171

[639] Mitleiden wirkt an einem Menschen der Erkenntnis beinahe zum Lachen, wie zarte Hände an einem Zyklopen.


172

Man umarmt aus Menschenliebe bisweilen einen Beliebigen (weil man nicht alle umarmen kann): aber gerade das darf man dem Beliebigen nicht verraten...


173

Man haßt nicht, solange man noch gering schätzt, sondern erst, wenn man gleich oder höher schätzt.


174

[639] Ihr Utilitarier, auch ihr liebt alles utile nur als ein Fuhrwerk eurer Neigungen – auch ihr findet eigentlich den Lärm seiner Räder unausstehlich?


175

Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte.


176

Die Eitelkeit andrer geht uns nur dann wider den Geschmack, wenn sie wider unsre Eitelkeit geht.


177

Über das, was »Wahrhaftigkeit« ist, war vielleicht noch niemand wahrhaftig genug.


178

Klugen Menschen glaubt man ihre Torheiten nicht: welche Einbuße an Menschenrechten!


179

Die Folgen unsrer Handlungen fassen uns am Schopfe, sehr gleichgültig dagegen, daß wir uns inzwischen »gebessert« haben.


180

Es gibt eine Unschuld in der Lüge, welche das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache ist.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 639-640.
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Jenseits von Gut und Böse: Vorspiel einer Philosophie der Zukunft
Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
Jenseits von Gut und Böse: Mit der Streitschrift 'Zur Genealogie der Moral' (insel taschenbuch)
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