Drittes Buch.
Ueber die Erkenntniss vermittelnden Hypostasen und das Transscendente

[155] 1. Muss Etwa das sich selbst Denkende ein vielfaches sein, damit es, indem es durch eins des in ihm Befindlichen das übrige schaut, auf diese Weise eben als sich selbst denkend bezeichnet werde, in der Annahme nämlich, dass es als ein gänzlich Einfaches sich nicht zu sich und der denkenden Wahrnehmung seiner selbst hinwenden könne? Nun, es ist möglich, dass es auch als ein nicht Zusammengesetztes ein Denken seiner selbst erlangen kann. Denn dasjenige, was eben deshalb sich selbst denken soll, weil es ein Zusammengesetztes ist, da es nämlich durch eins des in ihm Befindlichen das übrige denkt, gleich als ob wir durch sinnliche Wahrnehmung unsere eigene Form und die übrige Natur des Körpers wahrnähmen: das dürfte es doch nicht erreichen sich in Wahrheit zu denken. Denn in einem solchen wird nicht das Ganze erkannt sein, wenn nicht auch jenes Denkende das übrige verbunden mit ihm und dazu sich selbst gedacht hat, und es wird nicht (was gesucht wird) ein und dasselbe sich selbst denken, sondern ein anderes ein anderes. Man muss also einerseits ein sich selbst Denken als ein Einfaches[155] setzen, andererseits untersuchen wie dieses denkt, oder man muss abstehen von der Meinung, dass etwas in Wahrheit sich selber denke. Abzustehen nun von dieser Meinung geht nicht wohl an, da sich dann viele Unzuträglichkeiten ergeben; denn wollten wir dies der Seele als ungereimt nicht zuerkennen, so ist sicherlich völlig ungereimt es der Natur des Intellects nicht beizulegen, wenn dieser die Erkenntniss der übrigen Dinge hat, zur Erkenntniss und zum Wissen seiner selbst aber nicht gelangen soll. Denn die äussern Dinge erfasst die sinnliche Wahrnehmung, aber nicht der Intellect, und wenn man will die Reflexion und Meinung; ob indessen der Intellect eine Erkenntniss dieser Dinge hat oder nicht, muss untersucht werden; alles Intelligible aber wird natürlich der Intellect erkennen. Erkennt nun der, welcher dieses erkennt, nur dieses oder auch sich selbst? Und wird er sich auf die Weise kennen dass er nur dieses kennt, wer er selber dabei ist, aber nicht erkennen, sondern erkennen, dass er erkennt was ihm angehört, ohne noch zu erkennen wer er selber ist, oder erkennt er das ihm zu eigen Gehörige und sich selbst? Wie das geschieht und bis zu welchen Grade, muss untersucht werden.

2. Zuvor jedoch muss über die Seele geforscht werden, ob ihr die Erkenntniss ihrer selbst beigelegt werden darf und was das Erkennende in ihr ist und wie es geschieht. Von dem wahrnehmenden Vermögen derselben nun werden wir von vornherein sagen, es beziehe sich nur auf die ausserhalb liegenden Dinge; denn falls auch eine Mitempfinden der inwendigen Eindrücke stattfindet, so geht die Perception doch auf das ausser ihr selbst Befindliche und findet hier statt; denn die Affectionen des Körpers nimmt sie durch diesen selbst wahr. Das logische Vermögen in ihr bildet sich von den aus der sinnlichen Wahrnehmung stammenden Vorstellungsbildern her ein Urtheil und verbindet und trennt; oder auch an den aus dem Intellect stammenden beobachtet es die Grund- und Umrisse und hat auch im Bereiche dieser dasselbe Vermögen und gewinnt auch noch die Einsicht hinzu, indem es erwägt und zu den alten in ihm neue Umrisse hinzufügt und eben anlangende: eine Thätigkeit, die wir als Erinnerungen der Seele bezeichnen möchten. Und der Intellect der Seele ist es, der sich bis hierher mit seiner Potenz erstreckt: entweder wendet er nun sich zu sich selbst und erkennt sich selbst, oder dies [logische Vermögen] ist auf den Intellect zurückzuführen. Wenn wir nämlich die Erkenntniss seiner selbst diesem Theil [der[156] Seele] beilegen, so werden wir den Intellect selbst damit bezeichnen und erforschen, wodurch er sich von dem höheren Vermögen unterscheidet; legen wir es ihm nicht bei, so werden wir in logischer Consequenz auf jenen kommen und untersuchen, was es heisst: ein Ding erkennt sich selbst. Legen wir es auch hier in dem niederen Gebiet ihm bei, so werden wir untersuchen, welch ein Unterschied in dem sich selbst Denken bestehe [zwischen dem höhern und niedern Theil]; wenn keiner, so ist gerade dies der reine Intellect. Dieser denkende Theil [das discursive Denken] der Seele nun, wendet ersieh auch seinerseits zu sich selbst? Nein, sondern er erlangt die Erkenntniss der Eindrücke [Typen], die er nach beiden Seiten hin annimmt. Und wie er die Erkenntniss erlangt, ist zuerst zu untersuchen.

3. Die sinnliche Wahrnehmung sieht den Menschen und giebt dem Denken einen Umriss [Eindruck, Typus]; was sagt dieses? Noch wird es nichts sagen, sondern es erkannte bloss und stand still; es müsste denn sein dass es bei sich selbst überlegte: wer ist dieser? wenn es früher auf diesen gestossen ist, und etwa mit Hinzunahme der Erinnerung sagte: es ist Sokrates. Wenn es nun auch die Form entwickelt und aus sich herausstellt, so theilt es was die Vorstellung gegeben hat; sagt es auch, ob er gut ist, so hat es das gesagt nach der aus der sinnlichen Wahrnehmung gewonnenen Erkenntniss; was es aber auf Grund dieser aussagt, das hat es sicherlich von sich selbst, da es einen Maassstab des Guten in sich selbst besitzt. Wie aber hat es das Gute bei sich selbst? Nun, es ist gutartig und wurde zur Wahrnehmung eines solchen gestärkt durch den es erleuchtenden Intellect; denn dieses reine Vermögen der Seele nimmt auch die Spuren des über ihm liegenden Intellects auf. Warum ist aber dieses nicht Intellect und warum das andere, das von dem Wahrnehmungsvermögen anfängt, Seele? Nun, weil die Seele im discursiven Denken sein muss, dies alles aber die Geschäfte der discursiven Denkkraft sind. Aber warum sollen wir nicht damit abkommen, dass wir diesem Theil das Erkennen seiner selbst beilegen? Weil wir ihm das Vermögen, die äussern Dinge zu erforschen und eine vielgeschäftige Thätigkeit auszuüben, beigelegt haben, für den Intellect aber fordern, dass er seine eigenen Angelegenheiten und das in ihm selbst Vorhandene erforsche. Aber wenn jemand sagt: was hindert denn, dass dies mit einer andern Kraft seine eigenen Bestandtheile erforscht? so sucht er nicht das denkende und das logische Vermögen, sondern er nimmt bereits einen reinen Intellect an. Was hindert nun, dass in der Seele ein reiner Intellect[157] sei? Nichts, werden wir sagen. Aber müssen wir dies als ein Vermögen der Seele noch bezeichnen? Allein wir werden es nicht der Seele zusprechen, vielmehr es unsern Intellect nennen, der ein anderer ist als der nachdenkende und von oben hergekommen, aber gleichwohl der unsrige ist, auch wenn wir ihn nicht mit zu den Theilen der Seele zählen; oder wir nennen ihn den unsern und nicht den unsern; deshalb gebrauchen wir ihn auch und gebrauchen ihn nicht, stets aber das [Nach-] Denken; und unser ist er, wenn wir ihn gebrauchen; gebrauchen wir ihn nicht, so ist er nicht unser. Was ist indessen jenes Gebrauchen? Werden wir etwa jener und sagen dann, dass wir wie jener sind oder ihm gemäss? Denn wir sind nicht Intellect; folglich ihm gemäss durch das ursprüngliche discursive Denkvermögen, das ihn aufnimmt. Wir nehmen ja auch wahr durch das Wahrnehmungsvermögen und wir sind die Wahrnehmenden. Denken wir nun auch in derselben Weise? Nun, wir sind zwar selbst die Denkenden und ergreifen die Gedanken des Denkens – denn dies sind wir – die Wirkungen des Intellects aber stammen von oben so, wie die aus der Wahrnehmung von unten; wir sind dieser herrschende Theil der Seele, ein Mittleres zwischen einer zwiefachen Kraft, einer geringeren und einer besseren d.h. der Wahrnehmung und des Intellects. Inzwischen scheint die Wahrnehmung stets als unser uns zugestandenes Eigenthum, denn wir nehmen stets wahr; der Intellect hingegen wird uns streitig gemacht, da wir ihn ja nicht immer gebrauchen und weil er getrennt ist, getrennt deshalb weil er sich nicht zu uns neigt, sondern wir vielmehr zu ihm nach oben blicken. Die Wahrnehmung dient uns als Bote, jener hat zu uns die Stellung eines Königs.

4. Könige aber sind auch wir, wenn wir ihm gemäss handeln; ihm gemäss in doppelter Weise: entweder durch die gleichsam in uns geschriebenen Gesetze, oder dadurch, dass wir gleichsam erfüllt sind von ihm oder auch im Stande, ihn zu sehen und als gegenwärtig zu empfinden. Und wir erkennen, dass wir selbst durch ein solches Geschaute das übrige lernen oder auch die Kraft, die ein solches erkennt, lernen durch eben diese Kraft oder auch jenes werden, so dass der sich selbst Erkennende ein doppelter ist: der eine, welcher die Natur der Denkkraft der Seele erkennt, der andere über diesem, der erkennt, dass er, gemäss dem Intellect jener geworden, durch jenen auch sich selbst wieder erkennt, nicht mehr als einen Menschen sondern als einen ganz andern, der sich zusammengerafft hat nach dem Obern hin allein, indem[158] er den bessern Theil der Seele nachzieht, der auch allein zur intellectuellen Anschauung beschwingt werden kann, damit einer dort niederlegt was er geschaut hat. Erkennt nun dies intellectuelle Vermögen nicht, dass es ein intellectuelles ist und dass es ein Verstehen der äussern Dinge erlangt und dass es beurtheilt was es beurtheilt nach den Maassstäben in ihm selbst, die es vom Intellect hat, und dass es etwas besseres giebt als es selbst, was es nicht sucht, sondern völlig hat, wie ich meine? Allein was ist denn das was es nicht kennt, da es doch weiss, wie es beschaffen ist und welches seine Geschäfte sind? Wenn es nun sagt, dass es vom Intellect herstammt und das zweite nach dem Intellect und ein Bild des Intellects ist, welches in sich selbst alles geschrieben enthält, wie ein Schreibender dort oder einer der geschrieben hat: wird ein solcher hier Halt machen, der sich so selber erkannt hat? Wir aber, die wir ausserdem noch eine andere Kraft anwenden: werden wir den Intellect, der sich wiederum selbst erkennt, erblicken oder werden wir nach Hinzunahme jenes, da ja jener unser ist und wir ihm angehören, so den Intellect und uns selbst erkennen? Nothwendig wohl so, wenn anders wir erkennen, was es eigentlich heisst, indem Intellect selbst sich selber erkennen. Es ist demnach jemand selbst Intellect geworden, wenn er alles andere an sich fahren lässt, durch diesen auch diesen erblickt und durch sich selber sich selbst. Als Intellect demnach also sieht er sich selbst.

5. Sieht er nun etwa mit einem andern Theile von sich einen andern Theil seiner selbst? Aber so wird das eine sehend, das andere gesehen sein, und das heisst nicht mehr selbst sich selber sehen. Wie indessen, wenn alles aus gleichartigen Theilen [Homöomerien] bestände, so dass das Sehende sich in nichts von dem Gesehenen unterschiede? Denn auf diese Weise sieht, wer jenen Theil von sich als mit sich identisch sieht, sich selbst; denn es unterscheidet sich das Sehende in nichts von dem Gesehenen. Allein zunächst ist eine Theilung seiner selbst ungereimt; wie soll man denn auch Theilen? Sicherlich doch nicht aufs Gerathewohl; und wer ist der Theilende? Der welcher sich selbst in den Ort des Sehens oder der welcher sich in den Ort des Gesehenwerdens versetzt? Sodann, wie wird sich der erkennen, der sehend sich selbst in den Ort des Gesehenwerdens versetzt hat gemäss dem Sehen? Denn in dem Gesehenwerden war ja das Sehen nicht. Vielmehr wird er, nachdem er sich so erkannt hat, seiner selbst innewerden als eines Gesehenen, aber nicht als[159] eines Sehenden; folglich wird er nicht alles noch sich selbst ganz sehen; denn den er sah, sah er als einen Gesehenen, nicht als einen Sehenden, und so wird er einen andern, nicht sich selbst gesellen haben. Doch er wird von sich selbst auch den Geschauthabenden hinzufügen, damit er sich vollkommen geschaut und wahrgenommen habe. Allein wenn auch den Geschauthabenden, so zugleich auch das Geschaute. Wenn, nun in dem Schauen das Geschaute Vorhanden ist, so hat er, falls nur die Umrisse vorhanden, es nicht selbst; falls er es aber selbst hat, so hat er es nicht, nachdem er es geschaut in Folge der Trennung seiner selbst, sondern er war im Schauen und im Besitz bevor er sich selber theilte. Ist das der Fall, dann muss das Schauen identisch sein mit dem Geschauten und der Intellect identisch mit dem Intelligiblen. Denn ist es nicht identisch, dann wird sich keine Wahrheit ergeben, denn der das Seiende Schauende wird einen andern Eindruck [Typus] haben als das Seiende, was nicht Wahrheit ist. Die Wahrheit also darf nicht auf ein Anderes gehen, sondern was sie sagt, das muss sie auch sein. Eins also ist auf diese Weise der Intellect und das Intelligible und das Seiende, und dies ist das ursprünglich Seiende; demnach ist auch der Intellect, der das Seiende hat, ursprünglich oder vielmehr identisch mit dem Seienden. Aber wenn die intellectuelle Anschauung und das Intelligible eins ist, wie soll deswegen das intellectuell Schauende sich selber schauen? Denn die intellectuelle Anschauung wird gleichsam das Intelligible rings umfassen oder mit dem Intelligiblen identisch sein, aber dass der Intellect sich selber schaut, ist noch nicht klar. Aber wenn die intellectuelle Anschauung und das Intelligible identisch sind – denn das Intelligible ist etwas Actuelles also nicht Potenz, auch nicht ausserhalb des Lebens, noch ist das Leben oder das Anschauen ihm als etwas fremdem zugeführt, wie etwa dem Stein oder sonst etwas leblosem, ja die erste, ursprüngliche Substanz ist das Intelligible; wenn also Energie, dann dürfte die erste Energie auch die höchste intellectuelle Anschauung und die wesenhafte Anschauung sein, folglich auch die wahrste; eine solche erste und ursprüngliche intellectuelle Anschauung dürfte auch der erste Intellect sein; denn dieser Intellect ist nicht der Möglichkeit nach, noch verschieden von der inlellectuellen Anschauung, denn auf diese Weise wäre das Wesenhafte an ihm wieder der Möglichkeit nach. Wenn er also Energie und seine Wesenheit Energie ist, so wird er ein und dasselbe mit der Energie sein; identisch aber mit der Energie ist das Seiende[160] und das Intelligible; folglich wird alles zugleich eins sein: der Intellect, die intellectuelle Anschauung, das Intelligible. Wenn also die intellectuelle Anschauung desselben das Intelligible ist, er selbst aber das Intelligible, so wird er sich selbst schauend erkennen; denn er wird durch die intellectuelle Anschauung schauen, was er eben selbst war, und zwar wird er das Intelligible schauen, was er eben selbst war. In doppelter Hinsicht also wird er sich selbst schauen, insofern er die intellectuelle Anschauung selbst und insofern er das Intelligible selbst war, was eben er durch die intellectuelle Anschauung schaute, die er selbst war.

6. Die Beweisführung hat also gezeigt, dass es etwas giebt, was selbst sich selber in hervorragendem und eigentlichem Sinne schaut. Es schaut nun anders, wenn es in der Seele befindlich, im Intellect hingegen schaut es im eigentlichen und vorzüglicheren Sinne. Denn die Seele schaute sich selbst als einem andern zugehörig, der Intellect aber, dass er selbst es ist, und wie beschaffen und wer er ist, und dass er aus seiner eigenen Natur stammt und sich zu sich selbst hinwendet. Denn indem er das Seiende schaute, schaute er sich selbst, und im Schauen war er der Energie nach und selbst die Energie; denn Intellect und intellectuelle Anschauung sind eins; und er schaute sich ganz mit sich selbst ganz, nicht mit einem Theile einen andern Theil. Hat ihn nun wohl der Beweis als solchen gezeigt, dass er auch überzeugende Kraft besitzt? Nun, Nothwendigkeit hat er auf diese Weise, nicht. Ueberredung; denn die Nothwendigkeit hat ihren Sitz im Intellect, die Ueberredung in der Seele. So suchen wir also, scheint es, mehr überredet zu werden als mit dem reinen Intellect das Wahre zu schauen. Ja so lange wir oben in der Natur des Intellects waren, hatten wir volles Genügen und wir schauten mit dem Intellect und alles in eins zusammenführend sahen wir; denn der Intellect war der Schauende und von sich selber Berichtende, die Seele aber hielt Ruhe und gab der Wirkung des Intellectes nach. Sobald wir indessen hier wieder in der Seele angelangt sind, suchen wir nach einer Ueberredung, indem wir gleichsam in dem Abbild das Urbild schauen wollen. Vielleicht nun muss man die Seele lehren, wie denn der Intellect sich selber schaut, und zwar denjenigen Theil der Seele lehren, der irgendwie vernünftig ist, indem wir ihn als denkend setzen und unter dieser Benennung stillschweigend anzeigen, dass er gewissermassen Intellect ist oder doch durch den Intellect und von dem Intellect seine Kraft erhält. Dieser also muss füglich[161] erkennen, wie er gleichfalls erkennt was er sieht, und weiss was er sagt; und falls er selbst wäre was er sagt, so würde er sich selbst auf diese Weise erkennen. Da die Objecte nun da sind oder von oben her ihm entstehen eben dorther, woher er auch selbst stammt, so dürfte es auch diesem, der Begriff ist und Verwandtes aufnimmt und den in ihm selbst vorhandenen Spuren assimilirt, zukommen in der Weise sich selbst zu erkennen. Er übertrage nun einerseits das Bild auf den wahren Intellect, welcher identisch war mit dem gedachten Wahren und wahrhaft Seienden und Ersten, und [bedenke] andererseits, dass dieser als ein solcher möglich ausserhalb seiner selbst sein kann. Wenn er also in sich selbst und bei sich selbst und wenn sein Wesen Intellect ist – und ein intellectloser Intellect existirt doch wohl nicht – so folgt mit Nothwendigkeit, dass ihm die Erkenntniss seiner selbst beiwohnt und dass dieser in sich selbst ist und kein anderes Geschäft noch Wesen hat als allein Intellect zu sein. Denn dem praktischen Leben wenigstens ist dieser nicht zugewandt; zwar wohnt dem nach aussen blickenden Praktischen und nicht in sich selbst Verharrenden eine gewisse Kenntniss äusserer Dinge bei, aber die Nothwendigkeit sich selbst zu erkennen, falls nämlich das Ganze praktisch ist, liegt nicht vor. Wem aber der Trieb zum Handeln nicht innewohnt – denn der reine Intellect, hat ja nicht Verlangen nach etwas Fehlendem – dem erweist die stetige Hinwendung zu sich selbst die Erkenntniss seiner selbst nicht bloss als wohl begründet, sondern als nothwendig. Worin sollte das Leben auch bestehen für den, der abgewandt ist von thätigem Handeln und im Intellect wohnt?

7. Aber er schaut Gott, konnten wir einwenden. Allein wenn jemand zugiebt, dass er Gott erkennt, so wird er dadurch auch zu dem Zugeständniss genöthigt werden, dass er sich selbst erkennt. Denn er wird alles, was er von jenem hat und was jener gegeben und was er kann, erkennen und auf Grund dieser Erfahrung und Erkenntniss wird er sich selbst erkennen; denn er ist selbst eins von dem Gegebenen, vielmehr alles Gegebene ist er selbst. Wenn er nun jenen erkennt und seine Kräfte, so wird er durch die gewonnene Erkenntniss auch sich selber erkennen, da er von dorther stammt und was er vermag von dorther empfangen hat; ist er aber nicht im Stande jenen deutlich zu schauen, da das Schauen vielleicht dasselbe ist wie das Geschaute, so bliebe ihm auf diese Weise gerade das Schauen und Erkennen seiner selbst[162] übrig, falls nämlich das Schauen in der Identität mit dem Geschauten besteht. Was sollten wir ihm auch anderes zuertheilen? Ruhe, beim Zeus. Allein die Ruhe des Intellects ist nicht eine Abspannung des Intellects, sondern die Ruhe des Intellects, welche sich frei hält von den andern Dingen, ist energische Wirksamkeit; bleibt doch auch sonst den Dingen, die sich mit anderem nicht befassen, ihre eigenthümliche Wirksamkeit und vorzüglich denen, deren Sein nicht ein Sein der Möglichkeit nach, sondern der Wirklichkeit nach ist. Das Sein also ist Wirksamkeit und es giebt nichts, worauf sich die Wirksamkeit erstreckt; folglich bleibt sie in sich selbst. Wer sich also selber schaut, hält so die Wirksamkeit bei sich selbst und auf sich selbst gerichtet. Und auch wenn eine Wirkung aus ihm heraustritt, geschieht es weil sie auf ihn in ihm gerichtet ist. Denn sie musste zuerst in ihm selber sein, dann auch auf etwas anderes sich erstrecken, oder es musste etwas anderes von ihm kommen, das ihm ähnlich gemacht ist; Feuer z.B. ist dadurch, dass es zuvor in sich selbst Feuer ist und die Wirksamkeit des Feuers hat, im Stande eine Spur von sich in einem andern hervorzurufen. Hinwiederum ist auch der Intellect in sich selbst energische Wirksamkeit, die Seele ist nur insoweit als sie sich zum Intellect wendet nach innen, soweit sie ausser dem Intellect ist, nach aussen gekehrt. Auf die eine Weise nämlich ist sie ähnlich geworden dem, woher sie gekommen, auf die andere Weise jedoch wurde sie unähnlich und gleichwohl ist sie auch hier ähnlich geworden, sei es durch thätiges Handeln oder künstlerisches Schaffen; denn auch handelnd schaut sie gleichwohl und schaffend schafft sie Formen, gleichsam fein ausgearbeitete Gedanken, so dass alle Formen Spuren der intellectuellen Anschauung und des Intellects sind, wobei die näheren gemäss dem Urbild hervorgehen und dieses nachahmen, die letzten nur ein dunkles Abbild bewahren.

8. Schaut aber der Intellect das Intelligible und sich selbst in einer bestimmten Qualität? Man darf doch das Intelligible wohl nicht auf seine Qualität hin untersuchen wie an den Körpern die Farbe oder Gestalt; denn bevor dies war, ist jenes. Auch der Begriff im Samen, der dies hervorbringt, ist nicht mit diesem identisch; denn unsichtbar ist auch dies und vielmehr noch jenes, und die Natur jenes und des dasselbe Enthaltenden ist ein und dieselbe, wie der Begriff im Samen und die dies enthaltende Seele. Aber diese schaut nicht was sie hat; sie hat selbst ja auch nicht gezeugt, sondern sie ist[163] gleichfalls ein Bild wie auch die Begriffe; das aber, woher sie gekommen, ist das vollkommen Klare, das Wahre und Ursprüngliche, woher es auch sich selber angehört und für sich lebt; dies hingegen, wenn es nicht einem andern angehört und in einem andern ist, bleibt nicht einmal; denn für ein Bild, das einem andern angehört, ist es angemessen in einem andern zu werden, wenn es nicht etwa an jenes festgeknüpft ist. Darum sieht es auch nicht, eben weil es nicht hinreichend Licht hat; und wenn es sieht, so sieht es vollendet in einem andern ein anderes und nicht sich selbst. Aber freilich ist hiervon dort nichts, sondern das Schauen und das Geschaute sind für sie [die Intelligenz] zusammen und das Geschaute ist beschaffen wie das Schauen, ebenso das Schauen beschaffen wie das Geschaute. Wer wird nun von ihm aussagen, wie es beschaffen ist? Der es geschaut hat; der Intellect aber schaut. Sieht doch auch hier das Gesicht, welches Licht ist oder vielmehr eins geworden mit dem Licht, das Licht; denn es sieht Farben; dort aber sieht es nicht durch ein anderes sondern durch sich selbst, weil es auch nicht ausser sich befindlich. Mit einem andern Lichte also sieht es anderes Licht, nicht durch etwas anderes. Licht also sieht anderes Licht, folglich sieht dasselbe sich selbst. Dieses Licht aber, das in der Seele leuchtet, hat sie erleuchtet d.h. vernünftig gemacht d.h. durch sich selbst dem obern Lichte ähnlich gemacht. Wenn du es nun so, wir die in der Seele entstandene Spur des Lichtes, und noch schöner und grösser und klarer ansiehst, dann kommst du etwa der Natur des Intellects und des Intelligiblen nahe. Denn auch seinerseits erleuchtet gab dies der Seele ein deutlicher hervortretendes Leben, jedoch kein erzeugendes Leben, im Gegentheil, es wandte die Seele zu sich selber hin und liess nicht zu, dass sie sich zerstreute, sondern liess sie den in ihm strahlenden Glanz liebgewinnen; auch kein empfindendes Leben gab es ihr, denn diese blickt nach aussen und mehr auf das was sie empfindet; wer aber jenes Licht des Wahren empfangen hat, der erblickt gleichsam nicht sowohl das Sichtbare, sondern vielmehr das Gegentheil. Es bleibt also nur übrig, dass sie das vernünftige Leben empfangen habe, eine Spur des Lebens des Intellects; denn dort ist das Wahre. Das Leben im Intellect ist auch wirksame Energie, das erste sich selbst ursprünglich leuchtende Licht und seine eigene Fackel, leuchtend zugleich und erleuchtet, das wahrhaft Intelligible, denkend und gedacht, durch sich selbst geschaut und keines andern bedürftig um zu sehen, sich selbst völlig genügend zum Schauen; denn was es schaut ist es auch selbst,[164] auch von uns erkannt durch eben jenes, so dass auch von uns her die Erkenntniss jenes durch jenes geschieht: oder woher könnten wir sonst über dasselbe reden? Es ist so beschaffen, dass es deutlicher sich selbst percipirt, wir aber durch dasselbe percipiren: wir führen durch solche Betrachtungen unsere Seele in dasselbe hinein, indem sich dieselbe hinstellt als ein Bild jenes, als sei ihr Leben ein Abbild und Gleichniss des Lebens jenes und als werde sie, wenn sie denke, gottähnlich und intellectuell; und wenn jemand von ihr zu wissen verlangt, wie jener vollkommene und ganze Intellect beschaffen ist, der ursprünglich sich selber erkennt, so versetzt sie sich zuerst in den Intellect oder tritt dem Intellect die Wirksamkeit ab in den Dingen nämlich, von denen sie eine Erinnerung in sich hat, und zeigt sich im Besitze eben derselben Dinge, so dass jener gewissermassen durch sie als ein Bild sehen kann, durch ein Bild nämlich, das jenem aufs genaueste ähnlich gemacht worden, soweit ein Theil der Seele zur Aehnlichkeit mit dem Intellect gelangen kann.

9. Die Seele also, scheint es, und zwar den göttlichsten Theil der Seele muss erschauen wer das Wesen des Intellects erkennen will. Das kann vielleicht auf diesem Wege geschehen, wenn du zuerst den Körper vom Menschen und selbstverständlich von dir selbst absonderst, dann auch die diesen bildende Seele, recht sorgfältig auch die Empfindung und sinnliche Wahrnehmung, ferner Begierden, Zorn und desgleichen die andern nichtsnutzigen Affecte als die da zum Sterblichen hinneigen, und zwar ganz. Der dann übrig bleibende Theil derselben ist es, den wir als ein Bild des Intellects bezeichneten, welches Licht von jenem bewahrt, nämlich das aus ihr [der Seele] heraus sie umstrahlende, vergleichbar dem Licht der Sonne unmittelbar um die körperliche Sphäre. Vom Licht der Sonne nun wird niemand zugeben, dass es an ihr selbst um sie selbst herum sei, da ein Theil aus ihr hervorgeht und um sie herum bleibt, ein anderer immer aus einem andern, dem vor ihr, hervordringt bis er zu uns und auf die Erde gelangt ist; vielmehr wird er das gesammte, auch das um sie herum befindliche Licht in einen andern Körper setzen, damit er nicht den Raum unmittelbar nach der Sonne als einen leeren, körperfreien statuire. Die Seele hingegen, welche aus dem Intellect Licht um ihn herum geworden ist, ist an ihn geknüpft und befindet sich nicht in einem andern, sondern um ihn herum, und es kommt ihr kein Ort zu, sowenig wie jenem. Daher ist das Licht der Sonne in der Luft, diese aber [die Seele] ist rein,[165] so dass sie auch an sich selbst gesehen wird und von sich selbst und einer andern ihresgleichen. Und sie muss über die Beschaffenheit des Intellects aus eigenem Antriebe forschend nachdenken, der Intellect aber schaut selber sich selbst und reflectirt nicht über sich selbst; denn er ist sich selbst immer gegenwärtig, wir aber nur dann, wenn wir uns zu ihm hinwenden; denn unser Leben ist ein getheiltes und vielfaches, jener aber bedarf durchaus nicht eines andern Lebens oder anderer, sondern das von ihm dargereichte Leben reicht er andern dar, nicht sich selbst; auch bedarf er ja des Geringeren nicht, noch reicht er sich das Kleinere dar, da er das Ganze, noch auch die Spuren, da er das Erste hat oder vielmehr nicht hat, sondern selbst dies ist. Wenn aber jemand unvermögend ist die erste, das reine Denken übende Seele zu haben, der nehme die vorstellende und steige dann von dieser empor; kann er auch das nicht, so greife er zur sinnlichen Wahrnehmung, welche die Formen breiter ausgeprägt mit sich bringt, die Wahrnehmung meine ich, welche sowohl in sich ist mit ihrem Vermögen als auch bereits in den Formen. Wenn er will, so mag er auch bis zur erzeugenden Seele herabsteigen und gehen bis hin zu dem was sie schafft; dann steige er von dort empor von den letzten Formen bis wieder zu den letzten, besser zu den ersten.

10. Dies also auf diese Weise. Giebt es aber nur geschaffene Formen, dann gäbe es keine letzten; dort aber sind die ersten die schaffenden, ebendaher auch die ersten. Es muss also das Schaffende zugleich und beides eins sein, wenn nicht, so wird wieder ein anderes erfordert. Wie nun? Wird nicht wieder ein Höheres als dieses erfordert werden? Vielleicht ist der Intellect dieses. Warum Sieht dieser sich nun nicht selbst? Es bedarf des Schauens durchaus nicht. Doch davon später. Jetzt wollen wir wieder von dem vorliegenden Problem sprechen, denn es handelt sich in der Untersuchung nicht um die erste beste Frage. Es ist also zu wiederholen, dass dieser Intellect das Schauen seiner selbst nöthig hat, vielmehr dass er das Schauen seiner selbst hat, zuerst weil er ein vielfacher ist, dann weil er noch einem andern angehört, und dass er nothwendig zum Schauen und zwar zum Schauen jenes befähigt und dass sein Wesen Schauen ist; denn wenn es ein anderes giebt, wird ein Schauen erfordert, wenn nicht, so ist es gegenstandslos. Demnach muss es mehr als eins geben, damit es ein Schauen gebe, und das Schauen muss mit dem Geschauten zusammenfallen und das Geschaute muss die von ihm erzeugte Vielheit sein. Auch hat[166] ja das Eine überall nicht, worauf es wirke, sondern es wird allein und einsam überall dastehen; denn wo es wirkt, da resultirt auch ein anderes und wieder ein anderes. Wäre diese Verschiedenheit und dies Andere nicht, was sollte es auch schaffen? Oder wo sollte es sich hinwenden? Darum muss das Schaffende und Wirkende entweder im Bereich eines andern wirken oder selbst vieles sein, wenn es in sich selbst wirken soll. Was nicht zu einem andern hin fortschreitet, wird stille stehen; und wenn es gänzlich stille steht, so wird es nicht denken. Demnach muss das Denkende, wenn es denkt, in zweien sein und entweder das eine ausserhalb oder beides in einem und demselben, und das Denken muss immer in einem Anderssein und auch nothwendig in der Identität sein, und das, ursprünglich und eigentlich Gedachte muss im Verhältniss zum Intellect sowohl dasselbe als verschieden sein. Ebenso bringt wieder ein jedes von dem Gedachten diese Identität und das Anderssein mit sich; oder was soll das Denken, was nicht dieses und jenes in sich hat? Auch wenn ein jedes Begriff ist, so ist es vieles. Es lernt sich also selbst kennen dadurch dass es ein reichgegliedertes oder farbenreiches Auge ist. Wenn es sich nämlich an ein Einfaches und Ungetheiltes applicirte, so würde es begriffelos; denn was könnte es über dasselbe aussagen oder was ihm abverstehen? Und auch wenn man es gänzlich als einfach bezeichnen müsste, so muss man zuvor sagen, was alles es nicht ist, so dass es auch auf diese Weise wieder vieles ist, damit es eins sei. Wenn es ferner sagt ›ich bin dies hier‹, so wird es, wenn es das ›dies hier‹ als ein von sich selbst verschiedenes aussagt, lügen; wenn aber als ein Accidens an sich, so wird es dasselbe als vieles aussagen oder dies wird sagen ›ich bin was ich bin‹ oder ›ich bin ich‹. Wie nun, wenn es nur zwei wäre und sagte ›ich und dies‹? Doch es muss wirklich vieles sein; und sich auch wissen als anderes und wie es anderes ist und dass es bereits Zahl ist und vieles andere. Es muss demnach das Denkende anderes und wieder anderes aufnehmen und das Gedachte als ein in Gedanken Aufgenommenes vielfach sein; sonst wird kein Denken desselben zu Stande kommen, sondern ein Anfassen und gleichsam nur stumme und unvernünftige Berührung, die vorher denkt, ehe noch der Intellect geworden und indem das Berührende nicht denkt. Es darf aber das Denkende auch selbst nicht einfach bleiben und um so weniger, je mehr es sich selbst denkt; denn es wird sich selbst zweitheilen, auch wenn es das Denken als Schweigen darstellt. Sodann wird es auch[167] zu seiner Selbstkenntniss eine vielgeschäftige Thätigkeit nicht nöthig haben; denn was sollte es lernen, nachdem es gedacht hat? Denn vor dem Intellect hat es gedacht was ihm selbst innewohnt. Und auch ein Verlangen, gleichsam ein Finden dessen der gesucht hat, ist die Erkenntniss. Was also durchweg unterschiedslos in sich selbst verharrt, das sucht auch nichts an sich selbst; was sich aber selbst entwickelt, das dürfte auch vieles sein.

11. Deshalb ist auch dieser Intellect ein vielfacher, wenn er das über ihm Liegende denken will. Er denkt nun zwar selbst jenes, aber indem er es wie ein Einfaches ergreifen will, geht er aus sich heraus, indem er immer ein anderes aufnimmt, das in ihm selbst zu einer Vielheit anschwillt; also machte er sich gegen dasselbe hin auf nicht wie Intellect, sondern wie ein Schauen, das noch nicht gesehen hat, das aber herausging im Besitz dessen was es selbst zur Vielheit anhäufte; also begehrte es ein anderes in ungemessener Weise, indem es in sich selbst ein Phantasiebild hat, und ging heraus, nachdem es ein anderes ergriffen, das es in sich zu vielem gemacht hat. Denn es hat andererseits auch einen Umriss des geschauten Gegenstandes, sonst wäre es nicht zur Aufnahme in sich bereit; dieser aber [der Intellect] wurde ein vielfacher aus Einem und so es erkennend sah er es, und da entstand das sehende Schauen. Dies aber ist dann bereits Intellect, wenn es hat und wie Intellect hat; vor diesem ist es blosses Streben und eindrucksloses Sehen. Dieser Intellect nun machte sich an jenes und nachdem er's erlangt, wurde er Intellect, und indem er sich stets werdend in dasselbe hineinversetzt, ist er Intellect und Wesenheit und Denken, wenn er denkt, vor diesem aber war er nicht Denken, weil nicht im Besitz des Intelligiblen, noch Intellect, weil noch nicht denkthätig. Was aber vor diesen liegt, das ist ihr Princip, nicht als ein inhärirendes; denn das Princip, von welchem her, inhärirt nicht, sondern die Elemente, aus welchen etwas besteht; das Princip eines jeden ist nicht ein jedes, sondern verschieden von allem. Nicht also ist es eins von allen, sondern vor allen Dingen, folglich auch vor dem Intellect; denn andererseits ist auch innerhalb des Intellects alles, so dass es auch auf diese Weise vor dem Intellect ist, und wenn die Dinge nach ihm eben die Ordnung und den Rang allerhaben, so ist's auch auf diese Weise vor allen. Es darf also nicht eins von denen sein, vor denen es ist, auch wird man es nicht Intellect nennen; ebenso auch nicht das Gute, wenn damit das[168] Gute als eines von allen bezeichnet werden soll; wird aber damit das Gute vor allen gemeint, mag es so genannt werden. Wenn also der Intellect, weil er vielfach ist, Intellect ist und das gleichsam zwischenein hinzukommende Denken seiner selbst, auch wenn es aus ihm herrührt, ihn zur Vielheit macht, so muss das durchaus Einfache und vor allem Liegende [jenseits] über dem Intellect sein. Denn wenn es denken soll, so wird es nicht über dem Intellect, sondern Intellect sein; aber wenn es Intellect ist, so wird es selbst eine Vielheit sein.

12. Und was hindert, dass es so eine Vielheit ist, solange es eine Substanz ist? Denn die Vielheit wird nicht durch Zusammensetzung hergestellt, sondern die wirksamen Kräfte desselben bilden die Vielheit. Allein wenn die wirksamen Kräfte desselben keine Wesenheiten sind, sondern wenn es von der Möglichkeit zur Wirklichkeit übergeht, dann ist es zwar keine Vielheit, aber unvollendet bevor es mit der Wesenheit in Wirksamkeit trat. Wenn aber seine Wesenheit Wirksamkeit, seine Wirksamkeit die Vielheit bildet, dann ist seine Wesenheit so gross wie die Vielheit. Wenn wir dies für den Intellect zugeben, dem wir auch das Erkennen seiner selbst zugesprochen haben, so haben wir es für das Princip aller Dinge noch nicht zugegeben. Denn sicherlich muss doch vor dem Vielen das Eine sein, von welchem auch das Viele kommt; bei der gesammten Zahl ist ja das Eine das Erste. Bei der Zahl freilich werden sie das zugeben, denn die Reihe ist eine Zusammensetzung; welch eine Nothwendigkeit aber liegt bei dem Seienden vor, dass auch hier ein Eins sei, von welchem das Viele kommt? Nun dann wird das Viele auseinander gerissen werden, in dem eins von hier, eins von dort zufällig zur Zusammensetzung kommt. Indessen werden sie behaupten, dass aus dem einen Intellect, der einfach ist, die Thätigkeiten hervorgehen. Sie setzten also schon etwas Einfaches vor den Thätigkeiten; dann werden sie die Thätigkeiten als bleibend und als Hypostasen setzen; als Hypostasen aber werden sie verschieden sein von ihrem Ursprung und Princip, indem jenes einfach bleibt, das aus ihm Hervorgehende an sich eine Vielheit ist und von jenem abhängt. Denn wenn diese in Folge einer irgendwann beginnenden Thätigkeit jenes zu Stande gekommen sind, so wird auch dort eine Menge sein; wenn aber dies die ersten Thätigkeiten sind, die das Zweite hervorgebracht und bewirkt haben, dass jenes vor diesen Thätigkeiten Liegende in sich bleibt, so haben sie dem Zweiten aus den Thätigkeiten Resultirenden die Thätigkeiten zugestanden; denn ein anderes[169] ist es selbst, ein anderes sind die von ihm ausgehenden Thätigkeiten, da jenes nicht thätig ist. Wenn nicht, dann wird die erste Thätigkeit nicht der Intellect sein; denn es dachte und verlangte nicht, dass Intellect entstehen sollte, und es war nicht so, dass darauf etwa der Intellect entstand, nachdem zwischen es selbst und den erzeugten Intellect das Verlangen getreten; es trug überhaupt kein Verlangen, denn so wäre es unvollkommen gewesen und das Verlangen hatte keinen Gegenstand des Verlangens gehabt; auch hatte es nicht etwa einen Theil, einen andern nicht; es war ja überhaupt nichts da, wonach es sich ausgestreckt hätte. Doch es ist offenbar, dass, wenn etwas nach ihm zu Stande kam, es zu Stande kam indem jenes in seinem eigenen Wesen verblieb. Es muss also jenes, damit etwas anderes zu Stande komme, überall in sich Ruhe halten; wenn nicht, so wird es sich entweder vor seiner Bewegung bewegen und vor seinem Denken denken, oder seine erste Thätigkeit wird unvollkommen sein, ein blosser Anlauf [Velleität]. Auf was richtet sich nun so die Thätigkeit, nachdem sie etwas erlangt hat? Nun, die von ihm gleichsam abfliessende Thätigkeit werden wir betrachten wie das von der Sonne herrührende Licht. Als ein Licht also werden wir auch die ganze intelligible Natur ansehen, von dem auf der höchsten Spitze des Intelligiblen Stehenden aber sagen, er sei der König darin, der den hervorbrechenden Glanz nicht von sich wegstösst. Vielmehr ein anderes Licht vor dem Licht werden wir statuiren, das aber stets im Intelligiblen bleibend leuchtet. Denn was von ihm ausgeht ist nicht von ihm getrennt, ist andererseits auch nicht identisch mit ihm, noch auch so beschaffen, dass es keine Wesenheit wäre, auch nicht wieder so als ob es blind wäre, sondern es ist sehend und erkennt sich selbst und ist das erste Erkennende. Jenes aber, wie es über dem Intellect ist, so ist es auch über der Erkenntniss, durchaus nichts bedürfend, so auch des Erkennens nicht; sondern das Erkennen liegt in der andern Natur. Denn das Erkennen ist irgendein bestimmtes Eins, dies aber ist ohne ein irgendwie bestimmtes Eins; denn ist es irgendein Eins, so ist es nicht das Eins an und für sich, denn das ›an und für sich‹ ist vor dem ›irgendwie bestimmten‹.

13. Darum ist es auch in Wahrheit unaussprechlich; denn was du immer benennst, wirst du als ein ›etwas‹ benennen. Aber das über alles und über den erhabenen Intellect Erhabene ist weder ›etwas‹ von allem, noch hat es einen Namen, da nichts von ihm ausgesagt werden kann; sondern soweit[170] möglich versuchen wir es für uns selbst mit einem Namen zu bezeichnen. Allein wenn wir in unserer Verlegenheit etwa sagen: es empfindet sich selbst nicht, hat kein Bewusstsein von sich, kennt sich selbst nicht, so müssen wir dabei bedenken, dass wir bei diesen Aussagen uns auf den Gegensatz verwiesen sehen. Denn wir machen es zu einem vielfachen, wenn wir es erkennbar machen und ihm das Erkennen beilegen, und wir machen es des Denkens bedürftig, wenn wir ihm das Denken zuertheilen; und wenn das Denken zugleich mit ihm ist, dann wird für es das Denken überflüssig sein. Denn überhaupt scheint das Denken das Zusammenschauen eines Ganzen, indem vielerlei in eins zusammenläuft, zu sein, wenn selbst etwas sich selbst denkt, und das ist in eigentlichem Sinne Denken; jedes Eine aber ist selbst etwas für sich und sucht nichts. Wenn aber das Denken auf etwas ausser ihm gehen soll, so wird es bedürftig sein und nicht im eigentlichen Sinne das Denken. Was durchaus einfach und sich selbst genug ist, bedarf in Wahrheit nichts; was hingegen in zweiter Linie sich zwar selbst genug ist, aber seiner selbst doch bedarf, das bedarf des Denkens seiner selbst; und was in Bezug auf sich selbst bedürftig ist, hat durch das Ganze die Selbstgenügsamkeit, die hinreichend aus allem geworden, bewirkt, indem es mit sich selbst verbunden ist und auf sich selbst das Denken richtet. Ist doch auch der zusammenfassende Eindruck der Eindruck von vielem, wie auch der Name bezeugt. Und das Denken, welches früher ist, wendet den Denkenden, der offenbar vieles ist, in sich selbst hinein; und wenn eben dies nur sagt ›ich bin seiend‹, so sagt es das wie eine Entdeckung und sagt recht daran, denn das Seiende ist vieles: wenn es sich indessen zu einem Einfachen hinwendet und sagt ›ich bin seiend‹, so trifft es damit weder sich selbst noch das Seiende. Denn will es wahr sein, so spricht es von dem Einen nicht wie es den Stein einen nennt, sondern mit der einen Aussage hat es vieles bezeichnet. Denn dieses Sein, was eben wirklich Sein heisst und nicht etwa nur eine Spur des Seienden hat, weshalb es den Namen des Seienden auch garnicht verdient, ähnlich wie die Copie im Verhältniss zum Original – dies Sein hat vieles. Wie nun? Wird jedes einzelne von diesen nicht gedacht werden? Wenn du es losgelöst und für sich allein betrachten willst, wirst du es nicht denken; sondern das Sein selbst ist in sich selbst vieles, und was du auch sonst nennen magst, es hat das Sein. Ist dies der Fall, so wird, wenn es ein Einfachstes unter allen Dingen giebt, dies das[171] Denken seiner selbst nicht haben; denn hat es dasselbe, so wird es auch mit der Vielheit behaftet sein. Es denkt also weder sich selbst, noch eignet ihm das Denken.

14. Wie reden wir nun von demselben? Nun, wir reden wohl von demselben, aber es selbst sagen wir nicht aus, auch haben wir kein Erkennen und kein Denken desselben. Wie reden wir denn von ihm, wenn wir es selbst nicht haben? Nun, wenn wir es durch Erkenntniss nicht haben, so haben wir es doch nicht überhaupt nicht, sondern so haben wir es, dass wir von ihm reden, es selbst aber nicht aussagen. Denn wir sagen, was es nicht ist; was es ist, sagen wir nicht, also reden wir von ihm hinterdrein aus seinen Wirkungen; doch hindert uns nichts es zu haben, auch wenn wir es nicht aussagen. Sondern wie die Begeisterten und Entzückten soviel wissen, dass sie ein Höheres in sich tragen, ohne zu wissen was, und wie sie aus dem, was sie in Erregung gebracht und zu Aeusserungen veranlasst hat, einen Eindruck von dem Erregenden entnehmen, während sie selbst andere sind als das Erregende: so wird auch wohl unser Verhältniss zu jenem sein, wenn wir den reinen Intellect haben, indem wir ahnen, wie dieser Intellect in uns ist, der Wesenheit und alles andere was in dieser Reihe liegt giebt, während er selbst dies nicht ist, sondern etwas höheres als dies, was wir seiend nennen, ja noch mehr und grösser als wir vom Seienden aussagen, weil er selbst grösser ist als Begriff und Denken und Empfinden, er der dies darreicht ohne selbst dies zu sein.

15. Aber wie reicht er es dar? Entweder dadurch dass er's hat, oder dadurch dass er's nicht hat. Allein wie reicht er dar was er nicht hat? Aber wenn er hat, so ist er nicht einfach; wenn er nicht hat, wie kommt aus ihm die Vielheit? Denn ein Einfaches kann er leicht aus sich herauswirken – obwohl auch noch die Frage wäre, wie es aus einem durchweg Einen möglich sei, doch lässt es sich gleichwohl vorstellen wir der aus dem Lichte selbst hervorbrechende Glanz – wie aber vieles? Nun, das aus jenem Hervorgehende sollte doch wohl nicht mit jenem identisch sein; wenn also nicht identisch, so sicherlich nicht besser; denn was wäre besser als das Eine oder überhaupt darüber hinaus? Folglich geringer; dies ist aber bedürftiger. Was ist nun bedürftiger als das Eine? Doch wohl das Nichteine, also das Viele; gleichwohl strebt es nach dem Einen, Eins also ist das Viele. Denn alles Nichteine bewahrt seinen Bestand durch das Eine und ist was es ist durch dieses: denn dem nicht Eins Gewordenen, auch wenn es aus[172] vielem besteht, dürfte man nicht das Prädikat ›es ist‹ geben; und wenn man von einem jeden sagen kann, was es ist, so sagt man, dass ein jedes ist durch das Eine und Identische ferner. Dasjenige aber, was ein Nichtvieles in sich befasst, ist schon Eins nicht durch Theilnahme am Einen, sondern an sich selbst Eins, nicht hinsichtlich eines andern, sondern weil es das ist, von welchem in gewisser Weise auch das andere die Einheit hat, theils durch ein näheres, theils durch ein weiteres Verhältniss. Die Thatsache indessen, dass es ein in sich Identisches und doch etwas unmittelbar nach ihm ist, zeigt es klar dadurch, dass seine Fülle überall eine ist; denn obwohl eine Menge, ist es doch in einem und demselben und man kann es nicht scheiden, weil alles zusammen ist: es ist ja auch ein jedes aus ihm Entstandene, solange es am Leben Theil hat, ein vielfaches Eine; denn es kann sich selbst nicht zeigen als ein Alleines. Jenes selbst aber ist ein Alleines, weil ein grosses Princip; denn das Princip ist ein wesenhaft und wahrhaft Eines; das nach dem Princip Folgende aber ist etwa in der Weise, dass das Eine durch seine eigene Fülle überquillt, alles durch Theilnahme an dem Einen, und ein jedes von ihm ist wiederum alles und eins. Was ist nun dies ›alles‹? Dasjenige, dessen Princip jenes ist. Wie aber ist jenes das Princip von allem? Doch wohl, weil es dasselbe erhält, nachdem es jedes einzelne ins Dasein gerufen. Wohl auch weil es dasselbe zu Stand und Wesen bringt. Wie denn? Nun weil es dasselbe zuvor hat. Doch es ist gesagt, dass es, so eine Menge sein wird. Demnach war es wohl so beschaffen, dass es nicht gesondert war; das auf der zweiten Stufe Stehende war gesondert durch den Begriff [begrifflich]. Denn es ist bereits Wirklichkeit, jenes aber ist die Möglichkeit aller Dinge. Allein welches ist die Art der Möglichkeit? Denn es kann nicht wie die Materie als potentiell bezeichnet werden, weil sie aufnimmt, denn sie leidet, sondern auf diese Weise wird ihm ein Gegensatz zum Schaffen beigelegt. Wie schafft es nun was es nicht hat? Denn überhaupt schafft es nicht aufs Gerathewohl, auch nicht nach Ueberlegung dessen was es schaffen soll. Es ist nun gesagt, dass, wenn etwas aus ihm kommt, etwas neben ihm sein muss; ist es aber etwas anderes, so ist es nicht Eins, denn dies war jenes. Wenn aber nicht eins, sondern zwei, so muss es nothwendig auch bereits Menge sein; es ist ja auch das andere und dasselbe und ein Quäle und das übrige. Dass also das von jenem Abhängende nicht das Eine ist, dürfte gezeigt sein; dass es aber eine Menge ist und zwar[173] eine solche wie sie in dem nach ihm Folgenden gesehen wird, darüber kann man mit Recht noch zweifelhaft sein; auch die Nothwendigkeit einer Existenz nach ihm bedarf noch der Erörterung.

16. Dass es also etwas nach dem Ersten geben muss, ist anderswo gesagt worden und überhaupt, dass es eine Kraft, eine unermessliche Kraft ist und dass dies aus den gesammten übrigen Dingen seine Bestätigung erhält, weil nichts, auch von dem Allerletzten nichts existirt, was nicht die Kraft zum Zeugen hat. Jenes ist jetzt zu entwickeln, wie, da es in den erzeugten Dingen keinen Process nach oben sondern nach unten giebt und dieser mehr und mehr zu einer Menge hin tendirt, auch das Princip von allem und jedem einfacher ist als dies selbst. Dasjenige nun, welches die sichtbare Welt geschaffen hat, dürfte nicht die intelligible Welt als solche sein, sondern der Intellect und die intelligible Welt; und das vor diesem Liegende, das es erzeugt hat, ist weder Intellect noch intelligible Welt, sondern etwas Einfacheres als der Intellect und die intelligible Welt. Denn nicht stammt Vieles aus Vielem, sondern dieses Viele stammt aus einem nicht Vielen; denn wenn es auch selbst Vieles ist, so ist dies nicht Princip sondern ein anderes vor ihm. Es muss sich also zu einer absoluten Einheit fügen, ausser jeglicher Vielheit und irgendwelcher beliebigen Einfachheit, wenn es wirklich und wahrhaft einfach ist. Aber wie ist das aus ihm Gewordene ein vielfacher und allumfassender Begriff, während es doch offenbar nicht Begriff war? Wenn es dies aber nicht war [also Begriff war], wie kommt denn nun Begriff aus dem Begriff? Und wie kommt das Gutartige aus dem Guten? Was hat es denn von ihm, weshalb es gutartig genannt wird? Hat es etwa ein und dieselbe, sich stets gleichbleibende Beschaffenheit [die Identität]? Und was hat dies mit dem Guten zu schaffen? Denn bei dem Vorhandensein des Guten suchen wir die sich gleichbleibende Beschaffenheit. Früher ist doch wohl jenes, von dem man nicht wird ablassen dürfen, weil es gut ist; wenn nicht, dann ist's besser man lässt es. Nun besteht das Leben doch wohl darin, dass man stets und ständig in diesem [Guten] freiwillig bleibt. Wenn also diesem [gesuchten Absoluten] das Leben volles Genüge gewährt, so ist offenbar, dass er nichts sucht; demnach besteht das ›stets und ständig‹ darin und darum, weil das Vorhandene genügt. Aber diesem ist das Leben genug, indem alles bereits vorhanden und zwar so vorhanden ist, dass es nicht verschieden ist von ihm. Wenn ihm aber das gesammte[174] Leben eignet und ein evidentes und vollkommenes Leben, so ist in ihm die Seele und aller Intellect und nichts lässt es ihm am Leben oder Intellect fehlen. Es ist sich also selbst genug und sucht nichts; wenn es nichts sucht, so hat es in sich was es gesucht haben würde, wenn es ihm nicht zu eigen gehörte. Es hat also in sich das Gute oder ein solches, das wir Leben und Intellect nannten, oder sonst eine diesen zukommende Eigenschaft. Aber wenn dies das Gute ist, so dürfte es nichts höheres als dies geben; gibt es ein solches, so tendirt das Leben dieses zu jenem als an jenes geknüpft, sein Dasein aus jenem schöpfend und sein Leben auf jenes zurückführend; denn jenes ist sein Princip. Demnach muss jenes besser sein als Leben und Intellect; denn so wird dieses zu jenem auch das in ihm selbst vorhandene Leben hinwenden als eine Nachahmung des in jenem vorhandenen, demzufolge dieses lebt, desgleichen den in ihm vorhandenen Intellect als eine Nachahmung des in jenem vorhandenen, was dies in aller Welt auch sein mag.

17. Was ist nun besser als das verständigste Leben, das nicht straucheln und nicht fehlen kann, als der allumfassende Intellect und alles Leben und aller Intellect? Wenn wir antworten: dasjenige, was dies geschaffen hat, so müssen wir auch sagen, wie es geschaffen hat; und wenn sich nichts besseres ergiebt, so geht die begriffliche Erörterung nicht auf etwas anderes, sondern wird bei diesem stehen bleiben. Indessen muss man höher hinaufsteigen, sowohl aus vielen andern Gründen als besonders weil diesem das Selbstgenugsame von allem Aeusseren unabhängig zukommt; jedes einzelne ist natürlich bedürftig; und weil ein jedes an ein und demselben Einen Theil genommen und Theil hat am Einen, ist es selbst nicht das Eine. Was ist nun dasjenige, an welchem es Theil hat, was es selbst ins Dasein ruft und alles zusammen? Aber wenn es ein jedes ins Dasein ruft und durch die stetige Anwesenheit des Einen seine Menge und sich selber selbstgenugsam macht, so ist jenes offenbar Schöpfer des Seins und Autarkie, ohne selbst Wesenheit [Substanz] zu sein, vielmehr steht es über dieser und über der Autarkie. Genügt das nun, dies zu sagen und dann sich aus der Affaire zu ziehen? Ach die Seele liegt noch in Geburtswehen und zwar in höherem Grade. Vielleicht indessen musste sie bereits das Zeugen beginnen, nachdem sie sich zu jenem von Geburtswehen erfüllt aufgeschwungen. Aber das genügt nicht, sondern wir müssen mit einem Zauberlied zu Hülfe kommen, wenn wir irgendwo[175] ein zur Geburt passendes ausfindig machen können. Vielleicht lässt sich eins aus dem schon Gesagten gewinnen, wenn man das Lied oft wiederholt. Was giebts nun für einen andern, neuen Gesang? Denn obwohl sie eilend an alle? Wahre und an das Wahre, dessen wir theilhaftig sind, herantritt, so entflieht sie dennoch, wenn man von ihr reden und sie sich denken will, da auch das Denken, um etwas auszusagen, bald dies bald das ergreifen muss; auf diese Weise ist es ja auch ein discursives, aber was giebt es in dem schlechthin Einfachen Discursives? Jedoch es genügt wohl ein Ergreifen durch eine Art intellectueller Anschauung; aber man muss in diesem Act des Ergreifens durchaus weder Vermögen noch Ruhe haben zum Reden, erst später muss man darüber reflectiren und Schlüsse machen. Dann aber muss man glauben geschaut zu haben, wenn die Seele urplötzlich Licht empfangen hat; denn dies kommt von ihm und ist er selbst [Gott]; und dann eben muss man ihn für gegenwärtig halten, wenn er gleich einem andern Gotte auf jemandes Anrufung in das Haus eintretend es erleuchtet; denn ist er nicht eingetreten, hat er auch nicht erleuchtet. So ist denn auch die Seele ohne Licht, wenn sie ohne jenen Gott ist; erleuchtet aber hat sie was sie suchte, und dies ist der wahre Zweck der Seele, jenes Licht zu ergreifen und durch dasselbe das Licht zu schauen, nicht durch das Licht eines andern ein anderes, sondern eben das, wodurch sie auch schaut. Denn wodurch sie erleuchtet wurde, das ist's was sie schauen muss; sieht man doch auch die Sonne nicht durch ein anderes Licht. Wie kann das nun wohl geschehen? Thue alles hinweg [abstrahire von allem].

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 155-176.
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