Siebenundzwanzigster Abschnitt.
Die falschen Ansichten.

[178] Frage: (Ich habe) schon gehört, (wie) das Mahāyāna falsche Ansichten widerlegt, jetzt will ich hören, (wie) die śravaka-Lehre (-dharma) falsche Ansichten (mithyā-dṛṣṭi) widerlegt.

Antwort:

»Ich, in der vergangenen Welt, war« oder »war nicht«, »Die Welt ist ewig« usw.: alle (diese) Ansichten sind ausnahmslos auf die vergangene Welt bezüglich. (XXVII. 1.)

»Ich, in der zukünftigen Welt, werde sein« oder »werde nicht sein«, »(Die Welt ist) mit Ende« usw.: derartige Ausnahmen sind ausnahmslos auf die zukünftige Welt bezüglich. (XXVII. 2.)

»Ich, in der vergangenen Welt, (war) seiend«, oder »nicht-seiend«, (oder) »seiend-und-nichtseiend«, oder »weder seiend noch nichtseiend«: dann heißt es: Ansichten des »ewig« usw. mit Bezug auf die vergangene Welt. »Ich, in der zukünftigen Welt, (entweder) werde wirken«, (oder) »nicht wirken«, (oder) »wirken und nicht wirken«, (oder) »weder wirken noch nicht wirken«: dann heißt das: falsche Ansichten des »mit Grenze«, »ohne Grenze« usw. mit Bezug auf die zukünftige Welt. Solche und ähnliche sind falsche Ansichten. Weshalb nennt man sie »falsche Ansichten«? Diese Sache wird (er) jetzt lehren.

»In der vergangenen Welt war Ich«: diese Sache ist nicht erreichbar. In der vergangenen Welt (befindliches) Ich wird nicht in der jetzigen Welt befindliches Ich.1 (XXVII. 3.)

Wenn (man) sagt: »Ich (ātman) eben bin das, aber der Leib (kāya) ist verschieden-vereigenschaftet«, wenn[179] es ohne Leib sein soll, wo ist das Ich (ātman) getrennt? (XXVII. 4.)

Ohne Leib ist nicht Ich: diese Sache ist schon erreicht. Entweder sagt man: der Leib eben ist Ich, oder ganz und gar nicht ist Ich. (XXVII. 5.)

Nur heißt der Leib nicht Ich, weil das mit Leib Vereigenschaftete entsteht und vergeht. Wie wird man aber durch Annehmen (upādāna) (ein) Annehmer (upādātṛ) werden? (XXVII. 6.)

Wenn ohne Leib Ich ist, so ist eben diese Sache nicht richtig. »Ohne Annehmen (upādāna) ist Ich« ist aber tatsächlich nicht zu erreichen. (XXVII. 7.)

Jetzt ist Ich nicht abgetrennt von Annehmen (upādāna), auch nicht eben2 dasselbe wie upādāna, weder ohne upādāna noch nicht (ohne): das eben ist die absolut wahre Bedeutung. (XXVII. 8.)

»Ich war in früherer Welt«: diese Sache ist [eben]3 nicht richtig. Weshalb? Ich in früherem Leben (Welt) bin eben nicht jetziges Ich, weil Fehler des Ewigseins (śāśvata) wäre. Wenn ewig, dann ist der Fehler eines regressus ad infinitum (anavasthā). Weshalb? Wie ein Mensch dadurch, daß er Gutes (aus)übt, deva (Gott) wird, aber4 später Mensch wird. Wann das Ich (ātman) eines früheren Lebens (eig. »Welt«) eben das Ich des jetzigen Lebens ist5, dann ist ein deva eben dieser Mensch. Ferner wird ein Mensch, durch böses karma (Tun), ein caṇḍāla, später wird er ein brähmaṇa. Wenn das Ich des früheren Lebens eben jetzt Ich ist, dann ist der caṇḍāla ein und derselbe wie der brāhmana; z.B. wie ein in Śrāvastī (wohnender) brāhmaṇa, (der) Devadatta heißt, auch in der Stadt Rājagṛha anlangend Devadatta heißt; nicht wird er ein anderer, weil er die Stadt Rājagṛha erreicht. Wenn (einer) vorher deva ist, später Mensch wird, dann ist der deva eben der Mensch; der caṇḍāla ist eben der brāhmaṇa. Nur ist diese Sache nicht richtig. Weshalb? Ein deva ist eben nicht dieser Mensch, der caṇḍāla ist eben nicht dieser brāhmaṇa. Solche Fehler des Ewigseins (śāśvata) sind. Daher, wenn man sagt: »Das Ich (ātman) eines früheren[180] Lebens wird nicht das jetzige Ich. Wie ein Kleider waschender Mensch Wäscher heißt, ein mähender Mäher heißt. Aber obwohl der Wäscher vom Mäher nicht verschieden ist, so ist doch der Wäscher nicht eben der Mäher. So heißt das Selbst (ātman), deva-Leib annehmend, deva, Selbst, Menschen-Leib annehmend, heißt Mensch. Das Selbst (ātman) ist nicht verschieden, aber der Leib ist verschieden«: diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Wenn eben dieser (ein) Mensch ist6, würde man nicht sagen: »Ein deva wird Mensch.« Der jetzige Wäscher ist vom Mäher verschieden, oder er ist nicht verschieden. Wenn nicht verschieden, dann wäre der Wäscher eben der Mäher. So (wäre) der deva (in) einem früheren Leben (Welt) eben dieser Mensch; ein caṇḍāla (wäre) eben dieser brāhmaṇa: dann ist auch das Selbst (ātman) mit dem Fehler des Ewigseins (śāśvata). Wenn verschieden, dann ist der Wäscher eben nicht der Mäher. So wird ein deva nicht Mensch. Das Selbst (ātman) ist auch nicht ewig. Nicht-ewig ist eben anātman(ohne Selbst) – vereigenschaftet. Deshalb ist nicht möglich, zu sagen: »Ein und dasselbe.«

Frage: Weil ātman (Selbst) eben nur von upādāna abhängig ist, unterscheidet man: »dieser deva«, »dieser Mensch«, upādāna heißt die Gesamtheit der fünf skandhas (pañca-skandha-kāya). Weil von Tun (karman) abhängig, unterscheidet man: »dieser deva«, »dieser Mensch«, »dieser caṇḍāla«, »dieser brāhmaṇa«. Aber ātman (das Selbst) ist tatsächlich nicht deva, nicht Mensch, nicht caṇḍāla, nicht brāhmaṇa. Deshalb ist nicht solcher Fehler.

Antwort: Diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Wenn der Leib (kāya) deva wird, Mensch wird, caṇḍāla wird, brāhmaṇa wird, dann ist (er) nicht dieser ātman (Selbst), dann ist ohne Leib das Selbst. Jetzt wandern (eig. »gehen und kommen«) Böses (und) Gutes in Geburt (und) Tod (saṃsāra): alles ausnahmslos ist das der Leib, nicht das Selbst (ātman). Weil von Bösem abhängig, fällt man in die drei schlimmen Gänge (gati); weil von Gutem abhängig, fällt man in die drei guten Gänge. Wenn Leid, Freude, Groll, Lust, Trauer, Furcht usw. aller dieser Vereinigung (kāya) nicht das Selbst (ātman) ist, wozu braucht man ātman? (Es ist) wie das Heilen des Bösen[181] gewöhnlicher Menschen, nicht vorbereitet für diese Askese (eig. »Hinausgehen aus der Familie«, prāvrājya). Der bedingte Zusammenhang der fünf skandhas: da (dessen) Böses (und) Gutes nicht verloren wird, ist Erlösung (mokṣa). Wenn alles dessen Vereinigung (eig. »Körper«, kāya) ohne Selbst (anātman) ist, wozu braucht man Selbst?

Frage: Böses (und) Gutes ist abhängig und beruhend auf dem ātman (Selbst). Weil ātman ist, was erkennt, der Leib (kāya) nicht ist, was erkennt, würde der Erkennende dieser ātman sein; von dem Tun abhängiges Böses (und) Gutes veranlassen, das ist dharma tun. Man wird erkennen: es muß einen Täter geben. Täter ist ātman. Der Leib wird von ātman benützt, auch ist dieser der Wohnort des ātman. Z.B. wie ein Hausherr mit Gras, Holz, Lehm, ungebrannten Ziegeln ein Haus baut. (Man) selbst, des Leibes wegen, läßt zum Benützen ein Haus bauen, (das) gut (oder) schlecht ist. Das Selbst (ātman) auch so er reicht abhängig von Gutes- (und) Bösestun einen guten oder häßlichen Körper. Das Wandern (saṃsāra, eig. »Geburt und Tod«) in den sechs Gängen (gati) ist ausnahmslos von ātman gemacht. Deshalb gehört des Bösen (und) Guten Anhäufung (kāya, Leib) ausnahmslos dem Selbste an. Z.B. wie das Haus nur dem Hausherrn gehört, nicht einem andern Menschen gehört.

Antwort: Dieses Beispiel ist nicht richtig. Weshalb? Weil der Hausherr Gestalt hat, Berührung (sparśa) hat, Kraft hat, kann er das Haus leiten. Weil der von euch gelehrte ātman (Selbst) ohne Gewalt, ohne Berührung, nicht Kraft ausübt; selbst ohne Kraft seiend, Kraft nicht ausübend, kann er auch nicht bewirken, (daß) andere tun. Wenn in der Welt ein dharma ist, ohne Form (und) ohne Berührung, der wirken kann, dann ist (ātman)7 eben zu glauben, anzunehmen (und) zu erkennen als wirkend. Nur ist diese Sache nicht richtig. Wenn ātman (das Selbst) wirkend ist, dann würde man8 nicht selbst Leidvolles tun. Wenn der nachdenkt, dann ist Freudvolles zu begehren, nicht würde er es vergessen (und) außer acht lassen. Wenn ātman nicht Leid bewirkt, sondern Leid gewaltsam entsteht, dann ist das übrige ausnahmslos auch (von) selbst entstanden[182] (und) wird nicht von ātman getan. Wenn der Sehende das Selbst (ātman) ist, (und das) Auge die Erscheinungen (rūpa) sehen kann, so würde das Auge dieses Selbst (ātman) sein. Wenn das Auge sieht, aber nicht ātman, dann, entgegengesetzt zu früher, sagt (man): der Seher, das ist ātman. Wenn der Sehende das Selbst (ātman) ist, dann würde ātman nicht Tönehören u.dgl. Sinnesgebiete (gocara) erreichen. Weshalb? Weil das Auge als Sehendes nicht Tönehören u.dgl. Gebiete (gocara) erreichen kann. »Das Selbst (ātman) ist Sehendes«: diese Sache ist nicht richtig. Wenn (man) sagt: »Wie der Mäher mit geeigneter Sichel Gras mäht, so kann auch das Selbst (ātman) durch den Arm usw. wirken«: (so) ist dieses Beispiel9 nicht richtig. Weshalb? Von der Sichel getrennt ist jetzt der Mäher, aber von Leib, Geist (manas), Sinnen (indriya) ist der Wirkende nicht getrennt. Wenn (man) sagt: »Obwohl der Wirkende nicht Auge, Ohr usw. ist, wird er als wirkend erreicht«, dann kann ein unfruchtbares Weib ein Kind erzeugen. So würden alle Sinne aussnahmslos nicht ātman (das Selbst) sein. Wenn (man) sagt: »Das rechte Auge sieht die Dinge, aber das linke Augen-Bewußtsein wird erkennen: getrennt ist der Sehende«, so ist diese Sache nicht richtig. Die rechte Hand übt (und) tut jetzt, (was die) linke Hand nicht kann. Deshalb ist der Wirkende nicht getrennt. Wenn der Wirkende getrennt ist, so würde, was die rechte Hand übt, auch die linke Hand können, aber tatsächlich kann sie (es) nicht. Deshalb abermals ist kein Wirkender.

Ferner: Ein das Selbst (ātman) Annehmender (eig. »Habender«)10 sagt: »Wenn man andere Obst essen sieht, kommt im Munde Speichel hervor; das ist Kennzeichen (lakṣaṇa) des ātman.« Diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Weil das Gedächtnis-Kraft (smṛti-bala) ist, aber nicht Kraft des ätman. Und auch dann (wird), die Abhängigkeit von ātman widerlegt: der Mensch befindet sich in Gesellschaft, beschämt wirft er den Speichel aus; aber der Speichel kommt gewaltsam heraus, und er kann sich selbst nicht beherrschen. Deshalb wird man erkennen, (daß) nicht ātman (ist).

Ferner: Wenn Verkehrtheit, Fehler, Sünde ist11, (so) ist der im früheren Leben Vater, im jetzigen wird er Sohn; dieser[183] Vater (und) Sohn ist einer, nur der Leib ist verschieden. Wie ein aus einem Haus ein (anderes) Haus Erreichender, weil er Vater ist, eben der Vater ist. Nicht weil er in ein verschiedenes Haus eingeht, ist er verschieden. Wenn ātman ist, wären diese zwei Eines. So ist dann ein großer Fehler.

Wenn (man) sagt: »Ohne ātman im fünf-skandha-santāna(-Zusammenhang) auch ist dieser Fehler«, so ist diese Sache nicht richtig. Weshalb? Obwohl dieser fünf skandhas santāna zusammenhängt, ist entweder Zeit erforderlich, oder Zeit ist nicht erforderlich. Wie ein die Vorschrift Haltender Traubensaftbrei trinken darf, (aber) Traubenwein (Most) darf er nicht trinken; wenn er verändert (und), bitterer Wein wird, darf er (ihn) wieder trinken. Der fünf skandhas Zusammenhang (santāna) ist auch so; er hat Nutzen und hat keinen Nutzen. Wenn zuerst (und) zuletzt ein Selbst (ātman) ist, ist so(lcher) Fehler. Der fünf skandhas Zusammenhang hat nicht so(lchen) Fehler. Nur des Zusammenhangs der fünf skandhas wegen heißt es fiktiv »ātman«, nicht ist (er) wahrhaftig seiend; wie das Zusammensein von Firstbalken und Dachsparren (ein) Haus ist, ohne Firstbalken und Dachsparren ist nicht das Haus besonders getrennt. So ist wegen des Zusammenseins der fünf skandhas ātman. Wenn ohne fünf skandhas tatsächlich nicht ātman getrennt ist, ist deshalb ātman nur fiktive (konventionelle) Bezeichnung, nicht wahrhaftig seiend.

Ihr lehrt(et) früher: ohne Annehmen (upādāna) ist getrennt der Annehmer (upādātṛ); durch upādāna unterscheidet (man) upādātṛ: der (ist) deva, der (ist) Mensch. Dieses beide ist nicht richtig. Man wird erkennen: es ist nur upādāna, nicht ist getrennt upādātṛ.

Wenn (man) sagt: »Ohne upādāna ist getrennt das Selbst (ātman)«, (so) ist diese Sache nicht richtig. Wenn ohne upādāna ātman ist, wie ist es möglich, diese ātman-Beschaffenheit zu lehren? Wenn ohne Merkmal (lakṣaṇa) zu lehren, dann ist ohne upādāna nicht ātman. Wenn man sagt: »Ohne Leib ist nicht ātman, nur der Leib ist eben ātman«, so ist das auch nicht richtig. Weshalb? Der Leib ist (mit) Entstehen, Vergehen vereigenschaftet, ātman eben nicht so.

Ferner: Wie heißt es denn wegen des upādāna »upādātṛ«? Wenn man sagt: »Ohne upādāna ist upādātṛ«, so ist auch diese[184] Sache nicht richtig. Wenn ohne upādāna, (d.i.) die fünf skandhas, upādātṛ ist, (so) würde ohne fünf skandhas upādātṛ getrennt sein. Auge und die übrigen Sinne, (anscheinend?) zu erreichen, sind tatsächlich nicht zu erreichen. Deshalb ist ātman nicht ohne upādāna, auch (ist er) nicht eben dieses upādāna, auch nicht nicht-upādāna, auch ferner (ist er) nicht nicht-seiend. Dieses ist die wahrhaftige Bedeutung. Deshalb wird man erkennen: »Das vergangene Leben ist mit ātman (dem Selbst)«: diese Sache ist nicht richtig. Weshalb?

»In der Vergangenheit wurde ich nicht«, diese Sache ist eben nicht richtig; Ich in der vergangenen Welt (d.h. Leben) ist verschieden vom jetzigen: ist auch nicht richtig. (XXVII. 9.)

Wenn man sagt: »verschieden«, dann wäre ohne Später das Jetzt, ātman befindet sich (dann) im vergangenen Leben (eig. »Welt«), aber das jetzige Ich (ātman) ist (von) selbst entstanden. (XXVII. 10.)

So dann vernichtet (und) vergangen, verliert es der Taten (karma) Vergeltung; jener wirkt, aber dieser nimmt an (empfängt): so(lche) Fehler bestehen. (XXVII. 11.)

Früher war es nicht, aber jetzt ist es: hierin auch sind Fehler, ātman (»ich«) bewirkte dann dharma, auch ist er (»bin ich«) ohne Grund. (XXVII. 12.)

ātman im vergangenen Leben (eig. »Welt«) wird nicht der jetzige ātman: diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? ātman im vergangenen Leben ist vom jetzigen ātman nicht unterschieden. Wenn das jetzige Ich von dem Ich des vergangenen Lebens verschieden wäre, dann würde ohne späteres Ich eben das jetzige Ich sein. Und das Ich des vergangenen Lebens (eig. »Welt«) würde auch später andauern; dieser Leib (würde) (von) selbst nochmals entstehen. Wenn so, dann würden die Extreme (koṭi) des uccheda (Abschneiden) zutreffen, dann würde allen Tuns (karma) Vergeltung verloren. Auch wirkt jener Mensch Böses, dieser Mensch empfängt Vergeltung: es sind unermeßliche derartige Fehler. Und dieses Ich würde vorher nicht sein, aber jetzt sein: das auch ist fehlerhaft. Das Ich wird dann dharma (bzw. bhāva), auch entsteht es ohne Grund. Deshalb wird das vergangene Ich nicht jetziges Ich. Diese Sache ist nicht richtig. Ferner:

[185] So (eig. »wie«) die Ansichten: »Im vergangenen Leben (eig. »Welt«) ist Ich«, »ist nicht Ich«, oder »beides« oder »keines von beiden«: diese Sache ist ausnahmslos nicht richtig. (XXVII. 13.)

So geforscht und gesucht sind die auf das vergangene Leben (bezüglichen) Ansichten von Sein, Nichtsein, sowohl Sein als Nichtsein, weder Sein noch Nichtsein, weil diese falsche Ansichten aus den früher gelehrten Gründen fehlerhaft sind, ausnahmslos nicht richtig.

Ich werde im zukünftigen Leben (eig. »Welt«) sein oder werde nicht sein: eine solche Ansicht ist ausnahmslos gleich (der über) das vergangene Leben. (XXVII. 14.)

In der zukünftigen Welt werde ich (sein) oder ich werde nicht (sein): in so(lchen) vier Sätzen würden sich die (mit Bezug) auf die vergangene Welt (gelehrten) Fehler befinden.

Er lehrt ferner:

Wenn ein deva eben dieser Mensch ist, dann trifft die extreme Anschauung (koṭi) des Ewigseins (śāśvata) zu; deva ist dann nicht entstanden, weil das Ewig-vereigenschaftete nicht entsteht. (XXVII. 15.)

Wenn ein deva eben dieser Mensch, dann ist er ewig. Wenn ein deva nicht im Menschen entsteht, wie heißt er Mensch? weil das Ewig-vereigenschaftete nicht entsteht. Deshalb ist auch »ewig« nicht richtig. Ferner:

Wenn deva verschieden vom Menschen, dann ist er nicht ewig; wenn deva verschieden vom Menschen, dann ist nicht Seins-Zusammenhang (bhava-santati). (XXVII. 16.)

Wenn deva vom Menschen verschieden, dann heißt er nichtewig. (Bei) nicht-ewig ist dann der Fehler des Abschneidens und Vergehens (uccheda-nirodha), (d.h.) der früher gelehrte Fehler. Wenn deva vom Menschen verschieden, dann ist nicht Seins-Zusammenhang. Wenn Zusammenhang ist, ist es nicht möglich zu sagen: »verschieden«. Ferner:

Wenn halb deva, halb Mensch, dann treffen die zwei Extreme zu: das Ewige und das Nicht-Ewige. Diese Sache ist eben nicht richtig. (XXVII. 17.)[186]

Wenn ein Lebewesen (sattva) mit halbem Leib deva, mit halbem Leib Mensch: wenn (es) so (ist), dann ist es ewig (und) nicht-ewig. Halb deva, das ist ewig, halb Mensch, das ist nicht ewig. Nur ist diese Sache nicht richtig. Weshalb? Weil der Fehler wäre, (daß) ein Leib zwei (entgegengesetzte) Eigenschaften hätte. Ferner:

Wenn ewig und nicht-ewig, diese zwei Eigenschaften erreicht sind, so würde man eben »weder ewig noch nicht-ewig« erreichen. (XXVII. 18.)

Wenn die zwei Eigenschaften »ewig« und »nicht-ewig« erreicht sind, dann (ist es) richtig, später »weder ewig noch nicht-ewig« zu erreichen, wegen des Gegensatzes von nicht ewig zu nicht nicht-ewig, und von ewig zu nicht-ewig. Jetzt werden tatsächlich ewig und nicht-ewig nicht erreicht. Deshalb wird auch nicht weder ewig noch nicht-ewig erreicht. Ferner: »Der jetzige saṃsāra hat keinen Anfang«, das auch ist nicht richtig. Weshalb?

Wenn ein dharma wahrhaftig kommt und wahrhaftig geht, dann ist saṃsāra ohne Anfang. Aber tatsächlich ist diese Sache nicht (so). (XXVII. 19.)

Wenn ein dharma absolut wahrhaftig etwas hat, woraus er kommt, und hat, wohin er geht, dann würde saṃsāra keinen Anfang haben. Dieser dharma, (obwohl), mit Einsicht (und) Verstand eifrig gesucht, wird nicht erreicht (als etwas) habend, woher er kommt (und) wohin er geht. Deshalb »saṃsāra hat. keinen Anfang« – diese Sache ist nicht richtig. Ferner:

Wenn es jetzt nicht ewig ist, wie ist es nicht- ewig, sowohl ewig als nicht-ewig, weder ewig noch nicht-ewig? (XXVII. 20.)

Wenn so, mit Einsicht und Verstand geprüft, ein ewiger dharma nicht zu erreichen ist, welcher wird nicht-ewig sein? Weil nicht-ewig von ewig abhängig ist. Wenn (diese) zwei Eigenschaften nicht sind, wie ist »sowohl ewig als nicht-ewig«? Wenn nicht »sowohl ewig als nicht-ewig« ist, wie ist »weder ewig noch nicht-ewig«? Weil von »sowohl ewig als nicht-ewig« abhängig, ist »weder ewig noch nicht ewig«. Deshalb sind die auf die vergangene Welt bezüglichen vier Sätze »ewig« usw. nicht zu erreichen. Die vier Sätze »mit Grenze«, »ohne Grenze«[187] usw. sind auf die zukünftige Welt bezüglich. Diese Sache ist nicht zu erreichen. Jetzt wird er lehren, warum?

Wenn die Welt eine Grenze hat, wie ist eine spätere Welt? Wenn die Welt keine Grenze hat, wie ist eine spätere Welt? (XXVII. 21.)

Wenn die Welt eine Grenze hat, würde nicht eine spätere Welt sein. Aber jetzt ist tatsächlich eine spätere Welt, deshalb ist (der Satz) »Die Welt hat eine Grenze« nicht richtig. Wenn die Welt keine Grenze hat, würde auch nicht eine spätere Welt sein. Aber tatsächlich ist eine spätere Welt. Deshalb ist (der Satz) »Die Welt hat keine Grenze« auch nicht richtig. Ferner: diese zwei Grenzen sind nicht zu erreichen. Weshalb?

Der fünf skandhas ewiger Seinszusammenhang (ist) ähnlich (wie) Flamme der Lampe; deshalb würde nicht die Welt eine Grenze haben und keine Grenze haben. (XXVII. 22.)

Durch die fünf skandhas entstehen weiterhin fünf skandhas. Diese fünf skandhas sind nacheinander zusammenhängend. Wie bei der Bedingungen Zusammensein Flamme der Lampe ist. Wenn die Bedingungen nicht erschöpft sind, dann vergeht die Lampe nicht; wenn erschöpft, dann vergeht sie. Deshalb ist es nicht möglich zu lehren: »Die Welt hat eine Grenze« (oder) »hat keine Grenze«. Ferner:

Wenn vorher die fünf skandhas zerfallen (und) nicht abhängig von diesen fünf skandhas wiederum später fünf skandhas entstehen, dann hat die Welt eine Grenze. (XXVII. 23.)

Wenn die früheren skandhas nicht zerfallen, auch nicht abhängig von diesen skandhas aber später fünf skandhas entstehen, dann hat die Welt keine Grenze. (XXVII. 24.)

Wenn die früheren fünf skandhas zerfallen, (und) nicht abhängig von diesen fünf skandhas wiederum später fünf skandhas entstehen, so hat dann die Welt eine Grenze. Wenn die früheren fünf skandhas schon vergangen (sind), und nicht nochmals weitere fünf skandhas entstehen, (so) heißt das »Grenze«. »Grenze« heißt künftiger letzter Leib. Wenn die früheren skandhas nicht zerfallen, nicht abhängig von diesen fünf skandhas aber spätere fünf skandhas entstehen, dann hat die Welt[188] keine Grenze. Dann ist (sie) ewig. Aber tatsächlich ist es nicht so. Deshalb »Die Welt hat keine Grenze«: diese Sache ist nicht richtig. Die Welt ist von zwei Arten: (1) Land-(kṣetra-)Welt, (2) Lebewesen-(sattva-)Welt. Diese ist die sattva-Welt. Ferner: wie in der »Vierhundert-Untersuchung«12 gelehrt wird:

»Weil die echte Lehre (dharma) und Lehrender (und) Hörender schwer zu erreichen sind, so eben hat saṃsāra nicht Grenze, nicht keine Grenze.«

Man erreicht nicht die echte Lehre, wegen der Bedingungen. Geburt und Tod (saṃsāra) (und) Wandern (eig. »Gehen und Kommen«) hat nicht Grenze. Einige Zeit kann (man) die echte Lehre (dharma) hören und den Weg erlangen; deshalb kann man nicht sagen: »ohne Grenze«. Jetzt wird er nochmals »sowohl mit Grenze als ohne Grenze« widerlegen.

Wenn die Welt halb mit Grenze, halb ohne Grenze ist, so hat sie sowohl Grenze als keine Grenze: das ist nicht richtig. (XXVII. 25.)

Wenn die Welt halb mit Grenze, halb ohne Grenze ist, dann würde sie sowohl Grenze haben als keine Grenze haben. Wenn (es) so (ist), dann würde ein dharma (Objekt) zwei (entgegengesetzte) Eigenschaften haben. Diese Sache ist nicht richtig. Weshalb?

Jener nimmt fünf skandhas an: wie ist ein Teil zerbrochen, ein Teil aber nicht zerbrochen? Diese Sache ist eben nicht richtig. (XXVII. 26.)

Das Angenommene (upādāna, Annahme) auch ferner so: wie ist ein Teil zerbrochen, ein Teil aber nicht zerbrochen? Diese Sache auch ist nicht richtig. (XXVII. 27.)

Der die fünf skandhas Annehmende: wie ist ein Teil (sc. von ihm) zerbrochen, ein Teil nicht zerbrochen? Diese Sache13[189] wird nicht erreicht. »Sowohl ewiges als nicht-ewiges upādāna (Annehmen)« ist auch so: Wie ist ein Teil zerbrochen, ein Teil nicht zerbrochen? wegen des Fehlers, (daß) ewig (und) nicht-ewig, zwei entgegengesetzte Eigenschaften, sind. Deshalb ist: »Die Welt hat sowohl Grenze als keine Grenze« [dieses]14 auch nicht richtig. Jetzt wird er die Ansicht widerlegen, daß die Welt weder Grenze noch keine Grenze (hat).

Wenn sowohl mit Grenze als ohne Grenze: diese zwei erreicht werden können, dann würden »weder mit Grenze noch ohne Grenze«: diese auch erreicht. (XXVII. 28.)

Wegen des Gegensatzes zu »mit Grenze« ist »ohne Grenze«, wie der Gegensatz zu »lang« »kurz« ist. Der Gegensatz zu »Sein« und »Nichtsein« ist dann »sowohl Sein als Nichtsein«. Wegen des Gegensatzes zu »sowohl Sein als Nichtsein« ist alsdann »weder Sein noch Nichtsein«. Wenn »sowohl Grenze haben als Grenze nicht haben« absolut wahr ist, dann würde »weder Grenze haben noch keine Grenze haben« zutreffen (eig. »sein«). Weshalb? Wegen gegenseitiger Abhängigkeit. Oben schon widerlegte (man) »Sowohl Grenze haben als keine Grenze haben«, den dritten Satz. Wie wird jetzt: »Weder Grenze haben noch keine Grenze haben« sein? Weil nicht gegenseitige Abhängigkeit ist. So geprüft (und) gesucht sind »mit Grenze«, [»ohne Grenze«]15 usw. alle vier Ansichten nicht zu erreichen. Ferner:

Weil alle dharmas leer sind: die Ansichten »Die Welt ist ewig« usw.: wo? zu welcher Zeit? (und) wer bringt diese Ansichten hervor? (XXVII. 29.)

Oben wurden (nach)16 der śrāvaka-Lehre die falschen Ansichten widerlegt, jetzt, in dieser Mahāyāna-Lehre (-dharma), lehrt er die dharmas von Anfang bis zu Ende (eig. »von Ursprung bis jetzt«) als völlig leer an An-sich-Sein (svabhāva). So ist in wesenslosen dharmas nicht Mensch, nicht dharma, nicht kann falsche Ansicht (oder) richtige Ansicht entstehen. »Ort« heißt Land (oder) Erde; »Zeit« heißt Zahl (von) Tagen, Monaten, Jahren. »Wer?« heißt Mensch. »Diese« heißt Substanz der Ansichten. Wenn es absolut wahre Ansichten »ewig«, »nicht-ewig«[190] usw. gibt, dann müßte sein, (daß) ein Mensch ist, (der) diese Ansichten hervorbringt. Da das Selbst (ātman) widerlegt ist, deshalb erzeugt kein Mensch diese Ansichten. Die an verschiedenen Orten (befindlichen) Erscheinungsobjekte (rūpa-dharma), die gegenwärtig sichtbar sind, können schon widerlegt werden, um so mehr Zeit und Raum. Wenn verschiedene Ansichten sind, würde es wahrhaftiges tattva (Sein) geben. Wenn: es wahrhaftig ist, dann kann man es nicht widerlegen. Von Anfang (eig. »oben«) an (ist es) schon durch verschiedene Gründe widerlegt. Deshalb wird man erkennen: die Ansichten haben nicht wahrhaftiges Sein (eig. »Substanz«). Wie können sie entstehen? Wie im śloka gelehrt wird: »Wo? an welchem Ort? zu welcher Zeit? wer? erzeugt diese Ansichten?«

Den großen, weisen Herrn Gautama, der mit Mitleid (und) Erbarmen diese Lehre (dharma) erklärt (und) vollständig alle Ansichten abgeschnitten hat, verehre ich jetzt, tief mich verbeugend. (XXVII. 30.)

Alle Ansichten – zusammengefaßt gelehrt, sind es fünf Ansichten, ausführlich gelehrt, [dann] sind es 62 Ansichten – werden abgeschnitten. Dieser Ansichten wegen lehrt den dharma (Lehre) der große, weise Herr Gautama, der ohne Maß, ohne Grenze, undenkbar, unsagbar Wissende. Deshalb verneige ich mich (eig. »meinen Leib«) ehrfürchtig.

1

Nach TE.

2

KE.: »nur«.

3

Nach TE. zu tilgen.

4

Nach TE.

5

TE.: »das jetzige Ich ist«.

6

TE.: »Wenn es eben der(selbe) ist«.

7

Fehlt TE.

8

Nach KE.

9

TE.: »diese Sache«.

10

Nach TE.

11

Nach KE.

12

Catuḥ-śataka-śāśtra des Āryadeva, VII. 9. Tib. Übers. Tanjur mdo XVIII, 9a (Lh. E.) [hierzu Komm. des Candrakīrti ebd. XXIV. 136a]. Die Strophe fehlt in der chinesischen Version (Nanjio 1189, TE. XIX. 2. 48bff.), da in dieser die acht ersten Abschnitte nicht enthalten sind. Vgl. Muséon 1900, p. 237. – In meiner Übersetzung der tib. Version der »Mittleren Lehre«, p. 175, l. 13 ist anstatt »in den sūtras« zu lesen: »in kurzen Worten« (mdor na).

13

TE.: »Eines«.

14

Nach TE. zu tilgen.

15

Fehlt TE.

16

Zusatz von TE.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 178-191.
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