242.
An Franz Overbeck

[1302] Sils, den 20. Juli 1888


Lieber Freund, nichts hat sich verbessert, weder das Wetter, noch die Gesundheit – beides bleibt absurd. Aber heute erzähle ich Dir von etwas, was noch absurder ist: das ist der Dr. Fuchs. Derselbe hat mir inzwischen eine ganze Literatur geschrieben (darunter einen Brief von 12 großen engen Bogen!). Ich bin allmählich dabei zum Igel geworden, und mein altes Mißtrauen hat sich völlig wiederhergestellt. Sein[1302] Egoismus ist so schlau und andrerseits so ängstlich und unfrei, daß ihm alles nichts hilft – sein großes Talent nicht und vieles echt Artistische seiner Natur. Er beklagt sich, daß er in Danzig 7 Jahre alle Welt gegen sich gehabt habe; und aus hundert Zeichen geht hervor, daß er auch jetzt dort kein Vertrauen genießt. Er möchte fort; er verhandelt mit Dresden, nachdem es mit der Berliner Musikschule mißlungen ist. Und er hat es an keiner Form des Bewerbs (?) und der Adulation (?) fehlen lassen! Ein neues Paket Rezensionen ist nur zu belehrend darüber. Vieles Feine und Gute, solange es sich um Sachen handelt; kommen Personen in Betracht, so regiert das »Unendlich-Kleine«. Er hat, für mich, Randbemerkungen gemacht. »Dies ist stark übertrieben; aber ich verdanke ihm das und das.« Oder: »sie haßt mich wegen dieses Wortes: es war dumm von mir.« Nachdem es mit der Bewerbung um eine Professur an der Berliner Hochschule schief gegangen war, kamen 3 Professoren derselben nach Danzig und gaben ein Konzert. F. hebt sie in der impudentesten Weise in den Himmel. Zur Entschuldigung dafür schreibt er an mich, er habe sich seinen Verdruß über seinen Mißerfolg nicht anmerken lassen wollen. In Wahrheit bewarb er sich um drei der einflußreichsten Stimmen. – Er hat mir einen Essay über meine Schriften in Aussicht gestellt: dabei drückt er eine wahre Höllenangst aus, daß das Eintreten für mich Atheisten ihm in seiner Stellung als Organist von St. Petrus schadet. Natürlich pseudonym!! er hat bereits meine beiden Verleger beschworen, seine Pseudonymität geheimzuhalten. Derselbe F. hatte jahrelang eine Höllenangst, daß seine Beziehung zu mir ihm bei Wagner schade; ein paar Jahre vorher, wo mein Einfluß in der wagnerischen Welt unbestreitbar war, hatte er sich nur zu eifrig um mich bemüht. Ich habe es vorausgesagt, daß, mit dem Tode Wagners, ihm der Mut zurückkommen würde, an mich zu schreiben. Es traf ein, in fast komischer Weise. –

Er ist auch Organist an der Synagoge in Danzig: Du kannst Dir denken, daß er sich in der schmutzigsten Weise über den jüdischen Gottesdienst lustig macht (– aber er läßt sich's bezahlen!!).

Schließlich hat er mir einen Brief über seine Herkunft geschrieben, mit so viel ekelhaften und unanständigen Indiskretionen über seine Mutter und seinen Vater, daß ich die Geduld verlor und mir in der[1303] gröbsten Weise solche Briefe verbeten habe. Ich habe durchaus keine Lust, mir meine Einsamkeit durch den Zufall von Briefen stören zu lassen. – So weit sind wir. Leider kenne ich diese Art Mensch zu gut, um hoffen zu dürfen, daß wir damit zu Ende sind. – Herr Spitteler hat an mich mit viel Dankbarkeit geschrieben. Es ist mir gelungen, etwas durchzusetzen, woran er verzweifelte: nämlich einen Verleger zu finden. Es handelt sich um eine Ästhetik des französischen Dramas: und siehe da, Herr Credner in Leipzig (Firma Veit, Verlagshdl. des Reichsgerichts) hat mir in der artigsten Weise seine Bereitwilligkeit zugesagt.

Diese kleine Humanität meinerseits hat noch einen Humor hinter sich: es war meine Art Rache für einen extrem taktlosen und unverschämten Artikel Spittelers über meine gesamte Literatur, der letzten Winter im »Bund« erschienen ist. – Ich habe eine viel zu gute Meinung vom Talente dieses Schweizers, als mich durch eine Rüpelei beirren zu lassen (– ich habe Respekt vor seinem Charakter – was leider in bezug auf den Dr. F. nicht der Fall ist). Sp. ist durch meine Fürspräche auch Mitarbeiter des »Kunstwarts« und, nach meinem Geschmack, dessen einzige interessante Feder. Im übrigen habe ich das Blatt abgeschafft: auf einen jüngst eingetroffenen Brief des Hr. Avenarius, der sich schmerzlich über die Abmeldung beklagte, habe ich ihm kräftig die Wahrheit gesagt (– das Blatt bläst in das deutschtümelnde Horn und hat z.B. in der schnödesten Weise Heinrich Heine preisgegeben – Herr Avenarius, dieser Jude!!!). Jetzt eben wird von mir ein kleines musikalisches Pamphlet gedruckt, etwas sehr Lustiges (– in Turin geschrieben). – Mit herzlichem Gruß und Glückwunsch für Dich und Deine liebe Frau

Dein Nietzsche

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1302-1304.
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Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
Sämtliche Briefe: Kritische Studienausgabe in 8 Bänden