfolge der Erstgeborenen, die unter der Dschoudynastie üblich war. Der Prinz Bi Gan wurde wegen seiner Mahnungen getötet, um zu sehen, ob das Herz eines Heiligen wirklich sieben Öffnungen habe; der Graf von Ki, ein Onkel des Tyrannen, mußte sich wahnsinnig stellen. Giau Go war ein treuer Beamter der Yindynastie. Von den Genannten werden auch in Lun Yü XVIII, 1 We Dsï, Bi Gan und Ki Dsï als die drei Stützen der Yindynastie genannt.


6 Ein Zeichen der dichten Bevölkerung. Vgl. Laotse, Taoteking 80.


7 Mong Ben war ein Held aus We. Es wird von ihm erzählt, daß er im Wasser vor keinem Drachen, auf dem Lande vor keinem Rhinozeros oder Tiger ausgewichen sei. Er war so stark, daß er einem Ochsen die Hörner ausreißen konnte.


8 Über den Philosophen Gau Dsï, den Gegner des Mong, vgl. Buch VI, A, 1 ff.


9 Der Doppelname Be-Gung kommt sowohl in Tsi als in We vor. (Zum letzteren vgl. Dschuang Dsï XX, 3, Be-Gung Schä.) Der Sinn hier ist, daß dieser Be-Gung Yu so rasch war, empfangene Verletzungen zu vergelten, daß er nicht erst den natürlichen Reflexbewegungen des Schmerzes Raum gab.


10 Mong Schä oder Mong Dschï Schä war vermutlich aus Tsi. Während Be-Gung Yu die Tapferkeit in der Überwindung aller äußeren Feinde sieht, sieht sie Mong Schä in der eigenen Furchtlosigkeit, unabhängig vom äußeren Erfolg. Der Vergleich mit den beiden Konfuziusjüngern Dsï Hia und Dsong Schen weist auf dieselbe Linie. Dsï Hia ist der Vertreter des »multa«, Dsong Schen der des »multum«.


11 Die Kommentatoren sind unter sich uneins, in welchem Sinne die Aussprüche des Gau Dsï gemeint sind. Die älteren fassen sie mit Beziehung auf die anderen: »Wenn ich Worte höre, die mir nicht angenehm sind, so frage ich nicht, wie sie gemeint sind; wenn ich einer Gesinnung begegne, die mir nicht freundlich ist, so frage ich nicht darnach, mit welcher Kraft sie sich äußert.« Die späteren Kommentare fassen es subjektiv: »Wofür ich keinen Ausdruck finde, danach suche ich nicht in meinem Herzen (ich lege es einfach beiseite). Was ich in meinem Herzen nicht erreiche, an dessen Erreichung setze ich nicht meine animalische Kraft.« Für die zweite Auffassung spricht die Art, wie Gau Dsï in VI, A die Sätze, die er dem Mong Dsï gegenüber nicht durchbehaupten kann, einfach fallen läßt. Die ganze Abhandlung ist wohl ein Versuch des Mong Dsï, sich über das taoistische Problem der Pflege des Lebens von seinem Standpunkt aus zu ändern. Auf die Taoisten mit ihrem »Nichthandeln« geht die Bemerkung über die Leute, die bei der Pflege der Lebenskraft gar nichts tun, wie die, die das Unkraut wachsen lassen. Andererseits bringt er gegen Leute wie Gau Dsï die Geschichte von dem Mann aus Sung – dem Land der Parabeln (vgl. Liä Dsï und Dschuang Dsï) – der dem Getreide beim Wachsen helfen will. Das Problem, über das zu reden dem Mong Dsï nicht besonders leicht gefallen zu sein scheint, ist das Verhältnis von Geist und psychischer Energie. Die Pflege dieser Kraft geschieht durch moralisches Leben und zwar nicht durch einzelne Handlungen, sondern einen gewohnheitsmäßigen, zum Charakter sich entwickelnden Habitus. Dieses gewohnheitsmäßige pflichtmäßige Handeln entspricht aber eben der inneren guten Anlage, ist dem Menschen naturgemäß. Es ist nicht, wie Gau Dsï das auffaßt, etwas Willkürliches.


12 Dieses Gespräch findet sich in dieser Form nicht in den Lun Yü. Doch vergleiche man Lun Yü VII, 2 und 33, wo vielleicht nur eine andere Version desselben Überlieferungsstoffes vorliegt. Solche Vergleiche sind übrigens sehr interessant, weil sie einen Blick eröffnen in den Zustand der konfuzianischen Schultradition vor der schriftlichen Fixierung.


13 Über die hier genannten Jünger Kungs vgl. Lun Yü XI, 2.


14 Be I und Schu Tsi, die beiden Prinzen von Gu Dschu aus dem Ende der Yindynastie, starben Hungers auf dem Schou-Yang-Berge 1122 v. Chr. I Yin, der Minister des Vollenders Tang, des Begründers der Yindynastie, und seines Enkels und Nachfolgers Tai Gia starb 1720 v. Chr.


15 Zu der Verehrung des Meisters Kung vgl. Lun Yü XIX, 23-25.


16 Siebzig ist die traditionelle Zahl der Jünger Kungs.


17 Vgl. Schï Ging III, I, 9 v. 6 bezieht sich dort auf die Könige Wen und Wu.


18 Vgl. Schï Ging I, XV, 2 v. 2, mit leichter Abweichung im Text. Dort von einem kleinen Vogel gesagt, der vorsorglich sein Nest instand setzt.


19 Vgl. Schï Ging III, I, 1 v. 6.


20 Schu Ging IV, V, II, 3. Tai Gia ist der Enkel und Nachfolger Tangs.


21 Die »Ritter« (Schï) sind die Beamtenklasse. Es sind Leute, die sich nie von Leier und Schwert trennen, die »Gentlemen« des alten China.


22 Nach Dschou Li XV, 11, wurde die Abgabe an den Pässen nur in schlechten Jahren erlassen.


23 Nämlich bei der Bestellung des für den Fürsten ausgesonderten öffentlichen Landes. Es handelt sich hier um die Fron, die die Bauern von acht benachbarten Feldern auf dem neunten, königlichen, zu leisten hatten.


24 Der Sinn ist dunkel. Es handelt sich wohl darum, daß die Kaufleute, welche Gebäudesteuern (tschen) bezahlten und nicht das Feld bebauen konnten, nicht auch noch zu den Strafsteuern für nachlässige Bauern herangezogen werden sollten.


25 Wörtlich: »Des Himmels Diener (tiän li).«


26 »duan« Anfang, hier soviel wie »die Möglichkeit«, das »potentielle« Vorhandensein.


27 Vgl. Lun Yü IV, 1. Mong Dsï hat eine andere Auffassung. Er faßt li (sonst = Platz, Wohnort) = gü verweilen. Der Sinn des Ganzen wäre demnach: »Bei einer Lebensstellung ist die Möglichkeit zur Betätigung der Liebe das Schönste. Wer die Wahl hat und nicht einen Beruf wählt, in dem er Liebe üben kann, wie kann der weise genannt werden?« Vgl. die folgende Erklärung.


28 Vgl. die Bemerkungen Kungs über das Bogenschießen in Lun Yü III, 7, 16.


29 Die grammatikalische Struktur ist ziemlich diffizil. Der Sinn ist unzweifelhaft der, daß der Konfuziusjünger Dsï Lu zwar dem Guten nachstrebte, aber dabei noch die eigene Person im Auge hatte, der Große Yü die der anderen, und daß für Schun sozusagen das Gute die Lebensluft war, in der er mit den anderen gemeinsam lebte. Er trat mit seiner Person zurück und förderte dadurch die Aktivität der anderen im Guten. Die Sage berichtet von seiner Anziehungskraft auf die Menschen, daß, wo er sich niederließ, sei es auf dem Li-Berge zum Pflügen, sei es am Gelben Fluß als Töpfer, sei es am Donnersee zum Fischen, in seiner Umgebung immer Städte entstanden.


30 Über Liu Hia Hui vgl. Lun Yü XV, 13; XVIII, 2, 8.

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 76.
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