Achtes Buch.
Ueber die Freiheit und den Willen des Einen

[411] 1. Darf man auch bei den Göttern forschen, ob etwas in ihrer Macht [Entscheidung, freiem Willen] steht, oder darf[411] man dergleichen nur in der Ohnmacht und den zweifelhaften Kräften der Menschen suchen, während man von den Göttern zugeben muss, dass sie alles können und dass nicht etwas nur, sondern alles in ihrer Macht stehe? Oder muss man die gesammte Macht und den freien Willen im ganzen Einem zuschreiben, den einen dagegen diese, den andern jene, manchen auch eine doppelte Verfassung zusprechen? Das gilt es zu erforschen, und dabei muss man wagen, eine solche Untersuchung auch bei den ersten Principien und dem absolut Transscendenten anstellen, wie es sich mit dem freien Willen verhalte, selbst wenn wir ihm zugestehen, dass es alles vermöge. Jedoch muss auch dies ›Können‹ untersucht werden, wie es eigentlich verstanden wird, dass wir nicht etwa darunter bald die Möglichkeit, bald die Wirklichkeit verstehen, und auch die künftige Wirklichkeit. Allein wir wollen dies für jetzt aufschieben und zuvor bei uns selbst, wie es Gewohnheit ist, untersuchen, ob wir selbst einen freien Willen haben. Zuerst also soll untersucht werden, was wir unter dem Satze, ›es stehe etwas in unserer Gewalt‹ zu verstehen haben d.h. welchen Begriff wir davon haben; denn auf diese Weise dürfte auch deutlich werden, ob derselbe füglich auch auf die Götter oder vielmehr auf Gott übertragen werden darf, oder ob er nicht zu übertragen ist, oder ob er zwar zu übertragen, dabei aber zu untersuchen ist, wie der freie Wille bei den andern und bei den ersten Principien zu verstehen sei. Was also denken wir und weshalb forschen wir, wenn wir von unserm freien Willen reden? Ich glaube, wenn wir in widrigen Geschicken und Nothwendigkeiten und starken Anläufen der Affecte, welche die Seele fesseln, umgetrieben werden, so sind wir, indem wir dies alles für beherrschend ansehen und ihm unterworfen sind und gebracht werden wohin jenes uns führt, in Ungewissheit darüber, ob wir etwa nichts sind und nicht einmal einen freien Willen haben, in der Voraussetzung dass ja das wohl nur in unserer Gewalt steht, was wir ohne die Knechtung durch Schicksale, Nothwendigkeiten und starke Affecte aus freiem Entschlusse thun, indem sich nichts unserm Wollen widersetzt. Wenn das, so dürfte der Begriff des freien Willens in dem liegen, was dem Entschlusse gehorcht und dient und in soweit geschieht oder nicht geschieht, als wir es wollen. Denn freiwillig ist alles, was ohne Zwang mit Wissen geschieht, in unserer Macht steht, was wir auch aus zuführen im Stande sind; oft läuft freilich beides in einander, obwohl ein begrifflicher Unterschied da ist; doch giebt es auch Fälle, wo sie sich unterscheiden.[412] Wenn z.B. jemand die Macht hatte zu tödten, so war seine That keine freiwillige, wenn er nicht wusste, dass der Ermordete sein Vater war; auch jenes [Freiwillige] steht vielleicht in Discrepanz zu unserer Macht und Entscheidung. Es muss also das Wissen um die That bei dem Freiwilligen nicht bloss in jedem einzelnen Falle, sondern überhaupt vorhanden sein. Denn warum soll, wenn jemand nicht weiss, dass er ihm befreundet, der Mord ein unfreiwilliger, wenn er aber nicht weiss, dass er keinen Mord begehen darf nicht ein unfreiwilliger sein? Wenn deshalb etwa, weil er das hätte lernen sollen, so ist das Nichtwissen nicht freiwillig, eben weil er es hätte lernen sollen, oder das was vom Lernen abführte.

2. Indessen geht dahin die Untersuchung: Welchem Vermögen ist dasjenige zuzuschreiben, was auf uns als in unserer Macht stehend bezogen wird? Doch wohl dem Impuls oder irgendwelchem Streben, was z.B. im Zorn oder in der Begierde oder in Erwägung des Zuträglichen mitsammt einem Streben entweder gethan oder nicht gethan wird. Aber wenn dem Zorn und der Begierde, so werden wir auch den Kindern und Thieren den freien Willen zuschreiben, desgleichen den Rasenden, Verrückten, Behexten und ihren zufälligen Wahngebilden, deren sie nicht Herr sind; wenn aber der vernünftigen Ueberlegung mit einem Streben, auch einer irrenden Ueberlegung? Nein der richtigen Ueberlegung und dem richtigen Streben. Jedoch möchte man auch hier fragen, ob die Reflexion das Verlangen oder das Verlangen die Reflexion erregt hat. Denn wenn die Strebungen naturgemäss entstehen, so folgt, falls dieselben dem lebenden und dem zusammengesetzten Wesen angehören, die Seele der Nothwendigkeit der Natur; falls sie der Seele allein angehören, so dürfte vieles von dem, was bei uns stehen soll, ausser uns geschehen. Sodann geht auch eine gewisse leere Ueberlegung den Affecten vorauf und die zwingende Vorstellung und das Verlangen, das uns zieht wohin es immer führt: wie machen sie uns in diesen Dingen zu Herren unserer That? Wie sind wir überhaupt Herren von dem, wozu wir getrieben werden? Denn das Bedürftige, das von Natur nach Erfüllung strebt, ist nicht Herr dessen, zu dem es schlechterdings getrieben wird. Wie kann überhaupt etwas selbständig von sich selber sein, was von einem andern her sowohl das Princip zu etwas anderm hat und von dorther geworden ist was es ist? Denn jenem gemäss lebt es und ist es gleichsam gebildet. Auf diese Weise würde ja selbst das Leblose den freien Willen erlangt haben; denn das[413] Feuer wirkt wie es geworden ist. Soll freier Wille deshalb drin sein, weil das lebende Wesen und die Seele erkennt was sie thut, so fragt sich, wenn es durch Wahrnehmung geschieht, was das zum freien Willen beiträgt. Denn die Wahrnehmung, die bloss sieht, macht uns nicht zu Herren unserer That; geschieht es durch Erkenntniss, so weiss, wenn durch Erkenntniss des Gethanen, diese auch hier bloss und ein anderes führt zur That. Wenn aber selbst gegen das Verlangen die Vernunft oder die Erkenntniss etwas wirkt und durchsetzt, so fragt sich, worauf sie dies zurückführt und überhaupt wo dies eintritt; und wenn die Vernunft selbst ein anderes Verlangen bewirkt, so ist das Wie zu begreifen; wenn sie aber nach Beruhigung des Verlangens stille steht und hier der freie Wille liegt, so wird dies nicht, in der That bestehen, sondern im Intellect wird dies zum Stillstand kommen; ist ja doch alles, was mit der That zusammenhängt, auch wenn die Vernunft es siegreich bewältigt, gemischt und kann den freien Willen nicht rein enthalten.

3. Deshalb gilt es hierüber eine Untersuchung; denn nunmehr dürften wir auch nahe an die Erörterung über die Götter zu herantreten. Da wir also den freien Willen auf einen Entschluss zurückgeführt und diesen dann in die Ueberlegung, dann in die richtige Ueberlegung gesetzt haben – vielleicht muss man zu dem ›richtig‹ das Wissen hinzufügen; denn schwerlich hat jemand, wenn er nach einer richtigen Meinung recht gehandelt hat, unbestritten die selbsteigene Entscheidung, wenn er nicht weiss, weshalb es richtig ist, sondern durch Zufall oder ein Phantasiegebilde auf das Nothwendige geführt worden; denn da wir die Phantasie nicht als von unserm freien Willen abhängig gelten lassen: wie sollten wir die, welche nach ihr handeln, in das Bereich der selbsteigenen Entscheidung einordnen? Denn wir, die wir die Phantasie, welche man im eigentlichen Sinne Phantasie nennen kann, im Auge haben, die aus den Affectionen des Körpers auftaucht – denn auch Entleerungen von Speise und Trank bilden gleichsam Phantasien, desgleichen die Anfüllungen, und wer voll ist von Samen imaginirt anderes und so entsprechend den Qualitäten des Feuchten im Körper – wir werden die, welche nach solchen Phantasien thätig sind, nicht einordnen in das Princip der selbsteigenen Entscheidung; deshalb werden wir auch den Schlechten, die das meiste hiernach thun, weder den freien Willen noch die Freiheit zusprechen, wohl aber werden wir dem, der durch die Vernunft seiner Thaten frei ist von den Affectionen des Körpers,[414] die Freiheit zuerkennen – – Da wir also den freien Willen auf das schönste Princip zurückführen, werden wir die Thätigkeit der Vernunft und die von daher stammenden Vorsätze als wahrhaft frei anerkennen und die aus dem vernünftigen Denken entspringenden Strebungen nicht als unfreiwillige an erkennen und behaupten, dass den Göttern, die auf diese Weise leben d.h. allen, die nach der Vernunft und einem vernunftgemässen Streben ihr Leben führen, die Freiheit innewohne.

4. Gleichwohl möchte jemand fragen, wie denn das in Folge eines Verlangens Geschehende ein freies sein könne, da das Verlangen auf ein Aeusseres führe und mit einem Mangel behaftet sei; denn das Verlangende wird geführt, auch wenn es zum Guten geführt wird. Auch über die Vernunft selbst erhebt sich Zweifel, ob sie nämlich, da sie was und wie sie wirkt von Natur wirkt, die Freiheit und den freien Willen haben soll, wenn sie in sich nicht das Vermögen hat es nicht zu thun; sodann liegt, wenn überhaupt der freie Wille eigentlich von denen ausgesagt wird, welchen ein Thun nicht eignet, für diejenigen, welche sich mit dem Handeln belassen, die Nothwendigkeit ausserhalb; denn sie werden nicht ziel- und zwecklos handeln. Nun denn: wie lässt sich die Freiheit aufrecht erhalten, wenn auch diese ihrer eigenen Natur dienen? Nun, wenn etwas nicht gezwungen ist einem andern zu folgen, wie liesse sich von ihm das Dienen aussagen? Und wie wäre etwas, das zum Guten hingetragen wird, ein gezwungenes, da das Streben ein freies ist, wenn es in Erkenntniss des Guten als auf ein Gutes darauf losgeht? Denn das Unfreie führt vom Guten ab und hin zu dem Erzwungenen, wenn es zu dem getrieben wird, was für es nicht gut ist; und es dient dasjenige, was nicht fähig ist die Richtung nach dem Guten hin einzuschlagen, sondern auf Antrieb eines andern Besseren von seinem eigenen Guten abgeführt wird, indem es jenem dient. Deshalb wird auch der Vorwurf der Knechtschaft nicht da erhoben, wo jemand nicht zum Bösen kommen kann, sondern da wo er nicht zu seinem eigenen Guten gelangen kann, weil er hingezogen wird zum Guten eines andern. Ausserdem statuirt man mit dem Ausdruck ›seiner eigenen Natur dienen‹ zweierlei: das dienende und das, dem es dient. Wie aber sollte eine einfache Natur und einheitliche Energie, die nicht das eine der Möglichkeit nach, das andere in Wirklichkeit hat, nicht frei sein? Denn eine naturgemässe Wirksamkeit wird von ihr nicht in dem Sinne ausgesagt, als sei eine andere die Wesenheit, eine andere die Wirksamkeit, wenn anders das Sein[415] und das Wirken dort identisch ist. Wenn sie also weder um eines andern willen noch auf Grund eines andern wirkt, wie wäre sie nicht frei? Und wenn der Begriff des freien Willens auf sie nicht passen sollte, so ist hier mehr als freier Wille und in dem Sinne frei, weil sie nicht von einem andern abhängt und nichts anderes ihre Wirksamkeit beherrscht, ja auch ihre Wesenheit nicht, wenn anders sie Princip ist. Und wenn die Vernunft ein anderes Princip hat, so liegt das doch nicht ausser ihr selbst, sondern im Guten. Und wenn sie jenem gemäss das Gute hat, so hat sie in viel höherem Maasse die Unabhängigkeit und die Freiheit; denn die Freiheit und Unabhängigkeit sucht man um des Guten willen. Wenn sie also dem Guten gemäss wirkt, so hat sie in höherem Maasse die Selbständigkeit [den freien Willen]; denn sie hat bereits das, was von ihm aus zu ihm hin strebt, und ist in sich, wenn anders sie auf jenes gerichtet ist, und das dürfte für sie besser sein.

5. Ist nun in der denkenden Vernunft allein und zwar in der reinen Vernunft die Freiheit und der freie Wille oder auch in der Seele, die nach der Vernunft thätig ist und nach der Tugend handelt? Wenn wir sie der handelnden zugestehen wollen, so dürfen wir sie zunächst ihr vielleicht nicht in Rücksicht auf den Erfolg zugestehen; denn wir sind nicht Herren des Erfolgs. Geschieht es mit Rücksicht auf die vortreffliche Ausführung und auf die Verrichtung alles dessen, was von der Vernunft ausgeht, so mögen sie ihr mit Recht beigelegt werden. Wie aber steht jenes [gut handeln] in unserer Macht? Wir sagen z.B., wir sind tapfer, weil Krieg ist. Ich meine aber, wie eine solche Thätigkeit dann in unserer Macht steht, wenn es, da kein Krieg über uns gekommen, nicht möglich war diese Thätigkeit zu üben, desgleichen bei allen andern der Tugend gemässen Handlungen, da je nach Zufall die Tugend uns zwingt dies oder das zu thun. Und wenn jemand der Tugend selbst die Wahl anheimgäbe, ob sie etwa, um thätig zu sein, Kriege wolle, damit sie tapfer sei, und Ungerechtigkeit, damit sie das Recht abgrenze und ordne, und Armuth, damit sich die Freigebigkeit beweise, oder ob sie, da alles wohl steht, Ruhe haben wolle: so würde sie die Ruhe den Beschäftigungen vorziehen, da nichts ihrer Hülfe und Pflege bedarf, wie auch ein Arzt, etwa Hippokrates, wohl wünscht, dass niemand seiner Kunst bedarf. Wenn nun die praktisch thätige Tugend gezwungen wird zu helfen, wie steht dann der Entschluss rein bei ihr? Sollen wir etwa sagen, die Thaten seien zwar nothwendig, der Entschluss[416] vor den Thaten aber und die vernünftige Ueberlegung sei nicht gezwungen? Allein wenn das der Fall ist, dann werden wir, da wir sie in eine leere Abstraction vor der Handlung setzen, die Freiheit und den Entschluss der Tugend selbst ausser der That setzen. Was aber gilt von der Tugend selbst ihrem Zustande und ihrer Beschaffenheit nach? Werden wir nicht zugestehen, dass sie, wenn die Seele in schlechter Verfassung ist, zur Ordnung derselben schreitet, indem sie die Leidenschaften und Triebe harmonisch begrenzt? Wie sagen wir also, dass es bei uns stehe gut zu sein und dass die Tugend keinem Herrn unterworfen sei? Es steht wenigstens in unserm Willen und in unserer Wahl; es gilt das von der Tugend, weil sie in uns die Freiheil und den freien Willen zurichtet und uns nicht mehr Knechte der früheren Untugenden sein lässt. Wenn also die Tugend gleichsam eine andere Vernunft ist und ein Habitus, der die Seele gleichsam zur Vernunft macht, so ergiebt sich wieder das Resultat, dass der freie Wille nicht in der That liegt, sondern in der von aller Praxis freien Vernunft.

6. Wie führten wir dies nun früher auf einen Entschluss zurück, indem wir sagten, es sei das ›was dem Wollen gemäss geschieht‹? Doch wurde auch dort hinzugefügt: ›oder nicht geschieht.‹ Wenn also die jetzigen Auseinandersetzungen richtig sind und die früheren hiermit stimmen, so werden wir sagen, dass die Tugend und die Vernunft die Herren sind und dass wir auf diese den freien Willen und die Freiheit zurückfuhren müssen; beide haben keinen Herren über sich, die Vernunft ist in sich, die Tugend will zwar in sich sein als Vorsteherin der Seele, dass sie gut sei, und bis dahin sich selbst als frei und die Seele als frei erweisen; da aber die nothwendigen Affectionen und Thaten über sie kommen, so hat sie als Vorsteherin gar nicht Rath gepflogen über das Entstehen derselben, aber gleichwohl wird sie auch in diesen ihren freien Willen retten, indem sie ihn auch hier auf sich selbst bezieht; denn sie wird den Ereignissen nicht nachgehen, wie um den Bedrängten zu retten, sondern wenn es ihr gut scheint, wird sie ihn fahren lassen und das Leben, Reichthum, Kinder und das Vaterland selbst wegwerfen heissen, wobei sie als Ziel ihre eigene Vortrefflichkeit im Auge hat, nicht die Existenz der ihr unterworfenen Dinge. Folglich wird die Freiheit in den Handlungen und der freie Wille nicht auf das Handeln, auch nicht auf die äussere, sondern auf die innere Bethätigung, auf das Denken und das Schauen der Tugend selbst[417] bezogen. Man muss diese Tugend für eine Art Vernunft halten, indem man dabei die durch Vernunft gebändigten und begrenzten Affecte nicht mitzählt; denn diese, sagt Plato, scheinen sich in etwas nahe auf den Körper zu erstrecken, zurecht gebracht durch Gewöhnung und Hebung. Daher leuchtet es mehr ein zu sagen: das Immaterielle ist das Freie, hierauf wird der freie Wille bezogen, dies ist das beherrschende und auf sich beruhende Wollen, auch wenn ein auf das Aeussere gerichteter Auftrag aus Nothwendigkeit hinzutritt. Was also aus dieser heraus und um dieser willen geschieht, das steht in unserer Macht, und ausser und bei ihr steht, was sie selbst will und ungehindert vollbringt, und dies steht auch in erster Linie bei uns. Die theoretische Vernunft hat so auch die erste Entscheidung, weil ihr Geschäft niemals auf einem andern beruht, sondern weil sie ganz auf sich selbst bezogen ist, weil ihr Werk sie selber ist, in dem Guten ohne Mangel ruht in aller Fülle und gleichsam nach ihrem Entschluss lebend; der Entschluss ist aber das Denken, doch wurde es Entschluss genannt, weil es nach der Vernunft geschieht; denn auch der sogenannte Entschluss ahmt dem vernunftgemäss Geschehenden nach. Denn der Entschluss will das Gute, und das wahre Denken vollzieht sich im Guten. Jene [Vernunft] hat also was der Entschluss will und durch dessen etwaige Erlangung er so zum Denken wird. Wenn wir also dem Wollen [Entschluss] des Guten den freien Willen beigelegt haben, wie soll das, was in dem, worin der Entschluss sein will, fest gegründet steht, nicht den freien Willen haben? Oller man muss, wenn man bis dahin nicht aufsteigen will, noch etwas grösseres als den freien Willen setzen.

7. Die Seele wird also frei, wenn sie durch die Vernunft ungehindert zum Guten strebt, und was sie um dessentwillen thut, ist ihr freier Wille; die Vernunft wirkt um ihrer selbst willen; die Natur des Guten ist der Gegenstand des Strebens selbst, um dessentwillen auch das andere seinen freien Willen hat, wenn das eine es ungehindert erlangen, das andere es haben kann. Wie aber kann man das, was alles Werthvolle nach ihm beherrscht und an erster Stelle steht, zu dem alles aufsteigen will, an dem alles hängt und von dem es seine Kräfte hat, so dass es einen freien Willen haben kann: wie kann man das auf den freien Willen in mir und in dir reduciren? Da wo auch die Vernunft kaum ist, die gleichwohl mit Gewalt hingezogen wurde; es müsste denn eine verwegene, von anderer Seite eingeführte Rede behaupten, diese erste Natur[418] sei durch Zufall wie sie sei, sie sei nicht Herr dessen was sie sei, sie habe was sie sei nicht von sich selbst, weder die Freiheit noch den freien Willen, sie thue oder thue nicht was sie zu thun oder nicht zu thun gezwungen sei. Diese in sich widersprechende und nicht beweiskräftige Rede würde gänzlich die Natur des Freien und des freien Willens und den Begriff der Unabhängigkeit aufheben, so dass diese Worte vergeblich ausgesprochen würden und leerer Schall von wesenlosen Dingen wären. Wer das behauptet muss zugeben nicht allein, dass niemand einen freien Willen habe, sondern auch, dass er dies Wort nicht einmal denke oder verstehe. Behauptet er es zu verstehen, so wird er bald widerlegt werden, da der Begriff des freien Willens auf Dinge passt, auf die er nach seiner Behauptung nicht passt. Denn der Begriff alterirt die Substanz nicht noch nimmt er jene zu seinem Wesen hinzu – denn es ist unmöglich, dass etwas sich selbst schaffe und zur Existenz verhelfe – sondern der Begriff will erkennen, was von dem Seienden einem andern dient und was die selbsteigene Entscheidung über sich hat und was nicht unter einem andern steht, sondern selbst Herr seiner Thätigkeit ist, und dies ist es, was den Intelligiblen sofern sie intelligibel sind zukommt sowie denen, die ungehindert dem Guten nachjagen oder es haben. Da nun das Gute selbst über allem diesen sieht, so ist es absurd, gleichsam noch ein anderes Gute über dieses hinaus zu suchen. Auch das ist nicht richtig zu sagen, dass es zufällig sei, denn in dem Abgeleiteten und Vielen herrscht der Zufall; das Erste aber dürfen wir weder als zufällig bezeichnen noch sagen, dass es nicht Herr seines Werdens sei, weil es nicht einmal geworden ist. Dies deshalb anzunehmen, weil es thut wie es beschaffen ist, ist ungereimt, wenn man nämlich behauptet, erst dann sei Freiheit vorhanden, wenn etwas gegen seine Natur handelt oder wirkt. Auch der Umstand, dass es einzig in seiner Art ist, beraubt es nicht der Freiheit, wenn es nämlich dies Einzigartige nicht dadurch hat, dass es von einem andern behindert [abgesperrt] wird, sondern dadurch, dass es dies selbst ist und gleichsam sich selber gefällt und nichts besseres hat als sich; sonst würde man gerade dem die Freiheit absprechen, das am meisten das Gute erlangt. Wenn dies ungereimt ist, so dürfte es noch ungereimter sein das Gute selbst der Freiheit zu berauben, weil es gut ist und weil es in sich bleibt, ohne das Bedürfniss zu fühlen zu einem andern hin sich zu bewegen, da die andern Dinge sich zu ihm hin bewegen, und überhaupt ohne irgendein Bedürfniss irgendwie[419] zu verspüren. Wenn also seine sogenannte Existenz seine sogenannte Thätigkeit ist – denn beides ist nicht verschieden, da ja dies auch nicht einmal beim Intellect stattfindet – so besteht die Thätigkeit nicht in höherem Grade im Sein als das Sein in der Thätigkeit. Daher hat es auch nicht jene naturgemässe Thätigkeit, auch wird die Thätigkeit und das sogenannte Leben nicht auf die sogenannte Substanz zurückgeführt werden, sondern die sogenannte Substanz, die ewig mit der Thätigkeit verbunden ist und sich ihr gleichsam zugesellt, macht aus beiden das Gute als ein selbsteigenes, sich selbst und keinem andern angehöriges.

8. Wir betrachten die Freiheit nicht als ein Accidens des Guten, sondern von den Aeusserungen der Freiheit an den andern Dingen durch Abstraction von den Gegensätzen aufsteigend betrachten wir sie an sich auf sich selbst bezogen; aber durch Uebertragung unzureichender Prädikate von den tiefer stehenden Dingen mögen wir immerhin, da wir unvermögend sind die zutreffenden Prädikate von ihm auszusagen, diese Aussagen über dasselbe machen. Jedoch lassen sich weder von seinen Eigenschaften, geschweige denn von seinem eigentlichen Wesen passende Aussagen auffinden; denn alles, sowohl das Schöne als das Ehrwürdige an ihm, ist später als es selbst. Denn von allem diesen ist es selbst Princip, obwohl in anderer Weise wieder nicht Princip. Da wir also alles bei Seite lassen, so auch den freien Willen und die Freiheit als ein späteres; denn dieser Begriff bezeichnet bereits die Einwirkung auf ein anderes und dass sie ungehindert geschieht und anderes existirt, worauf sie sich ungehindert erstreckt. Man muss es überhaupt ausser aller Beziehung setzen; denn es ist was es ist und vor den Attributen; sondern wir doch auch das Sein von ihm ab, also auch irgendwelche Beziehung auf das Seiende; auch die naturgemässe Thätigkeit kommt ihm nicht zu; denn auch diese ist ein späteres, und wenn sie auch von jenen intelligiblen Dingen ausgesagt wird, so kann sie nur von den aus einem andern stammenden ausgesagt werden, also in erster Linie von der Substanz, weil sie aus jenem entstanden ist; wenn aber die Natur zu dem Zeitlichen gehört, kann sie auch nicht von der Substanz ausgesagt werden; so kann man denn auch nicht einmal sagen, das Gute sei nicht von der Substanz her; denn wir haben das Sein hinweggethan und der Ausdruck ›nicht von ihr‹ würde nur gebraucht werden, wenn es von einem andern her stammte. So ist es also blosses Accidens. Nein, auch das Prädikat des Accidens darf nicht von ihm gebraucht werden; denn es ist[420] weder für sich noch in Beziehung auf ein anderes etwas; denn in dem Vielen hat das Accidens statt, wenn gewisse Dinge sind und anderes an ihnen haftet. Wie könnte also das Erste per Accidens entstanden sein? Denn es ist nicht gekommen, damit du fragest: wie ist es gekommen? Welch ein Geschick hat es herbeigeführt oder zu Stand und Wesen gebracht? Denn auch das Geschick war doch wohl nicht [vor dem Ersten] noch der Zufall; denn auch der Zufall kommt von einem andern und erscheint in der Welt des Werdens.

9. Allein wenn jemand den Begriff des Accidens zum Guten hinzunimmt, so muss man nicht bei dem Namen stehen bleiben, sondern verstehen, wie der Sprechende es meint. Was also meint er damit? Dies, dass es mit dieser Natur und Macht bekleidet Princip ist; denn auch wenn es eine andere Natur hätte, so wäre es eben das, was es seiner Natur nach war, und wenn dies ein geringeres wäre, so würde es doch nach seinem eigenen Wesen thätig gewesen sein. Dem gegenüber ist zu sagen, dass unmöglich das Princip aller Dinge das Accidentielle sein kann, weniger weil dies ein geringeres, sondern weil es nicht einmal gut oder in anderer Weise, als ein minder Vollkommenes, gut ist. Aber es muss das Princip aller Dinge besser sein als alles nach ihm; folglich ist es etwas bestimmt Abgegrenztes. Ich nenne es bestimmt abgegrenzt, weil es einzig in seiner Art und nicht aus Nothwendigkeit ist; denn es gab keine Nothwendigkeit; denn in dem, was dem Princip folgt, liegt die Nothwendigkeit und auch diese ohne dass sie die Gewalt darin hat; dies Einzigartige aber ist von sich selbst. Dies also ist auch nicht ein anderes, sondern was es eben sein musste; es war demnach so nicht zufällig, sondern weil es so sein musste, das heisst: es war Princip alles dessen, was sein musste. Dies also ist nicht so, wie es zufällig musste; denn es ist nicht was es zufällig wurde, sondern was es sein musste, oder vielmehr auch das nicht einmal was es musste; sondern das übrige muss warten, als was ihnen etwa der König erscheint, d.h. dass er sich als das, was er eben selbst ist, hinstellt, wobei er nicht erscheint wie es sich eben trifft, sondern als der wahre König, das wahre Princip und das wahre Gute, nicht thätig nach dem Guten – denn auf diese Weise würde er einem andern zu folgen scheinen – sondern das Eine seiend was er ist, so dass er nicht gemäss jenem sondern jenes ist. Wenn also auch bei dem Seienden der Begriff des Accidentiellen nicht statthat – denn dem Seienden kommt, wenn ihm etwas zukommen wird, das Accidentielle zu, aber[421] das Seiende selbst ist nicht accidentiell, noch ist das Seiende zufällig so, noch ist es von einem andern her so wie es ist sondern dies ist die Natur des Seienden seiend zu sein: wie kann dann jemand bei dem über das Sein Erhabene an dies Accidentielle denken, dem es verliehen ist das Seiende erzeugt zu haben, das nicht von ungefähr so wurde, sondern ist wie die Substanz ist, deren Wesen ist was es ist und was der Intellect ist; denn sonst konnte jemand auch vom Intellect sagen, er sei so von ungefähr Intellect, gleich als ob der Intellect auch etwas anderes werden könnte als das, was die Natur des Intellects ist. Was also nicht aus sich herausgetreten, sondern unentwegt sich selber angehört, von dem kann man im vorzüglichsten Sinne sagen, es ist was es ist. Was lässt sich nun von dort aussagen, wenn man über dieses hinausgegangen ist und da hineingeschaut hat? Etwa: das wurde zufällig eben so, wie man es angethan sah? Weder das So noch das Irgendwie wurde so zufällig; das Accidentielle hat überhaupt nicht statt, sondern nur das So und nicht anders, sondern so. Aber selbst das So kannst du nicht aussagen, denn damit hättest du es begrenzt und zu einem bestimmten Etwas gemacht; vielmehr kann der Schauende weder das So noch das Nicht so aussagen, denn man würde das als etwas von dem Seienden bezeichnen, an dem das So sich findet. Es ist also etwas anderes als alles was ein So hat. Aber indem du es als unbestimmt schaust, wirst du es als die Gesammtheit des nach ihm Kommenden bezeichnen können, du wirst aber nicht sagen, dass es etwas von jenem ist, sondern du wirst es, wenn überhaupt, als eine insgesammt ihrer selbst wahrhaft mächtige Kraft bezeichnen, die das ist was sie will, oder vielmehr was sie will abwirft in das Seiende, während sie selbst grösser ist als alles Wollen und das Wollen hinter sich lässt. Weder also wollte sie selbst das So, um ihm etwa zu folgen, noch brachte sie ein anderer in eine solche Lage.

10. Man muss nun auch denjenigen, der ein solches Accidens statuirt, fragen, wie er dann annehmen wolle, dass ein solches Accidens möglichen Falls verkehrt sei. Und wie will jemand das Accidens eliminiren? Wenn es eine gewisse Natur ist, so wird man zugeben, dass der Begriff des Accidens nicht zutrifft; denn wenn man die Natur, welche den andern Dingen das Accidentielle benimmt, dem Zufall anheimgiebt, wo soll dann das Nichtzufällige stattfinden? Es eliminirt aber das Zufällige dies Princip der Dinge, indem es ihnen Form und Grenze und Gestalt verleiht, und unmöglich kann man in dem so[422] vernunftgemäss Geschehenden den Grund dem Zufall anheimgeben, sondern man muss ihn eben dieser Vernunft zuschreiben; in dem aber, was nicht mit Ueberlegung und nicht nach naturgemässem Verlauf, sondern von ungefähr geschieht, herrscht der Zufall. Was aber das Princip aller Vernunft und Ordnung und Grenze anlangt, wie könnte jemand eine solche Hypostase dem Zufall anheimgeben? Freilich beherrscht der Zufall vieles, den Intellect aber und Vernunft und Ordnung beherrscht er nicht behufs ihrer Erzeugung, und wie kann da, wo der Zufall gerade das Gegentheil der Vernunft zu sein scheint, der Zufall die Vernunft erzeugen? Wenn also der Zufall den Intellect nicht erzeugt, so erzeugt er auch das nicht, was vor dem Intellect und höher als der Intellect ist; denn er hatte nicht woher er es erzeugen sollte, noch war er überhaupt irgendwie vorhanden im Intelligiblen. Wenn also vor jenem Guten nichts ist, sondern es selbst das Erste, so muss man hier Halt machen und nichts mehr über dasselbe sagen, sondern erforschen, wie die Dinge nach ihm geworden sind, aber nicht mehr wie es selbst geworden, weil es in Wahrheit nicht geworden ist. Wie nun? Wenn es nicht geworden, sondern ist wie es ist, sollte es da nicht Herr seines Wesens sein? Und wenn es nicht Herr seines Wesens, sondern ist was es ist, indem es sich nicht selbst zur Hypostase verhilft, sondern sich äussert wie es ist, so dürfte es eben dies nothwendig sein was es ist und sich nicht anders verhalten. Doch nicht, weil es sich nicht anders halten kann, verhalt es sich so, sondern weil es so das beste ist. Denn zum Bessern sich zu wenden, dazu hat nicht jedes aus sich selbst die Macht, aber zum Schlechtem sich zu wenden, daran wird keins gehindert. Dass es indessen sich nicht zum Schlechtem wandte, geschah von selbst, nicht weil es gehindert, sondern weil, es eben das war was sich nicht dahin wandte, und die Unmöglichkeit zum Schlechtem zu kommen bezeichnet nicht das Unvermögen des Nichtkommenden, sondern das Nichtkommen aus sich selbst und seiner selbst wegen. Und das Nichtkommen zu einem andern schliesst ein Uebermaass der Kraft in sich, denn jenes wird nicht durch Nothwendigkeit zurückgehalten, sondern es ist selbst die Nothwendigkeit und das Gesetz des andern. Die Nothwendigkeit hat sich also selbst zur Existenz verholfen? Sie existirt nicht einmal, da das andere nach dem Ersten um dieses willen Existenz gewonnen hat. Wie sollte also das vor der Hypostase Liegende durch sich selbst oder durch ein anderes Existenz gewonnen haben?[423]

11. Aber was ist dies Nichtexistirende? Wir müssen schweigend davon gehen und dürfen unsere Meinung ungewiss lassend nicht weiter forschen. Denn wozu sollte man auch forschen, da man nicht weiter vorzudringen vermag, weil jede Untersuchung auf ein Princip geht und hierbei stehen bleibt. Ausserdem muss man annehmen, dass jede Untersuchung ausgebt entweder auf das Was oder die Beschaffenheit oder das Warum oder das Sein. Das Sein nun, wie wir es von jenem aussagen, folgt aus den Dingen nach ihm; das Warum sucht ein anderes Princip, während es von dem Princip des Universums kein Princip giebt; die Beschaffenheit forscht nach einer Eigenschaft und dieses hat keine Eigenschaft; das Was zeigt vielmehr an, dass wir nichts an ihm suchen müssen, indem wir es selbst allein, wenn es uns möglich, im Geiste erfassen in der Erkenntniss, dass wir ihm nichts anheften dürfen. Ueberhaupt scheinen wir diese Aporie über diese Natur in unser Denken aufgenommen zu haben, wenn wir es aufgenommen haben, aus dem Umstande, dass wir zuerst einen Raum und Ort setzen wie eine Art Chaos, sodann bei nunmehrigem Vorhandensein des Ortes diese Natur einführen in den in unserer Phantasie entstandenen oder vorhandenen Ort, ferner nach Einführung Gottes in einen solchen Ort forschen, woher und wie er hierher gekommen, und als wäre er ein Ankömmling seine Gegenwart und sein Wesen zu ergründen suchen, und zwar in der Annahme, als sei er wie aus der Höhe oder Tiefe hierher geworfen worden. Deshalb müssen wir nach Hinwegschaffung des Anlasses zur Aporie allen Ort weglassen aus der intuitiven Betrachtung Gottes und ihn an keinem Orte denken, weder als an ihm verweilend und feststehend noch als dorthin gekommen, sondern allein als seiend wie er ist; er selbst muss nothwendig zu den Begriffen gezählt werden, der Ort wie auch das andere als ein späteres und zwar späteres als alles übrige bezeichnet werden. Indem wir also diese in der örtlichen Auffassung liegende Ungereimtheit in unserm Denken bemerken, wie wir sie bemerken, umgeben wir ihn nicht mehr wie mit einem räumlichen Kreise, umfassen ihn auch nicht mehr wie etwas quantitatives, werden folglich auch die Quantität nicht als eine Eigenschaft von ihm aussagen; ebenso natürlich nicht die Qualität, denn an ihm findet sich keine Form, selbst keine intelligible; auch die Relation nicht, denn er besteht an und für sich, ehe noch ein anderes war. Was sollte es also bedeuten: ›er ist so per Accidens?‹ Oder wie sollen wir dies verstehen, wenn auch[424] alle andern Prädikate von ihm nur in der Negation bestehen? Daher ist es vielmehr wahr zu sagen, nicht: er ist so per Accidens, sondern: er ist auch nicht einmal per Accidens so; denn hier trifft auch das Accidens überhaupt nicht zu.

12. Wie nun? Er ist nicht was er ist? Aber er ist selbst doch wenigstens Herr des Seins was er ist oder des transscendenten Seins? Denn die Seele, welche durch das Gesagte keineswegs überzeugt ist, befindet sich wieder in Zweifel. Es ist also hierüber folgendes zu sagen: Jeder von uns ist hinsichtlich seines Körpers weit entfernt von der Substanz, hinsichtlich der Seele dagegen und unsers eigentlichen Wesens haben wir Theil an der Substanz und sind eine gewisse Substanz. Das heisst wir sind gewissermaassen etwas Zusammengesetztes aus Differenz und Substanz, also nicht ursprünglich Substanz und Substanz an sich, darum auch nicht Herren unserer eigenen Substanz. Denn etwas anderes ist die Substanz und etwas anderes wir, und nicht wir sind Herren unserer eigenen Substanz, sondern die Substanz beherrscht uns, wenn anders diese auch die Differenz hinzufügt. Aber da wir das, was uns beherrscht, gewissermaassen selbst sind, so sind wir dadurch nichts geringeres und hier dürfen wir Herren unser selbst genannt werden; was aber gänzlich ist was es ist und nicht verschieden ist von seiner Substanz, bei dem ist das was es ist auch das Beherrschende und wird nicht mehr auf ein anderes bezogen insofern es ist und insofern es Substanz ist. Und andererseits brauchte es auch nicht Herr selber zu sein, insofern es das ist, was als erstes auf die Substanz bezogen wird. Was also die Substanz frei macht, nämlich von Natur offenbar zum Freimachen bestimmt und darum wohl als ein Freimachendes bezeichnet: wem könnte das unterworfen sein? – wenn anders es erlaubt ist das überhaupt nur auszusprechen. Es ist dies aber frei durch seine Substanz; doch auch diese ist von ihm aus frei und später und es selbst hat keine Substanz. Wenn also eine Thätigkeit in ihm ist und wir ihn selbst in die Thätigkeit setzen, so giebt es deswegen nicht etwas von ihm verschiedenes und ist er selbst nicht Herr seiner selbst, von dem etwa die Thätigkeit ausginge, weil die Thätigkeit und er selbst nicht verschiedene Dinge sind. Wenn wir aber überhaupt keine Thätigkeit in ihm zulassen, sondern annehmen, dass das andere durch seine Thätigkeit um ihn seine Existenz erhalte, so werden wir noch weniger weder das Beherrschende noch das Beherrschte dort zulassen, sondern selbst jenes ›er ist sein eigener Herr‹ ihm absprechen, nicht weil[425] etwas anderes sein Herr ist, sondern weil wir das ihn selbst Beherrschende der Substanz zugetheilt, es selbst aber in etwas noch Werthvolleres gesetzt haben. Was ist es nun, das in dem doch Werthvolleren als das sich selbst Beherrschende beruht? Nun, weil Substanz und Thätigkeit dort gewissermaassen zweierlei waren, deshalb gab es aus der Thätigkeit den Begriff des Beherrschenden – dies war aber identisch mit der Substanz – deshalb wurde auch das Beherrschende etwas für sich bestehendes und wurde Herr seiner selbst genannt. Wo aber nicht zwei wie eins sind, sondern eins ist – denn da ist nur Thätigkeit oder überhaupt nicht einmal Thätigkeit – da giebt es mit Recht auch nicht das sich selbst Beherrschende.

13. Aber wenn man auch diese Namen von dem gesuchten Etwas nicht mit vollem Recht einführen darf, so möge doch wiederum gesagt werden, dass einerseits mit Recht, gesagt worden, dass man selbst begrifflich es nicht als zwei Dinge hinstellen darf, während andererseits diese Namen der Ueberredung wegen jetzt gebraucht werden und man immerhin in den Ausdrücken etwas von dem strengen Denken abweichen darf. Denn wenn wir Gott [dem höchsten Gut] Thätigkeiten beilegen und seine, Thätigkeiten seinem Willen beilegen – denn er ist nicht willenlos thätig – und ferner seine Thätigkeiten gleichsam sein Wesen ausmachen, so wird sein Wollen und seine Thätigkeit identisch sein. Wenn aber das, so ist er auch wie er wollte. Er will und wirkt also nicht anders als wie er von Natur ist, oder sein Wollen und Wirken ist sein Wesen. Er ist also schlechterdings Herr seiner selbst und auch das Sein trägt er in sich selbst. Betrachte ferner auch dies: ein jedes von dem Seienden, das nach dem Guten strebt, will lieber jenes als was es selbst ist sein und glaubt dann am meisten zu sein, wenn es Theil am Guten gewonnen hat, und in dem wünscht sich ein jedes zu sein, soviel es von dem Guten empfangen hat, weil offenbar die Natur des Guten weit eher von ihm erwählt werden muss, wenn anders dem bei einem andern besonders begehrenswerhten Antheil des Guten auch das Wesen entspricht, welches frei ist und zum Wollen hinzutritt und identisch ist mit dem Wollen und durch das Wollen seine Existenz erhalten hat. Und solange ein jedes das Gute nicht hatte, wollte es ein anderes, sofern es aber dasselbe erlangt hat, will es sich nunmehr selbst und eine solche Vereinigung hat weder zufällig statt noch besteht sein Wesen ausserhalb des Wollens, es wird durch dies Gute bestimmt und gehört durch dies sich selber an. Wenn also hierdurch ein jedes sich selbst[426] zu etwas macht, so wird es doch wohl bereits klar, dass jenes in erster Linie und ursprünglich ein solches ist, durch welches auch das übrige durch sich selbst sein kann, und seinem sogenannten Wesen wohnt der Wille gleichsam ein solches zu sein bei, und es ist unmöglich ihn zu begreifen, ohne dass er selbst sein will was er ist; er fällt mit sich selbst zusammen, indem, er selbst sein will und das ist was er will, sein Wille und er selbst sind eins und dadurch ist er nicht weniger eins, Weil er selbst nichts anderes ist, etwa ein zufälliges, und sein etwaiges Wollen kein anderes. Denn was sollte er anderes wollen als das, was er ist? Denn wenn wir auch voraussetzten, dass er sich wähle was er werden will und dass es ihm gestattet sei, seine eigene Natur in etwas anderes zu verwandeln, so dürfen wir doch weder annehmen dass er etwas anderes werden wolle noch dass er sich selbst etwas vorwerfe, als sei er aus Nothwendigkeit was er ist, weil er nämlich das selbst ist was er eben selbst immer wollte und will. Denn in Wahrheit ist die Natur des Guten das Wollen seiner selbst, ohne dass er bestochen oder durch seine Natur herbeigezogen würde, sondern so, dass er sich selber wählt, weil ja auch ein anderes nicht vorhanden war, zu dem er müsste gezogen werden. Auch das könnte man sagen, dass im übrigen ein jedes in seinem Wesen nicht die Art sich selbst zu gefallen mitbegreift; dann würde sich etwas auch selbst missfallen; in der Hypostase des Guten aber muss nothwendig die Wahl und das Wollen seiner selbst mit enthalten sein, oder es wird einem andern schwerlich gelingen sich selbst zu gefallen, was nämlich durch Theilnahme oder Vorstellung des Guten sich selbst gefällt. Man muss aber den Namen, wenn jemand bei der Darstellung jenes sie aus Nothwendigkeit der Beweisführung wegen gebraucht, zugestehen was wir streng genommen nicht gestatten; es möge auch bei einem jeden das ›gleichsam‹ hinzugenommen werden. Wenn also das Gute besteht und die Wahl und das Wollen es mit zu Stand und Wesen bringen – denn ohne diese wird es nicht sein – wenn aber dies nicht vieles sein darf, so muss man das Wollen und das Wesen und den Willen als eins fassen und der Wille muss durch sich selbst nothwendig auch das Sein durch sich selbst für sich sein; folglich hat die Argumentation gefunden, dass das Gute sich selbst geschaffen hat. Denn wenn das Wollen von ihm stammt und gleichsam sein Werk ist, dies aber identisch ist mit seiner Hypostase, so hat er sich selbst zur Hypostase verhelfen; folglich ist er nicht, was er durch Zufall war, sondern was er selbst wollte.[427]

14. Man muss ferner die Sache auch auf diese Weise betrachten: ein jedes von dem, was Sein heisst, ist entweder identisch mit seinem eigenen Sein oder davon verschieden, wie dieser bestimmte Mensch verschieden ist von dem Begriff des Menschen; jedoch hat der einzelne Mensch Theil an dem Begriff des Menschen. Seele aber und Seele sein [Begriff der Seele] ist identisch, wenn die Seele einfach und nicht als Prädikat eines andern genommen wird, ebenso der Mensch an sich und der Begriff Mensch [Mensch sein]. Nun kann das, von dem der Begriff des Menschen verschieden ist, wohl per Accidens entstehen, der Begriff des Menschen aber nicht, d.h. der Begriff Mensch ist durch sich selbst. Wenn nun der Begriff Mensch durch sich selbst und nicht zufällig oder accidentiell ist, wie kann das über dem Begriff Mensch Stehende, das den Menschen Erzeugende, dem alles Seiende eignet, zufällig genannt werden, eine Natur, die einfacher ist als der Begriff des Menschen und überhaupt des Seienden? – wenn man nämlich bis zum Einfachen vorschreitend den Zufall nicht mit einführen darf; folglich hat unmöglich auch zum Einfachsten der Zufall Zutritt. Ferner muss man auch jenes irgendwo schon Gesagte bedenken, dass ein jedes von dem wahrhaft Seienden und von jener Natur zur Existenz Geführten, auch wenn etwas im Bereich des Sinnlichen eine bestimmte Beschaffenheit hat, diese Beschaffenheit durch die Abstammung von jenem hat; ich verstehe aber unter Beschaffenheit dies, dass etwas mit dem Wesen auch den Grund seiner Existenz hat, so dass man bei nachheriger Betrachtung eines jeden sagen kann, warum ein jedes der an einem Subject vorhandenen Dinge ist, z.B. warum ein Auge und warum diese Menschen diese Füsse haben, ferner dass die miterzeugende Ursache jeder Theil eines jeden sei und dass die Theile einer um des andern willen seien. Warum erstrecken sich die Füsse in die Länge? Weil dies Glied so beschaffen und das Gesicht so beschaffen ist, darum sind auch die Füsse so beschaffen; überhaupt ist die allseitige Harmonie aller Theile der wechselseitige Grund, und der Grund warum dieses ist, liegt darin, dass der Begriff des Menschen dieser ist; folglich ist der Grund und das Sein identisch. Dies alles ist aber so aus einer Quelle hervorgegangen, die nicht überlegte, sondern auf einmal ganz den Grund und das Sein darbietet. Die Quelle also des Seins und des Grundes des Seins giebt beides zusammen; was aber die Beschaffenheit des Werdenden anlangt, so ist der Grund ihres Daseins viel ursprünglicher und wahrer und weit mehr als nach jenem zu[428] schliessen auf das Bessere gerichtet. Wenn also nichts planlos oder zufällig ist und jenes ›es traf sich eben so‹ bei keinem statt hat von dem, was seinen Grund in sich hat, wenn diesen Grund aber alles aus ihm [dem Guten] Stammende hat, so ist der Vater der Vernunft, des Grundes und des ursächlichen Wesens, was alles weit abliegt vom Zufall, das Princip und gleichkam das Vorbild alles dessen, was nicht in Gemeinschaft steht mit dem Zufall, eben das wahrhaft Seiende und das Erste, er selbst der Grund seiner selbst, durch sich selbst und um seiner selbst willen; denn er ist ursprünglich er selbst und überwesentlich selbst.

15. Auch liebenswürdig und die Liebe ist ebenderselbe und zwar die Liebe seiner selbst, weil er nicht anders schön ist als durch sich selbst und in sich selbst. Denn auch das Insichselbstsein hat er nicht anders als dadurch, dass das in ihm Seiende mit ihm [dem Subject] identisch ist. Wenn aber das Darinseiende mit dem Subject eins und das Strebende mit dem Erstrebten eins ist, der Gegenstand des Strebens aber als Hypostase und gleichsam als Substrat gedacht wird, so ergiebt sich uns wieder das Streben und die Substanz als identisch. Wenn das, so ist wieder dieser Schöpfer und Herr seiner selbst ebenderselbe und er ist geworden nicht wie etwas anderes wollte, sondern wie er selbst wollte. Und auch wenn wir sagen, er nehme nichts anderes in sich auf und nichts anderes ihn, so haben wir ihn auch auf diese Weise dem Zufall entrückt, nicht allein dadurch dass wir ihn vereinzeln und rein von allem andern halten, sondern weil, wenn wir selbst auch zuweilen in uns eine solche Natur erblicken, die nichts von dem hat, was uns anklebt und wonach wir leiden müssen, was sich eben zuträgt und zufällig geschieht doch alles andere uns Anhaftende Zufälligkeiten dienstbar und ausgesetzt ist und gleichsam zufällig seinen Gang geht, während diesem allein hingegen die Herrschaft über sich und die freie Selbstbestimmung zukommt vermöge der Thätigkeit eines gutartigen Lichtes und eines Guten, das höher ist als die Vernunft, einer Thätigkeit, die das Uebervernunftige nicht als ein äusseres besitzt. Wenn wir dahinten nun gelangt und dies allein geworden sind und alles andere dahinten lassen: wie sollen wir es anders nennen als dass wir mehr sind als frei und mehr als selbstherrlich? Wer möchte uns dann den Zufälligkeiten oder dem Ungefähr oder Gerathewohl unterwerfen, da wir das wahrhaftige Leben geworden oder zu dem gelangt sind, was nichts anderes hat, sondern es selbst allein ist? Alles andere ist isolirt sich nicht[429] selbst genug zum Sein, dies aber ist was es ist auch in seiner Isolirung. Die erste Hypostase besteht ferner nicht in einem unbeseelten oder unvernünftigen Leben; denn dies ist gleichfalls zum Sein, da es eine Zerstreuung der Vernunft und Unbestimmtheit ist; sondern soweit es vorschreitet zur Vernunft, lässt es den Zufall hinter sich; denn was der Vernunft gemäss geschieht; geschieht nicht durch Zufall. Uns aber tritt beim Aufsteigen jenes nicht entgegen als Vernunft, sondern als etwas grösseres als Vernunft: so weit liegt es ab vom Zufall. Denn die Wurzel der Vernunft wächst aus sich selbst heraus und hierin endet alles, gleichsam der Anfang eines sehr grossen vernunftgemäss wachsenden Baumes und eine auf sich selbst beruhende Basis, die dem Baum, den sie erlangt hat, ein vernunftgemässes Dasein verleiht.

16. Da wir sagen und angenommen wird, dass dies überall und doch auch nirgends ist, so ist genau zu überlegen, wie dies auch von dieser Seite unserer Betrachtung aus aufgefasst werden muss. Denn wenn Gott nirgends ist, so ist er auch nirgends per Accidens, und wenn überall, so ist er überall so gross als er selbst ist; folglich ist er das ›überall‹ und das ›auf jede Weise‹ selbst, nicht in jenem Ueberall befindlich, sondern dieses selbst ausmachend und auch den andern Dingen in dem Ueberall zu sein verleihend. Wer aber die oberste Ordnung hat, oder vielmehr nicht hat, sondern selbst der oberste ist, denn ist alles unterworfen; nicht er kommt jenem zu, sondern jenes ihm, oder vielmehr das andere bewegt sich um ihn, wobei er nicht auf jenes, sondern jenes auf ihn schaut; er bewegt sich gleichsam in sein eigenes Innere hinein aus Liebe zu sich selbst, dem reinen Glanze, das selbstseiend was er lieb gewonnen, d.h. er hat sich selbst zur Existenz verhalten, wenn anders er bleibende Energie und das Liebenswertheste gleichsam Intellect ist. Der Intellect aber ist das Werk einer Thätigkeit, folglich er selbst Werk einer Thätigkeit; aber nicht das irgend einer andern, folglich ist er selbst das Werk seiner eigenen Thätigkeit [Energie]. Nicht also ist er wie er zufällig wurde, sondern wie er wirkt, so ist er selbst. Ferner demnach, wenn er hauptsächlich deshalb ist, weil er sich gleichsam auf sich selber stützt und gleichsam auf sich selbst schaut und das Sein gleichsam das Schauen auf sich selbst ist, so schafft er sich gleichsam selbst. Er ist also nicht wie er zufällig wurde, sondern wie er selbst will, und auch sein Wille ist nicht von ungefähr oder so zufällig; denn der Wille des Besten ist in seinem Sein nicht aus Zufall.[430] Dass aber eine solche Neigung seinerseits zu sich selbst, die eile Thätigkeit von ihm und ein Verharren in ihm ist, sein eigenthümliches Sein hervorbringt, das zeigt die Annahme des Gegentheils; denn wenn er sich aus sich heraus neigt, so wird er sein eigenes Sein vernichten. Sein eigenes Sein ist also die auf ihn selbst gerichtete Thätigkeit; dies aber ist eins und er selbst. Er selbst hat sich also zu Stand und Wesen gebracht, indem mit ihm zugleich die Thätigkeit hervortrat. Wenn er also nicht wurde, sondern seine Thätigkeit immer war und gleichsam ein Wachen, ohne dass das Wachende ein anderes ist, ein immer währendes Wachen und transscendentes Denken, dann ist er so wie er wachte. Das Wachen aber liegt hinaus über das Sein und den Intellect und das vernünftige Leben; alles dies aber ist er selbst; er selbst ist also eine Thätigkeit über den Intellect, das Denken und das Leben hinaus; aus ihm stammt dies und nicht von einem andern. Von ihm selbst also und aus ihm selbst stammt für ihn das Sein. Er ist also nicht so wie er eben wurde, sondern wie er selbst wollte.

17. Eine andere Betrachtungsweise ist diese: Von einem jeden im All und von diesem All sagen wir eine solche Verfassung aus, als ob es sich so damit verhielte, wie der Vorsatz des Schöpfers es wollte, und als ob er es mit Vorsatz und Voraussicht überlegend nach der Vorsehung also gemacht hatte; da die Dinge sich nun immer so verhalten und immer so werden, so lägen in den schöpferischen Elementen die Begriffe, welche in einer vollkommeneren Ordnung feststünden; daraus folgt, dass die Dinge dort über der Vorsehung und über dem Vorsatz liegen und alles stets vernunftgemäss stehen bleibt, was in dem Seienden ist. Wenn also einen solchen Zustand jemand Vorsehung nennen will, so verstehe er das dahin, dass es vor diesem All einen feststehenden Intellect giebt, von dem her und dem gemäss dieses All ist. Wenn es also vor allem einen Intellect giebt und ein solcher Intellect Princip ist, so ist er nicht wie er gerade wurde, zwar vielfach aber mit sich selbst im Einklang und gleichsam in eins zusammengeschlossen. Denn keineswegs sind eine in sich geschlossene Vielheit und alle von einer absoluten Einheit umfassten Begriffe von Ungefähr und durch Zufall, sondern von einer solchen Natur weit entfernt und ihr so sehr entgegengesetzt als der irrationelle Zufall dem Begriff [der Vernunft]. Wenn aber das vor einem solchen Stehende Princip ist, so ist dieses selbstverständlich dem also durch Vernunft Erfüllten nahe und dies also durch Vernunft Erfüllte ist gemäss jenem [Ersten] und hat Theil an jenem und ist[431] wie jenes will und die Möglichkeit jenes. Untheilbarste demnach jener, alles ein Logos, eine Zahl und ein Begriff, grösser und mächtiger als der gewordene; nichts ist grösser und besser als er. Er hat also auch aus einem andern weder das Sein noch die Qualität. Durch sich selbst also ist er, was er für sich und zu sich selbst ist, damit er auch auf diese Weise nicht nach aussen und zu einem andern, sondern ganz und gar auf sich selbst bezogen werde.

18. Und wenn du ihn suchst, dann suche nichts Aeusseres an ihm, sondern alles nach ihm Kommende suche inwendig; ihn selbst lass auf sich beruhen. Denn das Aeussere ist er selbst. Umfang und Maass aller Dinge. Oder er ist im tiefsten Innern, das Aeussere dagegen, das sich wie im Kreise an ihm hält und gänzlich von ihm abhängt, ist der Begriff und die Vernunft; oder vielmehr es dürfte Vernunft sein, soweit und insofern es sich an ihn knüpft und von ihm abhängt, da es ja von ihm her sein vernünftiges Wesen hat. Wie nun von einem Kreise, der ringsum das Centrum berührt, zugestanden wird, dass er vom Centrum sein Wesen [seine Kraft] habe und gleichsam centriform sei, insofern die Linien im Kreise, die in einen Mittelpunkt zusammenlaufen, ihr Ende, nämlich das gegen das Centrum hin, dem gleich machen, auf das sie zu führen und von dem sie gleichsam entsprungen sind, wobei dies freilich höher ist als dass es durch die Linien und ihre Enden erreicht würde – und diese Enden sind zwar gewissermassen jenes, jedoch nur dunkel und gleichsam Spuren jenes, das, weil es sie beherrscht, auch die Linien beherrscht, welche es überall haben, und jenes erscheint durch die Linien wie es beschaffen ist, gleichsam ein unentfaltet Entfaltetes – : so muss man auch die Vernunft und das Seiende fassen und annehmen, dass es geworden aus jenem und gleichsam ausgeschüttet und ausgewickelt und geknüpft an seine intelligible Natur den gleichen in Einem befindlichen Intellect bezeuge, der doch nicht Intellect ist: denn er ist Eins; wie man auch dort des Centrum nicht als die Linien und den Kreis zu fassen hat, sondern als den Vater des Kreises und der Linien, der Spuren von sich hinterlässt und in beharrlicher Kraft Linien und Kreis, die nicht gänzlich von ihm losgelöst sind, mit einer gewissen Stärke erzeugt hat. So denn auch, wenn die intelligible Kraft um jenes Urbild gleichsam als sein Abbild herumläuft, das in Einem vielfach und nach vielen Seiten hin sich gleichsam bewegt und deshalb Intellect wird, während jenes vor dem Intellect bleibt, indem es aus seiner Kraft den[432] Intellect erzeugt: welch ein Zufall, welch ein Ungefähr oder Accidens sollte einer solchen Kraft, die den Intellect und das Seiende hervorbringt, sich nähern? Denn von derselben Beschaffenheit wie das im Intellect, das ihn vielfach theilt, ist auch das in jenem Einen, ähnlich dem Lichte, das sich weithin zerstreut und doch aus einem in sich Einen hervorstrahlt, – das Zerstreute ist das Bild, die Quelle das Wahre; doch ist das Zerstreute nicht ein verschiedenartiges Bild d.h. der Intellect, welcher nicht durch Zufall, sondern Begriff und Grund jedes einzelnen ist. Der Grund des Grundes aber ist jenes. In höherem Grade also ist es Grund, gleichsam das Ursächlichste und Wahrere, das alle zukünftig von ihm ausgehenden intelligiblen Ursachen in sich hat und nicht das Zufällige sondern das Selbstgewollte erzeugt. Das Wollen aber war kein unvernünftiges oder blindes oder zufälliges sondern ein nothwendiges, da es dort einen blinden Zufall nicht giebt. Daher sagt auch Plato, um es möglichst genau zu bezeichnen, das Nothwendige und Angemessene [Zeitgemässe] sei weit entfernt vom Zufall, sondern was eben ist, das sei nothwendig. Wenn aber dies das Nothwendige ist, so kann es nicht unvernünftig geschehen, und wenn es der angemessene Zeitpunkt selbst ist, so ist das, was in dem Nachfolgenden vorzugsweise dominirt, auch zuvor für sich selbst der rechte Zeitpunkt und zwar nicht wie durch Zufall, sondern das ist es, was er selbst gleichsam wollte, wenn anders er das Nothwendige will und das Nothwendige und die Thätigkeit des Nothwendigen eins sind; und es ist nothwendig nicht als Substrat, sondern als erste Energie, die sich als das zeigte was sie eben musste. So nämlich müssen wir von Gott reden, da wir nicht von ihm reden können wie wir möchten.

19. Es möge nun jemand, von dem Gesagten aus zu jenem sich aufschwingend, jenes selbst ergreifen; er wird es auch selbst schauen, ohne jedoch davon soviel sagen zu können als er will. Wenn er jenes in sich erblickt, so wird er von aller Bezeichnung absehend jenes als durch sich selbst existirend annehmen, dergestalt dass wenn es eine Wesenheit hätte, seine Wesenheit ihm selber diente und gleichsam von ihm herstammte; auch möchte niemand bei seinem Anblick noch von einem Accidens zu reden wagen, überhaupt kaum ein Wort verlauten zu lassen im Stande sein. Er wird bei dem Wagniss erschreckt werden und auch wenn er sich irgendwohin aufschwingt, wird er von ihm nichts zu sagen wissen, da jener ihm überall gleichsam vor den Augen der Seele erscheint und er ihn, wohin er[433] den Blick auch richtet, anschaut, es sei denn dass er Gott fahren lassend den Blick anderswohin heftet, ohne an ihn noch zu denken. Vielleicht hat man sich auf diese Weise auch jenes ›über der Wesenheit‹ zu denken, das die Alten in räthselhaften Worten ausdrücken, nämlich dass er nicht allein das Wesen erzeugt, sondern dass er weder dem Wesen noch sich selbst unterworfen ist, dass ferner sein Wesen für ihn nicht Princip ist, sondern dass er selbst als Princip des Wesens das Wesen nicht für sich selbst hervorgebracht, sondern nach der Erzeugung es ausserhalb seiner selbst hat sein lassen, da ja der des Seins nicht bedarf, der es selbst geschaffen. Also auch nicht einmal gemäss dem, was er ist, schafft er das, von dem man sagt: es ist.

20. Wie nun? Ergiebt sich nicht, möchte jemand sagen, dass Gott war ehe er wurde? Denn wenn er sich selbst schafft, so ist er hinsichtlich des ›sich selbst‹ noch nicht, durch das Schaffen andererseits ist er schon vor sich selbst, da er das Geschaffene selbst ist. Darauf ist denn zu sagen, dass Gott überhaupt nicht als geschaffener sondern als schaffender zu betrachten ist, wobei wir sein Schaffen als ein absolutes hinstellen und nicht als ein solches, aus dem ein anderes zu vollenden bezweckt wird, sondern so, dass seine Thätigkeit nicht etwas anderes bezweckt, sondern ganz er selbst ist; denn hier sind nicht zwei sondern eins. Auch ist nicht zu befürchten, dass wir die erste Thätigkeit ohne Wesenheit setzen, sondern eben dies ist gewissermassen als die Hypostase zu setzen. Setzt aber jemand eine Hypostase ohne Thätigkeit, so wird das Princip mangelhaft und das vollkommenste Princip von allen unvollkommen sein. Und wenn jemand [zur Hypostase] Thätigkeit hinzusetzt, so wahrt er die Einheit nicht. Wenn nun die Thätigkeit vollkommener ist als die Wesenheit, das Vollkommenste aber das Erste ist, so wird die Thätigkeit das Erste sein. Sowie er also in Wirksamkeit tritt, ist er dies auch schon und es lässt sich nicht sagen, dass er war bevor er wurde; denn als er war, da war er nicht bevor er wurde, sondern er war bereits ganz und gar. Eine Thätigkeit also, die der Substanz nicht unterworfen ist, hat die reine Freiheit und so ist er selbst von sich selbst. Denn wenn er in sich gehalten würde, um von einem andern sein Dasein zu haben, so wäre er selbst nicht der erste aus sich; wenn es aber mit Recht heisst, er halte sich in sich selbst zusammen, so ist er selbst es auch, der sich aus sich heraussetzt, wenn anders er, was er seiner Natur nach in sich fasst, auch von Anbeginn[434] an zum Dasein gerufen hat. Wenn es also eine Zeit gäbe, von der aus er anfinge zu sein, so würde das Schaffen in vorzüglichem Sinn von ihm ausgesagt werden; nun aber, wenn er sogar vor aller Zeit war was er ist, muss dies Schaffen als mit seinem Sein zugleich gesetzt aufgefasst werden. Denn das Sein ist eins mit dem Schaffen, dem ewigen Schaffen. Daher spricht man auch von einem Herrschen über sich selbst; und wenn hier zwei sind, in eigentlichem Sinne, wenn aber nur eins, so bleibt das Herrschende allein übrig; denn es giebt hier kein Beherrschtes. Wie kann es nun ein Herrschendes geben ohne etwas, worauf es sich richtet? Nun, das Herrschende bezieht sich hier darauf, dass er nichts über sich hat, weil es nichts vor ihm gab. Wenn es nichts gab, so ist er das Erste d.h. nicht nach äusserer Rangordnung, sondern nach seinem gebietenden Einfluss und seiner schlechthin selbstherrlichen Macht. Wenn aber schlechthin, so lässt sich dort nichts annehmen, was nicht selbstherrlich wäre. Alles ist also in ihm selbstherrlich. Was ist also an ihm, das er nicht selbst wäre? Was also, das er nicht wirkend schafft? Und was, das nicht sein Werk wäre? Denn wenn etwas in ihm nicht sein Werk wäre, so wäre er schlechthin weder selbstherrlich noch allmächtig; denn eben jenes beherrschte er nicht und so wäre er auch nicht allmächtig. Jenes wenigstens beherrscht er nicht, dessen er nicht mächtig ist um es zu schaffen.

21. Konnte er sich nun zu etwas anderem machen als er sich machte? Damit würden wir ihm auch das Schaffen des Guten absprechen, da er das Böse doch wohl nicht schafft. Denn das Können ist dort nicht so zu verstehen, als ginge es auch auf die Gegensätze, sondern von einer unerschütterlichen und unwandelbaren Kraft, welche dann am meisten Kraft ist, wenn sie sich nicht entfernt von dem Einen; denn die Gegensätze hervorbringen zu können ist das Zeichen eines Unvermögens, das sich in dem Besten nicht behaupten kann. Ferner muss das Schaffen seiner selbst, von dem wir reden, auch ein einmaliges und endgültiges sein; denn es ist schön; und wer möchte es andern, da es durch den Willen Gottes geschieht und Wille ist? Geschieht es nun durch den Willen eines noch nicht Seienden? Was versteht man unter ›Willen‹, wenn jener seiner Hypostase nach nicht will? Woher soll ihm der Wille kommen in der Absonderung von einer Substanz, die ohne Wirksamkeit ist? Vielmehr war das Wollen in der Substanz, es ist also nichts anderes als die Substanz. Oder war hier etwas, was nicht war, z.B. der Wille? Alles war also[435] Wille und es ist nichts darin, was nicht will. Folglich gab es auch nichts vor dem Willen; folglich ist zuerst er selbst der Wille. Folglich ist er auch wie er wollte und was er wollte, und das Ergebniss des Willens ist das, was ein solches Wollen erzeugte; es erzeugte aber nichts mehr in ihm, denn dies war bereits. Der Ausdruck aber ›er schliesst sich in sich selbst zusammen‹ ist, wenn man ihn richtig braucht, dahin zu verstehen, dass alles andere was es giebt von diesem aus gehalten und getragen wird; denn es ist durch Theilnahme an ihm und auf ihn wird alles zurückgeführt; er selbst hingegen bedarf als von sich selbst existirend weder des Zusammenhaltens noch der Theilnahme, sondern er ist sich selbst alles, oder vielmehr er bedarf auch nicht einmal irgend etwas für sich selbst, sondern wenn du ihn nennst oder denkst, so lass alles andere dahinten. Wenn du also alles hinweggethan und ihn allein übrig gelassen hast, so frage nicht danach was du ihm zusetzen könntest, sondern ob du vielleicht etwas nicht von ihm hinweggenommen habest in deiner Meinung. Denn dass auch du ein Princip ergreifest, worüber sich weder etwas sagen noch annehmen lässt, ist möglich; aber transscendent ist allein dies in Wahrheit Freie, weil es nicht einmal sich selber unterworfen, sondern allein es selbst und in Wahrheit selbst ist, während von dem andern ein jedes es selbst und ein anderes ist.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 411-436.
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