9. Die Minister

[156] Der König Süan von Tsi fragte über die Pflichten der Hohen Räte30. Mong Dsï sprach: »Welche Art von Hohen Räten meint Ihr, o König?«

Der König sprach: »Sind die Räte nicht gleich?«

Mong Dsï sprach: »Nein, es gibt darunter solche aus fürstlichem Geblüt und solche aus andern Familien.

Der König sprach: »Nun, dann möchte ich über die aus fürstlichem Geblüt fragen.«

Mong Dsï sprach: »Wenn der Herrscher schwere Fehler hat, so machen sie ihm Vorstellungen. Wenn er auf wiederholte Vorstellungen nicht hört, so setzen sie einen anderen Herrscher ein.« Entsetzt wechselte der Fürst die Farbe.[156]

Mong Dsï sprach: »Wundert Euch des nicht, o König! Wenn Ihr mich fragt, wage ich Euch nicht anders als der Wahrheit gemäß zu antworten.«

Nachdem sich der König beruhigt hatte, fragte er über die Räte aus anderen Familien.

Mong Dsï sprach: »Wenn der Herrscher Fehler hat, so machen sie Vorstellungen; wenn er auf wiederholte Vorstellungen nicht hört, so verlassen sie das Land.«

Fußnoten

1 Vgl. II, A, 9.


2 Vgl. VII, B, 17.


3 Über die Gründe seines Wegganges aus Lu vgl. die Einleitung zu Lun Yü.


4 Die alte chinesische Musik bestand aus einem Zusammenspiel der acht Instrumente: 1. Metall = Glocke, 2. Stein = Klangstein, 3. Seide = Saiteninstrumente, 4. Bambus = Holzbläser, 5. Melone = Blasinstrument (eine Art Pansflöte mit gemeinsamem Luftraum), 6. Erde bzw. Ton = Okarina, 7. Leder = Pauke, 8. Holz = Schlaginstrument. Jedes dieser Instrumente hatte in der »Symphonie« (Da Tschong), die aus 3-9 »Sätzen« (Siau Tschong) bestand, eine durchgehende Stimme. Der Anfang wurde durch die kräftig klingende Glocke, der Schluß durch die hell und fein klingenden Klingsteine bezeichnet. Der Sinn des Gleichnisses ist, daß die anderen Heiligen je einer einzelnen Stimme einer Symphonie gleichen. Ihre Heiligkeit besteht eben darin, daß sie sie sachgemäß bis zu Ende durchführen. Kung aber ist ihnen überlegen an Weisheit, die ihn nicht auf eine einseitige Durchführung einer Einzelstimme beschränkt, sondern durch die er alle Stimmen zur Verfügung hat, die jeweils nötig sind. Darum wird von Glocke als Anfang und Klingstein als Ende noch besonders gesprochen. Der Sinn des Gleichnisses ist Kungs Allseitigkeit im Gegensatz zur Einseitigkeit der anderen Heiligen.


5 Ein zweites Gleichnis ergänzt das erste. Beim Bogenschießen kommt es ebensowohl auf Kraft – damit der Pfeil ankommt (dies die Heiligkeit) – als auch auf Geschicklichkeit – damit der Pfeil trifft (dies die Weisheit) – an. Wodurch Kung sich von den anderen Heiligen auszeichnet, ist seine Weisheit.


6 Be-Gung I war ein Mann aus dem Staate We. Die folgenden Ausführungen des Mong Dsï sind historisch interessant, weil aus ihnen hervorgeht, daß keineswegs Tsin Schï Huang Ti, dem gewöhnlich die ganze Schuld an dem verwahrlosten Zustand der chinesischen Literatur zugeschrieben wird, der einzige war, der mit alten Urkunden aufräumte. Er hat Vorgänger – übrigens auch Nachfolger – gehabt. Außerdem vermitteln die Angaben Mong Dsïs Einsichten über das altchinesische Lehenssystem: Die Stellung des Königs ist – trotz des Titels Himmelssohn – weit entfernt von dem späteren Absolutismus. Er ist eine Rangstufe neben den anderen. Die chinesischen Ausdrücke für die anderen sind:

Gung, gewöhnlich übersetzt mit Herzog. Dieser Titel war ursprünglich auf die Nachkommen früherer Dynastien beschränkt, schon sehr früh aber von den »Hou« usurpiert.

Hou, gewöhnlich übersetzt mit Fürst, entspricht am besten dem deutschen »Markgrafen«.

Bo, gewöhnlich übersetzt mit Graf.

Dsï, gewöhnlich übersetzt mit Freiherr.

Nan, oben übersetzt mit »Herr«, eigentlich = Mann.

Die Ämter in den Staaten sind:

King = Hohe Räte,

Da Fu = Minister (auch Dai Fu gesprochen),

Schï = Ritter.

Während alle übrigen Glieder des hohen und niederen Adels mit Land belehnt waren, hatten die Ritter dritter Klasse ebenso wie die beamteten Bürgerlichen nur Naturaleinkommen (Geld war damals noch nicht üblich). Die ganze Einrichtung beruht auf einer Art von Staatskommunismus an Produktionsmitteln (Grund und Dünger, wobei übrigens eine andere Lesart Erwähnung verdient, nach der es sich nicht um Dünger, sondern um die Qualität des Bodens gehandelt hat). Zur Zeit des Mong Dsï und schon vorher trat an die Stelle des Gesamteigentums allmählich das Privateigentum. Deshalb gewinnt die Frage des Lebensunterhalts für ihn eine ganz andere Bedeutung als noch für Kung, zu dessen Zeit die öffentliche Versorgung der Schï (Ritter zugl. Gelehrten) noch zu den Selbstverständlichkeiten gehörte.


7 Mong Hiän Dsï war ein würdiger Minister aus dem Staate Lu, ein Angehöriger der bekannten Adelsfamilie Mong.


8 Bi ist ein kleiner Stadtstaat in der Nähe von Lu (vgl. Lun Yü VI, 7). Dsï Sï ist der Enkel von Kung, Yän Bau soll der Sohn von Yän Hui, dem Lieblingsjünger Kungs, gewesen sein.


9 Fürst Ping von Dsin 556-531 v. Chr. Die Geschichte wird auch von Fürst Wen von Dsin erzählt. Hai Tang war ein Weiser aus Dsin.


10 Über die »von Gott verliehene Stellung« sagt Fan: »Gottverliehen heißt Stellung, Amt, Einkommen, weil Gott darauf wartet, daß Würdige Gottes Volk regieren; nicht darf ein Fürst es als sein absolutes Recht betrachten.«


11 Der Herr ist natürlich Yau.


12 Vgl. Schu Ging V, IX, 15, wo der Text jedoch beträchtlich abweicht.


13 Eine Anspielung auf Mong Dsï selbst, der gelegentlich Geschenke von Fürsten angenommen hatte.


14 Die Bedeutung dieser Stelle ist zweifelhaft. Vermutlich ist der Sinn der: In Lu war es Sitte, daß man sich um die Beute der fürstlichen Jagden, die vom Fürsten an seine Hofleute übergeben war, stritt, um möglichst seltene Tiere für die Ahnenopfer zu bekommen. Kung, der das Recht dazu gehabt hätte, ging gegen diese Unsitte nicht direkt vor, sondern suchte sie dadurch zu beseitigen, daß er im Anschluß an das Altertum genaue Anordnungen über Opfergefäße und zu opfernde Tiere aufstellte. Wenn von diesen Listen die seltenen Jagdtiere verpönt waren, mußte die unwürdige Sitte von selbst in Verfall geraten.


15 Im China der Dschouzeit war ursprünglich für jeden Stand staatlicherseits gesorgt. Wie der Bauer sein Land überwiesen erhielt, so war auch für jeden Beamten gesorgt. Sogenannte freie literarische Berufe gab es nicht. Die Laufbahn der Beamten war insofern von Anfang an geregelt, als sie auch während der Zeit ihrer Vorbildung in den Schulen staatliche Fürsorge genossen. Und die Schulen waren alle staatlich. Die erste Privatschule wurde von Kung Dsï eingerichtet. Noch zu Kung Dsïs Zeit bestand diese Fürsorge. Das hier von Mong Dsï berührte Problem bestand für ihn noch nicht. Er konnte daher – weil der Gelehrte seines Lebensunterhaltes wenigstens in beschränktem Umfange ja sicher war – die Absicht des Gelderwerbes beim Lernen ohne weiteres verurteilen (Lun Yü II, 18). Zur Zeit des Mong Dsï waren die Verhältnisse unsicherer geworden, so daß sich unter Umständen ein Gelehrter genötigt sehen konnte, ein Amt anzutreten, um einen Lebensunterhalt zu gewinnen.


16 Torwart, eine kleine Beamtenstelle an wichtigen Toren bzw. Pässen. Vgl. den Wächter des Hangupasses (Guan) Yin Hi, auf dessen Veranlassung Laotse den Taoteking geschrieben haben soll. Wächter bzw. Nachtwächter waren ähnliche Stellungen. Der Betreffende hatte nicht selbst den Dienst zu tun, sondern nur die Aufsicht zu führen.


17 Die beiden genannten Stellungen des Kung fallen in seine Jugendzeit, solange seine Mutter noch lebte. Der Aufseher der Scheunen hatte die Listen über das eingelieferte Getreide zu führen. Der Aufseher über die Herden hatte für die zu den Staatsopfern gebrauchten Opfertiere zu sorgen.


18 Die Fürsten waren moralisch verpflichtet, den Standesgenossen beizustehen, die durch Aufstände usw. außer Landes fliehen mußten.


19 Fürst Mu von Lu regierte von 409-377.


20 Bei fürstlichen Geschenken mußten stets die vorgeschriebenen Ehrenbezeugungen vollzogen werden, nämlich: niederknien, zweimaliges Neigen des Hauptes auf die gefalteten Hände (bai), zweimaliges Berühren der Erde mit der Stirn (gi schou).


21 Die von Mong Dsï vorgeschriebene Art rücksichtsvoller Beschenkung soll die Belästigung der Beschenkten durch die Empfangszeremonien vermeiden, indem die Gaben nicht vom Fürsten persönlich kommen, sondern von den zuständigen Stellen direkt, wodurch die Dankeszeremonien in Wegfall kommen.


22 Vgl. V, A, 1.


23 Untertan, tschen, ist dasselbe Wort wie Beamter. Theoretisch waren im alten China alle Staatsangehörige Diener, »Beamte« des Herrschers, da alles Land ihm gehört und dem einzelnen zur Bewirtschaftung zugewiesen wird, weshalb die im öffentlichen Interesse auszuführenden Arbeiten, wie Wegebauten usw., durch allgemeine Fronarbeit zu leisten waren. Der Unterschied zwischen Privatmann (schu jen) und Beamten im eigentlichen Sinne (tschen) bestand eben darin, daß die Beamten durch ein – durch bestimmte Regeln vorgeschriebenes – Einführungsgeschenk, das sie vor dem Amtsantritt zu machen hatten, in ein direktes Verhältnis zum Fürsten treten. Ohne ein derartiges Verhältnis bestand für den einzelnen keine Veranlassung zum Verkehr mit dem Fürsten. Nicht »wagen«, zum Fürsten zu gehen, ist nicht persönliche Schüchternheit, sondern striktes Innehalten der Schranken.


24 Die Geschichte steht auch III, B, 1. Hier sind die verschiedenen Abzeichen aufgezählt, durch deren Überreichung der Befehl des Fürsten beglaubigt werden mußte. Die verschiedenen Flaggen unterscheiden sich dadurch voneinander, daß die einfarbige Flagge, Dschau, aus ungemusterter Seide bestand, das Drachenbanner, Ki, hatte Drachenornamente (dieses Banner ist von der unter der Mandschudynastie als Reichsfahne eingeführten Drachenfahne wohl zu unterscheiden. Es war nur eine Art Signal); die Federflagge, Dsing, hatte außerdem oben noch Federquasten.


25 Schï Ging II, V, Ode 9, v. 1.


26 Vgl. Lun Yü X, 13.


27 Die zugrunde liegende Vorstellung ist, daß der geistige Wert eines Menschen auf Gleichgesinnte eine gewisse Anziehungskraft ausübt, die sich je nach der Stärke des Wesens über größere oder kleinere Gebiete erstreckt. Freundschaft ist für den Menschen notwendig zur Erweiterung und Erhöhung seines Wesens.


28 Im chinesischen Altertum gab es zweierlei Lehen bzw. Afterlehen – die hier als »Hohe Räte« bezeichneten Leute standen zum Landesfürsten in einer Art von Lehensverhältnis (vgl. Abschnitt 2) – nämlich Lehen auf Grund von verwandtschaftlichen Beziehungen zum Herrscherhaus und außerdem Lehen und Afterlehen, die an verdienstvolle Beamte und deren Familien verliehen wurden. Daß die Verwandten des Herrschers bei unverbesserlichem Lebenswandel die Pflicht haben, den Herrscher um der Erhaltung der Dynastie willen abzusetzen, entspricht durchaus den altchinesischen Vorstellungen. Die Ahnen gingen dem einzelnen vor, und da mit dem Sturz der Dynastie auch die Ahnenaltäre stürzten, hatten die Familienmitglieder die Pflicht, dem jeweiligen Inhaber der Krone gegenüber das Recht des Hauses zu vertreten.


29 Gau Dsï ist einer der zeitgenössischen Sophisten, mit denen Mong Dsï gelegentliche Zusammenstöße hatte. Er ist erwähnt II, A, 2, wo von ihm gesagt ist, daß er die Seelenruhe erlangt habe dadurch, daß er, was er nicht in Worte fassen konnte, auch nicht im Gemüt erstrebte, daß, was er nicht im Gemüt zu erfassen vermochte, er auch nicht unter Aufwand von psychischer Kraft erstrebte. Der zweite Grundsatz wird von Mong Dsï gebilligt, der erste verurteilt. Hier haben wir ein Beispiel, wie Gau Dsï mit Hilfe des ersten Grundsatzes seine Seelenruhe wahrt. In den sechs Abschnitten, in denen er direkt oder indirekt mit Mong Dsï disputiert, hält er keine konsequente eigene Theorie über die menschliche Natur fest. Vielmehr ist es ihm nur darum zu tun, Mong Dsï in Verlegenheit zu bringen. So oft einer seiner Angriffe abgewiesen ist, läßt er den Gedanken fallen und wendet sich einem anderen zu, entsprechend dem Grundsatz: »Was sich nicht mit Worten durchbehaupten läßt, soll man auch nicht innerlich festzuhalten streben.« Ganz entsprechend der Art dieses Gegners gibt sich Mong Dsï gar nicht die Mühe, ihm gegenüber seine eigene Lehre von der menschlichen Natur zu entwickeln.


30 Der Abschnitt ist ein Nachspiel der Disputationen zwischen Mong Dsï und Gau Dsï. Gung-Du Dsï ist der unter No. 4 genannte Jünger, Mong Gi Dsï der als No. 20 genannte Schüler, der Bruder von No. 16, aus der weiteren Umgebung des Mong Dsï.

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 156-157.
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