151.
An Peter Gast

[1177] Genua, 20. März 1882


Mein lieber Freund! Möge alles so sein, wie Sie wünschen, daß ich glauben möge, daß es sei: – Uff! das ließe sich lateinisch besser sagen und in sieben Worten. – Erwägen Sie doch einmal, ob Sie nicht mir und zweien meiner Freunde Ihre Matrimonio-Partitur verkaufen wollen?[1177] Ich biete frs. 6000, zahlbar in vier Jahresraten zu frs. 1500. Die Angelegenheit kann geheim bleiben, wenn es Ihr Wunsch ist. Ihrem Herrn Vater dürften Sie sagen, daß ein Verleger Ihnen diese Summe geboten habe. Sodann erwägen Sie, was zu tun ist, um für das Gefühl der Italiener die »Impietät« gegen ihren Klassiker Cimarosa aufzuwiegen. Man müßte dazu das Werk der Königin Margherita empfehlen und ans Herz legen und aus der politischen Lage Gewinn ziehn. Eine deutsche Artigkeit gegen Italien – so müßte es erscheinen. Zu diesem Zwecke könnte freilich die erste Aufführung nur in Rom sein: die Widmung an die Königin dürfte Herrn von Keudell sehr interessant und erwünscht sein. Angenommen, dieser Gedanke sagte Ihnen zu, so rate ich endlich, Frl. Emma Nevada für das Werk zu gewinnen: sie hat sich jetzt eben Rom erobert. Die Italiener sind gegen alle berühmten Sängerinnen sehr artig. Aber passioniert habe ich sie ein einziges Mal gesehn.

Wir haben jetzt die Erste Wiener Operettengesellschaft hier, – also deutsches Theater. Ich habe durch sie eine sehr deutliche Vorstellung davon bekommen, wie Ihre Scapine beschaffen sein muß. Für weibliche Ausgelassenheit und Grazie scheinen mir die Wienerinnen wirklich erfinderisch zu sein. Sie brauchen für dies Werk wegen seiner armen Handlung lauter erste Sujets. Mir graut vor einer idealistisch anständigen Mittelmäßigkeit der Aufführung. – So, das heißt schwätzen wie ein Theaterdirektor – Pardon!

Ich las in Robert Mayer. Freund, das ist ein großer Spezialist – und nicht mehr. Ich bin erstaunt, wie roh und naiv er in allen allgemeineren Aufstellungen ist. Er meint immer, wunder wie logisch zu sein, wenn er bloß eigensinnig ist. Wenn irgend etwas gut widerlegt ist, so ist es das Vorurteil vom »Stoffe« – und zwar nicht durch einen Idealisten, sondern durch einen Mathematiker, durch Boscovich. Er und Kopernikus sind die beiden größten Gegner des Augenscheins. Seit ihm gibt es keinen Stoff mehr, es sei denn als populäre Erleichterung. Er hat die atomistische Theorie zu Ende gedacht. Schwere ist ganz gewiß keine »Eigenschaft der Materie«, einfach weil es keine Materie gibt. Schwerkraft ist, ebenso wie die vis inertiae, gewiß eine Erscheinungsform der Kraft, einfach weil es nichts anderes gibt als Kraft! Nun ist das logische Verhältnis dieser Erscheinungsformen zu anderen, z.B. zur[1178] Wärme, noch ganz undurchsichtig. – Gesetzt aber, man glaubt mit Mayer noch an die Materie und an erfüllte Atome, so darf man dann nicht dekretieren: »es gibt nur eine Kraft«. Die kinetische Theorie muß den Atomen mindestens außer der Bewegungsenergie noch die beiden Kräfte der Kohäsion und der Schwere zuerkennen. Dies tun auch alle materialistischen Physiker und Chemiker! und die besten Anhänger Mayers selber. Niemand hat die Schwerkraft aufgegeben! – Zuletzt hat auch Mayer noch eine zweite Kraft im Hintergrunde, das primum mobile, den lieben Gott, – neben der Bewegung selber. Er hat ihn auch ganz nötig!

Leben Sie wohl oder vielmehr gut, mein lieber Freund!

In Treue Ihr F. N.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1177-1179.
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