I. Die Jugendjahre
1844 bis 1858

[13] Wenn man erwachsen ist, pflegt man sich gewöhnlich nur noch der hervorragendsten Punkte aus der frühesten Kindheit zu erinnern. Zwar bin ich noch nicht erwachsen, habe kaum die Jahre der Kindheit und Knabenzeit hinter mir, und doch ist mir schon so vieles aus meinem Gedächtnis entschwunden und das wenige, was ich davon weiß, hat sich wahrscheinlich nur durch Tradition erhalten. Die Reihen der Jahre fliegen an meinem Blicke gleich einem verworrenen Traume vorüber. Deshalb ist es mir unmöglich, mich in den ersten zehn Jahren meines Lebens an Daten zu binden. Dennoch steht einiges hell und lebhaft vor meiner Seele und dieses will ich, vereint mit Dunkel und Düster, zu einem Gemälde verbinden. Ist es doch immer lehrreich, die allmählige Bildung des Verstandes und Herzens und hierbei die allmächtige Leitung Gottes zu betrachten! –

Ich wurde in Röcken bei Lützen den 15. Oktober 1844 geboren und empfing in der heiligen Taufe den Namen: Friedrich Wilhelm. Mein Vater war für diesen Ort und zugleich für die Nachbardörfer Michlitz und Bothfeld Prediger. Das vollendete Bild eines Landgeistlichen! Mit Geist und Gemüt begabt, mit allen Tugenden eines Christen geschmückt, lebte er ein stilles, einfaches aber glückliches Leben und wurde von allen, die ihn kannten, geachtet und geliebt. Sein feines Benehmen und heiterer Sinn verschönerte manche Gesellschaften, zu denen er geladen war und machten ihn gleich bei seinem ersten Erscheinen überall beliebt. Seine Mußestunden füllte er mit schönen Wissenschaften und mit Musik aus. Im Klavierspielen hatte er eine bedeutende Fertigkeit, besonders im freien Variieren erlangt...

Das Dorf Röcken liegt eine halbe Stunde von Lützen, dicht an der Landstraße. Wohl jeder Wanderer, der an ihm vorbei seine Straße zieht, wirft ihm einen freundlichen Blick zu. Denn es liegt gar lieblich da, mit seinem umgebenden Gebüsch und seinen Teichen. Vor allem[13] fällt der bemooste Kirchturm in die Augen. Wohl kann ich mich noch erinnern, wie ich einstmals mit dem lieben Vater von Lützen nach Röcken ging und wie in der Mitte des Weges die Glocken mit erhebenden Tönen das Osterfest einläuteten. Dieser Klang tönt so oft in mir wieder und Wehmut trägt mich sodann nach dem fernen, teuren Vaterhause hin. Wie lebendig steht noch der Gottesacker vor mir! Wie oft fragte ich, wenn ich das alte, alte Leichenhaus sah, nach den Bahren und schwarzen Flören, nach alten Grabschriften und Denkmälern! Aber wenn kein Bild meiner Seele entweicht, am wenigsten werde ich wohl das traute Pfarrgebäude vergessen. Denn mit mächtigem Griffel ist es in meine Seele eingegraben. Das Wohnhaus war erst 1820 gebaut und deshalb in sehr nettem Zustande. Mehrere Stufen führten hinauf zum Parterre. Noch kann ich mich des Studierzimmers in der obersten Etage erinnern. Die Reihen Bücher, darunter manche Bilderwerke, diese Schriftrollen machten diesen Ort zu einem meiner Lieblingsplätze. Hinter dem Haus breitete sich der Obst- und Grasgarten aus. Ein Teil desselben pflegte im Frühjahr unter Wasser zu stehen und gewöhnlich war dann auch der Keller angefüllt. Vor der Wohnung erstreckte sich der Hof mit Scheune und Stallgebäude und geleitete zu dem Blumengarten. In den Lauben und Sitzen verweilte ich fast immer. Hinter dem grünen Zaun lagen die vier Teiche, mit Weidengebüsch umgeben. Zwischen diesen Gewässern zu gehen, die Sonnenstrahlen auf der Spiegelfläche und die munteren Fischlein spielen zu sehen, das war meine größte Lust. Noch muß ich etwas erwähnen, was mich immer mit geheimem Schauer erfüllte. Nämlich in der düstern Sakristei der Kirche stand an der einen Seite das übermenschliche Bild des heiligen Georg, von geschickter Hand in Stein gegraben. Die hehre Gestalt, die furchtbaren Waffen und das geheimnisvolle Halbdunkel ließen mich ihn immer nur mit Scheu betrachten. Einst, so geht die Sage, sollen seine Augen erschrecklich gefunkelt haben, so daß alle, die ihn angesehen hätten, mit Grausen erfüllt worden wären. – Rings um den Gottesacker herum liegen die Bauernhöfe und -gärten in trauter Stille. Eintracht und Friede waltete über jeder Hütte und wilde Erregungen blieben von ihnen fern. Überhaupt entfernten sich die Bewohner selten von dem Dorfe, höchstens an Jahrmärkten, wo muntere Scharen von Burschen und Frauen sich nach[14] dem belebten Lützen begaben und das Gewühl der Menschen und die glänzenden Waren bewunderten. Sonst ist Lützen ein kleines und einfaches Städtchen, dem man nicht ansieht, welche welthistorische Bedeutung es hat. Zweimal wurden hier ungeheure Schlachten geschlagen und mit dem Blute fast aller europäischen Nationen ist dort der Boden getränkt. Ehrende Denkmäler erheben sich hier und verkünden mit beredter Zunge den Ruhm der gefallenen Helden. – Eine Stunde von Röcken liegt Poserna, berühmt als Geburtsort von Seume, jenem wahrhaft patriotisch gesinnten Mann und Dichter. Leider steht sein Haus nicht mehr. Seit 1813 lag es in Trümmern und jetzt erst hat ein neuer Besitzer ein großes schönes Haus auf derselben Stelle gebaut. – Das dreiviertel Stunden weit entfernte Dorf Sössen ist noch durch ein Hünengrab merkwürdig, das kürzlich ausgegraben wurde. – Während wir in Röcken ruhig und still lebten, bewegten heftige Erregungen fast alle Nationen Europas. Schon lange Jahre vorher war der Zündstoff überall vorbereitet; es bedurfte nur eines Funkens, um alles in Brand zu setzen. – Da erscholl fern von Frankreich herüber der erste Waffenklang und Sturmessang. Die ungeheure Februarrevolution in Paris wälzte sich mit verheerender Schnelle umher. »Freiheit, Gleichheit, Brudersinn« ertönte es in allen Landen, der niedrige wie angesehene Mann ergriff das Schwert teils für, teils gegen den König. Der Revolutionskampf in Paris findet in den meisten Städten Preußens Nachahmung. Und selbst bei schneller Unterdrückung blieb doch noch lange der Wunsch des Volkes »eine deutsche Republik«. Nach Röcken drangen diese Erhebungen nicht; wohl aber kann ich mich noch erinnern, wie Wagen mit jubelnden Scharen und wehenden Fahnen auf der Landstraße hinfuhren. Während dieser verhängnisvollen Zeit bekam ich noch ein Brüderchen, in der heiligen Taufe Karl Ludwig Joseph genannt, ein allerliebstes Kind. Bis hierher hatte uns immer Glück und Freude geleuchtet, ungetrübt war unser Leben dahingeflossen, wie ein heller Sommertag; aber da türmten sich schwarze Wolken auf, Blitze zuckten und verderbend fallen die Schläge des »Himmels« nieder. Im September 1848 wurde plötzlich mein geliebter Vater gemütskrank. Jedoch trösteten wir uns und er sich mit baldiger Genesung. Immer wenn wieder ein besserer Tag war, bat er, doch ihn wieder predigen und Konfirmandenstunden geben zu lassen.[15] Denn sein tätiger Geist konnte nicht müßig bleiben. Mehrere Ärzte bemühten sich, das Wesen der Krankheit zu erkennen, aber vergebens. Da holten wir den berühmten Arzt Opolcer, der sich damals in Leipzig befand, nach Röcken. Dieser vortreffliche Mann erkannte sogleich, wo der Sitz der Krankheit zu suchen wäre. Zu unser aller Erschrecken hielt er es für eine Gehirnerweichung, die zwar noch nicht hoffnungslos, aber dennoch sehr gefahrvoll sei. Ungeheure Schmerzen mußte mein geliebter Vater ertragen, aber die Krankheit wollte sich nicht vermindern, sondern sie wuchs von Tag zu Tag. Endlich erlosch sogar sein Augenlicht und im ewigen Dunkel mußte er noch den Rest seiner Leiden erdulden. Bis zum Juli 1849 dauerte noch sein Krankenlager; da nahte der Tag der Erlösung. Den 26. Juli versank er in tiefen Schlummer und nur zuweilen erwachte er. Seine letzten Worte waren: Fränzchen – Fränzchen – komm – Mutter – höre – höre – Ach Gott! – Dann entschlief er sanft und selig. †††† den 27. Juli 1849. Als ich den Morgen erwachte, hörte ich rings um mich lautes Weinen und Schluchzen. Meine liebe Mutter kam mit Tränen herein und rief wehklagend: »Ach Gott! Mein guter Ludwig ist tot!« Obgleich ich noch sehr jung und unerfahren war, so hatte ich doch eine Idee vom Tode; der Gedanke, mich immer von dem geliebten Vater getrennt zu sehn, ergriff mich und ich weinte bitterlich.

Die Tage darauf vergingen unter Tränen und Vorbereitung zum Begräbnis. Ach Gott! Ich war zum vaterlosen Waisenkind, meine liebe Mutter zur Witwe geworden! – – – – Den 2. August wurde die irdische Hülle meines teuren Vaters dem Schoß der Erde anvertraut. Die Gemeinde hatte das Grab ausmauern lassen. Um ein Uhr mittag begann die Feierlichkeit unter vollem Glockengeläute. Oh, nie wird sich der dumpfe Klang derselben aus meinem Ohr verlieren, nie werde ich die düster rauschende Melodie des Liedes »Jesu meine Zuversicht« vergessen! Durch die Hallen der Kirche brauste Orgelton. Eine große Schar von Verwandten und Bekannten hatte sich eingefunden, fast sämtliche Pastoren und Lehrer der Umgegend. Herr Pastor Wimmer sprach die Altarrede, Herr Superintendent Wilke am Grabe und Herr Pastor Oßwalt den Segen. Dann wurde der Sarg hinabgelassen, die dumpfen Worte des Geistlichen erschallten und entrückt war er, der teure Vater, allen uns Leidtragenden.[16] Eine gläubige Seele verlor die Erde, eine schauende empfing der Himmel. –

Wenn man einen Baum seiner Krone beraubt, so wird er welk und kahl und die Vöglein verlassen die Zweige. Unsere Familie war ihres Oberhauptes beraubt, alle Freude schwand aus unsern Herzen und tiefe Trauer herrschte in uns. Aber kaum waren die Wunden ein wenig geheilt, so wurden sie von neuem schmerzlich aufgerissen. – In der damaligen Zeit träumte mir einst, ich hörte in der Kirche Orgelton wie beim Begräbnis. Da ich sah, was die Ursache wäre, erhob sich plötzlich ein Grab und mein Vater im Sterbekleid entsteigt demselben. Er eilt in die Kirche und kommt in kurzem mit einem kleinen Kinde im Arm wieder. Der Grabhügel öffnet sich, er steigt hinein und die Decke sinkt wieder auf die Öffnung. Sogleich schweigt der rauschende Orgelschall und ich erwache. – Den Tag nach dieser Nacht wird plötzlich Josephchen unwohl, bekommt die Krämpfe und stirbt in wenig Stunden. Unser Schmerz war ungeheuer. Mein Traum war vollständig in Erfüllung gegangen. Die kleine Leiche wurde auch noch in die Arme des Vaters gelegt. – Bei diesem doppelten Unglück war Gott im Himmel unser einziger Trost und Schutz. Dies geschah Ende Januar 1850. – – –

Die Zeit, wo wir von unserm geliebten Röcken scheiden sollten, nahte heran. Noch kann ich mich des letzten Tags und der letzten Nacht erinnern, wo wir dort verweilten. Am Abend spielte ich noch mit mehreren Kindern, gedenkend, daß es das letztemal sei. Die Abendglocke hallte mit wehmütigem Ton durch die Fluren, mattes Dunkel verbreitete sich über die Erde, am Himmel strahlten der Mond und die funkelnden Sterne. Ich konnte nicht lange schlafen; schon nachts halb eins ging ich wieder in den Hof. Hier standen mehrere Wagen, die beladen wurden, der matte Schein der Laterne beleuchtete düster die Hofräume. Ich hielt es geradezu für unmöglich, an einem anderen Orte heimisch zu werden. Von einem Dorf zu scheiden, wo man Freude und Leid genossen hat, wo die teuren Gräber des Vaters und des kleiden Bruders sind, wo die Bewohner des Ortes immer nur mit Liebe und Freundlichkeit zuvorkamen, wie schmerzlich war es! Kaum erhellte der Tag die Fluren, da rollte der Wagen hin auf der Landstraße und führte uns Naumburg zu, wo uns eine neue Heimat erwartete. – Ade, ade, teures Vaterhaus!![17]

– Die Großmama mit Tante Rosalie und dem Dienstmädchen waren vorangefahren und wir folgten traurig, ja sehr traurig nach. In Naumburg erwarteten uns Onkel Dächsel, Tante Riekchen und Lina. Das Logis, welches man für uns bestimmt hatte, lag in der Neugasse und gehörte dem Eisenbahn-Spediteur Otto. Es war für uns schrecklich, nachdem wir so lange auf dem Lande gewohnt hatten, in der Stadt zu leben. Deshalb vermieden wir die düstern Straßen und suchten das Freie, wie ein Vogel, der seinem Käfig entflieht. Denn nicht viel anders erschienen uns damals die Stadtbewohner. Als ich zum erstenmal den Bürgergarten sah, soll ich gesagt haben in kindlicher Freude: O sieh! Lauter Christbäume! Überhaupt erschien mir in der ersten Zeit alles neu und unbekannt. Die großen Kirchen und Gebäude, der Marktplatz mit Rathaus und Brunnen, die ungewohnte Menge des Volks erregte meine große Bewunderung. Dann erstaunte ich, wie ich bemerkte, daß die Leute oft miteinander unbekannt waren; denn auf dem stillen Dorfe kannte sich jedermann. Was mir aber mit am unangenehmsten war, das waren die langen gepflasterten Straßen. Der Weg zu den Tanten schien mir mindestens eine Stunde zu sein. – Sonst aber fügte ich mich sehr schnell in das Stadtleben, in den ersten fünf Minuten war ich mit allen im Hause bekannt. Oben im Dachstübchen wohnte ein Stellmacher mit seiner Frau, rechtschaffne alte Leute. Zu diesen hinauf war mein erster Gang und die altertümlichen Geräte, Bilder und Zimmer setzten mich sehr in Verwunderung. Später wurde ich auch als Schüler dem Direktor der Bürgerschule gemeldet. Ich mag wohl zuerst etwas verwirrt unter so vielen Kindern gewesen sein, aber da ich schon vom Papa und Herrn Schulmeister in Röcken etwas unterrichtet war, machte ich schnelle Fortschritte. Aber schon damals fing mein Charakter an sich zu zeigen. Ich hatte in meinem jungen Leben schon sehr viel Trauer und Betrübnis gesehn und war deshalb nicht ganz so lustig und wild wie Kinder zu sein pflegen. Meine Mitschüler waren gewohnt, mich wegen dieses Ernstes zu necken. Aber dieses geschah nicht allein in der Bürgerschule, nein, auch später im Institut und sogar im Gymnasio. Von Kindheit an suchte ich die Einsamkeit und fand mich da am wohlsten, wo ich mich ungestört mir selbst überlassen konnte. Und dies war gewöhnlich im freien Tempel der Natur, und die wahrsten[18] Freuden fand ich hierbei. So hat auf mich stets ein Gewitter den schönsten Eindruck gemacht; der weithin krachende Donner und die hell aufzuckenden Blitze vermehrten nur meine Ehrfurcht gegen Gott. – Bald lernte ich auch meine späteren Freunde kennen, nämlich Wilhelm Pinder und Gustav Krug. Aber erst, als ich in das Institut vom Cand. Weber kam, erwachte erst unsre wahre Freundschaft. Überhaupt wird die wahre Freundschaft nur durch gleiche Freuden und Leiden geknüpft; denn wo sich die Lebensereignisse mit denen eines andern berühren, da verbinden sich auch die Seelen und je näher die äußere Verbindung tritt, desto fester wird die innere. –

Herr Cand. Weber, ein christlicher, tüchtiger Lehrer, kannte unsere Freundschaft und suchte sie nie zu trennen. Hier wurde der Grundstein für unsere zukünftige Bildung gelegt. Denn neben ausgezeichneten Religionsstunden empfingen wir auch den ersten Unterricht im Griechischen und Lateinischen. Wir waren nicht mit Arbeiten überladen und hatten deshalb Zeit, für unseren Körper zu sorgen. Im Sommer wurden oft kleine Partien in die Umgegend unternommen. So besuchten wir die lieblich gelegene Schönburg, Schloß Goseck, Freiburg, dann auch die Rudelsburg und Saaleck und gewöhnlich in Begleitung des ganzen Instituts. So ein gemeinsamer Spaziergang ist immer etwas sehr Erheiterndes; vaterländische Lieder erschollen, lustige Spiele wurden gespielt und wenn der Weg durch einen Wald führte, so schmückte man sich mit Laub und Zweigen. Die Burgen erklangen von dem wilden Getöse der Zechenden – mir fielen die Zechgelage der alten Ritter ein. In den Höfen und auf den Wällen unternahm man Ritterkämpfe und die großartige Zeit des Mittelalters wurde im kleinen nachgeahmt. Dann erstieg man die hohen Türme und Warten, überschaute das im Abendschimmer vergoldete Tal und zog, wenn die Nebel sich auf die Wiesen senkten, unter lautem Gejubel der Heimat zu. Alle Frühjahre hatten wir ein Fest, das für uns die Stelle des Kirschfestes vertrat. Wir begaben uns nämlich nach Roßbach, einem kleinen Dorf in der Nähe von Naumburg, wo zwei Vögel unsrer Armbrüste warteten. Es wurde mit großem Eifer geschossen, Herr Cand. Weber verteilte die Gewinne und alles war in Freude und Jubel. Im nächsten Walde spielten wir so dann Räuber und Gendarm, wobei es sehr wild herging und Prügel nach Noten verteilt[19] wurden, bis uns endlich der Herr Cand. zur Rückkehr ermahnte. – Während dieser Zeit waren die Blicke aller mit banger Besorgnis auf die Verwicklungen gerichtet, welche sich zwischen der Türkei und Rußland entspannen. Die Russen hatten sofort die türkischen Donaufürstentümer, die Moldau und Walachei besetzt und standen drohend der Pforte gegenüber. Zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts schienen die Türken durchaus notwendig; deshalb traten Österreich, Preußen und die Westmächte für dieselben ein. Aber alle diese Vermittlungsversuche dieser vier Großmächte erregten bei dem Kaiser Nikolaus nicht die gewünschte Wirkung. Der Krieg der Russen mit den Türken währte fort und endlich bewaffnete Frankreich und England Heer und Flotte und sandte sie der Pforte zu Hilfe. Der Kriegsschauplatz wurde auf die Krim verlegt, und die ungeheuren Heere umgaben Sebastopol, wo die große russische Armee unter Menschikow stand. – Das war für uns etwas Angenehmes, sogleich wurde für die Russen Partei genommen und wütend forderten wir jeden Türkenfreund zum Kampf auf. Da wir bleierne Soldaten besaßen, ebenso Baukästen, so hörten wir nicht auf, uns die Belagerung und die Schlachten zu vergegenwärtigen. Von Erde wurden Wälle aufgeworfen, jeder fand neue Arten sie recht fest zu machen. Wir schrieben jeder für sich kleine Bücher, die wir »Kriegslisten« nannten, ließen uns Bleikugeln gießen und vermehrten unsere Heere durch neue Ankaufungen. So hatten wir uns öfter ein Bassin gegraben nach einem Plane vom Hafen Sebastopols, die Festungswerke genau aufgeführt, und den gegrabenen Hafen mit Wasser gefüllt. Eine Menge Kugeln von Pech, Schwefel und Salpeter waren vorher geformt worden und diese wurden, nachdem sie angebrannt waren, auf die papiernen Schiffe geworfen. Bald loderten helle Flammen, die unsern Eifer vermehrten und wahrhaft schön war es, wenn, da unser Spiel sich oft bis spät abends hinzog, die feurigen Kugeln durch das Dunkel sausten. Zum Schluß wurde gewöhnlich die ganze Flotte, ebenso alle Bomben verbrannt, wobei oft die Flamme zwei Fuß emporschlug. So verlebte ich glückliche Zeiten, nicht aber nur bei meinen Freunden, auch zu Hause mit meiner Schwester. Auch wir bauten untereinander Festungen mit unsern Baukästen und durch große Übung lernte ich alle die Feinheiten bei dem Aufbauen. Es ist wahr, alles was wir nur über Kriegswissenschaft[20] fanden wurde vollkommen geplündert, so daß ich mir eine ziemliche Kenntnis darin erwarb. Sowohl Lexika, als ganz neue militärische Bücher bereicherten unsere Sammlungen und schon wollten wir ein großes militärisches Wörterbuch gemeinschaftlich schreiben und hatten schon ungeheure Pläne gemacht, da – doch ich will nicht vorgreifen; ich habe noch mehreres aus der damaligen Zeit zu erwähnen. Als ich einst in Pobles bei den Croßeltern war, kam die Aufforderung vom Direktor des hallischen Waisenhauses, mich unter die Zahl der Waisen aufnehmen zu lassen. Der Großpapa in Pobles und die Großmama in Naumburg stimmten allerdings bei, aber meine Mama konnte sich dennoch nicht entschließen und schrieb es dem Herrn Direktor. Etwas gewann ich dabei, nämlich das Siegel des hallischen Waisenhauses für meine Siegelsammlung. In meinen Jahren besaß fast jeder Schüler eine und vermehrte sie so gut er konnte. Auch fallen in diese Zeit meine ersten Gedichte. Das was man in diesen ersten zu schildern pflegt, sind gewöhnlich Naturszenen. Wird doch jedes jugendliche Herz von großartigen Bildern angeregt, wünscht doch jedes diese Worte am liebsten in Verse zu bringen! Grauenhafte Seeabenteuer, Gewitter mit Feuer waren der erste Stoff zu diesen. Ich hatte keine Vorbilder, konnte kaum mir denken, wie man einem Dichter nachahme, und formte sie, wie die Seele sie mir eingab. Freilich entstanden da auch sehr mißgelungene Verse und fast jedes Gedicht hatte sprachliche Härten, aber diese erste Periode war mir dennoch bei weitem lieber als die zweite, die ich später erwähnen will. Überhaupt war es stets mein Vorhaben, ein kleines Buch zu schreiben und es dann selbst zu lesen. Diese kleine Eitelkeit habe ich jetzt immer noch; aber damals blieben es immer nur Pläne, selten wurde ein Anfang gemacht. Da ich Reim und Versmaß nicht sehr in meiner Gewalt hatte und es mir auch zu langsam vonstatten ging, machte ich reimlose Verse und ich besitze noch mehrere solche Gedichte. In dem einen wollte ich die Vergänglichkeit des Glücks schildern und ließ deshalb einen Wandrer unter Karthagos Trümmern schlummern. Der Traumgott mußte an seiner Seele jener Stadt einstiges Glück vorführen. Dann kamen die Schicksalsfälle und endlich – erwachte er. Noch manches Gedicht habe ich aus dieser Zeit, die aber alle durchgehend auch keinen Funken von Poesie in sich tragen. Durch die jährlichen Gemäldeausstellungen[21] wurden wir auch auf die Malerei geleitet. So pflegt man in seiner Jugend gern alles was gefällt nachzuahmen. Dieser Nachahmungsgeist ist bei Kindern besonders groß; sie stellen sich alles leichter vor; aber nur das, wozu sie besondere Lust haben. Wohl schwerlich ahmt ein Jüngling, der einen Dichter oder Schriftsteller verachtet, dessen Art und Weise nach. Sollte das bei Kindern nicht noch größer sein, da ihr Urteil noch nicht geschärft und ihr Verstand noch nicht reif ist? – Noch habe ich aber meine Freunde mit nichts weiter als ihren Namen erwähnt. Will nun auch ihrer etwas näher gedenken, da ihre Freuden und Leiden fortan mit den meinigen eng verbunden sind –: Der eine von ihnen hieß Gustav Krug oder mit dem ganzen Namen Clemens Felix Gustav Krug, geboren den 16. November. Er war der Sohn des Herrn Appellationsrats Krug in Naumburg, eines großen Musikkenners und Virtuosen. Sogar mehrere an sich treffliche Kompositionen hatte er geschrieben, unter andern einige Preissonaten und Quartette. Seine hohe, imponierende Gestalt, sein ernstes, geistreiches Gesicht, seine anerkannte Tüchtigkeit, alles dies machte auf mich großen Eindruck. Er besaß einen wundervollen Flügel, der mich so anzog, daß ich oft vor seinem Hause stehen blieb und den erhabenen Melodien Beethovens lauschte. Mendelssohn-Bartholdy war mit ihm sehr befreundet, ebenso die Gebrüder Müller, jene berühmten Violinvirtuosen, welche zu hören ich auch einmal das Glück hatte. In diesem Hause war oft ein ausgewählter Kreis von Musikfreunden versammelt und fast jeder Virtuos, der in Naumburg aufzutreten wünschte, suchte durch Herrn Rat Krug empfohlen zu werden. In einer solchen Familie wurde Gustav erzogen.

Natürlich wurde er von Kindheit auf zu den Genüssen der Musik hingeleitet. So lernte er sehr schnell Violine zu spielen, da er keiner Mühe schonte, hierin Fertigkeit zu gewinnen. Später wurde ihm Musik so zur Notwendigkeit, daß ich glaube, daß wenn man sie ihm entrisse, man ihn seiner halben Seele beraube. – Wie oft sahen wir uns miteinander Musikalien an, sprachen unsre Meinungen gegeneinander aus, probierten dies und das, und spielten uns gegenseitig vor! Aber auch außerdem z. B. bei den Festungsspielen waren wir die besten Freunde; er war der glühendste Verteidiger der Russen und nahm äußerst lebhaft an dem Fortgange der Belagerung Sebastopols Anteil. Hierzu schafften wir uns[22] Bücher und Karten an, und bereicherten gegenseitig unser Wissen. Bei unsern Festungsspielen war er ein heftiger Verteidiger und selten konnte man etwas gegen ihn gewinnen. Er besaß in allem eine bedeutendc Beharrlichkeit; wenn er einmal etwas, das ihm angenehm war, anfing, so ruhte er nicht, bis es vollendet war. Dies zeigte er vorzüglich im Notenabschreiben und Arrangieren. Indessen ging diese Beharrlichkeit mitunter etwas zu weit; es entstand daraus, daß er von der einmal gefaßten Meinung nicht abließ, so daß man vergebens sich bemühte, ihn des Unrechts zu überzeugen. Auch erschien er fast etwas stolz, da er sich nie mit gewöhnlichen Dingen abgab. Aber dennoch habe ich ihn sehr lieb, und er hat mir immer mit gleicher Freundschaft vergolten. Wir sind fast immer Schulnachbarn gewesen, ein beredtes Zeugnis unserer gleichen Kenntnisse... – Mein andrer Freund heißt Eduard Wilhelm Pinder und ist am 6. Juli 1844 geboren. Sein Vater war königlicher Appellationsgerichtsrat in Naumburg und besaß ein geistvolles Gemüt. Sein feines, gewandtes Benehmen machte ihn überall beliebt, aber auch sein frommer christlicher Sinn stand in hohen Ehren. Die Theologen, welche in Naumburg zu irgendeinem Feste zusammengekommen waren, pflegten sich bei ihm zu versammeln und zu unterreden. Auch war er Vorstand von Missions- und Armenvereinen und wirkte mit seiner tätigen Liebe mehr als mancher Prediger. Ebenso war er rastlos um die Verschönerung Naumburgs bemüht und war darum auch allgemein bekannt und geachtet. In seiner Familie war er stets ein treuer Hausvater aber auch den Pflichten seines Amtes lag er mit musterhafter Sorgfalt ob. Dann aber in seinen Mußestunden suchte er sich und seine Familie auch mit den bedeutendsten Erscheinungen im Gebiete der Literatur und Kunst bekannt zu machen und sein richtiger Blick ließ die Schönheiten derselben durch manche geistvolle Bemerkung im wahren Lichte erscheinen. – Da nun Wilheim von Natur immer recht kränklich war, waren stets seine Eltern für ihn ängstlich besorgt und allerdings mußte man große Vorsicht anwenden. Aber trotz allen Krankheiten des Körpers schritt der Geist desto rüstiger weiter. Wir arbeiteten fast immer zusammen und unsre Gedanken und Ideen stimmten deshalb sehr überein. Spaziergänge und Partien machten wir immer gemeinsam und konnten nicht ohne einander leben. Da Wilhelm bei weitem milder als Gustav war, ja[23] sogar das Gegenteil von ihm, so war mir der Umgang mit beiden sehr vorteilhaft. Er faßte immer mit Vorsicht Entschlüsse; aber dann ging er ruhig seinen begonnenen Weg und ruhte nicht, bis er am Ziele war. Sein Fleiß war als Schüler stets musterhaft und stand bei allen Lehrern stets im guten Renommee. Schien es mitunter, als ob er an einzelnen Unternehmen nicht besondern Anteil nehme, so täuschte hierbei nur, daß er nicht äußerlich so heftig und stürmisch sein Interesse bezeugte. Innerlich geschah es vielleicht noch gründlicher als bei Gustav. Sein liebevolles Benehmen gegen mich und gegen alle, mit denen er in Berührung kam, befreundete ihn jedermann und im Grund haßte ihn keiner. Später, als unser Interesse für Poesie wuchs, da wurden wir uns ganz unentbehrlich und unsrer Unterhaltung mangelte dann niemals der Stoff. Wir tauschten wechselweise unsre Ideen über Dichter und Schriftsteller, gelesene Werke, über neue Erscheinungen im Gebiete der Literatur, faßten gemeiniglich Pläne, gaben uns gegenseitig Gedichte auf und wurden nicht ruhig, bevor wir ganz unser Herz geöffnet hatten. – Dies waren meine Freunde und stets wuchs mit dem Alter auch die Freundschaft. Ja, es ist etwas Hohes, Edles, wahre Freunde zu haben und unser Leben ist von Gott bedeutend verschönert worden, daß er uns Mitgefährten gab, die mit uns dem Ziele zustreben. Und besonders ich muß Gott im Himmel dafür loben, da mir ohne diese in Naumburg vielleicht nie heimisch geworden wäre. Aber so, indem ich hier lebende Freunde gewann, wurde mir der Aufenthalt auch hier teuer und sehr schmerzlich würde mir es sein, von hier scheiden zu müssen. Denn wir drei waren eigentlich nie getrennt, außer in den Ferien, wo ich gewöhnlich mit Mama und Schwester verreist war. Gewöhnlich waren wir dann in Pobles; einmal jedoch erfüllten wir den Wunsch der lieben Tanten in Flauen und blieben dort einige Wochen. Da die reichen Fabriksherren daselbst unsre Verwandten sind, so war das stets ein recht angenehmer Aufenthalt. Außerdem ist Plauen eine sehr nette Stadt und besteht aus fast lauter neuen Gebäuden, die sämtlich mit Schiefer gedeckt, sich stattlich präsentieren. Denn da der große Brand dreiviertel der Stadt in Asche legte, so wurde alsbald überall gebaut und schöner als zuvor erhob sich Plauen aus den Flammen. Auch noch des Aufenthaltes in Nirmsdorf erinnere ich mich, wo der liebe selige Onkel Pastor war. Wohl weiß ich noch, wie[24] der Mond des abends auf mein Bett strahlte und wie ich die goldene Aue im Silberglanze vor mir sah; wie dann die Tante Auguste sprach:


»Der Mond ist aufgegangen

Die goldnen Sternlein prangen« usw.


Ach, nie werde ich diese Zeit vergessen.

Ich werde nun noch die zweite Periode meiner Gedichte erwähnen, dann wollen wir uns etwas in Naumburg umsehen. Waren meine ersten Poesien an Form und Inhalt unbeholfen und schwer, so versuchte ich in der zweiten in geschmückter und strahlender Sprache zu reden. Aber aus der Zierlichkeit wurde Ziererei und die schillernde Sprache zu phrasenartiger Verblümung. Und bei diesem allem fehlte noch die Hauptsache, die Gedanken. Jedenfalls steht deshalb die erste Periode noch weit über der zweiten, aber man sieht hieraus, wie man, hat man noch nicht festen Fuß gefaßt, von Extrem zu Extrem wankt und erst in der goldnen Mittelstraße seine Ruhe findet. –

Nun habe ich genug geschrieben, kommt, laßt uns ein wenig die Stadt beschauen. – Wollen einmal zum netten Jakobstor hineingehen. Wenn wir nun die schöne, breite Straße mit ihren altertümlichen Häusern herabgehen, so kommen wir auf den Marktplatz. Sieh da, gleich vor dir steht das Rathaus. Wie groß es doch ist! Welche Ausdehnung! Seine vier Fronten bilden fast vier Straßen und mit seinem Türmchen ragt es düster in die Luft hinein. Dies dunkelfarbene Grau, diese altertümlichen Erker, lassen es mich immer nur mit Ehrfurcht betrachten. Wende nun deine Blicke rechts, da in der Mitte, das grüne Haus! Das ist die Pindersche Wohnung! Hier wohnen Rat Krugs, hier wohnt die Frau Großmama Pinder, die ehrwürdige Besitzerin des Hauses. In ihm soll einst Friedrich der Große logiert haben, ebenso Napoleon und ein großer Adler ist noch aus seiner Zeit da. (Nämlich ein Transparent! Bitte nicht an einen Vogel zu denken! Denn Napoleon glich auch so einem papiernen Adler. Wenn man die Lichter hinter ihm wegnahm, war er auch nur elend Papier und wurde in einen Winkel gesteckt! –) Links vom Rathaus siehst du die hohe, ehrwürdige Stadtkirche hervorragen. Vor derselben, sieh, welches erbärmliche Gebäude da steht! Ei, wenn es doch weggerissen würde, hemmt es nicht die ganze Aussicht auf das Gotteshaus?![25] – Hinter der Kirche steht das königliche Kreisgericht, das mit zwei hohen Giebeln auf den Markt ragt. Wollen an der Kirche vorübergehen; ein andermal haben wir mehr Zeit sie uns genau zu besehen. Laßt uns durch die Priestergasse spazieren! Gleich am Anfang steht die Knabenbürgerschule. Sie befindet sich jetzt in recht blühendem Zustande, den sie wohl am meisten ihrem Direktor, dem trefflichen Doktor Neumüller zu danken hat. Dicht daran stößt die Superintendentur. Da aber der liebe Herr Superintendent Jahr von hier nach Eisleben berufen ist, und dem Rufe Folge leistete, so steht die Stelle leer und wir erwarten mit Sehnsucht den neuen Geistlichen, Herrn Sup. Hammer. An diese Gebäude schließen sich die übrigen Priesterwohnungen an, bis zu der Lücke, mit der das Besitztum unsres Wirtes beginnt. Durch einen großen Torweg gelangen wir in den Hof mit seinen vielen Nebengebäuden bis wir das Wohnhaus, das mit seiner vorderen Front die Ecke der Neugasse bildet, erreichen. Gehen wir diese Straße weiter herunter, so erblicken wir alsbald das hohe, schöne Gebäude des Bürgermeister Rasch. Das Ende der Gasse bildet die stattliche Präsidentenwohnung, dïe jetzt Herr Pr. Koch innehat. Rechts von diesen steht ein nettes Haus, in das ich so oft gegangen und aus dem ich immer meine Kenntnisse um ein wenig bereichert nach Hause brachte. Es ist nämlich des Herrn Weber Institut. In der nahen Kirche zu St. Othmar ist der liebe Mann nun als Pastor angestellt, behält aber trotzdem seine Schule bei, die aber nun in sein Amtsgebäude verlegt ist. – Also weiter! Vor diesen Häusern dehnen sich Rasenplätze und Baumgruppen aus, bis zum Salztore hin. Die Wachen an beiden Seiten sind mit einfachen dorischen Säulen geschmückt und gewähren einen stattlichen Anblick. Etwas weiter hinauf zeigen sich wieder ein paar sehr nette Häuser. Beide sind erst ganz kürzlich gebaut. Sie bilden den Anfang der Salzstraße. Lassen wir diese beiseite liegen und gehen unsern frühern Weg fort, so kommen wir zur Lindenstraße, die in ihrer Mine eine mit Linden bepflanzte Allee bildet. Mitten in der Hälfte er hebt sie sich allmählich und bildet oben die Verbindung von Steinweg und Herrengasse. Letztere mit ihren düstern, altertümlichen Gebäuden, will ich noch erwähnen, da in ihr die Wohnung von Rat Pinders ist. Auch liegt die Domrichsche Buchhandlung in derselben. Den Teil des Rathauses, der in dieser Straße liegt, will ich noch erwähnen,[26] weil in demselben häufig Konzerte und Bälle gegeben wurden. – So, nun haben wir uns genug angesehen, ein andermal mehr. –

Ich war an dem Himmelfahrtstag in die Stadtkirche gegangen und hörte den erhabenen Chor aus dem Messias: das Halleluja! Mir war, als sollte ich mit einstimmen, deuchte mir doch, es sei der Jubelgesang der Engel unter dessen Brausen Jesus Christus gen Himmel führe. Alsbald faßte ich den ernstlichen Entschluß, etwas Ähnliches zu komponieren. Sogleich nach der Kirche ging ich auch ans Werk und freute mich kindlich über jeden neuen Akkord, den ich erklingen ließ. Indem ich aber davon jahrelang nicht abließ, gewann ich doch sehr dabei, indem ich durch die Erlernung des Tongefüges etwas besser vom Blatte spielen lernte. Dies ist auch, was mich die vielen verschriebenen Bogen Notenpapier nicht dauern läßt. Ich empfing dadurch auch einen unauslöschbaren Haß gegen alle moderne Musik und alles, was nicht klassisch war. Mozart und Haydn, Schubert und Mendelssohn, Beethoven und Bach, das sind die Säulen, auf die sich nur deutsche Musik und ich gründete. Auch mehrere Oratorien hörte ich damals. Das tief ergreifende Requiem war das erste; wie mir die Worte »Dies irae, dies illa« durch Mark und Bein gingen. Aber das wahrhaft himmlische Benediktus!! – Die Proben besuchte ich sehr oft. Da die Seelenmesse gewöhnlich zum Totenfeste aufgeführt wurde, so fielen diese in die neblichen Herbstabende. In dem heiligen Halbdunkel der Domkirche saß ich sodann und lauschte den hehren Melodien. Hier muß ich den trefflichen Musikdirektor Wettig erwähnen, einen durch und durch tüchtigen Musiker, sowohl im Dirigieren als Komponieren. Seine kleine Kapelle hielt er immer in musterhafter Ordnung, die Chöre des Gesangvereins wurden von ihm ausgezeichnet eingeübt, aber er galt außerdem auch für den besten Lehrer in Naumburg. Seine Gemahlin, eine frühere Opernsängerin, trug auch viel dazu bei, die Musikaufführungen zu verschönern. Außer diesen haben wir noch zwei Direktoren in Naumburg, Otto Claudius, Dirigent der früheren Liedertafel, einen tüchtigen Komponisten, aber dabei einen höchst eitlen und eingebildeten Menschen; und Fuckel, der das Stadtmusikchor leitete. – Außerdem hörte ich noch Judas Makkabäus von Händel, und vor allem die Schöpfung von Haydn. Dann war ich auch bei der Aufführung des zarten, sinnigen Sommernachtstraum[27] von Mendelssohn. Diese wundervolle Ouvertüre! Mir ist's, als ob Elfen in mondbeglänzter Silbernacht den luftigen Reihen tanzten! Nun will ich aber weiter erzählen, denn es trat jetzt eine wichtige Epoche für mich ein. – Ich wurde Gymnasiast. –!! Wir wurden bei dem Herrn Dir. Förtsch, einem liebevollen, guten Manne angemeldet, etwas examiniert und nach Quinta versetzt. Weiß ich doch, mit welchem Zagen ich zum ersten Male die kleine Pforte durchschritt, die mich in das Schulgebäude führt. Indes hatten wir uns alles viel schrecklicher vorgemalt, und diese Enttäuschung hatte den gewünschten Erfolg. Der Ordinarius von Quinta war der Herr Doktor Opitz, von seinen Eigenheiten auch wohl Doktor Oe!, der Augenverrenker oder der Dichter genannt. Daher folgender Vers:


Opitz terribili sonitu a a! will er wohl! dixit!


Außerdem aber strebte er immer danach, unsre Kenntnisse zu bereichern, hatte auch wohl ausgezeichnete Kenntnisse, besaß aber gar nicht die Gabe, einem Schüler etwas klarzumachen. Was mir aber besonders wehtat, war der wahrhaft erbärmliche Religionsunterricht, der allerdings bis Tertia fortdauerte. Aber das muß ich noch nachtragen: sobald ich Quintaner war, stellte sich auch schon etwas Quintanerstolz ein. Es ist eigentümlich, daß, sind wir etwas vorgeschritten und haben eine höhere Stufe betreten, sogleich ein etwas Gesetztes in unserm Wesen bemerken wollen. Am deutlichsten tritt dies bei einem Tertianer ein. Man denkt sich in die Zahl der höhern Klassen aufgenommen und viele finden darin ein Privilegium, sich mit Zigarre und Stock sichtbar zu machen, und sich vor seinesgleichen auszuzeichnen. Bis jetzt kann ich mir nicht denken, daß man an dergleichen als Knabe wahrhaften Genuß empfinden kann; ich sehe beides nur für Eitelkeit an. – Bis jetzt war unser Leben in Naumburg ungetrübt dahingeflossen, wie ein klarer Bach. Doch plötzlich wurden die Fluten wieder schwärzlich, ein Gewitter tobte durch die Natur, ein Wolkenbruch ließ die dunkeln Gewässer anschwellen und brausend dahineilen. – Meine liebe Tante Auguste war schon in Röcken immer sehr krank gewesen, aber ihr Unwohlsein steigerte sich in Naumburg fürchterlich. Den Grund der Krankheit konnten mehrere Ärzte nicht bestimmen, aber darin waren sie sicher, daß an der Lunge eine Veränderung vorgehe. Die vielen Arzeneien wollten alle nicht helfen und die[28] liebe Tante zehrte immer mehr ab. Nun waren die Hundstage herangekommen, und der Onkel Edmund aus Pobles wollte mich zu den Großeltern mitnehmen. Ich nahm von allen Abschied, auch von der lieben Tante. Wohl kann ich mich erinnern, wie sie weinte und ich mit ihr. Es war das letztemal, daß ich sie sah. † Eines Tages kam der Briefbote nach Pobles und brachte einen Brief. Mit einiger Angst harrte ich der Nachrichten. Als ich aber den Anfang gehört hatte, ging ich hinaus und weinte bitterlich. – Als ich nach ein paar Tagen nach Naumburg reiste, war sie schon begraben. † Nach dem Urteil der Ärzte, welche sie seziert hatten, war es die schwarze Krankheit, welche ihrem Leben ein Ende machte. Der ganze eine Lungenflügel soll verzehrt gewesen sein. – Es ist eigentümlich, daß gerade die Tante starb, als ich nicht da war, und wiederum meine Schwester abwesend war, als acht Monate darauf die Großmama starb. Diese liebe, ehrwürdige Matrone, die nun schon mehrere ihrer Kinder verloren hatte, wurde von dem letzten Todesfall sehr schmerzlich bewegt. In tiefer Trauer rief sie oftmals klagend: »Meine Auguste! Meine Auguste!« – Nach nicht langer Zeit folgte sie auch derselben nach. – Als der zweiundachtzigjährige Herr Rat Hunger begraben wurde, sprach sie mit Wehmut: Bald, bald werden wir uns wiedersehn! Acht Monate nach dem Tode der Tante Auguste, wurde sie auch eines Morgens plötzlich unwohl. Allmählich sank sie in einen sanften Schlummer, aber wir alle hatten nicht viel Hoffnung für ihr teures Leben. Die Mama sandte sogleich nach Lisbeth, die sich in Pobles aufhielt. Als diese abends ankam, fand sie die liebe Großmama nicht mehr lebend. Mittag um zwei Uhr war sie sanft eingeschlafen. Der himmlische Vater weiß, was ich damals geweint habe. – Da sie in Naumburg allgemein geehrt und geliebt war, war ihr Sarg mit Kränzen und Kreuzen ungemein geschmückt. – Es ist ein merkwürdiger Zug des menschlichen Herzen, daß, haben wir einen großen Verlust empfangen, uns nicht bemühen, denselben zu vergessen, sondern gerade uns denselben so oft als möglich vor die Seele führen. Es ist uns, als ob wir in dem öfteren Erzählen ordentlich Trost schöpften für unsern Schmerz. – Noch habe ich nicht erwähnt, daß ich während dieser Zeit nach Quarta versetzt wurde. Hier hatten wir als Ordinarius den Herrn Doktor Silber, einen Mann, den ich als Lehrer besonders sehr[29] lieb gewonnen hatte. Sein geistreicher, fließender Vortrag, seine überall durchschimmernde Kenntnis, die er sich über alle Fächer des menschlichen Wissens durch und durch gründlich angeeignet hatte, zeichneten ihn sehr angenehm vor Opitz aus. Auch besaß er gerade das Talent, was diesem ganz fehlte, nämlich der Schüler Aufmerksamkeit zu fesseln. Bei ihm hatten wir die ersten griechischen Stunden, die uns allerdings sehr schwer fielen. Ebenso bereiteten mir Verse große Mühe und Schwierigkeit, obgleich ich sie sehr gern machte. Überhaupt hatten wir zuerst sehr viel zu arbeiten und ich kann mich erinnern, daß ich oft bis elf, zwölf (es war Winter) gearbeitet habe und doch noch um fünf Uhr aufstehen mußte. Diese erste Zeit verlebte ich schon in der neuen Wohnung. Nach der Großmama Tode hielten wir es für geratener uns zu trennen, so daß die Tante Rosalie ein andres Logis als wir bewohnte. Wir fanden eins in dem Hause der Frau Pastor Haarseim, einer emsigen, sehr pflichttreuen Lehrerin an der Bürgermädchenschule. Dicht an das nette Gebäude stößt ein geräumiger Garten mit vielen Lauben und Obstbäumen. Es war in den Hundstagferien, als wir einzogen. Auch das neue Pianoforte wurde zum erstenmal in der neuen Wohnung gespielt, da es erst zwei Tage vorher gekauft und das alte die Tante Rosalie bekommen hatte. Dicht vor der Gartentür steht die Marien-Magdalenen-Kirche, an der Herr Pastor Richter Geistlicher ist. Sie ist vor nicht langer Zeit wieder ausgebaut und recht nett mit Wandgemälden geschmückt. Von unsern Fenstern aus hatten wir eine sehr hübsche Aussicht. Die dichte, belaubte Allee, weiter hinaus die Weinberge des Spechzart und rechts das altertümliche Marientor und der -turm. Besonders im Herbst, wenn die rauhen Winde die Bäume der Blätter entlaubt hatten, konnten wir ganz deutlich die Feuer und die mannigfachen Feuerwerke sehen und das Jubeln, Knallen und Schießen der Winzer hören. Auch die recht nette Militärmusik genossen wir im Sommer jeden Morgen. Doch da fällt mir noch etwas ein, was ich im früheren Logis erlebt habe. Auch unser lieber König beehrte Naumburg mit seinem Besuch. Große Vorbereitungen waren hierzu getroffen. Die ganze Schuljugend war mit schwarzen und weißen Schleifen geschmückt und harrte sehnlich des kommenden Landesvaters. Auch wir waren auf dem Marktplatz um elf Uhr aufgestellt. Allmählich ergoß sich ein Regen über uns alle,[30] der Himmel trübte sich und der König wollte nicht kommen. Es schlug zwölf, der König kam nicht; bei vielen Kindern stellte sich Hunger ein. Es regnete von neuem und alle Straßen wurden in Kot verwandelt. Es schlug eins, die Ungeduld stieg aufs höchste. Endlich, um zwei Uhr, begannen plötzlich die Glocken zu läuten, der Himmel lächelte mit Tränen im Blick nieder auf die freudig wogende Menge. Da hörten wir die Wagen rasseln, ein tobendes »Hurra« durchbrauste die Stadt. Jauchzend schwangen wir die Mützen und brüllten nach Vermögen unsrer Kehle mit. (Die ganzen Gewerbe Naumburgs waren mit Fahnen und Feierkleidern vom Jakobstor bis zur Herrenstraße aufgestellt.) Ein lustiger Wind setzte die unzähligen Fahnen, die von den Dächern herabwinkten, in Bewegung, die gesamten Glocken brummten, die mächtige Menschenmasse schrie und tobte und schob förmlich die Wagen nach dem Dom zu. Dort waren in den Kirchennischen eine große Anzahl Mädchen mit weißen Kleidern und Blumenkränzen im Haar aufgestellt. Der König stieg hier aus, belobte die Vorbereitungen und begab sich in die für ihn bereitete Wohnstätte. Den Abend war die ganze Stadt illuminiert. Ungemein viel Mensehen durchwogten die Straßen. Die Kranzpyramiden am Rathaus und am Dom waren von unten bis oben mit Lämpchen bedeckt. Eine Menge Transparente zierten die Häuser. Auf dem Domplatze wurde Feuerwerk angezündet, so daß oft der düstere Dom in geisterhafter Beleuchtung vor uns stand. Am andern Morgen war Manöver bei Wethau. Ich versäumte auch nicht, mich dahin zu begeben. Da es das erstemal war, daß ich so etwas sah und mich damals für dergleichen sehr interessierte, so gefielen mir die schnellen Schwenkungen, Attacken und Rückzüge sehr. Noch muß ich erwähnen, daß der König sich unsern schönen Dom ansah und später für denselben zwei neue gemalte Glasfenster sandte, die indessen den alten weit nachstehen. – Noch etwas: Eines Tages kam Gustav zu mir und teilte mit erregter Miene mir mit, daß Sebastopol genommen sei. Nachdem alle Zweifel beseitigt waren, löste sich unsre Wut in augenblicklichen Zorn gegen die Russen, »daß sie den Malakoffturm nicht besser verteidigt hätten«. Kurzum, wir ärgerten uns im höchsten Grad. – In dem neuen Logis wurden wir sehr bald eingewöhnt. Indessen versäumten wir nie, alle Ferien zu verreisen. Gewöhnlich nach Pobles: Der liebe, ernste aber[31] auch heitere Großpapa, die so freundliche Großmama, Onkel und Tante, überhaupt die echt deutsche Gemütlichkeit, die in diesem Hause herrschte, zogen uns immer wieder hin und ließen uns diesen Ort sehr liebgewinnen. Am liebsten hielt ich mich in des Großpapas Studierstube auf, und in den alten Büchern und Heften herumzustören, war meine größte Lust. In mancher Hinsicht war mir auch die Reise nach Schönefeld bei Leipzig sehr angenehm. Besonders, daß ich alle Tage nach Leipzig ging und hier Buch- und Notenhandlungen aufsuchte, auch mir Merkwürdigkeiten ansah, wie Auerbachs Keller, das tat ich doch sehr gern. Überhaupt war es so nett, so ohne Ziel und ohne Straßenkenntnis hinzulaufen, wohin das Glück mich führte. Dann der schöne Park, der freundliche Garten, die Badestube – ist das nicht alles sehr angenehm? Auch waren wir einmal in Deutschental, einem Dorf bei Halle. Fast alle Tage fuhren wir nach dem salzigen See bei Eisleben, wo wir badeten. O es ist wonnig, sich dem lauen Wasser des Sommers hinzugeben. Besonders empfand ich dies, als ich später schwimmen lernte. Sich der Strömung zu überlassen, und ohne Mühe auf den weichen Fluten hinzugleiten, kann man sich etwas Lieblicheres denken? Dazu erachte ich das Schwimmen nicht nur für angenehm, sondern auch in Gefahren sehr nützlich und für den Körper sehr stärkend und erfrischend. Es ist Jünglingen nicht genug zu empfehlen. Seine Stelle vertrat im Winter das Schlittschuhlaufen. Es ist geradezu etwas Überirdisches, mit geflügeltem Fuß über die kristallne Fläche hinzugleiten. Wenn dazu der Mond seine silbernen Strahlen sendet, so gleichen solche Abende auf dem Eis Zaubernächten. Ringsum die lautlose Stille, die nur durch das Krachen des Eises und den tönenden Klang der Fahrenden unterbrochen wird, hat etwas Majestätisches in sich, das wir vergebens in Sommernächten suchen. Aber doch bleibt das Weihnachtsfest der seligste Abend des Jahres. Mit wahrhaft überseliger Freude harrte ich schon lange darauf, aber die letzten Tage konnte ich kaum mehr warten. Minute für Minute verging und so lang kamen mir die Tage im ganzen Jahre nicht vor. Eigentümlich war, daß, wenn ich einmal rechte Sehnsucht hatte, mir alsbald einen Weihnachtszettel schrieb und mich dadurch förmlich in den Augenblick hineinversetzte, an dem sich die Tür öffnete und der leuchtende Christbaum uns entgegenstrahlte. In einer[32] kleinen Festschrift schrieb ich hierüber: »Wie herrlich steht der Tannenbaum, dessen Spitze ein Engel ziert, vor uns, hindeutend auf den Stammbaum Christi, dessen Krone der Herr selbst war. Wie hell strahlt der Lichter Menge, sinnbildlich das durch die Geburt Jesu erzeugte Hellwerden unter den Menschen vorstellend. Wie verlockend lachen uns die rotwangigen Äpfel an, an die Vertreibung aus dem Paradies erinnernd! Und siehe! An der Wurzel des Baumes das Christkindlein in der Krippe; umgeben von Joseph und Maria und den anbetenden Hirten! Wie doch jene den Blick voll inniger Zuversicht auf das Kindlein werfen! Möchten doch auch wir uns so ganz dem Herrn hingeben!« – – – Wenn nicht ganz so herrlich, aber doch ähnlich, ist das Geburtstagsfest. Aber was ist die Ursache, daß wir nicht so wie am Christfest von Freude durchdrungen sind? Erstens fehlt ganz jene hohe Bedeutung, die dies erstgenannte über alle andern Feste erhebt. Dann aber betrifft es nicht nur uns allein, sondern überhaupt die gesamte Menschheit, Arme und Reiche, Kleine und Große, Niedrige und Hohe. Und gerade diese allgemeine Freude vermehrt unsre eigne Stimmung. Kann man sich doch mit jedem darüber besprechen, sind ja doch alle Menschen gleichsam Mitharrende. Dann beachte man auch die Lage, so daß es, sozusagen, den Kulminationspunkt des Jahres bildet, bedenke man jene nächtliche Stunde, wie überhaupt die Seele am Abend viel erregter ist, und endlich jene ganz außergewöhnliche Feierlichkeit, mit der dieses Fest geehrt wird. Das Geburtstagsfest ist mehr Familienfest, Weihnachten ist aber das Fest der gesamten Christenheit. Aber dennoch habe ich meinen Ehrentag sehr lieb. Da er mit dem Geburtstag unsers lieben Königs zusammenfällt, so werde ich des Morgens schon mit Militärmusik geweckt. Nach beendigter Bescherungszeremonie wenden wir uns zur Kirche hin. Ist die Predigt auch nicht für mich geschrieben, so ziehe ich mir doch das Beste heraus und wende es auf mich an. Dann versammeln wir uns zur großen Schulfeierlichkeit. Nach einer gewöhnlich langweiligen Rede eines Lehrers tragen noch mehrere Schüler ihre eigenen Aufsätze vor und empfangen dann zur Belohnung einige Bücher. Zum Schluß wurde noch ein herzliches, vaterländisches Lied gesungen und der Direktor concilium dimissit. Nun aber begann für mich die frohe Zeit. Meine Freunde kamen und wir verlebten zusammen einen[33] heitren Nachmittag. – Bevor ich nun die dritte Periode meiner Gedichte behandle, will ich erst noch meine Gedanken über Musik anfügen (in Sentenzen).

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 13-34.
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