Achter Abschnitt.
Tun und Täter.

[53] Frage: Offenbar ist das Tun, der Täter (kāraka), die Handlung (eig. »das angewendete Tun«, kriyā). Da die drei Sachen zusammen sind, ist Lohn (eig. »Fruchtvergeltung«). Deshalb muß Täter und Tat (karman) sein.

Antwort: In den früheren Abschnitten sind alle dharmas ausnahmslos widerlegt, (und es sind) keine übrig. Wie (z.B.) die drei Eigenschaften (lakṣaṇa) widerlegt sind. Da die drei lakṣaṇas nicht sind, ist Gewirktes (saṃskṛta) nicht. Da saṃskṛta nicht ist, ist Nicht-Gewirktes (asaṃskṛta) nicht. Da saṃskṛta und asaṃskṛta nicht sind, sind alle dharmas völlig ohne Tun und Täter. Wenn diese gewirkt (saṃskṛta) sind, so sind sie im saṃskṛta widerlegt; wenn sie nicht-gewirkt (asaṃskṛta) sind, so sind sie im asaṃskṛta widerlegt: nicht sollte man nochmals fragen. Weil euer Geist tief haftend ist, fragt ihr dennoch nochmals. Jetzt wird er (sc. der Verfasser) ferner lehren.1

Ein wahrhaftig seiender Täter tut nicht eine wahrhaftige Tat; ein wahrhaftig nichtseiender Täter tut nicht wahrhaftig nichtseiende Tat. (VIII. 1.)

Wenn vorher schon wahrhaftig der Täter und das Bewirken der Tat ist, dann wäre nicht Bewirken. Wenn vorher nicht wahrhaftig der Täter ist und nicht wahrhaftiges Bewirken der Tat ist, (dann) auch wäre nicht Bewirken. Weshalb?

Eine wahrhaftig seiende Tat (wird) nicht getan. Diese Tat (wäre) ohne Täter. (Da) ein wahrhaftig seiender Täter ohne Tun ist, so ist auch der Täter ohne Tat. (VIII. 2.)

Wenn vorher das Bewirken der Tat wahrhaftig ist, so würde nicht nochmals ein Täter sein. Auch ohne Täter würde das Bewirken der Tat sein. Nur ist diese Sache nicht richtig.[54] Wenn vorher der Täter wahrhaftig ist, würde nicht nochmals ein Bewirken der Tat sein. Sondern ohne Bewirken der Tat würde der Täter sein. Nur ist diese Sache nicht richtig. Deshalb wäre ein wahrhaftiger Täter (und) ein wahrhaftiges Bewirken der Tat nicht mit Bewirken (der Tat).2 Ein nicht wahrhaftig seiender Täter (und) ein nicht wahrhaftig seiendes Bewirken der Tat auch wäre nicht mit Tun. Weshalb? Des von Natur aus Nichtseins wegen. Ein seiender Täter, ein seiendes Bewirken der Tat: nicht kann (er) (es) tun, um so mehr ein nichtseiender Täter ein nichtseiendes Bewirken der Tat. Ferner:

Wenn wahrhaftig der Täter ist, auch das Bewirken der Tat wahrhaftig ist, (und) der Täter das Bewirken der Tat erreicht, dann trifft Grundlosigkeit zu. (VIII. 3.)

Wenn vorher der Täter wahrhaftig ist, das Bewirken der Tat wahrhaftig ist, (und) ihr sagt: »Der Täter ist mit Tun«, dann ist (es) grundlos. Ohne Bewirken der Tat ist der Täter, ohne Täter ist das Bewirken der Tat: dann ist nicht durch Ursachen und Bedingungen das Sein.

Einwand: Wenn nicht durch Ursachen und Bedingungen der Täter (und) das Bewirken der Tat ist, welcher Fehler ist dann?

Antwort:

Wenn Grundlosigkeit zutrifft, dann ist nicht Grund, nicht Folge, nicht Tun, nicht Täter, nicht die Handlung (eig. »das angewendete Tun«). (VIII. 4.)

Wenn nicht die dharmas des Tuns usw. sind, dann ist nicht Böses- und Gutes-Tun: da Böses- und Gutes-Tun usw. nicht sind, ist auch nicht der bösen und guten Taten Belohnung. (VIII. 5.)

Wenn nicht der bösen und guten Taten Vergeltung ist, so ist auch nicht das [große]3 nirvāṇa, alles, was zu tun ist, ist ausnahmslos leer, nicht hat es Frucht. (VIII. 6.)

Wenn Grundlosigkeit zutrifft, dann sind alle dharmas ohne Grund (und) ohne Folge (eig. »Frucht«), dharmas hervorbringen können heißt »Grund«; der hervorgebrachte dharma heißt »Frucht«. Diese zwei sind dann nicht. Da diese zwei nicht[55] sind, ist nicht Tun, ist nicht Täter; auch nicht die angewandte Handlung; auch ist nicht Böses- und Gutes-Tun; da Böses-und Gutes-Tun nicht sind, ist auch nicht des bösen und guten Tuns Vergeltung und der Weg zum [großen]4 nirvāṇa. Deshalb wird nicht Entstehen durch Grundlosigkeit erreicht.

Frage: Wenn der Täter nicht wahrhaftig ist, aber nichtwahrhaftige Tat tut, welcher Fehler ist dann?

Antwort: Ein nicht-seiendes Ding kann schon kein Bewirken der Tat hervorbringen. Um so mehr zwei (solche) Dinge (können es) ganz und gar nicht. Zum Beispiel wie ein Gespenst (eig. »Zaubermensch«) vermittelst des Raumes wohnt, (und) nur Sprache und Wort ist, aber nicht ist Täter und [nicht]5 Bewirken der Tat.

Frage: Wenn nicht der Täter ist (und) nicht Bewirken der Tat ist, kann das Getane nicht sein. (Wenn) jetzt der Täter ist, (und) Bewirken der Tat ist, dann wäre Tun.

Antwort:

Ein wahrhaftig (und) nicht-wahrhaftig seiender Täter kann nicht die zwei Taten (d.h. seiend-und- nichtseiende) tun, da Sein und Nichtsein ein Widerspruch ist; an einem Orte sind eben nicht zwei. (VIII. 7.)

Ein Täter, wahrhaftig (und zugleich) nicht wahrhaftig (seiend), kann nicht wahrhaftig (und zugleich) nicht-wahrhaftig (seiende) Tat tun. Weshalb? »Da Sein und Nichtsein ein Widerspruch ist. An einem Ort können nicht zwei sein.« Sein ist wahrhaftig-bestimmt, Nichtsein ist nicht-wahrhaftig-bestimmt. Ein Mensch (sc. Täter) (und) eine Sache (sc. Tat): wie hätten sie (zugleich) Sein (und) Nichtsein? Ferner:

Das Sein kann nicht Nichtsein bewirken, das Nichtsein kann nicht Sein bewirken. Wenn Tun (und) Täter ist, (sind) alle Fehler, wie früher gelehrt. (VIII. 8.)

Wenn der Täter ist, aber die Tat nicht ist, wie kann das Getane sein? Wenn der Täter nicht ist, aber die Tat ist, (dann) auch kann das Getane nicht sein. Weshalb? Wie früher gelehrt: Wenn im Sein vorher die Tat ist, was wird vom Täter ferner noch getan? Wenn die Tat nicht ist, wie ist das Tun[56] erreichbar? So also widerlegt er die Ursachen und Bedingungen (betu-pratyaya) und die Vergeltung des Bösen und Guten usw. Deshalb (wird) im śloka gelehrt: »Das Sein kann nicht Nichtsein bewirken, das Nichtsein kann nicht Sein bewirken.« Wenn Tun und Täter ist, sind alle Fehler, wie früher gelehrt. Ferner:

Ein Täter tut nicht eine wahrhaftige (Tat), tut auch nicht eine nicht-wahrhaftige (Tat), auch nicht eine wahrhaftig-(und-)nicht-wahrhaftige Tat: alle Fehler sind (wie)6 früher gelehrt. (VIII. 9.)

Wahrhaftig seiende Tat ist widerlegt, nicht-wahrhaftig seiende Tat auch ist widerlegt, wahrhaftig-(und-)nicht-wahrhaftig-seiende Tat auch ist widerlegt. Da er jetzt alles gleichzeitig widerlegen will, lehrt er diesen śloka. Deshalb kann der Täter nicht die dreifache Tat tun. Nun kann auch der dreifache Täter nicht die Tat tun. Weshalb?

Ein Täter, wahrhaftig seiend, nicht-wahrhaftig seiend, sowohl wahrhaftig als nicht-wahrhaftig seiend, kann nicht die Tat tun: alle Fehler sind (wie)7 früher gelehrt. (VIII. 10.)

Ein wahrhaftig seiender (oder) nicht-wahrhaftig seiender (oder) sowohl wahrhaftig als nicht-wahrhaftig seiender Täter kann die Tat nicht tun. Weshalb? Im Verhältnis zu dem früher (gelehrten) dreifachen Fehler wäre hier (ausführlich)8 zu lehren. So überall gesucht, (ist) der Täter und das Bewirken der Tat ausnahmslos nicht erreichbar.

Frage: Wenn man sagt: »Nicht ist Tun, nicht ist der Täter«, dann trifft ferner zu: »Es ist nicht Ursache.«

Antwort: Diese Tat entsteht durch die Bedingungen (pratyaya). »Scheinhaft« heißt: »Sein ohne wahrhaftiges Sein.« (Es ist nicht)9 wie das, was von euch gelehrt wird. Weshalb?

Durch Tat ist Täter, durch Täter ist Tat. Auf diese Weise wird die Bedeutung der Tat erreicht, nicht ist eine weitere Bedeutung (d.i. Möglichkeit). (VIII. 12.)10

Tat ist vorher nicht wahrhaftig; durch einen Menschen11[57] entsteht die Tat. Durch die Tat12 ist der Täter. Der Täter auch ist nicht wahrhaftig (seiend); abhängig (vom) Sein (des) Bewirkens der Tat heißt es »Täter«. Da die zwei Sachen zusammen sind, ist es möglich, Tun und Täter zu erreichen. Wenn durch Zusammensein Entstehen (ist), dann ist nicht An-sich-Sein (svabhāva); da nicht An-sich-Sein, leer; leer eben (bedeutet): nicht entstanden; nur nach der Vorstellung und Unterscheidung gewöhnlicher Leute lehrt man: »Es ist Bewirken der Tat, es ist der Täter.« Im höchsten Sinne ist nicht Bewirken der Tat, ist nicht der Täter. Ferner:

Wie Tun (und) Täter widerlegt sind, so auch Annehmen (upādāna) (und) Annehmer (upādātr); und alle dharmas auch wären so widerlegt. (VIII. 13.)

Da man Tun und Täter nicht voneinander trennen kann, sind sie, weil nicht voneinander getrennt, nicht wahrhaftig; da sie nicht wahrhaftig sind, sind sie nicht an-sich-seiend (svabhāva). Annehmen (upādāna) und Annehmer (upādātṛ) (sind) auch so. upādāna heißt die Verbindung der fünf skandhas (pañca-skandha-kāya); upādātṛ (heißt) der Mensch. So sind ohne Menschen nicht die fünf skandhas, ohne die fünf skandhas ist nicht der Mensch. Nur durch die Bedingungen (pratyaya) entsteht er. Wie upādāna (und) upādātṛ wären auch alle übrigen dharmas so widerlegt.

1

TE.: »beantworten«.

2

Nach TE. zu tilgen.

3

Nach TE. zu tilgen.

4

Fehlt TE.

5

Fehlt TE.

6

Zusatz der TE.

7

Zusatz der TE.

8

Zusatz der TE.

9

Zusatz der TE.

10

VIII. 11 fehlt der vorliegenden Version.

11

KE.: »nicht durch einen Menschen«.

12

KE.: »In der Tat«.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 53-58.
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