Dreizehnter Abschnitt.
Die Gestaltungen.

[79] Frage:

Wie im Buddha-sūtra gelehrt wird: falsch, täuschend, Irrtum annehmend sind die Gestaltungen (saṃskāra); weil Irrtum annehmend, heißen sie falsch (und) täuschend. (XIII. 1.)

In Buddhas sūtra wird gelehrt: »Was falsch ist, ist Irrtum annehmend. Was im höchsten Sinne nirvāṇa genannt wird, ist nicht Irrtum annehmend.« Durch diese sūtra-Lehre wird man erkennen: es sind die saṃskāras falsch und Irrtum annehmend.

Antwort:

Das Falsche ist Irrtum annehmend: was ist in diesem annehmbar? Buddha, solche Sachen lehrend, wünscht des Leeren Bedeutung zu zeigen. (XIII. 2.)

Wenn die dharmas Irrtum annehmend sind, dann sind sie illusorisch (mṛṣā); was ist (dann) in diesen saṃskāras annehmbar? Wie Buddha lehrt, wird (d.i. soll) man des Leeren Bedeutung erkennen.

Frage: Wie erkennt man, (daß) alle saṃskāras ausnahmslos leer (sind)?

Antwort: Alle saṃskāras sind, weil Irrtum annehmend, leer. Da die saṃskāras entstehen, vergehen, nicht verharren, nicht selbst wesenhaft sind, sind sie leer. Die saṃskāras heißen die fünf skandhas. Weil die saṃskāras entstehen, sind diese fünf skandhas ausnahmslos illusorisch1, nicht sind sie wahrhaftig. Weshalb? Wie zur Zeit eines neugeborenen Kindes die Erscheinung (rūpa) nicht die Erscheinung eines krabbelnden Kindes ist, zur Zeit des krabbelnden Kindes die Erscheinung (rūpa) nicht[80] die Erscheinung eines gehenden Kindes ist; zur Zeit des gehenden Kindes die Erscheinung nicht die Erscheinung eines Knaben ist; zur Zeit des Knaben die Erscheinung nicht die Erscheinung des Erwachsenen ist; zur Zeit des Mannes die Erscheinung nicht die Erscheinung des Greises ist. Wie, weil die Erscheinung in jedem Augenblick nicht verharrt, sie unterschieden (als) wahrhaftiges Wesen nicht erreichbar ist. Entweder es ist die Erscheinung des Neugeborenen und wird alsdann Erscheinung des krabbelnden Kindes usw. bis zu Greis, oder sie ist verschieden. Beides zusammen ist fehlerhaft. Weshalb? Wenn die Erscheinung des Neugeborenen eben Erscheinung des krabbelnden Kindes ist usw. bis zur Erscheinung des Greises, so ist die eine Erscheinung ganz und gar die des Neugeborenen, (aber) nicht ist krabbelndes Kind usw. bis zum Greis. Auch wie ein Lehmkloß immer dieser Lehmkloß (mṛt-piṇḍa) ist und niemals ein Krug wird. Weshalb? Weil die Erscheinung (rūpa) immer bestimmt ist. Wenn die Erscheinung des Neugeborenen verschieden von der Erscheinung des krabbelnden Kindes ist, dann bewirkt eben das Neugeborene nicht das Krabbeln, das Krabbeln bewirkt nicht das Neugeborene. Weshalb? Weil die zwei Erscheinungen verschieden sind. So wäre die Erscheinung des Knabenalters, Jugendalters, Mannesalters, Greisenalters nicht zusammenhängend. Bei Verlust des Verwandtschaftszusammenhangs ist nicht Vater, ist nicht Sohn. Wenn es so ist, so wäre, wenn auch nur Neugeborenes ist, der Vater erreicht, die übrigen: Krabbelndes (Kind) usw. bis zu Greisenalter wären nicht getrennt. Deshalb ist beides fehlerhaft.

Frage: Obwohl die Erscheinung (rūpa) nicht wahrhaftig ist, entsteht nach der Vernichtung der Erscheinung des Neugeborenen zusammenhängend wiederum die Erscheinung (des Knaben usw.) bis zum Greisenalter: nicht ist dann der oben gelehrte Fehler.

Antwort: (Wenn) der Zusammenhang der Erscheinung des Neugeborenen entsteht, entsteht dann nach dem Vergehen der Zusammenhang, oder entsteht der Zusammenhang, (wenn sie) noch nicht vergangen (ist)? Wenn die Erscheinung (rūpa) des Neugeborenen vergeht, wie ist Zusammenhang? Weil ohne Grund. Wie, obwohl das Brennholz brennbar ist, infolge des Vergehens des Feuers kein Zusammenhang ist. Wenn die Erscheinung des Neugeborenen nicht vergeht, aber doch zusammenhängend ist, dann vergeht nicht die Erscheinung des Neugeborenen. (Dann)[81] verharrt (sie) immer in ursprünglicher Eigenschaft, auch ist sie nicht zusammenhängend.

Frage: Ich lehre nicht: Vergehens (oder) Nicht-Vergehens halber (ist) zusammenhängendes Entstehen, (sondern) ich lehre nur: da die Eigenschaft des Nicht-Verharrens anscheinend entsteht, sagt man: »zusammenhängendes Entstehen«.

Antwort: Wenn es so ist, dann ist Erscheinung (rūpa) wahrhaftig, doch entsteht (sie) weiter. So würden außerordentlich viele Arten von Erscheinung (rūpa) sein. Nur ist diese Sache nicht richtig. So ist auch nicht Zusammenhang. So überall gesucht ist Erscheinung (rūpa) nicht wahrhaftig, (sondern) nur, weil (sie) im gewöhnlichen Umgang (loka-vyavahāra) gelehrt wird; wie beim Bananenbaum die Frucht gesucht tatsächlich nicht erreichbar ist, (sondern) nur Schale und Blätter sind. So, (wenn) der Verständige rūpa-skandha2 sucht, in jedem Augenblick vernichtet ist wiederum Erscheinung (rūpa) nicht tatsächlich zu erreichen. Nicht verharrt Erscheinungsform (rūpa-ākāra) und Erscheinungseigenschaft (rūpa-lakṣaṇa). Anscheinend entsteht (sie) fortwährend der Reihe nach, aber ist schwer zu unterscheiden. Wie eine Lampenflamme (beim) Unterscheiden als wahrhaftige (eig. »bestimmte«) Erscheinung nicht erreichbar ist. Durch diese bestimmte Erscheinung wiederum ist Entstehen der Erscheinung nicht erreichbar. Deshalb ist die Erscheinung, weil nicht wesenhaft, leer. Nur weil sie im gewöhnlichen Umgang (loka-vyavahāra) gelehrt wird, ist sie. Annehmen (upādāna) (ist) auch so. Der Kenner prüft auf verschiedene Weise: da sie der Reihe nach ähnlich sind, sind Entstehen (und) Vergehen schwer zu unterscheiden. Wie des Wassers Fließen (sind sie) zusammenhängend. Nur des Erkennens wegen lehrt er drei Empfindungen (vedanā), im Körper wohnend. Deshalb wird man erkennen: die vedanās werden gleich dem rūpa gelehrt. Vorstellungen (saṃjñā) entstehen abhängig von Namen (und) Eigenschaft (lakṣaṇa). Wenn ohne Namen (und) Eigenschaft, dann ist nicht Entstehen. Deshalb lehrt Buddha: »Unterscheidend erkennt man Namen, Bezeichnung, Eigenschaften (lakṣaṇa), deshalb nennt man es Vorstellung (saṃjñā).« Es ist nicht wahrhaftig vorher Sein. Durch die Bedingungen (pratyaya) entsteht es (und ist) nicht[82] wahrhaftiges Wesen. Da ohne wahrhaftiges Wesen, (ist es) wie Schatten, der der Form folgt. Durch Form ist Schatten; ist nicht Form, so ist nicht Schatten; Schatten ist nicht absolut wahr. Wenn er wahrhaftig ist, (dann) würde ohne Form Schatten sein, aber tatsächlich ist es nicht so. Deshalb, weil (es) durch Bedingungen (pratyaya) entsteht (und) nicht selbst-seiend ist, ist es nicht erreichbar. Die Vorstellung (saṃjñā) ist auch so. Sie ist nur abhängig von äußerem Namen (und) Eigenschaft. Weil es im gewöhnlichen Umgang gesagt (und) gelehrt wird, ist sie. Bewußtsein (vijñāna) (ist) abhängig von Erscheinung (rūpa), Ton (śabda), Geruch (gandha), Geschmack (rasa), Tastsinn (sparśa) usw., Auge, Ohr, Nase, Zunge, Leib usw. entstanden. Weil Auge u.dgl. Sinne verschieden sind, ist Bewußtsein (vijñāna) verschieden. Dieses Bewußtsein ist (in) der Erscheinung (rūpa), oder im Auge, oder im Zwischenraum? Nicht ist es wahrhaftig. Nur wenn das Bewußtsein entstanden ist, erkennt es die Gebiete (gocara): erkennt es diesen Mann (und) erkennt es jenen Mann. Ist Bewußtsein (vijñāna), das diesen Mann erkennt, gleich mit dem Bewußtsein, das jenen Mann erkennt? oder verschieden? Diese zwei sind schwierig zu unterscheiden. Wie das Augen-Bewußtsein (und) das Ohr-Bewußtsein auch schwer unterschieden werden.3 Weil schwer unterschieden, sagen sie teils: »eines«, teils sagen sie: »verschieden«. Nicht ist ein wahrhaftig seiender Unterschied. Da (nur)4 durch Bedingungen (pratyaya) entstanden, sind Auge usw. der Unterschiedenheit halber leer, ohne eigenes Wesen. Wie ein Zauberkundiger eine Perle in den Mund nimmt und sie herausnehmend wiederum einem Menschen offenbart (und zeigt): dann entsteht der Zweifel: entweder ist dies die ursprüngliche Perle, oder aber sie ist verschieden. Das Bewußtsein ist auch so; entstanden entsteht (es) wiederum: entweder ist das das ursprüngliche Bewußtsein oder ein verschiedenes Bewußtsein. Deshalb wird man erkennen: da das Bewußtsein nicht verharrt, ist es nicht selbstwesenhaft, (sondern) falsch wie ein Trug (māyā). Die saṃskāras sind auch so. Die saṃskāras (sind) Körper (kāya), Rede (vāk), Sinn (manas). Die saṃskāras sind zweifach: rein (und) unrein. Welche sind unrein? Lebende Wesen belästigende Gier, Haften usw. heißen unrein. Lebende Wesen[83] nicht belästigende Wahrhaftigkeit (und) Nicht-Gier usw. heißen rein, teils zunehmend, teils abnehmend. Reine saṃskāras wohnen im Menschen, (im) Lustelement (kāma-dhātu), Erscheinungselement (rūpa-dhātu), Nichterscheinungselement (arūpa-dhātu). Empfangen sie Vergeltung, so ist Abnehmen, wegen weiteren Handelns heißt es »Zunehmen«. Unreine saṃskāras auch so. Wohnen sie in der Hölle (naraka), Tieren (tiryag-yoni), Verstorbenen (preta), Dämonen (asura), so empfangen sie dort Vergeltung: dann ist Abnehmen. Wegen des Wieder-tuns heißt es zunehmen. Deshalb infolge des Zunehmens und Abnehmens verharren nicht die saṃskāras. Wie wenn man eine Krankheit hat und die passenden (Mittel) (auf die) Krankheit anwendend man dann genesen wird. Wenn5 (sie) nicht gut angewendet werden, nimmt die Krankheit wieder zu. Die saṃskāras auch so, weil sie zunehmend sind und abnehmend sind, sind nicht wahrhaftig seiend, nur, weil es Gerede des gewöhnlichen Umgangs6 ist, sind (sie). Durch die Wahrheit des gewöhnlichen Umgangs (vyavahāra-satya) kann man die höchste Wahrheit (paramārtha) sehen. Nämlich abhängig von Nichtwissen (avidyā) sind die saṃskāras, von den saṃskāras abhängig ist Bewußtsein (vijñāna), von Bewußtsein abhängig ist Name-und-Form (nāma-rūpa), von Name-und-Form abhängig sind die sechs Bereiche (āyatana), durch die sechs Bereiche ist Berührung (sparśa), durch Berührung ist Empfindung (vedanā), durch Empfindung ist Verlangen (tṛṣṇā), durch Verlangen ist Annehmen (upādāna), durch Annehmen ist Sein (bhava), durch Sein ist Geburt (jāti), durch Geburt ist Alter-und-Tod, Jammer, Wehklagen, Leid (duḥkha), Qualen (kleśa), Leid der Trennung von dem Geliebten (priya-viprayoga-duḥkha), Leid mit Hinsicht auf den Feind (eig. »den Feind betreffendes Leid« [apriya-saṃprayoga-duḥkha]) usw. So sind alle Arten von Leid durch die saṃskāras verursacht. Buddha lehrt (dies) wegen der Wahrheit des gewöhnlichen Umgangs (vyavahāra-satya). Wenn man die Wahrheit im höchsten Sinne (paramārtha-satya) erreicht, entsteht wahre Einsicht (und) Weisheit; dann hört Nichtwissen (avidyā) auf; wegen des Aufhörens des Nichtwissens vereinigen sich auch nicht die saṃskāras; da die saṃskāras sich nicht vereinigen, werden die falsche Ansicht über Körper (kāya-dṛṣṭi), Zweifel (vicikitsā),[84] Haften an Geboten und Gelübden (śīla-vrata-parāmarśa), welche in der Sehens-Wahrheit (darśana-satya) vernichtet werden, abgeschnitten. Auch werden Leidenschaft (rāga), Haß (dveṣa), Erscheinungen-Qual (rūpa-saṅkleśa), Nichterscheinungen-Qual (arūpa-saṅkleśa), Gerede (prapañcana), Nichtwissen (avidyā), welche in der Ausübens-Wahrheit (bhāvanā-satya) vernichtet werden, abgeschnitten. Weil das abgeschnitten wird, wird jeder einzelne Teil vernichtet, nämlich Nichtwissen (avidyā), saṃskāras, Bewußtsein (vijñāna), Name-und-Form (nāma-rūpa), die sechs Gebiete (sad-āyatana), Berührung (sparśa), Empfindung (vedanā), Verlangen (tṛṣṇā), Annehmen (upādāna), Sein (bhava), Geburt (jāti), Alter-und-Tod (jarā-maraṇa), Schmerz des Getrenntseins von dem Geliebten, den Feind betreffendes Leid usw., alle werden vergehen. Weil diese vergehen, vergeht vollständig die Gesamtheit der fünf skandhas (pañca-skandha-kāya). Weiter ist nichts übrig, nur ist Leeres. Deshalb lehrt Buddha, weil er den Sinn der Leerheit offenbaren will: die saṃskāras sind falsch (mṛṣā). Ferner: Da die dharmas nicht wesenhaft sind, sind sie falsch (mṛṣā), da falsch, (sind sie) leer, wie im śloka gelehrt.

Da die dharmas verschieden sind, erkennt man sie ausnahmslos als nicht-wesenhaft; nicht-wesenhafte dharmas auch sind nicht, da alle dharmas leer sind. (XIII. 3.)

Die dharmas sind nicht wesenhaft. Warum? Obwohl die dharmas entstehen, verharren sie nicht (in) eigenem Wesen (sva-bhāva). Deshalb sind sie nicht wesenhaft; wie ein neugeborenes Kind, wenn es wahrhaftig in seinem eigenen Wesen (svabhāva) beharrt, dann niemals ein krabbelndes Kind usw. bis zum Greis wird. Aber ein neugeborenes Kind unmittelbar ununterbrochen fortfahrend, entfaltet auf verschiedene Weise das krabbelnde Kind bis zu Alter. Deshalb lehrt er: Weil man die dharmas verschieden vereigenschaftet sieht, erkennt man sie (als) ohne eigenes Wesen.

Frage: Wenn die dharmas ohne eigenes Wesen7, so ist der Zustand (dharma) der Wesenlosigkeit (asvabhāva). Welcher Fehler ist (dann)?

Antwort: Wenn Wesenlosigkeit (asvabhāva), wie sind die dharmas, wie ist Eigenschaft (lakṣaṇa)? Weshalb? Weil kein[85] Ursprung (mūla) ist. Weil nur das Wesen widerlegt wird, lehrt er Wesenlosigkeit (asvabhāva). Wenn diese wesenlose dharmas sind, so heißen nicht alle dharmas »leer« (śūnya). Wenn alle dharmas leer, wie sind dann wesenlose dharmas?

Frage:

Wenn die dharmas ohne eigenes Wesen, wie lehrt er neugeborenes Kind usw. bis zu Greisenalter? Sie sind doch mannigfach unterschieden. (XIII. 3 a.)8

Wenn die dharmas ohne eigenes Wesen, dann ist nicht Verschiedensein (anyathā-bhāva); aber ihr lehrt: es ist Verschiedensein. Deshalb sind die dharmas wesenhaft. Wenn die dharmas nicht wesenhaft sind, wie ist Anderssein (anyathā-bhāva)?

Antwort:

Wenn die dharmas mit eigenem Wesen (svabhāva) sind, wie erreicht man dann Anderssein (anyathā-bhāva)? Wenn die dharmas ohne eigenes Sein sind, wie ist dann Anderssein? (XIII. 4.)

Wenn die dharmas wahrhaftig eigenes Wesen haben, wie ist Anderssein möglich? (Das) heißt: wahrhaftiges Sein ist nicht veränderlich, wie echtes Gold nicht veränderlich ist. Auch wie Dunkel-sein sich nicht in Hell-sein verwandelt, (und wie) Hellsein sich nicht in Dunkel-sein verwandelt. Ferner:

Dieser dharma ist eben nicht anders, ein anderer dharma auch ist nicht anders; wie ein junger Mann nicht alt wird, ein alter Mann auch nicht jung wird. (XIII. 5.)

Wenn ein dharma anders wäre, dann würde Anderssein (anyathā-bhāva) sein: entweder ist dann dieser dharma ein anderer, oder ein anderer dharma ist ein anderer. Beides ist nicht richtig. Wenn dieser dharma ein anderer (wäre), dann würde ein Alter altern; aber ein Alter altert tatsächlich nicht. Wenn ein anderer dharma ein anderer wäre, so wären ein Greis und ein (junger) Mann verschieden. Ein (junger) Mann würde altern, aber ein (junger) Mann altert tatsächlich nicht. Beides ist fehlerhaft.

Frage: Wenn (dieser)9 dharma nun ein anderer ist, welcher[86] Fehler ist dann? Wie, (wenn) jetzt augenblicklich gesehen, (einer) an Jahren jung ist, durch Zahlen von Tagen, Monaten, Jahren (hindurchgehend) eben altert (eig. »Alter«).

Antwort:

Wenn dieser dharma ein anderer eben ist, dann wäre Milch Sauermilch (dadhi). Welcher dharma ist getrennt von Milch, der Sauermilch werden könnte? (XIII. 6.)

Wenn dieser dharma eben ein anderer10, dann wäre Milch Sauermilch. Weiter brauchte man nicht Grund und Bedingung (hetu-pratyaya). Diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Weil Milch und Sauermilch (dadhi) voneinander verschieden sind. Milch ist eben nicht Sauermilch (dadhi). Deshalb ist ein dharma eben nicht anders. Wenn man sagt: »Ein anderer dharma ist anders«, so ist auch das nicht richtig. Ohne Milch wiederum ist welche Sache Sauermilch (dadhi)? So überlegt ist dieser dharma nicht anders, ein anderer dharma auch ist nicht anders. Deshalb darf man nicht einseitig haften.

Frage: Widerlegt man dieses (und) widerlegt man jenes, so ist noch das Leere. Im Leeren eben sind diese dharmas.

Antwort:

Wenn nicht-leere dharmas sind, dann würden leere dharmas sein. Tatsächlich sind nicht nicht- leere dharmas: wie sind leere dharmas möglich? (XIII. 7.)

Wenn nicht-leere dharmas sind, dann würden wegen der gegenseitigen Abhängigkeit leere dharmas sein. Aber (wie) oben gesucht, widerlegen verschiedene Gründe die nicht-leeren dharmas. Da nicht-leere dharmas nicht sind, so ist nicht gegenseitige Abhängigkeit. Da gegenseitige Abhängigkeit nicht ist, wie sind leere dharmas?

Frage: Ihr lehrt: da nicht-leere dharmas nicht sind, sind auch leere dharmas nicht. Wenn es so ist, dann lehrt ihr Leer(heit). Nur des Nichtseins gegenseitiger Abhängigkeit wegen würde nicht Haften sein. Wenn ein Entsprechendes ist, so würde gegenseitiges Abhängen sein. Wenn nicht Entsprechendes ist, so würde nicht gegenseitiges Abhängen sein. Da gegenseitiges Abhängen nicht ist, so ist nicht Wesen; da Wesen nicht ist, so ist nicht Haften. So wird dann Leer(heit) gelehrt.[87]

Antwort:

Die großen Weisen (mahā-muni) lehren leere dharmas, damit man von falscher Ansicht (dṛṣṭi) frei wird; wenn man aber Leerheit sieht (d.h. die dṛṣṭi der Leerheit hat), so werden diese von allen Buddhas nicht belehrt. (XIII. 8.)

Die großen Weisen widerlegen die zwei-und-sech zig Ansichten (dṛṣṭi), und zur Vernichtung von Nicht-wissen (avidyā), Verlangen (tṛṣṇā) usw. bis zu den Qualen (kleśa) lehren sie Leer(heit). Wenn Menschen hinsichtlich des Leeren nochmals eine Ansicht (dṛṣṭi) entwickeln, so sind diese Menschen nicht belehrbar. Zum Beispiel wie ein mit Krankheit Behafteter Medizin gebrauchen muß, um zu genesen. Wenn die Medizin weiterhin Krankheit bewirkt, so ist sie (sc. Krankheit) nicht heilbar. Wie Feuer, das aus Brennholz hervorgeht, durch Wasser zu vernichten ist. Wenn aus Wasser Feuer hervorgeht, womit vernichtet man dann? Wie das Wasser der Leerheit (śūnyatā) das Feuer der Qualen (kleśa) vernichten kann. Einige Menschen, von Sünde schwer, an Begierde tief, an Wissen oberflächlich, bringen daher in Leer(heit) (śūnyatā) eine Ansicht (dṛṣṭi) hervor. Einige sagen: »Es ist Leeres«, einige sagen: »Es ist nicht Leeres.« Durch Sein und Nichtsein wieder entstehen Qualen (kleśa). Wenn in Leer(heit) belehrt, so würden diese Menschen dann sagen: »Ich kenne schon lange das Leere.« Wenn ohne Leerheit (belehrt), dann ist kein Weg zum nirvāṇa. Wie im sūtra gelehrt wird: »Ohne Leerheit, das Zeichenlose (animitta) und Neigungslose (apraṇihita) die Erlösung (mokṣa) erlangen: das ist nur ein Wort (und) eine Behauptung.«

1

TE.: »Weil die saṃskāras entstehen, heißen die skandhas ›saṃskāras‹; diese fünf skandhas sind ausnahmslos ...«

2

TE.: »rūpa-lakṣaṇa«.

3

TE.: »schwer zu unterscheiden sind«.

4

Zusatz der TE.

5

Fehlt in TE.

6

KE.: »der weltlichen Wahrheit«.

7

Nach KE.

8

Diese Strophe fehlt in den übrigen Kommentaren.

9

Nach TE. zu tilgen.

10

Nach KE.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 79-88.
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