Vorwort des Uebersetzers.

[13] In der dritten Auflage seiner organischen Chemie, in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie, sagt Prof. Liebig: »... in einem neu hinzugekommenen Abschnitte hat er (Liebig) den Versuch gemacht, das gegenseitige Verhältniss der Chemie und Physik zur Physiologie und Pathologie näher zu erörtern. Derselbe kann hierbei nicht verschweigen, wie gross der Nutzen gewesen ist, den ihm für diesen Zweck das Studium von John Stuart Mill's A System of Logic, ratiocinative and inductive, being a connected view of the principles of evidence and the methods of scientific investigation, London, John Parker 1843, gewährt hat, ja, er glaubt, dass ihm kein anderes Verdienst hierbei zukommt, als dass er einzelne von diesem eminenten Philosophen aufgestellte Grundsätze der Naturforschung weiter ausgeführt und auf einige specielle Vorgänge angewandt hat.«

Die Uebertragung des Haupttheiles dieses ausserordentlichen Werkes bildet den Inhalt des vorliegenden Bandes.

Um die Uebertragung auf den möglichst kleinen Umfang zu reduciren und dadurch ihre Anschaffung zu erleichtern, ist die erste und letzte Abtheilung des Originalwerks[13] nicht mit in die Uebersetzung aufgenommen worden. Die erstere, welche der propädeutische Theil zu dem vorliegenden ist, und für sich allein einen Band von mittlerer Stärke füllen würde, enthält die Lehre von den Namen, Definitionen, Urtheilen, Schlüssen u.s.w. und kann nöthigenfalls durch irgend ein deutsches Lehrbuch der Logik ersetzt werden. Die letzte Abtheilung enthält die Anwendung der in dem vorliegenden Werke wiedergegebenen Principien auf die socialen und moralischen Wissenschaften. Die Uebertragung derselben lag für jetzt ausserhalb der Absicht des Uebersetzers. Den übertragenen Theil hält Herr Mill selbst für den Kern seines Werkes, und er hat das Verfahren des Uebersetzers, der sich zuvor brieflich an ihn gewandt hat, gebilligt. Aus der ersten Abtheilung ist indessen dasjenige herausgehoben und zu einer Einleitung zusammengestellt worden, was zu einem leichteren Verständniss des Werkes unentbehrlich oder von Nutzen schien; man wird demnach nichts streng Systematisches in dieser Einleitung suchen dürfen.

Möge die Uebersetzung des Mill'schen Werkes in Deutschland denselben Beifall und eine gleiche Anerkennung finden, wie das Originalwerk in England; möge es in ähnlicher Weise das Studium der Naturwissenschaften fördern helfen.

In der vorliegenden vollständigen Bearbeitung des Systems der Logik hätten manche Stellen und namentlich manche Noten des Originalwerks hinweggelassen werden können, ohne dass dadurch für den deutschen Leser eine merkliche Lücke in dem wesentlichen Inhalt des Werks entstanden wäre; es bieten dieselben indessen so manches Interessante, dass mir ihre Beibehaltung wünschenswerth schien. Nicht nur hat Hr. Mill in diesen Stellen manche[14] Punkte deutlicher zu machen gesucht, sondern es lässt sich auch aus ihnen ersehen, welche Erörterungen sein Werk seit dem Erscheinen der ersten Auflage desselben (nach der die erste deutsche Ausgabe bearbeitet ist) in England selbst hervorgerufen, wer sich an diesen Erörterungen betheiligt hat, u.s.w. Eigene Noten habe ich nur da beigefügt, wo es zur Vermeidung von Missverständniss durchaus geboten schien.

Das Interesse, welches die Naturwissenschaften gegenwärtig in allen Kreisen erregen, ist unverkennbar und sehr erfreulich; überall zeigt sich ein reges Streben, sich mit den Resultaten der Naturforschung bekannt zu machen; aber den Methoden, wodurch man zu diesen Resultaten gelangt ist, hat sich bis jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit nicht in gleichem Grade zugewendet. Wenn ich mir nun erlaube, aus dem letzten Buche des Systems, welches von der Anwendung der Methoden der Naturforschung auf die socialen Wissenschaften handelt, eine Stelle hier anzuführen, so geschieht es nicht sowohl um den Leser gleich von vorn herein mit den Ansichten von Hrn. Mill über diesen Punkt bekannt zu machen, sondern um, gestützt auf die Autorität des eminenten Philosophen, die Aufmerksamkeit der Nichtnaturforscher auf die Bedeutung der Methoden der Naturforschung im allgemeinen in einer eindringlicheren Weise zu lenken, als ich es für mich allein vermöchte. – Herr Mill sagt:

»Wenn sich die Ansprüche auf eine massgebende Entscheidung über politische Lehren auf Personen beschränkte, welche einen der höheren Zweigen der physikalischen Wissenschaften gebührend studirt haben, so würde eine so weitläufige Erörterung nicht nöthig gewesen sein. Da aber der grösste Theil von denjenigen, welche zur grossen Zufriedenheit ihrer selbst und eines mehr oder wenigen zahlreichen Kreises von Bewunderen über Gegenstände der Politik urtheilen, von den Methoden der physikalischen Forschung[15] nichts kennen, was über einige wenige Vorschriften hinausginge die sie Bacon fortwährend papageienartig nachsprechen, während sie gar nicht merken, dass Bacon's Auffassung der wissenschaftlichen Forschung ihr Werk gethan hat, und dass die Wissenschaft in ein höheres Stadium vorgerückt ist: so werden Bemerkungen, wie die vorhergehenden, wahrscheinlich Vielen von Nutzen sein.«

Bei der nöthig gewordenen dritten Auflage des Systems der Logik hat sich der Uebersetzer mit verdoppeltem Fleisse bemüht, die etwa noch vorhandenen Fehler der vorhergehenden Auflage auszuspüren und zu verbessern, so dass, wie er glaubt, die gegenwärtige Gestaltung des Werkes in Beziehung auf Correctheit und Treue kaum zu wünschen lassen dürfte. An dem Text selbst ist nichts geändert worden; nur dass einige eigene Noten des Uebersetzers etwas erweitert, und einige wenigehinzugefügt worden sind.[16]


Fußnoten

1 In den letzten Ausgaben von Whately's Logik giebt derselbe als seine Meinung, nicht dass nicht »Regeln« für die Feststellung von Wahrheiten durch inductive Forschung aufzustellen seien, oder dass sie nicht von »emminentem Nutzen« sein könnten, sondern »dass sie immer vergleichungsweise unbestimmt und allgemein sein müssen, und dass eine demonstrative Theorie wie die des Syllogismus nicht aus ihnen herzustellen ist« (Buch IV, Cap. IV). Und er bemerkt, dass hierfür ein System zu ersinnen, welches »in eine wissenschaftliche Form gebracht werden kann«, ein Unternehmen ist, in das sich nur der einlassen kann, »welcher mehr sanguinisch als wissenschaftlich ist« (Bd. IV, Cap. II ). Da dies indessen ganz der Zweck des von der Induction handelnden Theiles dieses Werkes ist, so liegt in der Darstellung der zwischen Erzbischoff Whately und mir bestehenden Meinungsverschiedenheit, wie sie in dem Text gegeben ist, keine Uebertreibung.


Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868.
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