37. Die Jünger der Wahrheit und die Weltmenschen

[206] Wan Dschang fragte den Mong Dsï und sprach: »Als Meister Kung in Tschen war, sagte er: ›Warum gehe ich denn nicht heim? Meine jungen Freunde zu Hause sind enthusiastisch und großartig,[206] sie machen Fortschritte und sind aufnahmefähig und vergessen nicht, was sie früher gelernt.‹ Als Meister Kung in Tschen war, warum gedachte er da der enthusiastischen Jünglinge von Lu?«

Mong Dsï sprach: »Da Meister Kung keine Leute fand, die in der Mitte wandelten, um mit ihnen zu sein, so wollte er wenigstens Leute von Enthusiasmus und Entschiedenheit. Die Enthusiasten machen Fortschritte und sind aufnahmefähig. Die Entschiedenen haben Grenzen, die sie nicht überschreiten. Es war keineswegs so, daß Meister Kung Leute, die in der Mitte wandelten, nicht wünschte! Aber er konnte keine finden, darum gedachte er derer auf der nächsten Stufe.«

Der Schüler sprach: »Darf ich fragen: Wie waren die, die man als Enthusiasten bezeichnen kann?«

Mong Dsï sprach: »Es sind die Leute wie Kiu Dschang, Dsong Si und Mu Pi, die Meister Kung als Enthusiasten bezeichnete.«

Wan Dschang fragte: »Weshalb bezeichnete er sie als Enthusiasten?«

Mong Dsï sprach: »Sie hatten großartige Ziele. Sie sagten: ›Die Alten, die Alten!‹ Aber wenn man ihren Wandel daraufhin abwog, so entsprach er ihren hohen Reden nicht. Und wenn er selbst keine Enthusiasten finden konnte, so wünschte er Leute zu finden, die Unreines unter ihrer Würde hielten, um mit ihnen zusammen zu sein. Das sind die Entschiedenen, sie stehen noch eine Stufe tiefer.

Meister Kung sprach: ›Von allen, die an meiner Tür vorbeigehen, ohne in mein Haus zu kommen, sind es nur die Gerechten im Lande, die ich nicht vermisse. Die Gerechten im Lande sind Räuber der Tugend‹.«

Wan Dschang fragte darüber: »Was sind das für Leute, die man die Gerechten im Lande nennt?«

Mong Dsï sprach: »Sie reden über die Enthusiasten: ›Warum so hoch hinaus? Ihre Worte stimmen nicht zu ihrem Wandel, und ihr Wandel stimmt nicht zu ihren Worten. Immer sagen sie: »Die Alten, die Alten!«‹ – Und über die Entschiedenen reden sie: ›Warum sind sie solche Sonderlinge und so kühl und zurückhaltend? Wer in dieser Welt lebt, muß auch mit dieser Welt mitmachen. Wenn man nur anständig ist.‹ So schmeicheln sie wie Eunuchen um die Welt herum, diese Gerechten im Lande!«

Wan Dschang sprach: »Die ganze Gegend nennt sie gerechte und anständige Leute; wohin sie gehen, immer sind sie die gerechten[207] und anständigen Leute. Und dennoch hielt sie Meister Kung für die Räuber der Tugend. Weshalb?«

Mong Dsï sprach: »Will man sie verurteilen, so weiß man nicht wo einsetzen; will man sie verspotten, so ist nichts Komisches an ihnen. Sie schwimmen im breiten Strom der Mode und stimmen überein mit der schmutzigen Welt, und doch heucheln sie in ihrem Dasein Gewissenhaftigkeit und Treue und in ihren Handlungen Unbestechlichkeit und Reinheit. Die Masse ist mit ihnen zufrieden. Sie selbst halten sich für recht, und doch kann man nicht gemeinsam mit ihnen auf den Wegen Yaus und Schuns wandeln. Darum heißen sie Räuber der Tugend.

Meister Kung sprach: ›Ich hasse den falschen Schein, der der Wahrheit gleicht; ich hasse den Lolch, weil er mit Korn verwechselt werden könnte; ich hasse die Redegewandten, weil sie mit Pflichttreuen verwechselt werden könnten; ich hasse die falschen Zungen, weil sie mit Wahrhaftigen verwechselt werden könnten; ich hasse die Klänge von Dschong, weil sie mit Musik verwechselt werden könnten; ich hasse die violette Farbe, weil sie mit Scharlach verwechselt werden könnte; ich hasse die Gerechten im Lande, weil sie mit Tugendhaften verwechselt werden könnten.‹ Der Edle kehrt einfach zurück zum geraden Weg. Ist der gerade Weg in Ordnung, so erheben sich die Massen zum Guten. Erheben sich die Massen zum Guten, so muß Falschheit und eitler Schein verschwinden.«18

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 206-208.
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