Über Musik

[34] Gott hat uns die Musik gegeben, damit wir erstens, durch sie nach oben geleitet werden. Die Musik vereint alle Eigenschaften in sich, sie kann erheben, sie kann tändeln, sie kann uns aufheitern, ja sie vermag mit ihren sanften, wehmütigen Tönen das roheste Gemüt zu brechen. Aber ihre Hauptbestimmung ist, daß sie unsre Gedanken auf Höheres leitet, daß sie uns erhebt, sogar erschüttert. Vorzüglich ist dies der Zweck der Kirchenmusik. Indes muß man bedauern, wie sich diese Gattung der Musik immer mehr von ihrer Hauptbestimmung entfernt. Hierzu gehören auch die Choräle. Aber es existiert jetzt so mancher Choral, der mit seiner schleppenden Melodie so ungemein von der Stärke und Kraft der älteren abweicht. Dann aber erheitert sich auch das Gemüt und vertreibt die trüben Gedanken. Über wen kommt nicht ein stiller, klarer Frieden, wenn er die einfachen Melodien Haydns hört! Die Tonkunst redet oft in Tönen eindringlicher als die Poesie in Worten zu uns und ergreift die geheimsten Falten des Herzens. Aber alles was uns Gott schenkt, kann uns nur dadurch zum Segen gereichen, wenn wir es richtig und weise anwenden. So erhebt der Gesang unser Wesen und führet es zum Guten und Wahren. Wird aber die Musik nur zur Belustigung gebraucht oder um sich sehen zu lassen vor den Menschen, so ist sie sündlich und schädlich. Und doch findet man gerade dieses so häufig, ja fast die ganze moderne Musik trägt die Spuren davon. Eine andre recht traurige Erscheinung ist, daß viele neuere Komponisten sich bemühen, dunkel zu schreiben. Aber gerade solche künstliche Perioden, die vielleicht den Kenner entzücken, lassen das gesunde Menschenohr kalt. Vorzüglich diese sogenannte Zukunftsmusik eines Liszt, Berlioz, sucht etwas darin, so eigentümliche Stellen wie nur möglich zu zeigen. – Auch gewährt die Musik eine angenehme Unterhaltung und bewahrt jeden, der sich dafür interessiert, vor Langeweile. Man muß alle Menschen, die sie verachten, als geistlose, den Tieren ähnliche Geschöpfe betrachten. Immer sei[34] diese herrlichste Gabe Gottes meine Begleiterin auf meinem Lebenswege und ich kann mich glücklich preisen, sie liebgewonnen zu haben. Ewig Dank sei Gott von uns gesungen, der diesen schönen Genuß uns darbietet! – –


In der dritten Periode meiner Gedichte versuchte ich die erste und die zweite zu verbinden, d. h. Lieblichkeit mit Kraft zu vereinen. Inwieweit mir dies gelungen ist, weiß ich selbst noch nicht zu bestimmen. Diese Periode begann mit dem 2. Februar 1858. An diesem Tage nämlich ist meiner lieben Mutter Geburtstag. Gewöhnlich pflegte ich ihr eine kleine Sammlung Gedichte zu überreichen. Von da an nahm ich mir vor, mich etwas mehr in der Poesie zu üben, und wenn es geht, womöglich jeden Abend ein Gedicht zu machen. Dieses führte ich ein paar Wochen hindurch aus und jedesmal gewährte es mir große Freude, wenn ich wieder ein neues Geistesprodukt vor mir liegen sah. Auch versuchte ich einmal, so einfach wie möglich zu schreiben, aber bald ließ ich es sein. Denn ein Gedicht, das vollendet sein soll, muß allerdings so einfach wie möglich sein, aber dennoch muß die wahre Poesie auf jedem Worte liegen. Ein gedankenleeres Gedicht, das mit Phrasen und Bildern überdeckt ist, gleicht einem rotwangigen Apfel, der im Innern den Wurm hat. Redensarten müssen in einer Dichtung vollständig fehlen; denn der häufige Gebrauch von Phrasen zeugt von einem Kopf, der nicht fähig ist, selbst etwas zu schaffen. Man muß überhaupt bei dem Schreiben eines Werks vorzüglich die Gedanken berücksichtigen; eine Nachlässigkeit im Stil verzeiht man eher, als eine verwirrte Idee. Ein Muster hiervon sind die goethischen Gedichte in ihren goldklaren, tiefen Gedanken. – Die Jugend, der noch eigne Gedanken fehlen, sucht ihre Ideenleere hinter einem schillernden, glänzenden Stil zu verbergen. Gleicht hierin die Poesie nicht der modernen Musik? Ebenso wird hieraus alsbald eine Zukunftspoesie werden. Man wird in den eigentümlichsten Bildern reden; man wird wirre Cedanken mit dunkeln, aber erhaben klingenden Beweisen belegen, man wird kurzum Werke im Stil des Faust (zweiten Teil) schreiben, nur daß eben die Gedanken dieses Stücks fehlen. Dixi!![35]


Ich will nun ein Verzeichnis meiner Gedichte folgen lassen:


1855-56
  • 1. I. Geburtstagslied. »Ich bringe Dir«
  • 2. Meeressturm. »Eine drückende«
  • 3. Elegie. »Schweigend in der Abenddämmerung«
  • 4. Überfall. »Nachts um zehn Uhr«
  • 5. Rettung. »Still neigte sich die«
  • 6. Cyri Jugendjahre. »Astyages der«
  • 7. Schiffbruch. »Ein Schifflein fährt«
  • 8. Gewitter. »Eine Schauerregenflut«
  • 9. II. Vergänglichkeit des Glücks
  • 10. Messenische Kriege. »Schwarze Wolken«
  • 11. Andromeda. »Wer hat noch nicht von«
  • 12. Cekrops. »Auf dem weiten großen«
  • 13. Abendlied
  • 14. Argonautenzug

1857
  • 15. III. Ceburtstagslied. »Laßt uns Gott«
  • 16. Alfonso in 5 Gesängen. »Auf des Schlosses«
  • 17. Dryope. »O sieh diesen bläulichen See«
  • 18. Choral. »Jesu, deine bittren Leiden«

Nachtrag zu I und II
  • 19. Leonidas und Telakeus. »Melden will«
  • 20. Ringgraf. »Ringgraf, ein Herr von«
  • 21. In der Nacht. »Auf dem Meere ist«
  • 22. Die Götter vom Olymp. »Seht Götter«
  • 23. Sebastopol. »Auf der Südseite der«

1858
  • [36] 24. Geburtstags-Gedicht. »Mit hoher Freude«
  • 25. Der Winter in 5 Gesängen. »Es kommt«
  • 26. Ein Gewitter. »Es herrscht eine Schwüle«
  • 27. Nach Pforta. »Bei Naumburg im«
  • 28. Wohin? »Ihr Vöglein in den Lüften«
  • 29. Seesturm. »Ein Wetter nahet dumpf«
  • 30. Die Lerche. »Wenn die Bergesspitzen«
  • 31. An den Nebel. »Wunderbar Gebilde«
  • 32. Dort möcht ich sein. »Dort wo von«
  • 33. Osterfeier. »Ich lag auf weichem«
  • 34. Der Nachtigall Klage. »Durch die Dunkelheit«
  • 35. Am Morgen. »Ein goldner Purpursaum«
  • 36. Die Jagd. »Es sprengt aus der Veste«
  • 37. Fata morgana. »Wenn ich allein bin«
  • 38. Schönburg. »Es steht auf steilen«
  • 39. Auf dem Eise. »Elfen im Mondenschein«
  • 40. Hektors Abschied. »O Hektor, hörest du«
  • 41. Zwei Lerchen. »Ich hörte zwei Lerchen«
  • 42. Ahnfrau. »Sieh, meinen Gang hemmt«
  • 43. Medea. »Iason hatte schon das Meer«
  • 44. Conradin. »Vor dem Tore von Neapel«
  • 45. Barbarossa. »Der alte Barbarossa ruht«
  • 46. Im Sommer. »Als der Sommer kommen«

– Dies sind nicht die einzigen. Ich habe sie bloß in der Auswahl hingeschrieben, aber auch von den älteren mehrere, deren ich mich wohl noch erinnere, sie jedoch nicht mehr besitze. Auch habe ich zwei kleine Schauspiele im Verein mit Wilhelm geschrieben. Das eine von diesen heißt: Die Götter vom Olymp. Wir haben es einstmals aufgeführt, aber obgleich es nicht recht gelang, hat es uns doch großen Spaß bereitet. Die silbern und goldnen Panzer, Schilder und Helme, ebenso die prächtigen, von überall hergeholten Anzüge der Göttinnen spielten eine große Rolle. Das andere Stück hieß: Orkadal, ein Trauerspiel oder vielmehr, eine Ritter- und Geistergeschichte, so ganz aus Banketten, Gefechten, Morden, Gespenstern und Wunderzeichen zusammengefügt.[37] Wir hatten schon Vorbereitungen dazu gemacht, ich hatte eine rasende, vierhändige Ouvertüre komponiert, da verfiel allmählich der ganze Plan. Ebenso ging es dem spätern Stück: Die Eroberung Trojas, welches bis zum zweiten Akt vollendet war und aus Götterzänkereien bestand. Manche solche Entschlüsse, so einen sogar zu einer Novelle: Tod und Verderben, faßte ich, als ich im letzten Semester von Quarta wegen Kopfschmerzen nicht die Schule besuchen durfte. Ich ging da alle Vormittage über den Spechzart und ersann dabei mancherlei, das aber selten zur Ausführung kam. Auch mein Freund Wilhelm Pinder war nicht lange vorher bedeutend krank gewesen und hielt sich deshalb im Seebad Heringsdorf auf. So war ich während dieser Zeit sehr allein, da Gustav der Schule halber nicht viel Zeit hatte, mich zu besuchen. Ich besuchte dann mit Wilhelm, welcher auch wieder zurückgekehrt war, von neuem die Schule und wurde dann nach einem ziemlich günstigen Examen nach Tertia versetzt. So Stehe ich denn am Ende meines zweiten Lebensabschnittes und ich erlaube mir noch einige Blicke zurückzuwerfen auf die dreizehn verflossenen Jahre. Mit dem neuen Buche wird dann auch mein Tertianerleben beginnen. – –

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 34-38.
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