Fünftes Kapitel
Das Größte ist Eines

[9] Ohne Zahl kann die Vielheit der Dinge nicht bestehen; denn ohne Zahl giebt es keine Unterscheidung, Ordnung, Proportion, Harmonie. Wäre die Zahl selbst unendlich, so wäre dasselbe der Fall. Denn daß die Zahl unendlich und daß sie gar nicht ist, kommt auf Eines hinaus. Man kommt daher bei der Zahl in aufsteigender Richtung auf kein absolut Größtes. Wäre bei der absteigenden Richtung dasselbe der Fall, so wäre wieder alle Ordnung, Proportion etc. unmöglich. Man muß daher in der Zahl auf ein Kleinstes kommen, das nicht kleiner sein kann, und dies ist die Einheit. Sie ist als das schlechthin Kleinste mit dem schlechthin Größten identisch; diese Einheit kann nicht selbst Zahl sein, wohl aber ist sie das Princip aller Zahl, weil das Kleinste, und das Ende aller Zahl, weil das Größte. Diese absolute Einheit, die keinen Gegensatz hat, ist das absolut Größte – Gott. Sie ist nicht der Vervielfältigung fähig, weil sie Alles ist, was sein kann. Sie kann daher selbst nie Zahl werden. Die Zahl hat uns also zu der Einsicht geführt, Gott sei die absolute Einheit, vermöge welcher er Alles wirklich ist, was sein kann. Wer daher sagte, es gebe mehrere Götter, der würde so viel sagen, als, es gebe keinen Gott und kein Universum...

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 9.
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