Die fromme Beppa

[264] Solang noch hübsch mein Leibchen,

Lohnt sichs schon, fromm zu sein.

Man weiß, Gott liebt die Weibchen,

Die hübschen obendrein.

Er wirds dem armen Mönchlein

Gewißlich gern verzeihn,

Daß er, gleich manchem Mönchlein,

So gern will bei mir sein.


Kein grauer Kirchenvater!

Nein, jung noch und oft rot,

Oft trotz dem grausten Kater

Voll Eifersucht und Not.

Ich liebe nicht die Greise,

Er liebt die Alten nicht:

Wie wunderlich und weise

Hat Gott dies eingericht!


Die Kirche weiß zu leben,

Sie prüft Herz und Gesicht.

Stets will sie mir vergeben, –

Ja, wer vergibt mir nicht![264]

Man lispelt mit dem Mündchen,

Man knixt und geht hinaus,

Und mit dem neuen Sündchen

Löscht man das alte aus.


Gelobt sei Gott auf Erden,

Der hübsche Mädchen liebt

Und derlei Herzbeschwerden

Sich selber gern vergibt.

Solang noch hübsch mein Leibchen,

Lohnt sichs schon fromm zu sein:

Als altes Wackelweibchen

Mag mich der Teufel frein!

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 264-265.
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