Dritter Abschnitt.
Daß es schwer ist das Dasein Gottes durch die natürlichen Geisteskräfte zu beweisen; aber daß das Sicherste ist es zu glauben.
1.

[244] A. Wir wollen nach der natürlichen Erkenntniß sprechen. Giebt es einen Gott, so ist er unendlich, unbegreiflich, weil er, ohne Theile und ohne Grenzen, keine Verbindung mit uns hat, wir sind also unfähig zu erkennen, weder was er ist noch ob er ist. Wenn das so ist, wer mag sich unterfangen[244] diese Frage zu entscheiden? Wir dürfen das nicht, die wir keine Verbindung mit ihm haben.


2.

B. Ich werde hier nicht unternehmen durch natürliche Vernunftgründe zu beweisen das Dasein Gottes oder die Dreieinigkeit oder die Unsterblichkeit der Seele, noch sonst etwas der Art, nicht allein weil ich mich nicht stark genug fühlen möchte in der Natur zu finden, womit ich verstockte Atheisten überzeugen könnte, sondern auch weil diese Erkenntniß ohne Jesum Christum unnütz ist und unfruchtbar. Wenn ein Mensch überzeugt würde, daß die Zahlenverhältnisse immaterielle ewige Wahrheiten sind, die von einer ersten Wahrheit, in der sie bestehen und die man Gott nennt, abhangen, so fände ich ihn noch nicht sehr vorgeschritten zu seinem Heil.


3.

A. Es ist wunderbar, daß nie ein biblischer Schriftsteller sich der Natur bedient hat um Gott zu beweisen, alle streben dahin zu machen, daß man an ihn glaube, und nie haben sie gesagt: Es giebt keine Leere, also giebt es einen Gott. Sie mußten klüger sein als die klügsten Leute, die seitdem gewesen sind, denn die haben sich doch alle dieses Beweises immer bedient.

B. Wenn das ein Zeichen der Schwäche ist Gott durch die Natur zu beweisen, so verachtet nicht die Schrift; und ist es ein Zeichen der Kraft diese Widersprüche anerkannt zu haben, so achtet darum die Schrift.


4.

A. Eine Einheit zum Unendlichen hinzugesetzt vermehrt es um nichts, ebenso wenig als ein Fuß zu einem unendlichen Maß hinzugesetzt. Das Endliche verschwindet vor dem Unendlichen und wird ein reines Nichts. So unser Geist vor Gott, so unsere Gerechtigkeit vor der göttlichen Gerechtigkeit.[245] Es ist nicht ein so großes Mißverhältniß zwischen der Einheit und dem Unendlichen als zwischen unserer Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit Gottes.


5.

B. Wir wissen, daß es ein Unendliches giebt und kennen seine Natur nicht. So z.B. wir wissen: es ist falsch, daß die Zahlen endlich sind, also ist es wahr, daß es eine unendliche Zahl giebt. Aber wir wissen nicht was das ist. Es ist falsch, daß sie gerade und falsch, daß sie ungerade sei, denn, wenn man die Einheit hinzusetzt, verändert sie doch ihr Wesen nicht. Und dennoch ist es eine Zahl und jede Zahl ist entweder gerade oder ungerade; es ist wahr, daß sich das von allen endlichen Zahlen versteht.

Man kann also wohl erkennen, daß es einen Gott giebt ohne zu wissen was er ist und ihr dürft nicht schließen: es giebt keinen Gott, deshalb weil wir nicht völlig sein Wesen kennen.

Um euch von seinem Dasein zu überzeugen werde ich mich nicht des Glaubens bedienen, durch den wir es sicher erkennen, noch alle der andern Beweise, die wir davon haben, weil ihr sie nicht annehmen wollt. Ich will mit euch nur nach euern eignen Principien verhandeln und ich hoffe durch die Art, mit welcher ihr alle Tage über die unbedeutendsten Dinge urtheilt, euch anschaulich zu machen, in welcher Weise ihr über diese Sache urtheilen sollt und welches Theil ihr ergreifen sollt in der Entscheidung über diese wichtige Frage vom Dasein Gottes. Ihr sagt also, daß wir unfähig sind zu erkennen, ob es einen Gott giebt. Indessen es ist gewiß, daß Gott ist oder daß er nicht ist, es giebt kein Drittes. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen? Die Vernunft, sagt ihr, kann aber nichts entscheiden. Es ist ein unendliches Chaos, das zwischen uns liegt und wir spielen hier ein Spiel in dieser unendlichen[246] Entfernung von einander, wo Kopf oder Wappen fallen wird. Was wollt ihr wetten? Nach der Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andre behaupten; nach der Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen. So werfet denn nicht denen Irrthum vor, die eine Wahl getroffen, denn ihr wißt nicht, ob sie Unrecht haben, und ob sie schlecht gewählt.

A. Ich werfe ihnen vor, nicht daß sie diese, sondern daß sie überhaupt eine Wahl getroffen haben; wer Kopf und wer Wappen nimmt, alle beide haben Unrecht, das Rechte ist gar nicht wetten.

B. Ja, aber es muß gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid einmal im Spiel und nicht wetten, daß Gott ist, heißt wetten, daß er nicht ist. Was wollt ihr also wählen? Laßt uns erwägen: was euch am Wenigsten werth ist. Ihr habt zwei Dinge zu verlieren, die Wahrheit und das Glück und zwei Dinge zu gewinnen, eure Vernunft und euern Willen, eure Erkenntniß und eure Seligkeit, und zwei Dinge hat eure Natur zu fliehen, den Irrthum und das Elend. Wette denn, daß er ist, ohne dich lange zu besinnen, deine Vernunft wird nicht mehr verletzt, wenn du das eine als wenn du das andre wählst, weil nun doch durchaus gewählt werden muß. Hiemit ist ein Punkt erledigt. Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.

A. Das ist wunderbar, ja man muß glauben, aber ich wage vielleicht zu viel.

B. Wir wollen sehen. Weil gleiche Wahrscheinlichkeit des Gewinns und Verlusts ist, so könntest du noch wetten, wenn du nur zwei Leben zu gewinnen hättest für eines. Und wären zehn zu gewinnen, so würdest du unverständig sein nicht dein Leben ein zu setzen um zehn zu gewinnen in einem[247] Spiel, wo die Wahrscheinlichkeit des Verlusts und Gewinns gleich ist. Nun aber ist hier eine Unzahl von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen mit gleicher Wahrscheinlichkeit des Verlustes und des Gewinnes und was du einsetzest, ist so wenig und von so kurzer Dauer, daß es eine Tollheit wäre es bei dieser Gelegenheit zu sparen.

Denn das dient zu nichts, wenn man sagt: es sei ungewiß, ob man gewinnen wird, aber gewiß, daß man wagt und der unendliche Abstand zwischen der Gewißheit dessen, was man wagt und der Ungewißheit dessen, was man gewinnen soll, mache das endliche Gut, welches man gewiß wagt, dem unendlichen gleich, das ungewiß ist. Dem ist nicht so: jeder Spieler wagt mit Gewißheit um zu gewinnen mit Ungewißheit und doch wagt er gewiß das Endliche um ungewiß das Endliche zu gewinnen, ohne deshalb gegen die Vernunft zu sündigen. Es ist kein unendlicher Abstand zwischen der Gewißheit dessen, was man wagt und der Ungewißheit des Gewinns, das ist falsch. Es giebt zwar einen unendlichen Abstand zwischen der Gewißheit zu gewinnen und zwischen der Gewißheit zu verlieren. Aber die Ungewißheit des Gewinnes ist im Verhältniß zur Gewißheit dessen, was man wagt, nach dem Verhältniß der Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust und daher kommt es, daß, wenn eben so viel Wahrscheinlichkeit von der einen Seite ist wie von der andern, das Spiel gleich gegen gleich steht und dann ist die Gewißheit dessen, was man wagt, der Ungewißheit des Gewinnes gleich, so wenig ist jene unendlich fern von dieser. Und so ist unser Satz von unendlicher Stärke, wenn man in einem Spiel, wo es gleiche Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust giebt, nur das Endliche wagen und das Unendliche gewinnen kann. Das ist beweisen und wenn die Menschen irgend welche Wahrheiten fassen können, müssen sie diese fassen.[248]

A. Ich gestehe es, ich gebe es zu. Aber sollte es denn kein Mittel geben den Ausgang des Spiels voraus zu sehn?

B. Ja, durch das Mittel der Schrift und durch alle die andern Beweise der Religion, die unendlich sind.

A. Du wirst sagen: die, welche ihr Heil hoffen, sind darin glücklich; aber sie haben zum Gegengewicht die Furcht vor der Hölle.

B. Allein wer hat mehr Ursache die Hölle zu fürchten, derjenige, welcher in der Ungewißheit ist, ob es eine Hölle giebt und in der Gewißheit der Verdammniß, wenn es eine giebt, oder derjenige, welche in der festen Ueberzeugung lebt, daß es eine Hölle giebt und in der Hoffnung erlöst zu werden, wenn sie ist?

Wer nicht mehr als acht Tage zu leben hätte und nicht urtheilte das sicherste Theil wäre zu glauben, daß alles das nicht ein bloßer Glückwurf ist, der müßte gänzlich den Verstand verloren haben. Nun wenn die Leidenschaften uns nicht fesselten, acht Tage und hundert Jahre sind gleichviel.

Was wird dir Uebeles widerfahren, wenn du dies Theil ergreifst? Du wirst treu sein, rechtschaffen, demüthig, dankbar, wohlthätig, aufrichtig, wahrhaftig. Freilich wirst du nicht in den verpesteten Freuden leben, in der Ehre, in den Wollüsten. Aber wirst du nicht andre Freuden haben? Ich sage dir: du wirst gewinnen, noch in diesem Leben und mit jedem Schritt, den du auf diesem Wege machst, wirst du so viel Gewißheit des Gewinnens sehn und so viel Nichtigkeit in dem, was du wagst, daß du am Ende erkennen wirst, wie du gewettet hast auf ein gewisses und unendliches Ding und wie du nichts gegeben hast um es zu erlangen.

A. Ja, aber meine Hände sind gebunden und mein Mund ist stumm, man zwingt mich zu wetten und ich bin nicht in Freiheit; man läßt mich nicht loß. Ich bin nun so, daß ich nicht glauben kann. Was willst du? Was soll ich thun?

B. Lerne wenigstens, daß du unvermögend bist zu glauben,[249] weil die Vernunft dich dazu treibt und du es doch nicht kannst. Arbeite denn dich zu überzeugen nicht durch Häufung der Beweise von Gott, sondern durch Verminderung deiner Leidenschaften. Du willst nach dem Glauben gehn und weißt nicht den Weg dahin; du willst dich heilen von dem Unglauben und fragst nicht nach den Heilmitteln dazu. Lerne sie von denen, die gewesen sind wie du und die gegenwärtig keinen Zweifel haben. Sie wissen den Weg, den du nehmen möchtest und sie sind geheilt von einem Uebel, von dem du willst geheilt werden. Frage an, wie sie angefangen haben, ahme ihre äußerlichen Handlungen nach, wenn du noch nicht in ihre innern Zustände ein zu geben vermagst, gieb auf jene eiteln Vergnügungen, die dich völlig beschäftigen.

Ich würde diese Freuden bald aufgeben, sagst du, wenn ich den Glauben hätte. Und ich sage dir, du würdest bald den Glauben haben, hättest du nur erst diese Freuden aufgegeben. Nun es ist an dir an zu fangen. Wenn ich könnte, würde ich dir den Glauben geben, ich kann es nicht und kann folglich auch nicht die Wahrheit von dem, was du sagst, versuchen; aber du kannst ganz gut diese Freuden aufgeben und versuchen, ob das, was ich sage, wahr ist.

A. Dieses Wort entzückt mich, reißt mich hin.

B. Gefällt dir dieses Wort und scheint es dir stark, so wisse, es wird gesprochen von einem Manne, der sich vorher und nachher auf die Knie geworfen hat, um das unendliche und untheilbare Wesen, dem er all das Seine unterwirft, an zu flehen, daß er sich auch das Deine unterwerfe zu deinem eignen Glück und zu seiner Ehre und so stimmt die Stärke mit dieser Erniedrigung zusammen.


6.

Man muß sich nicht verkennen, wir sind eben so viel Leib als Geist und daher kommt es, daß das Mittel, durch[250] welches die Ueberzeugung sich bildet, nicht einzig die Beweisführung ist. Wie giebt es doch so wenig bewiesene Dinge! Die Beweise überzeugen nur den Geist. Die Gewohnheit schafft unsere stärksten Beweise. Sie neigt die Sinne, welche den Geist mitziehn, ohne daß er es denkt. Wer hat bewiesen, daß morgen auch ein Tag sein wird und daß wir sterben werden? und doch, was wird allgemeiner geglaubt? Also die Gewohnheit überzeugt uns davon, sie ists, die so viel Türken und Heiden macht, sie ists die die Handwerker macht, die Soldaten u.s.w. Freilich muß man nicht mit ihr anfangen um die Wahrheit zu finden; aber man muß zu ihr die Zuflucht nehmen, wenn der Geist ein Mal gesehn hat, wo die Wahrheit ist, damit sie uns erfrische und stärke mit jenem Glauben, der uns jede Stunde entschwindet, denn die Beweise für denselben immer gegenwärtig zu haben ist zu viel verlangt. Man muß sich einen geläufigern Glauben verschaffen, das ist der Glauben der Gewohnheit, die ohne Heftigkeit, ohne Kunst, ohne Beweis uns die Dinge glauben macht und alle unsere Kräfte zu diesem Glauben hinneigt, so daß unsere Seele von selbst hineingeräth. Das ist nicht genug nur durch die Kraft der Beweisführung zu glauben, wenn die Sinne uns drängen, das Gegentheil zu glauben. Wir müssen also unsere beiden Theile gleichen Schritt halten lassen, den Geist durch die Gründe, die ein Mal im Leben erkannt zu haben genügt, und die Sinne durch die Gewohnheit und zwar indem man ihnen nicht erlaubt sich nach der entgegengesetzten Seite zu neigen.[251]

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 244-252.
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