220.
An Hans von Bülow

[1265] [Venedig, 22. Oktober 1887]


Verehrter Herr, es gab eine Zeit, wo Sie über ein Stück Musik von mir das allerberechtigtste Todesurteil gefällt haben, das in rebus musicis et musicantibus möglich ist. Und nun wage ich es trotz alledem, Ihnen noch einmal etwas zu übersenden – einen Hymnus auf das Leben, von dem ich um so mehr wünsche, daß er leben bleibt. Er soll einmal, in irgendwelcher nahen oder fernen Zukunft, zu meinem Gedächtnisse gesungen werden, zum Gedächtnisse eines Philosophen, der keine Gegenwart gehabt hat und eigentlich nicht einmal hat haben wollen. Verdient er das? ...

Zu alledem wäre es möglich, daß ich in den letzten zehn Jahren auch als Musiker etwas gelernt hätte.

Ihnen, verehrtester Herr, in alter unveränderlicher Gesinnung zugetan

Dr. Fr. Nietzsche

Adresse: Nizza (France), Pension de Genève

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1265.
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