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[1269] Nizza, den 11. Nov. 1887
Lieber Freund, es scheint mir, daß ich noch etwas von diesem Frühjahr her bei Dir gutzumachen habe? Zum Zeichen, daß es mir nicht an gutem Willen dazu fehlt, sende ich hiermit eine eben erschienene Schrift an Dich ab (– vielleicht bin ich Dir dieselbe zu alledem auch schuldig, denn sie steht im engsten Verbande mit jener, welche ich Dir zuletzt übersendete –). Nein, laß Dich nicht zu leicht von mir entfremden! In meinem Alter und in meiner Vereinsamung verliere ich wenigstens die paar Menschen nicht mehr, zu denen ich einmal Vertrauen gehabt habe.
Dein N.
Nota bene. Über Mr. Taine bitte ich Dich zur Besinnung zu kommen. Solche groben Sachen, wie Du über ihn sagst und denkst, agazieren mich. Dergleichen vergebe ich dem Prinzen Napoleon; nicht meinem Freunde Rohde. Wer diese Art von strengen und großherzigen Geistern mißversteht (– T. ist heute der Erzieher aller ernsteren wissenschaftlichen Charaktere Frankreichs), von dem glaube ich[1269] nicht leicht, daß er etwas von meiner eignen Aufgabe versteht. Aufrichtig, Du hast mir nie ein Wort gesagt, das mir zu vermuten erlaubte, Du wüßtest, welches Schicksal auf mir liegt. Habe ich Dir je daraus einen Vorwurf gemacht? Nicht einmal in meinem Herzen; und sei es auch nur deshalb, weil ich es überhaupt von niemandem anders gewohnt bin. Wer wäre mir bisher auch nur mit einem Tausendstel von Leidenschaft und Leiden entgegengekommen! Hat irgendwer auch nur einen Schimmer von dem eigentlichen Grunde meines langen Siechtums erraten, über das ich vielleicht doch noch Herr geworden bin? Ich habe jetzt 43 Jahre hinter mir und bin genau noch so allein, wie ich es als Kind gewesen bin. –
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