131

[634] Die Geschlechter täuschen sich übereinander: das macht, sie ehren und lieben im Grunde nur sich selbst (oder ihr eignes Ideal, um es gefälliger auszudrücken –). So will der Mann das Weib friedlich – aber gerade das Weib ist wesentlich unfriedlich, gleich der Katze, so gut es sich auch auf den Anschein des Friedens eingeübt hat.


132

Man wird am besten für seine Tugenden bestraft.


133

Wer den Weg zu seinem Ideale nicht zu finden weiß, lebt leichtsinniger und frecher als der Mensch ohne Ideal.


134

Von den Sinnen her kommt erst alle Glaubwürdigkeit, alles gute Gewissen, aller Augenschein der Wahrheit.


135

[634] Der Pharisäismus ist nicht eine Entartung am guten Menschen: ein gutes Stück davon ist vielmehr die Bedingung von allem Gut-sein.


136

Der eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der andre einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch.


137

Im Verkehre mit Gelehrten und Künstlern verrechnet man sich leicht in umgekehrter Richtung: man findet hinter einem merkwürdigen Gelehrten nicht selten einen mittelmäßigen Menschen, und hinter einem mittelmäßigen Künstler sogar oft – einen sehr merkwürdigen Menschen.


138

Wir machen es auch im Wachen wie im Traume: wir erfinden und erdichten erst den Menschen, mit dem wir verkehren – und vergessen es sofort.


139

In der Rache und in der Liebe ist das Weib barbarischer als der Mann.


140

Rat als Rätsel. – »Soll das Band nicht reißen – mußt du erst drauf beißen.«

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 634-635.
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Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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