Zwanzigster Abschnitt.
Grund und Folge.

[126] Frage: (In) der Gegenwart des Zusammenseins (sāmagrī) der Bedingungen (pratyaya) ist Entstehung der Folge (phala). (Deshalb)1 wird (man) erkennen: die Folge (ist) durch das Zusammensein der Bedingungen.

Antwort:

Wenn die Bedingungen sich vereinigen und Entstehen der Folge ist, so ist (sie) schon in der Vereinigung. Wie braucht man Entstehen durch Vereinigung? (XX. 1.)

Wenn man sagt: der Bedingungen (pratyaya) Zusammensein ist mit Entstehen der Folge, so ist die Folge schon im Zusammensein. Aber Entstehen durch Zusammensein: diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Wenn die Frucht vorher wirkliche Substanz ist, dann würde sie nicht durch Zusammensein entstehen.

Frage: Obwohl in der Bedingungen Zusammensein nicht Folge ist, so doch, (wenn) Folge durch Bedingungen entsteht, ist welcher Fehler?

Antwort:

Wenn in der Bedingungen Zusammensein nicht die Folge ist, wie entsteht denn die Folge durch der Bedingungen Zusammensein? (XX. 2.)

Entweder entsteht durch der Bedingungen Zusammensein die Folge, oder im Zusammensein ist nicht die Folge, sondern sie entsteht durch das Zusammensein. Diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Wenn die Dinge nicht mit Eigensein (svabhāva) sind, entstehen die Dinge niemals. Ferner:

Wenn in der Bedingungen Zusammensein die Frucht ist, so würde sie im Zusammensein sein, aber tatsächlich ist sie nicht zu erreichen. (XX. 3.)[127]

Wenn in der Bedingungen Zusammensein die Folge ist, (so wäre sie) entweder Erscheinung (rūpa), dann wäre sie mit dem Auge zu sehen, oder Nicht-Erscheinung (arūpa), dann wäre sie durch Denken zu erkennen. Aber tatsächlich ist im Zusammensein Frucht nicht zu erreichen. Deshalb »Im Zusammensein ist Folge«: diese Sache ist nicht richtig. Ferner:

Wenn in der Bedingungen Zusammensein nicht die Folge ist, dann sind die Bedingungen [mit] Nicht-Bedingungen gleich. (XX. 4.)

Wenn in der Bedingungen Zusammensein nicht die Folge ist, dann sind eben die Bedingungen gleich den Nicht-Bedingungen. Wie Milch, (als) Bedingung der Sauermilch (dadhi); wenn in der Milch nicht Sauermilch ist, im Wasser auch ist nicht Sauermilch. Wenn in der Milch nicht Sauermilch ist, dann (ist sie) dem Wasser gleich, (und) nicht würde man sagen: nur aus Milch geht sie hervor. Deshalb: »In der Bedingungen Zusammensein ist nicht die Folge«: diese Sache ist nicht richtig.

Frage: Grund bewirkt Folge; (Grund), nachdem er (als) Grund gewirkt hat, vergeht, aber es ist Entstehen von Folge des Grundes. Nicht ist solcher Fehler.2

Antwort:

Wenn der Grund den Grund zur Folge abgibt, aber nach Wirken (als) Grund vergeht, so ist dieser Grund mit zwei Substanzen: die eine gibt ab, die andere dann vergeht. (XX. 5.)

Wenn der Grund (an) die Folge abgibt und nach dem Wirken (als) Grund vergeht, dann ist der Grund mit zwei Substanzen: die eine heißt »abgebender Grund«, die andere heißt »vergehender Grund«. Diese Sache ist nicht richtig, weil ein dharma mit zwei Substanzen wäre. Deshalb: »Grund gibt Folge ab, und nachdem er Grund gewirkt hat, vergeht er«, diese Sache ist nicht richtig.

Frage: Wenn man sagt: »Grund gibt nicht Folge ab, und nachdem er Grund bewirkt hat, vergeht er; auch ist Entstehen der Folge«, welcher Fehler ist dann?

Antwort:

Wenn Grund nicht Folge abgibt und (als) Grund[128] gewirkt habend vergeht, der Grund vergeht, aber Folge entsteht: dann ist diese Folge ohne Grund. (XX. 6.)

Wenn der Grund nicht Folge abgibt, (als) Grund gewirkt habend aber vergeht, dann der Grund vergangen ist, die Folge aber entsteht, dann ist diese Folge ohne Grund: diese Sache ist nicht richtig. Weshalb? Gegenwärtig gesehen sind alle Folgen nicht ohne Grund.3 Deshalb, (wenn) ihr lehrt: »Grund gibt nicht Folge ab, Grund bewirkt habend aber vergeht er, auch ist Entstehen der Folge«, (so) diese Sache ist nicht richtig.

Frage: (Wenn) zu der Zeit der Vereinigung der Bedingungen Folge entsteht, welcher Fehler ist (dann)?

Antwort:

Wenn zur Zeit des Zusammenseins der Bedingungen doch die Folge entsteht, dann sind das Erzeugende und das zu Erzeugende zu einer Zeit alle beide. (XX. 7.)

Wenn zur Zeit des Zusammenseins der Bedingungen Folge entstehend ist, dann (sind) das Erzeugende und das zu Erzeugende zu einer Zeit alle beide. Nur ist diese Sache nicht so. Weshalb? Wie Vater (und) Sohn nicht erreicht werden (als) zu einer Zeit entstehend. Deshalb, (wenn) ihr lehrt: »Zur Zeit des Zusammenseins der Bedingungen ist Folge entstehend«, (so) diese Sache ist nicht richtig.

Frage: Wenn vorher der Folge Entstehen ist, aber nachher Zusammensein der Bedingungen, welcher Fehler ist dann?

Antwort:

Wenn vorher der Folge Entstehen ist, aber nachher der Bedingungen Zusammensein, dann (ist) diese ohne Bedingungen (und) heißt grundlose Folge. (XX. 8.)

Wenn die Bedingungen noch nicht vereinigt (sind), sondern vorher der Folge Entstehen ist, (so) ist diese Sache nicht richtig. Weil die Folge ohne Ursachen ist, so heißt sie grundlose Folge. Deshalb, (wenn) ihr lehrt: »Vor der Zeit des Zusammenseins der Bedingungen ist Folge entstanden«, so ist diese Sache nicht richtig.

Frage: Grund vergeht, verändert (sich) (und) wirkt die Folge: welcher Fehler ist dann?[129]

Antwort:

Wenn der Grund, verwandelt, zur Folge wird, dann erreicht der Grund die Folge. Dieser früher entstandene Grund, nachdem er entstanden, entsteht dennoch wiederum. (XX. 9.)

Grund (hetu) ist zweifach; der eine ist vorher entstanden, der andere entsteht zusammen. Wenn der Grund, vergangen, sich in Folge verwandelt, (so ist) Folge der früher entstandene Grund (und) würde wiederum entstehen.4 Nur ist diese Sache nicht richtig. Weshalb? Ein schon entstandenes Ding würde nicht nochmals entstehen. Wenn man sagt: »Dieser Grund eben, verwandelt, wird Folge«, so ist das auch nicht richtig. Weshalb? Entweder heißt eben dieses nicht »verwandelt«, oder, (wenn) verwandelt, heißt es nicht »eben dieses«.

Frage: Der Grund ist nicht vollständig vergangen, nur (sein) Name und (seine) Benennung ist vergangen, aber die Grund (hetu)-Substanz verwandelt heißt Folge, wie ein Lehmklumpen, verwandelt, Krug heißt, den Namen »Lehmklumpen« verliert und (eig. »aber«) den Namen »Krug« erzeugt.5

Antwort: (Wenn) ein Lehmklumpen vorher vergangen ist und der Krug entsteht, heißt er nicht »verwandelt«. Auch erzeugt die Substanz des Lehmklumpens nicht allein (einen) Krug. (Auch) Wasserkrüge u.dgl. gehen ausnahmslos aus Lehm hervor. Wenn Lehmklumpen nur ein Name ist, würde er sich nicht in einen Krug verwandeln. »Verwandeln« heißt wie: Milch verwandelt sich in Sauermilch. Deshalb, (wenn) ihr lehrt: »Obwohl der Name »Grund« vergangen, verwandelt er sich doch in Folge«, so ist diese Sache nicht richtig.

Frage: Obwohl der Grund vergeht (und) sich verliert, kann er doch Folge erzeugen. Deshalb ist die Folge. Nicht ist jener (eig. »solcher«) Fehler.

Antwort:

Wie kann der Grund, (obwohl) vergangen (und) verloren, doch die Folge erzeugen? Auch wenn der Grund in der Folge befindlich, wie erzeugt der Grund die Folge? (XX. 10.)[130]

Wenn der Grund vergangen (und) verloren, wie kann er die Folge erzeugen? Wenn der Grund nicht vergangen, sich (aber) doch mit Folge vereinigt, wie kann er weiter Folge erzeugen?

Frage: Dieser Grund ist einseitig Folge, und Folge entsteht.

Antwort:

Wenn der Grund einseitig Folge ist, welche Folge erzeugt er abermals? Durch den Grund gesehene (und) nicht-gesehene Folge: diese beide entstehen nicht. (XX. 11.)

Wenn der Grund die Folge nicht sieht, würde er ferner nicht die Folge hervorbringen; um so mehr sehend. Wenn der Grund selbst nicht die Folge sieht, dann würde er nicht die Folge hervorbringen. Weshalb? Wenn (er) nicht die Folge sieht, dann folgt die Folge nicht dem Grunde. Und (wenn) die Folge noch nicht ist, wie bringt er die Folge hervor? Wenn der Grund vorher die Folge sieht, würde er (sie) nicht nochmals hervorbringen; weil die Folge schon ist. Ferner:

Wenn man sagt: »Vergangener Grund ist doch in vergangener Folge, zukünftiger (und) gegenwärtiger Folge«, so ist das niemals zusammen. XX. 12.)

Wenn man sagt: »Ein zukünftiger Grund (ist) in zukünftiger Folge, in gegenwärtiger (und) vergangener Folge«, so ist das niemals zusammen. (XX. 13.)

Wenn man sagt: »Gegenwärtiger Grund ist zusammen mit gegenwärtiger Folge, und zukünftiger (und) vergangener Folge«, so ist das niemals zusammen. (XX. 14.)

Vergangene Folge ist nicht mit vergangenem, zukünftigem, gegenwärtigem Grund zusammen; zukünftige Folge ist nicht mit zukünftigem, gegenwärtigem, vergangenem Grund zusammen; gegenwärtige Folge ist nicht mit gegenwärtigem, zukünftigem, vergangenem Grund zusammen. So ist dreifache Folge niemals mit vergangenem, zukünftigem, gegenwärtigem Grund zusammen. Ferner:

Wenn nicht Zusammensein (ist), wie kann der Grund die Folge hervorbringen? Wenn Zusammensein ist, wie kann der Grund die Folge hervorbringen? (XX. 15.)

Wenn Grund (und) Folge nicht zusammen sind, dann ist nicht die Folge. Wenn die Folge nicht ist, wie kann der Grund[131] die Folge hervorbringen? Wenn (man) sagt: »(Wenn) Grund (und) Folge zusammen (sind), dann kann der Grund die Folge hervorbringen«, (so) ist das auch nicht richtig. Weshalb? Wenn die Folge sich im Grund befindet, dann ist im Grund schon die Folge; wie ist dann nochmals Entstehen? Ferner:

Wenn der Grund leer, ohne Frucht ist, wie kann der Grund die Folge hervorbringen? Wenn der Grund nicht leer an Folge, wie kann der Grund die Folge hervorbringen? (XX. 16.)

Wenn der Grund ohne Folge ist, ist, weil ohne Folge, der Grund leer: wie bringt der Grund die Folge hervor? Wie ein Mann, nicht beiwohnend einer Schwangeren (?), wie kann er ein Kind erzeugen? Wenn der Grund vorher mit Folge ist, so würde, weil die Folge schon ist, er nicht nochmals hervorbringen. Ferner wird er jetzt die Folge lehren:

Folge, nicht leer, entsteht nicht, Folge, nicht leer, vergeht nicht; weil Folge nicht leer ist, ist weder Entstehen noch Vergehen. (XX. 17.)

Weil die Folge leer ist, entsteht sie nicht, weil die Folge leer, vergeht sie nicht; weil die Folge leer ist, ist weder Entstehen noch Vergehen. (XX. 18.)

Die Folge, wenn nicht leer, würde nicht entstehen, würde nicht vergehen. Weshalb? Wenn die Folge vorher im Grunde wahrhaftig ist, braucht sie nicht außerdem nochmals entstehen. Da Entstehen nicht ist, ist nicht Vergehen. Daher, weil die Folge nicht leer, entsteht sie nicht (und) vergeht nicht. Wenn man sagt: »Weil die Folge leer ist, ist sie mit Entstehen (und) Vergehen«, so ist das auch nicht richtig. Weshalb? Wenn die Folge leer ist, so heißt »leer« nicht-vorhanden – wie wird Entstehen und Vergehen sein? Deshalb lehrt er: »Weil die Folge leer, entsteht sie nicht (und) vergeht nicht.« Ferner widerlegt er jetzt durch Eines (und) Verschiedenes den Grund (und) die Folge.

Grund (und) Folge sind Eines: diese Sache ist niemals richtig; Grund (und) Folge, wenn verschieden: diese Sache auch ist nicht richtig. (XX. 19.)

Wenn Grund (und) Folge Eines sind, so ist Hervorbringendes und Hervorgebrachtes Eines; wenn Grund (und) Folge verschieden, dann ist der Grund dem Nicht-Grund[132] gleich. (XX. 20.)

Wenn die Folge wahrhaftig mit Eigensein ist, weshalb bringt sie der Grund hervor? Wenn die Folge wahrhaftig nicht Eigensein hat, wodurch bringt sie der Grund hervor? (XX. 21.)

Der Grund bringt die Folge nicht hervor: dann ist nicht Grund-sein. Wenn nicht Grund-sein ist, was kann diese Folge sein? (XX. 22.)

Wenn durch Bedingungen der Zustand (dharma)6 des Zusammenseins ist, (und) Zusammensein nicht von selbst entsteht, wie kann die Folge entstehen? (XX. 23.)

Deshalb entsteht nicht die Folge durch Zusammensein der Bedingungen und Nicht-Zusammensein. Wenn die Folge nicht ist, an welchem Orte ist Zusammensein? (XX. 24.)

Dieser Zustand (dharma) des Zusammenseins der Bedingungen kann nicht durch eigene Substanz entstehen. Weil eigene Substanz nicht ist, wie kann sie Folge hervorbringen? Deshalb entsteht die Folge nicht durch der Bedingungen Zusammensein, auch nicht aus Nicht-Zusammensein. Wenn Folge nicht ist, (an) welchem Orte ist Zustand des Zusammenseins?

1

Zusatz von TE.

2

KE.: »Entstehen ist nicht mit solchem Fehler«.

3

TE.: »entstehen alle Folgen nicht ohne Grund«.

4

TE.: »(so) würde der früher entstandene Grund wiederum entstehen«.

5

TE.: »aber der Name ›Krug‹ entsteht«.

6

TE.: »das Entstehen«.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 126-133.
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