XI.
Halle. Pfingstreise nach Schloß Mansfeld. Kampf zwischen Rationalismus und Supranaturalismus. Schlauch's Wanderungen Gottes und des Teufels zur Entdeckung der besten Dogmatik. Hinrichs gewinnt mich für die Hegel'sche Philosophie.

[272] Ich bekam in Halle eine Wohnung, die mitten in der Stadt gelegen war, in Klein-Schmieden. Dies ist ein Platz, der dicht am Markte liegt, von welchem eine breite, kurze Straße zu ihm führt. Außerdem münden drei Straßen auf ihn. Die Steinstraße hatte ich meinem Fenster gerade gegenüber. Rechts, wo ich hinaussah, erblickte ich den[272] rothen Thurm mit der Hauptwache und einen Theil des Marktes. Ich hatte ein großes dreifenstriges Zimmer mit einem Alkoven in der belle Etage des Hauses eines Schankwirthes Thiem. Mit Ausnahme des unteren Stocks, worin sich die Gastwirthschaft befand, war das ganze Haus an Studenten vermiethet. Es bestand aus einem Vorder- und Hintergebäude, zu welchem man durch Galerien gelangte, die vom Vorderhause über den Hof auf dessen entsprechende Stockwerke hinführten. In dem meiner Wohnung correlaten wohnte Genthe, so daß wir, zu einander zu kommen, nur über die Galerie zu gehen hatten. Wir Beide verkehrten nicht mit den übrigen Studenten, die sämmtlich Hanseaten waren und zu Landsmannschaften gehörten. Ich war schon in dem dritten Jahre meiner Studien und daher über die Zeit hinweg, in welcher der junge Student als sogenannter »Fuchs« den lebhaftesten Reiz empfindet, in eine Verbindung zu treten. Genthe war im zweiten Jahre seiner Studienzeit. Wir hielten uns als Renonce zur Burschenschaft, die zwar nicht als anerkannte, statutarisch geschlossene Verbindung existiren durfte, aber als eine freie Vereinigung geduldet wurde. Genthe's Mutter war Zschokke's Schwester. Dieser Zusammenhang brachte uns in ein Verhältnis zu den Schweizern, die sämmtlich der burschenschaftlichen Tendenz anhingen. Ich war durchaus auf den Betrieb der Wissenschaft gerichtet, vermied daher die Theilnahme an den größeren Gelagen, schloß mich jedoch keineswegs gegen die akademische Geselligkeit pedantisch ab und gestehe, daß die schönen Lieder, die bei unsern Zusammenkünften gesungen wurden, für mich etwas tief Ergreifendes hatten. Der Sinn für Freiheit, Freundschaft, Liebe, Brüderlichkeit, Mannheit, Vaterland ist darin oft mit so vielem Adel in so warmen Worten ausgedrückt, daß die Seele eines gutgearteten, strebenden Jünglings ganz davon erfüllt werden muß. Dazu kommen die schönen Melodieen, welche diese Lieder ja auch außerhalb des Kreises der Studirenden bei der Nation beliebt und theilweise zu Volksliedern gemacht haben. Keine andere Nation kann sich in dieser akademischen Sangeslust mit den Deutschen messen.

Ich fand unter den Studirenden eine Unzahl von ehemaligen Bekannten aus Magdeburg, wie Münich, Schwalbe, Willimann, Behrendsen, Werner u.A. Ich berührte mich mit ihnen in Collegien, in[273] Restaurationen, in öffentlichen Gärten. Ich machte mit Einigen auf ein paar Tage eine Fußreise nach Leipzig, das Treiben der weltberühmten Messe kennen zu lernen; um Pfingsten eine Fußreise über Seeburg und Eisleben nach Mansfeld, wo das Schloß der alten Grafen mich sehr interessirte; ein Theil der starken Trümmermanern wird auf den Sachsenherzog Wittekind als Erbauer zurückgeführt. Auch dadurch kam ich in manchen äußeren Verkehr, daß ich einige Monate hindurch Unterricht bei einem Stallmeister nahm, mich in der edlen Reitkunst zu vervollkommnen. Aber alle diese Beziehungen griffen nicht tief. Ich blieb den Sommer über schwermüthig und ich hing am liebsten auf einsamen Spaziergängen, zu denen die anmuthigen Umgebungen der Saale einladen, meinen Grübeleien nach.

Wie es geschehen, daß ich an die Lectüre Dante's gerieth und dadurch zu dem Stoff mystischer Elemente, die ich in meinem Geiste herumwälzte, noch immer neuen Zusatz empfing, weiß ich nicht mehr. Ich habe eben nur die Erinnerung, daß ich mehrere Wochen hindurch wenn ich, in Schweiß gebadet, von der Reitschule kam, mich sofort, nachdem ich mich kaum umgezogen, auf das Sopha warf, mit Dante durch Hölle, Fegefeuer und Himmel zu wandern, und daß diese Lectüre mich in der Annahme bestärkte, alle Vorstellungen von einer jenseitigen Welt für phantastisch zu halten. Dante stellt z.B. die Hölle als ein trichterförmiges Gefängniß dar, dessen unterste Verengung eisig ist und wo Judas Ischarioth auf dem Eise ausgestreckt liegt. Symbolisch konnte ich mir ja nun diese Construction ganz wohl als ein Bild der sich immer mehr in sich verengenden Selbstsucht gefallen lassen. Ich konnte eine ideale Wahrheit in der Dichtung erblicken. Judas, der Verräther der aufopferndsten Liebe, zum Mittelpunkt des Infernums gemacht und die selbstische Isolirung seiner Gesinnung, die ihn bis zum Selbstmord trieb, durch eine Eiszone ausgedrückt zu sehen, aber von Realität dieser Dante'schen Vorstellungen konnte doch so wenig die Rede sein, als von der Realität des Teufels, der mir in den Schriften Böhme's auf jeder Seite begegnete.

Ich will hier eines Tages erwähnen, der eben so vollendet für mich war, als der Gang von Quedlinburg nach Gernrode. Es war ein wunderschönes Wetter. Ich sehnte mich aus der staubigen Stadt[274] in's Freie und entschloß mich plötzlich, ganz allein nach Merseburg zu wandern, wo ich noch nicht gewesen war. Es ist zwei Meilen von Halle entfernt. Der Weg dahin wird durch eine Chaussee gebildet. Er ist nicht besonders malerisch; doch führt er durch fruchtbare Fluren und über einige Brücken. Das lachende Grün der Felder, die weiche Luft, die goldene Sonne, der blaue Himmel erfüllten mich bei jedem Schritt vorwärts mit immer seligeren Empfindungen. Eine für mich neue Stadt, die noch dazu, wie Merseburg, eine so ehrwürdig alte ist, hat auch ihr Interesse. Ich besah den Schloßgarten, den Dom und in dessen Kreuzgang den Raben, der hier noch in einem großen Käfig zum Andenken an eine unglückselige Begebenheit stiftungsmäßig gehalten wird. Bei herrlichem Mondschein langte ich gegen Mitternacht wieder in Klein Schmieden an. Warum sollte, was die Menschen Himmel nennen, nicht schon jetzt wirklich sein können? Uns erscheinen die Gestirne in der gleichen Glorie ihres Lichtschimmers. Wir träumen uns auf ihnen selige Welten. Muß nicht die Erde den übrigen Planeten, wenn sie Bewohner haben, ebenfalls in solcher Glorie erscheinen? Auf dem Mond vernimmt man nicht den Angstschrei der Thiere, welche wir zu unserem Nutzen tödten, nicht das Gewinsel neugeborener Kinder, nicht das Seufzen und Wimmern der Kranken und Sterben den, nicht das Geheul Irrsinniger, nicht die Klagen der Hungrigen, nicht das Knattern des Gewehrfeuers und den Donner der Kanonen, womit wir uns gegenseitig in den Massenmord stürzen, und noch weniger erblicken wir die Bewegung der Gesten und der Gesichtszüge, in denen sich die Leidenschaft ausprägt. Für ihn erscheint die Erde gerade so als ein friedlicher, seliger Stern, wie der Mond für die Erdbewohner. Himmel, sagte ich mir, ist überall, wo Seligkeit, Hölle überall, wo unselige Zerrissenheit des Geistes herrscht. Die letztere hatte ich auch hinreichend kennen gelernt, aber konnte sie hindern, mich auch nicht blos glücklich, sondern selig, d.h. mit Gott Eins zu fühlen? Was sollte mich denn von ihm trennen, wenn ich mich ihm völlig hinzugeben von innigster Sehnsucht durchdrungen war? Warum sollte ich denn außer Gott, warum sollte die Erde, trotz ihrer Hölle, nicht auch der Himmel sein? O wie oft habe ich hier in Ostpreußen, hier bei Königsberg, als noch die prachtvollen Wälder der Wilkien bestanden, im Samlande, in[275] Buchten und Schluchten des Meeresufers, in den köstlichen Thal-und Waldgründen, die sich hinter ihnen erheben, auf einsamen Wanderungen die Wonne der Seligkeit gefühlt!

Statt der Offenbarung Gottes in Natur und Geschichte, damit aber auch die Seligkeit zu genießen, reden sich die Menschen ein, daß noch eine ganz an dere Wonne existiren müsse, von welcher sie nur keine Vorstellung hätten. – Die Qual, welche durch Schleiermacher in mich gekommen war, lag doch hauptsächlich darin, daß ich der Gnade Gottes gewiß werden wollte. Gnade ist das Verhalten eines Subjekts gegen ein anderes. Von Gott als Subjekt konnte ich durchaus keine directe Erfahrung machen; eben so wenig von Christus, durch welchen die Gnade vermittelt sein sollte. Es war unmöglich, mir ein objektives Zeugniß, eine äußerliche Beglaubigung zu schaffen, daß ich mich im Zustande der Gnade befände. Sobald ich versucht wurde, diesem Bedürfniß nachzugehen, erkannte ich, daß ich auf dem besten Wege zu völlig abergläubischen Vorstellungen war. Was blieb also als objektiver Halt übrig? Nur die Beschaffenheit meiner Empfindungen selber. Das Wahre, das Gute, das Schöne, sie allein konnten mich beseligen; sie allein konnten mir die Gewißheit geben, mit ihnen in Gott selber zu leben, mit ihm Eins zu sein.

Der Inhalt jeder drei Ideen allein genügte mir nicht, sondern erst das persönliche Verhältniß zu dem absoluten Subjekte, welches diese Ideen als sein eigenstes Wesen ewig denkt und will. Eben daher übermannte mich das Gefühl der Seligkeit am gewaltigsten auf meinen einsamen Wanderungen, und tausendmal habe ich mir auf ihnen die Worte jenes Volksliedes zugerufen, welche sagen:


Wenn Gott mich freundlich grüßet

Aus blauer Luft und Thal,

Mein Herz voll Dank zerfließet

Im warmen Sonnenstrahl.


Es war nicht Pantheismus, was mich in solchen Stunden beseelte, als hätte ich mich für Gott gehalten, sondern es war Liebe zu Gott, das Gefühl der absoluten Vereinigung mit ihm, das durch nicht gehemmt, vielmehr durch Alles in meinem Zustande gefördert war. Ich war auch noch kirchlich fromm und besuchte sehr häufig den Gottesdienst[276] der reformirten Gemeinde im Dom, wo zwei vortreffliche Prediger, Blanc und Rienäcker, mich oft unendlich erquickten, besonders der letztere. Es waren zugleich gelehrte Männer. Blanc hatte ein Handbuch des Wissenswürdigsten für Hauslehrer herausgegeben, das sehr viel gebraucht ward. Er hat sich später durch seine Forschungen über Dante einen ehrenvollen Namen für die Italienische Literatur gemacht. Ich wurde mit ihm persönlich bekannt und habe ihn stets als einen der edelsten, liebenswürdigsten Menschen verehrt. Rienäcker neigte sich zu archäologischen Studien und übersetzte sogar das Werk eines Engländers über Athen mit Anmerkungen.

Halle hatte auch seinen Antheil an der Romantik gehabt. Schleiermacher und Steffens waren hier Professoren gewesen, Reichhard's, des Musikers Haus und Garten in Giebichenstein hatte eine Zeitlang einen geselligen Mittelpunkt für die Romantik abgegeben, worin Tieck hervorstach. Louise Brachmann hatte sich hier in den Fluthen der Saale ertränkt. Ein Denkmal auf einer kleinen Insel erinnerte an sie. Das nur zwei Meilen entfernte Bad Lauchstädt bildete den Uebergang zur Weimar'schen Gruppe. Damals, als ich Student in Halle wurde, war von den Berühmtheiten der früheren Periode nur noch die Frau Händel-Schütz übrig, die als Wittwe im Hause ihres Schwiegervaters, des Philologen Hofrath Schütz lebte und ihm die Wirthschaft führte. Sie war immer noch eine stattliche, schöne Frau. Hinter dem Haus war ein Garten mit schönen, großen Bäumen und in diesem war das Bett der Penelope und des Odysseus nachgeahmt, indem die Aeste in einigen Bäumen so ausgehauen waren, daß ein Bettgestell hineinpaßte, um hier laue Sommernächte unter dem Duft der Lindenblüthen wollüstig zu verträumen. Ich habe diese Einrichtung selber gesehen und mußte dabei, wie bei so manchen andern, nicht wohl mittheilbaren Vorkommnissen in diesem Hause, lachen, wie sich die Romantik darin mit der Antike verbunden hatte. –

Halle war damals noch nicht so schmuck, wie heutigen Tages. Das Erbauen von Landhäusern in Giebichenstein hatte erst einen sparsamen Anfang genommen. Die heutige Leipziger Straße, die nach den Bahnhöfen führt, hieß damals noch Galgenstraße, weil vor dem Galgenthor, in welches sie mündete, der Galgen gestanden hatte. Ein Sandsteinmonument,[277] auf welchem Christus am Kreuz zwischen den beiden Schächern dargestellt war, bezeichnete die Stelle. Die Universität war noch in dem nomadenhaften Zuschnitt, wie Göttingen und Jena, daß die Studenten von Auditorium zu Auditorium in die Häuser der Professoren wanderten. Im Gebäude der Rathswaage auf dem Markt hatte sie den ersten Stock gemiethet. Die Zimmer nach vorn heraus dienten zu den Versammlungen des Senats, nach hinten zu, den Hof entlang, zog sich ein großer Saal, der zum Abhalten der größten Collegia benutzt ward. Man kann sich nichts Oederes, Düstereres, Profaischeres, als diesen Saal vorstellen, der von dem Vorflur nur durch eine Bretterwand abgeschieden war. Die Romantik hat auch ihn verewigt. Achim von Arnim hat ein Trauerspiel: Cardenio und Celinde, oder Halle und Jerusalem, gedichtet, worin das ganze damalige Studentenleben Halle's, durch eine Disputation im Saal der Rathswaage, geschildert ist. Rechts vom Eingang des Thorwegs der Waage stand ein kleiner Vorbau, in welchem sich ein Papierladen befand. Hier thronte die sogenannte Papierfritzin mit ihren Töchtern.

Ich war nach Halle gegangen, Theologie zu studiren. Ich nahm bei Tholuck die Dogmatik an, weil ich eingesehn hatte, daß ich mit der Schleiermacher'schen zum Examen nicht ausreichen würde. Sie war zu individuell, um nicht zu sagen, zu heterodox. Tholuck war an Stelle des verstorbenen Knapp gekommen und erfreute sich auch einer dichtgedrängten Zuhörerschaar. Er gab sich viele Mühe und ging, namentlich für den Begriff der Freiheit, auch auf philosophische Begründung ein. Bei dem Schwiegersohn Knapp's, Professor Thilo, hörte ich den zweiten Theil der Kirchengeschichte. Die Plätze der Auditorien wurden von den Amanuensen der Docenten vermiethet. Gegen Erlegung von zehn Silbergroschen klebten sie einen Zettel mit dem Namen auf die Tische. Im Winter zahlte man ihnen außerdem für die Besorgung von Blechleuchtern und Talglichten bei abendlichen Vorlesungen.

Tholuck las auch ein zweistündiges Publikum über die Messianischen Weissagungen, das ich ebenfalls hörte. Da ich das Hebräische vernachlässigt hatte, so mußte ich mich endlich entschließen, ein großes Hebraicum zu hören und nahm den Jesaias bei Gesenius an. Er war[278] ein ausgezeichneter Lehrer und gehörte zu denen, die auch zu Scherz und Humor aufgelegt sind. Wegscheider, dessen Name so oft mit dem seinigen zusammen genannt worden, war ganz das Gegentheil. Er war die Säule des dogmatischen Rationalismus. Ich habe bei ihm nur zuweilen hospitirt und ihn immer so gelehrt als langweilig gefunden. Er bemühete sich, seine Zuhörer für die Trockenheit seiner Lehre dadurch schadlos zu halten, daß er Stellen aus Werken seiner Gegner, besonders von speculativen Philosophen, wie Schelling, zum Besten gab. Der Unsinn dieser Fragmente leuchtete den Studenten jedesmal eben so sehr, wie Wegscheider selber, ein und es war Ton, dies durch ein beifälliges Grunzen kund zu geben. Ich besuchte auch sonst als Hospitant die übrigen damaligen Celebritäten Halle's, wie Schütz, Reisig, der mir gegenüber wohnte, Mühlenbruch, Sprengel, fühlte mich aber vorzüglich zu Hofrath Gruber hingezogen. Dieser wahrhaft humane, liebenswürdige Mann las auch ein Publikum über Deutsche Literaturgeschichte, welches ich eine Zeitlang versuchte, bis ich mich überzeugte, daß ich gar nichts darin lernen konnte. Gruber war durch und durch ein Eklektiker, der ganz dazu gemacht war, ein solches encyklopädisches Werk zu unternehmen, wie er es mit dem Bibliothekar Ersch angefangen hatte. Ich war durch jenes Collegium mit ihm in Berührung gebracht und habe von unserer ersten Unterhaltung ab stets die freundlichste Aufnahme gefunden. Er gestattete mir, seine gute Bibliothek, die größtentheils vor seinem Arbeitszimmer aufgestellt war, Stundenlang zu durchmustern und borgte mir auch, um was ich bat. Ich habe ihn daher stets als meinen Gönner dankbar verehrt.

Gruber las Anthropologie, Geschichte der Philosophie und Aesthetik, außerdem einige literarische Publica. Er hatte das Verdienst, den Studirenden vielerlei positive Kenntnisse in einer äußerlich geschmackvoll zugerichteten Form zu überliefern. Wer Vieles bringt, wird Jedem Etwas bringen! Das galt von ihm und so gehörte er zu den geliebten Lehrern. Neben ihm standen noch drei ordentliche Professoren der Philosophie: Tieftrunk, Gerlach und Hinrichs. Tieftrunk war ein alter Kantianer, der Logik vortrug und sich durch seine Censur des protestantischen Lehrbegriffs, so wie durch seine Ausgabe der kleinen Schriften Kant's, die er in drei Bänden sammelte, einen gewissen Namen gemacht[279] hatte. Er konnte als ein Mustermann der Aufklärung gelten. Er lebte schlicht und recht, besaß ein kleines Haus in der Galgenstraße und huldigte in seiner Sitte dem Princip der Spartanischen Einfachheit und Abhärtung. Ein Steckenpferd von ihm war das Bestreben, die Terminologie der Logik durchaus Deutsch zu gestalten. Meine Vertrautheit mit den Bestrebungen der Puristen brachte mich ihm von diesem Punkt aus bald näher. Ich durfte ihn zuweilen besuchen. Wir plauderten dann über dies Thema und ergötzten uns an Versuchen. Diese gingen bei ihm nicht weniger, als bei Krause in's Komische, z.B. wenn er für: sich orientiren, sich ostnen gesagt wissen wollte, oder für Reflexion: Bewissen vorschlug. Er verstand aber Scherz, ich kam ganz gut mit ihm aus. Gerlach dagegen blieb mir ganz fremd. Er repräsentirte den Jacobi'schen Standpunkt. Er trug Fundamentalphilosophie, Logik und Psychologie vor. Desto inniger schloß ich mich allmälig an Hinrichs an. Er war der erste Professor, der die Hegel'sche Philosophie in Halle vortrug. Er war ein geborner Ostfriese, der Sohn eines Predigers in Jever, hatte in Straßburg und Heidelberg die Rechte studirt, war aber hier von Hegel zur Philosophie hinübergezogen und hatte sich nach dessen Abgang in Heidelberg als Privatdocent habilitirt. Von hier war er zuerst nach Breslau, dann 1824 nach Maaß' Tode als Professor nach Halle berufen. Ich habe oben erzählt, daß ich von ihm zuerst durch Herrn von Kayserling hörte, der unaufhörlich gegen ihn polemisirte. Die Studenten betrachteten ihn als eine Curiosität und seine Collegen waren gegen ihn systematisch eingenommen, weil sie die Hegel'sche Philosophie für einen Geist und Seele verderblichen Widersinn hielten. Es liefen mancherlei Anekdoten von ihm umher, ihn lächerlich zu machen, und die Abgeschlossenheit seiner kräftigen Individualität war nicht dazu angethan, ihn mit seiner Facultät in ein freundliches Vernehmen zu setzen. Die Schroffheit, mit welcher er auf dem Katheder den Rationalismus der Theologen und den Kantischen Kriticismus verfolgte, aus welchem Gruber, Tieftrunk und Gerlach ihre wissenschaftlichen Kategorien schöpften, konnte die Bitterkeit und Verstimmung gegen ihn nur steigern. Die Folge war, daß er auch seinerseits sich gegen Halle vergrollte, immer sich fortwünschte, selbst späterhin, als der Junghegelianismus sich dort aufthat,[280] sich niemals recht behagte und, sofern es ihm irgend möglich war, Reisen machte, die er öfter zu längern Aufenthalten in Wien, Jever, Paris, in Badeorten u.s.w. ausdehnte.

Ich war neugierig, den Mann kennen zu lernen, von dem ich so viel Schlimmes sagen gehört hatte. Ich hospitirte bei ihm Nachmittags 4 Uhr bei dem Anfang seiner Aesthetik und wurde sofort so sehr von ihm angezogen, daß ich, obwohl ich die Aesthetik schon bei Schleiermacher gehört hatte, das Collegium annahm und es mit eben so viel Nutzen als Vergnügen hörte.

Unter den wenigen Zuhörern befand sich auch Karl Hahn, ein Schwager von Hinrichs, der bei ihm wohnte. Er warf sich auf das Altdeutsche und ist als ein sehr tüchtiger Bearbeiter desselben in Prag gestorben, wo er Professor geworden war. Es war sehr natürlich, daß ich mit ihm bekannt wurde. Mit Hinrichs selber kam ich jedoch den Sommer über in kein persönliches Verhältniß. Desto mehr beschäftigten mich seine Schriften, die ich mir anschaffte.

Hinrichs hat viel geschrieben, aber wenig Glück mit seinen Büchern gehabt, selbst dann, als er einen gewandten Styl gelernt hatte und es darauf anlegte, auch von dem größeren Publikum verstanden zu werden. Er war ein Doppelmensch. In der Unterhaltung war er reich an den interessantesten Anschauungen, Charakteristiken, Anekdoten; so wie er aber schrieb, schien diese ganze Fülle der Bildung, die er in sich aufgespeichert hatte, zu verschwinden. Hier und da brach sie zuweilen mit leisen Andeutungen, mit blasser Färbung hervor, um sogleich wieder einer eigenthümlichen Trockenheit Platz zu machen. Hinrichs war nicht ohne künstlerischen Sinn für die wissenschaftliche Darstellung. Er arbeitete mit gewissenhafter Genauigkeit, er trug sich immer mit großen Problemen, allein es fehlte seinen Schriften an jenem poetischen Hauch, an jener sprachschöpferischen Originalität, die wir bei den Philosophen, welche die Wissenschaft bahnbrechend gefördert haben, auch da bewundern, wo sie sich in die kühlen Fluthen der Abstraction versenken. Je tiefer sein Geist war, um so hemmender wurde für seine Aeußerung der Mangel an stylistischer Leichtigkeit und Klarheit. Ich kann dies merkwürdige Mißverhältniß zwischen der Lebendigkeit seines unmittelbaren Wesens und zwischen der Fahlheit seiner immer die Methode herauskehrenden[281] Schreibweise durch einen Fall erläutern, bei welchem ihm diese Zwiespältigkeit zum Bewußtsein kam. Er war bei mir. Auf dem Tische lag ein Band von Göthe's Werken, die Wanderjahre, aufgeschlagen. Hinrichs zog ihn an sich heran. Seine Augen fielen auf diese Worte: »Der Reitknecht ging im Hofe hin und her.« Er las sie und sagte nun: »Wie ich dazu kommen sollte, jemals diese und ähnliche Worte zu schreiben, wäre mir unmöglich zu denken. Ich brächte sie nicht aus der Feder.« Auf dem Katheder hatte er demgemäß zwei Tonarten: eine scholastische, an der Dialektik der Methode sich fortspinnende, und eine erzählende. Da er frei vortrug, so fiel er bald in die eine, bald in die andere; die Ausgleichung war selten.

Hinrichs war von kleiner Statur, aber wohlgebaut. Er trug das dunkle, herabwallende Haar gescheitelt. Sein Gesicht hatte Aehnlichkeit mit dem Portrait Spinoza's, das sich vor der Ausgabe der Werke desselben von Paulus findet, nur daß Nase, Mund und vorzüglich Kinn viel gerundeter waren. Er hatte schöne Hände. Seine Aussprache des Deutschen war etwas vom Friesischen Dialekt gefärbt. Trotzdem, daß er von Hause aus kräftig organisirt war, litt er doch häufig an Krankheiten. Er hatte für die Bedürfnisse einer andern Individualität gar keinen Sinn und konnte daher, ohne es zu wissen und zu wollen, in Verlegenheit setzen. Als ich mit ihm bekannt wurde, kam es vor, daß ich mir die Freiheit nahm, ihm, wenn er mich zur Unzeit besuchte und ich von Arbeiten gedrängt war, geradezu zu sagen, daß ich jetzt nicht Zeit für ihn habe, nachdem die Andeutungen für meine Bedrängniß umsonst gewesen waren. Dann nahm er den Hut, stand auf, wollte gehen, stand still, sprach weiter, ergriff endlich die Thürklinke, sprach aber nun auf der Schwelle zuweilen noch eine halbe Stunde. Da ich umgekehrt mich sehr leicht in jede fremde Individualität versetzen kann, so bestand zwischen uns persönlich ein sehr gutes Vernehmen, denn bei seiner außerordentlichen Gutmüthigkeit nahm er es mir gar nicht übel, wenn ich, der Jüngere, in äußerlichen Dingen mir allmälig eine Art Regierung über ihn erlaubte, Richtung und Maaß einzuhalten. Seine Frau hat mir oft die Versicherung gegeben, ich sei der einzige Gelehrte gewesen, in dessen Umgang er sich stets behaglich gefühlt habe. Seinen Hauptgrund hatte dies zunächst aber wohl darin, daß ich ihn endlich[282] wie einen Bruder liebte, wie auch er mir bis zum Grabe ein treuer Freund geblieben ist.

Doch ich will nicht vorgreifen und komme auf seine ersten Schriften zurück, die mich im Sommer 1826 beschäftigten. Es war dies zunächst die Schrift: über die Religion im innern Verhältniß zur Wissenschaft, die er 1822 herausgegeben und zu welcher Hegel ein empfehlendes Vorwort geschrieben hatte. Sie sollte, wie der Titel in aller Breite angab, eine Darstellung und Beurtheilung der Versuche sein, welche Jacobi, Kant, Fichte, Schelling über den Begriff der Religion gemacht hatten. Sah man aber das Buch an, so fand man nirgends den Namen dieser Philosophen, nirgends den Titel einer ihrer Schriften, nirgends ein Citat aus denselben, sondern eine streng dialektische Entwickelung des Standpunkts der Religion des Gefühls, des Verstandes u.s.w., so wie der ihm correlaten Form der Wissenschaft. Es war der erste Ausläufer der Hegel'schen Phänomenologie, wie ich später wohl einsah. Das Buch ist nur durch die größte Anstrengung zu bewältigen. Als ich damit fertig war, wagte ich den ersten Besuch bei Hinrichs zu machen, ihn zu fragen, ob die historische Beziehung der fünf Standpunkte, die er unterschied, von mir richtig aufgefaßt wären. Wem sollte wohl eine so mühsame Arbeit zu Gute kommen? Ich glaube nicht, daß mehr als ein Dutzend Menschen sich den Kopf daran zerbrochen haben. Hegel's Vorwort war ein Manna gegen die gestaltlose Wüste dieser unfruchtbaren Speculation. Hinrichs hatte untersuchen wollen, wie Glaube und Wissen in ihrem Unterschied von einander doch Eins sein können. Er hatte sich überzeugen wollen, ob dies möglich sei. Er erklärte, von der Speculation nichts mehr wissen zu wollen, wenn sie ihm das Opfer des Glaubens abfordere. Er war also im Voraus entschlossen gewesen, dem Glauben seines Inhalts wegen den Vorzug vor dem Wissen zu geben. Er behauptete nun, sich glücklicher Weise überzeugt zu haben, daß die Wissenschaft die absolute Wahrheit des Glaubens der Religion des absoluten Geistes zur absoluten Form der Gewißheit erhebe und durch ihre Methode den absoluten Beweis für die absolute Wahrheit des Glaubens führe. Hinrichs schloß seine Untersuchung mit dem Urtheil, daß das Absolute der Geist und der Geist das Absolute sei. Das Prädikat sei also dem Subjekt[283] vollkommen adäquat geworden. Statt dieses tautologischen Urtheils hätte er aber sagen oder vielmehr das Urtheil finden müssen: Gott ist der absolute Geist. Das Urtheil lautet umgekehrt: Der absolute Geist ist Gott. Hier ist auch die Einheit von Subjekt und Prädikat, aber das Subjekt und das Prädikat sind in ihrer Identität verschieden. Hinrichs unterschied den Weltgeist als den menschlichen Geist der Weltgeschichte vom absoluten Geist; das that Hegel auch, denn die Weltgeschichte fällt bei ihm in den Ausgang des objektiven Geistes. Der absolute Geist erscheint bei ihm als Kunst, Religion und Philosophie. Geht nun, was absoluter Geist genannt wird, in diese Erscheinung auf oder ist derselbe, wenn auch dem Wesen nach mit ihm identisch, doch als Subjekt noch von ihm für sich unterschieden? Hinrichs, das sieht man wohl, bejaht diese Frage, aber die nur phänomenologische Art und Weise seiner Abhandlung läßt den Zweifel hierüber bestehen. Hätte Hinrichs statt seiner Kritik der von Jacobi bis Hegel durchlaufenen Standpunkte eine speculative Theologie in der Weise geschrieben, wie der jüngere Fichte sie später versuchte, so konnte er eine große Wirkung hervorbringen. Ja auch wenn er nur die Geschichte in ihrer thatsächlichen Wirklichkeit berücksichtigt hätte, statt sie in eine Folge dialektischer Stufen aufzulösen, würde er tiefer eingegriffen haben. Als das Wunderbarste mußte den Gegnern Hegel's erscheinen, daß jeder Standpunkt bei Hinrich's ganz nach der Trichotomie des Hegel'schen Begriffs sich entwickelte, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling also ihr Prinzip unbewußt nach der Hegel'schen Methode ganz concret gestaltet hätten.

Den Begriff der christlichen Religion als der absoluten entwickelte Hinrichs in einem Buche, dessen Titel diesen Inhalt zunächst nicht erwarten ließ. Dies waren seine ästhetischen Vorlesungen über Göthe's Faust, die er 1825 »als einen Versuch zur Anerkennung wissenschaftlicher Kunstbeurtheilung« herausgab. Sie waren der Anfang einer Richtung in der Hegel'schen Schule, welche die allgemeine geistige Bedeutung des Inhalts eines Kunstwerks in übertriebener Weise zu bevorzugen, als die der höchsten Norm ästhetischer Betrachtung geltend machen wollte. Hinrichs drückte dies auch so aus, daß die Kunst den Gedanken in der Form der sinnlichen Vorstellung darstellen und die Kunstkritik daher aus dem Element der Vorstellung auf den in ihr enthaltenen[284] Gedanken zurückgehen müsse. Hieraus sollte dann die Einheit von Inhalt und Form begriffen werden. Man wird sehen, wie ich auch dieser Tendenz meinen Tribut zollen mußte, aber es ist klar, daß sie eine einseitige ist, welche die schöpferische Thätigkeit der Phantasie in der Gestaltung des Kunstwerks nicht zu ihrem Rechte kommen läßt. Hinrichs entwickelte sehr gut den Proceß der Entzweiung sowie der Versöhnung des menschlichen Geistes mit dem göttlichen. Gott Vater mit den Engeln im Vorspiel, Faust, Mephisto, Gretchen, die Walpurgisnacht geben ihm den Anhalt, die Hauptpunkte der christlichen Dogmatik philosophisch zu erörtern. Das Pathos von Faust, Mephisto und Gretchen wurde phänomenologisch abgeleitet, und diese Ableitung gerade war es, die mich damals sehr lebhaft ergriff, weil ich die Phänomenologie selber noch nicht kannte. Kein Capitel der Schleiermacher'schen Glaubenslehre hatte mir mehr Scrupel gemacht, als das von der Rechtfertigung vor Gott. Wer sollte zu einer objectiven Ueberzeugung gelangen, daß Gott, sofern ich meine Sünde innig bereute, mir dieselbe vergeben wolle? Wie sollte ich es anfangen, den hier vielleicht möglichen Täuschungen zu entgehen? Diese Qual, die mich auch in Halle auf den Felsen des Saalethales oft unselig umhergetrieben hatte, fing an, sich zu erleichtern. Der Zustand meiner Zerrissenheit wurde mir verständlicher. Ich fand ihn in dem Bewußtsein Faust's abgespiegelt und durfte, wie er, auf die Versöhnung hoffen, weil die Entzweiung selber sie zu verbürgen schien.

Während ich so dieser Schrift viel Dank schuldig wurde, war ihr Erfolg für die Hegel'sche Philosophie nach Außen hin ein sehr ungünstiger. Die Reduction der poetischen Vorstellung auf den Gedanken als ihre sie bewegende Seele, wie Hinrichs sich ausdrückte, wurde als eine neue Scholastik aufgefaßt. Platen, in der Philosophie ein Anhänger Schellings, sprach dies sehr bitter in einem Chor seines romantischen Oedipus aus und ertheilte Hinrichs den Namen eines »Obertollhausüberschnappungsnarrenschiffes.«

Das dritte Buch von Hinrichs erschien während meines Aufenthalts in Halle. Er nannte es: »Grundlinien einer Philosophie der Logik, als einen Versuch zur wissenschaftlichen Umgestaltung ihrer bisherigen Principien.« Dies Buch war in jedem Betracht ein verfehltes. Von[285] einer Philosophie der Natur, der Sprache u.s.w. war man zu hören gewohnt, aber eine Philosophie der Logik klang absurd, weil die Logik immer als Philosophie behandelt worden. Wenn Hinrichs die Principien derselben umzugestalten versuchte, wie er auf dem Titel versicherte, so mußte er in seiner Vorrede dem Leser selber sagen, daß diese Umgestaltung nicht von ihm, sondern von Hegel ausgehe. Aber indem er dies ausdrücklich zugestand, wollte er doch für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, die Logik aus einem todten Leichnam zu einem lebendigen Organismus umgebildet zu haben. Das war, Hegel gegenüber, eine Anmaaßung, denn dieser hatte die speculalive Regeneration der Logik nicht etwa nur versucht, sondern wirklich geleistet. In der Behandlung selber war Hinrichs vollends unglücklich. Er wollte ein genetisches und ein immanentes Denken unterscheiden. Jenes lief auf den Inhalt der logischen Formen, dies auf eine Theorie des Erkennens hinaus. Wenigstens hätte diese den Anfang machen sollen, statt der Lehre vom Begriff zu folgen. Die Bezeichnung: immanentes Denken, war sehr übel gewählt, denn das Immanente steht dem Transcendenten gegenüber, sollte hier aber dem Genetischen entgegengesetzt sein, dessen Gegensatz der Formalismus der mechanischen Composition ist. Noch schlimmer jedoch war es, daß Hinrichs die Logik wieder von der Metaphysik losriß, oder vielmehr diese unter der verbrauchten Kategorie der Dingheit mit der Lehre vom subjektiven Begriff ganz unnatürlich verband; ich sage unnatürlich im Sinne der Hegel'schen Logik, welche den Begriff des Dinges zu der ontologischen Kategorie der Wesenheit rechnet. Und doch war überall und mit Emphase von der Identität des Denkens mit dem Sein die Rede. Da ich zwar Hegel's große Logik noch nicht selber studirt, jedoch die Grundgestalt der Logik durch Herrn von Henning schon ausführlich überliefert erhalten hatte, so setzte mich das Buch von Hinrichs in die größte Verlegenheit. Es verwirrte mich. Ich nahm im Winter Hinrichs Vorlesungen über die Logik an, allein sie vermehrten meine Verwirrung. Es konnte nicht anders sein. Die Zugeständnisse, welche Hinrichs der herkömmlichen Weise des Vortrags der Logik offenbar gemacht hatte, konnten durch allen Aufwand an Dialektik den innern Zwiespalt seiner Auffassung nur verstärken. Das Collegium schleppte sich traurig hin. Trotz aller Polemik gegen[286] die formale Logik konnte man doch zuletzt, auch aus den Dictaten, die Hinrichs gab, nichts Anderes herauserkennen, als die Lehre vom Begriff, Urtheil und Schluß, ganz ähnlich wie in der gewöhnlichen Logik, nur schärfer und dialektischer formulirt. Dazu kam noch manche Sonderbarkeit, die von Gegnern Hegel's, wie z.B. Bachmann in Jena, benutzt wurde, seine Philosophie lächerlich zu machen. Hegel hatte in seiner Logik ganz richtig gesagt, daß die Wissenschaft als System mit dem Begriff des Anfanges selber anfangen müsse. Hinrichs wollte dies überbieten und schrieb eine sich selbst einleitende Einleitung zum Begriff des Anfangs. Ueber meine Unruhe und Verwirrung kam ich erst im Sommer 1827 hinaus, als ich sie Daub mittheilte und dieser ganz entschieden das Buch als einen Mißgriff, als eine gefährliche Verirrung bezeichnete.

Ein anderes Collegium von Hinrichs über die Geschichte der Philosophie wirkte dagegen sehr wohlthätig auf mich, weil ich bis zu ihm hin einer tieferen und zusammenhängenderen Erkenntniß derselben entbehrt hatte. Die äußern Umstände, unter denen ich dies Collegium hörte, verdienen wohl erwähnt zu werden, weil sie ein Bild der barbarischen Zustände geben, welche den Cultus der Wissenschaft damals noch auf unsere Universitäten begleiteten, Zustände, wie ich sie auch in Königsberg auf dem alten Albertinum theilweise noch Jahre lang durchzumachen gehabt habe. Man stelle sich das große düstere Auditorium auf dem Hof der Waage vor. Nachmittags von 4 bis 5 Uhr war die Heizung des Morgens schon sehr verflogen. Die Atmosphäre war oft eisig. Von Ueberziehern wußten wir Studenten damals so wenig als von Ueberschuhen. Wir saßen da in unsern oft durchfeuchteten Flauschröcken mit durchnäßten Stiefeln. Wir waren nur etwa sechs bis sieben an der Zahl auf der ersten Bank, vor uns schaurige Beleuchtung mit qualmenden Talglichtern, die wir alle Augenblicke zu schneuzen hatten. Hinrichs auf dem Bretterkasten des Katheders hatte rechts und links ebenfalls Talglichter, mit deren Pflege er sich beschäftigen mußte. Das Stearinlicht war noch nicht erfunden. Von den Wachslichtern, welche August Wilhelm Schlegel in Bonn auf silbernen Armleuchtern brannte, war als von einem beispiellosen Luxus unter uns eine märchenhafte Tradition vorhanden. Ueber die Reihe unserer Talglichter hin blickte Hinrichs in[287] eine Wüste, die sich zuletzt in ein gespenstisches Dunkel verlor. Regen und Schnee schlugen klirrend an die Fenster und der Wind drang oft empfindlich durch die losen Scheiben. Das Collegium war aber so interessant, daß wir Studenten, mit Ausnahme eines einzigen, welcher erkrankte, Stunde für Stunde mit dem Professor voller Andacht aushielten. Wie hat sich dies Alles jetzt geändert! Ueberall sind große, ja schöne Gebäude, auch in Halle, entstanden, welche der Wissenschaft eine wohnliche, würdige Stätte bieten. Wenn ich jetzt zur Winterzeit um fünf Uhr in mein Auditorium hierselbst trete, so finde ich es von zwei großen, zierlichen Oefen angenehm erwärmt. Doppelfenster schützen es gegen den Grimm der Atmosphäre. Schwere dunkelgelbe Vorhänge verbergen sie noch oben ein. Einige zwanzig mit Glocken von Milchglas bedeckte Gaslampen erhellen den Raum mit einem strahlenden Lichte, wie wir es in Halle damals auf keinem Ballsaal zu Stande brachten. Kleiderhaken laufen die Wand entlang, Ueberzieher in Empfang zu nehmen. Eiserne Gestelle sind bereit, triefende Schirme aufzunehmen. Der Docent auf dem Katheder kann das Pult desselben durch einen Mechanismus nach Bedürfniß mit leichter Hand sich bequem höher oder niedriger stellen. In seinem Rücken hängt eine schwarze Tafel mit einem Blechkasten, worin er Schwamm und Kreide findet, falls er etwas durch Zeichnung zu illustriren hätte. Welch' ein Comfort gegen jene für das jüngere Geschlecht bereits antediluvianische Armseligkeit!

Ich wurde durch Hinrichs Lehre und Schriften ganz in das Studium der Philosophie hineingezogen. Alles, was ich von dem Hegel'schen System in Berlin schon in mich aufgenommen hatte, fing an unter der Decke der Schleiermacher'schen Weltansicht, welche sich darüber gelagert hatte, wieder lebendig emporzukeimen. Ich nahm nur noch bei dem Kanzler Niemeyer ein Collegium über praktische Theologie an, besuchte es jedoch nur vier Wochen lang. Dagegen hörte ich ein ausführliches Collegium über Experimentalchemie bei Schweigger mit großem Fleiß, weil ich inne geworden war, daß mir im Bereich der Naturwissenschaften gerade in der Chemie positive Kenntnisse sehr mangelten. Schweigger legte das Handbuch der Chemie von Döbereiner in Jena zu Grunde. Er war von Geburt ein Nürnberger, liebte seine Wissenschaft mit Begeisterung und schloß sich in vielen Punkten der Schelling'schen[288] Naturansicht an, namentlich in der Mythologie. Er versuchte in einer gelehrten Schrift nachzuweisen, daß die Alten bereits den Begriff des Magnetismus und der Elektricität, überhaupt den der Polarität gekannt und für die Tradition durch Symbole und durch symbolische Figuren dargestellt hätten. Zu diesen Figuren rechnete er vorzüglich den Herakles und die Dioskuren. Schweigger war eine sinnige, kindliche Natur, die mich sehr anzog. Er wurde beim Experimentiren durch einen Schwager, den Apotheker Bach, unterstützt. Wenn manchmal, sei es durch ein Versehen im Maaß der erforderlichen Quanta, sei es durch zufällige Umstände der Temperatur oder der Erschütterung, die von ihm vorherverkündigten Processe ausblieben, so war es rührend, ihn zu sehen, wie er vor den Retorten und Mischgläsern dastand, auf Hülfe sann, die Verwandlung herbeizuführen und, wenn sie dennoch versagte, mit lächelndem Munde, doch mit wehmüthigem Ton, die schwarzen Locken seines Albrecht Dürer-Gesichts schüttelnd, zu uns sagte: »Es mag ihm nicht.«

Unter den Schriften, die ich las, muß ich die Studien von Daub und Creuzer als eine für mich Epoche machende hervorheben. Sie enthalten vorzügliche Arbeiten von Daub, von Marheinecke und Böckh, von Creuzer, von Görres, von Schneider u.A. Mit großer Gediegenheit des Inhalts verbinden sie Schönheit der Form. In der Geschichte unserer Journalistik folgen sie dem Athenäum. Sie sind aus den Principien der damaligen Romantik entsprungen, aber das classische Alterthum und was mit ihm in der Kunst und Wissenschaft zusammenhängt, war darin schon stärker vertreten. Ich wurde durch sie mit einer Menge neuer Kenntnisse und Ansichten bereichert. Die Aufsätze von Daub über theologische Gegenstände, unter denen sich auch eine Einleitung in die Dogmatik befindet, brachten den heftigsten Gegenstoß gegen Schleiermacher's Theologie in mir hervor. Ich hatte außer dem Collegium, welches ich den Sommer über bei Tholuck über Dogmatik hörte, mich auch mit Wegscheider's Institutionen bekannt gemacht, die damals in Halle das unbestrittenste Ansehn genossen. Durch die Widersprüche, in welche so verschiedene, ja entgegengesetzte Anregungen mich stürzen mußten, wurde ich immer unglücklicher. In unsäglicher Melancholie schweifte ich nicht selten auf den Bergen des Saalethales oder[289] im Walde der Dölhauer Haide umher. Endlich im Herbst 1826 raffte ich mich zusammen und schrieb, um für mich zur Klarheit zu kommen, eine Kritik der Schleiermacher'schen Glaubenslehre. Sie ward mir sehr sauer, aber sie wirkte sehr wohlthätig auf mein Gemüth.

Doch kaum war ich etwas ruhiger geworden, so sollte ich in eine ganz neue Welt geworfen werden. Ich bekam von der Bibliothek der Universität das Kritische Journal für Philosophie geliehen, welches Schelling mit Hegel in Jena herausgegeben hatte. Von Schelling hatte ich schon verschiedene Schriften, von Hegel aber noch nichts, als seine Encyklopädie gelesen. Seine Kritik von Kant, Fichte und Jacobi, seine Darstellung des antiken Skepticismus im Verhältniß zum neueren, seine Auseinandersetzung des Naturrechts, bezauberten mich gerade so, wie früher Schleiermacher's philosophische Abhandlungen. Ich konnte mich den ganzen Winter über nicht daran ersättigen. Wenn ich das Buch der Bibliothek zurückgegeben hatte, holte ich es nach einigen Wochen wieder.

Nun wurde ich immer begieriger auf Hegel und ließ mir seine Schrift über die Differenz von Schelling und Fichte, sowie seine Phänomenologie des Geistes von Jena und Bamberg kommen. Das Studium dieser letzteren bewirkte bei mir eine Revolution, die ich mit Nichts vergleichen kann, was ich im Gange meiner Bildung Aehnliches erfahren habe. Ich widmete ihr im November und in der ersten Hälfte des Dezembers alle Zeit, die ich erübrigen konnte. Wenn meine Commilitonen mich besuchten, so ließ ich sie in meinem Zimmer gewähren, bat mir aber aus, mich an meinem Tisch unbehelligt zu lassen. Sie öffneten den ihnen wohlbekannten Wandschrank, in welchem meine Speisekammer war, holten Brod und Butter, auch wohl Schinken hervor, mit welchem meine Schwester mich zeitweise versorgte, klingelten nach einer Flasche Bier, stopften sich eine Pfeife, schauten zum Fenster nach den hübschen Mägden am Röhrbrunnen des Platzes hinaus und belustigten sich, schlechte Witze auf mich zu machen. Ich hielt mir zuweilen die Ohren zu und hatte für keine Duellgeschichten, Fuchsweihen und was es sonst Wichtiges in der Studentenwelt gab, Sinn. Ich befand mich die ganze Zeit in einer intellectuellen Ekstase. Natürlich verstand ich Vieles noch gar nicht oder verstand es auch falsch. Aber[290] der Gesammteindruck war überwältigend und riß mich auf bis dahin ungeahnte Höhen. Und noch in diesem Augenblicke behaupte ich, daß es bis jetzt keine tiefere Auffassung und schönere Darstellung des Geistes giebt, als diese Phänomenologie. Die Schule Hegel's hat sich ganz begreiflich vorzugsweise an die Encyklopädie und Rechtsphilosophie gehalten, wer aber den eigentlichen Hegel kennen lernen will, der muß dies unvergleichliche Werk der Phänomenologie studiren. Unvergleichlich? Nicht doch. Es giebt zwei Werke, die sich auf dem Boden der Philosophie mit ihr vergleichen lassen: Platon's Republik und Kant's nicht genug zu bewundernde Kritik der reinen Vernunft. Auch sie graben sich tief in die Mysterien des Geistes und beweisen in dem ruhigen Fortschritt vom Niedern zum Höhern eine unendliche Kunst der Darstellung. Der Standpunkt aber, welchen Hegel einnimmt, ist ein beiden überlegener und demgemäß mußte auch die Form eine vollendetere werden. Die Phänomenologie ist, wie Kant's Kritik, in keine Schulkategorie zu zwingen, wie wenn man gefragt hat, ob sie Logik oder Psychologie oder Philosophie der Geschichte sei? Sie ist von diesem Gesichtspunkt aus ein hybrides Werk. Sie ist incommensurabel und ich habe sie in diesem Betracht mit Dante's Comedia divina und mit Byron's Pilgerfahrt Harold's auf dem poetischen Gebiet verglichen, die auch gegen die formalen Gattungsbegriffe incommensurabel und doch poetische Riesenwerke sind. Nachdem ich mich mit schweren Mühen durch das seltsame Buch hindurch gerungen hatte, war ich ein neuer Mensch. Ich besaß für Natur und Geschichte, auch für meine eigene kleine Individualität und Vergangenheit, einen ganz neuen Maaßstab.

In den glücklichen Jahren unseres Deutschen Studentenlebens, wo man sich mit unbedingter Freiheit allen Impulsen überlassen, in der sorgenfreien Muße zumal, welche ich der Freigebigkeit eines guten Vaters verdankte, die mir alle wünschenswerthen Mittel zu meinen Studien heranzuziehen erlaubte, fiel ich nun bald auf eine Arbeit, die Anschauungen, die mir als neuer Stern am Himmel der Wissenschaft aufgegangen waren, an einem concreten Gegenstand zu erproben. Man sagt jetzt gewöhnlich, daß Hegel durch die Phänomenologie des Geistes mit der Romantik der damaligen Naturphilosophie öffentlich gebrochen[291] habe. Das ist auch richtig, aber ich selber hatte hierüber noch kein klares Bewußtsein. Denn theils betrachtete ich Schelling noch immer als einen völlig gleichen Sinnesgenossen Hegel's theils steckte ich selber noch tief in der Romantik und hatte an meinem Hausgenossen Genthe einen intimen Umgang, der mich noch lange recht lebhaft und gründlich in der Sphäre der krankhaften Romantik festhalten sollte. Genthe war der Sohn eines Magdeburger Stadtchirurgen. Seine Mutter war eine Schwester Zschokke's, die mit Recht stolz darauf war, einen so berühmten Bruder zu besitzen. Die Lectüre seiner Schriften und die Unterhaltung über sie und ihren Verfasser machte früh die Nahrung Genthe's aus und reizte ihn an, im Schriftstellerthum eine höchste Befriedigung zu erblicken. Er war ein außerordentlich begabter Mensch von scharfem Verstande, glänzendem Gedächtnis, schnell fertigem Witz, leichtgeflügelter Phantasie. Er hätte viel mehr leisten können, als geschehen, wenn er nicht einen Hang zu Curiositäten der Literatur, ein übermäßiges Wohlgefallen am Barocken gehabt und sich mit seinen Arbeiten nicht zu bald befriedigt hätte. Wenn sie nur gedruckt wurden, dann war er schon glücklich. Cervantes und Jean Paul waren seine Ideale. Von Letzterem war es aber vorzüglich die Kleinmalerei, die aus beschränkten Zuständen etwas Anderes zu machen und sich durch Ironie, Parodie, Humor aus dem Druck und der Enge des Moments zu retten versteht, wodurch er angezogen wurde. Da durch den Tod seines Vaters, der bei seinem Abgang vom Gymnasium eingetreten war, seine Mittel knapp waren, so suchte er durch Unterricht sich Geld zu erwerben und übernahm aus diesem Grunde auch die Stelle eines Amanuensis bei der Universitätsbibliothek. Auf dem Gymnasium war er mein Nachfolger in der Schulbibliothek gewesen und hatte eine große Bücherliebe eingeimpft empfangen. Auch hier war es das Aparte, Seltene, was für ihn besonderen Werth hatte. Ein solcher Trieb läuft leicht Gefahr, sich in Ueberschätzung von Einzelheiten zu verrennen.

Auch auf anderen Gebieten, als dem literarischen, trat diese Neigung zum Seltenen, Aparten bei ihm hervor. Als er in späteren Jahren dazu kam, sich einen kleinen Weinvorrath im Keller zu halten, waren es immer ganz absonderliche Sorten, die sein Vergnügen ausmachten. Oder er reiste auch nach Orten, die sonst außerhalb der gewöhnlichen[292] Reiseziele des Touristen lagen, z.B. nach Kopenhagen. Als er, kurz vor seinem Tode, mich hier in Königsberg noch einmal besuchte, hatte er sich wieder eine ganz aparte Unterhaltung zugelegt.

Er hatte angefangen, Schiller'sche Gedichte in's Plattdeutsche zu übertragen. Wir kamen nicht aus dem Lachen heraus, als er beim Glase Wein uns z.B. die Theilung der Erde und andere Gedichte mit urkomischem Pathos in diesem Idiom vortrug. Im Kleinverkehr des Gesprächs wimmelte er von wunderlichen Redensarten, die er von fünf zu fünf Jahren mit neu erfundenen ersetzte. Man kann sich kaum verschiedenere Naturen vorstellen, als er und ich waren. Speculative Philosophie, mein Hauptstudium, war ihm ein Greuel. Er nahm nur obenhin von ihr Notiz, hauptsächlich seinen Witz an ihrer Verspottung zu üben. Seine Mutter hatte einen Mops mit einem ernsten, etwas doggenartig aussehenden Kopf. Von diesem Mops behauptete er scherzhaft, daß er der denkendste aller Hunde sei und wohl der Hegel derselben genannt zu werden verdiene. Wenn der Mops auf dem Fensterbrett saß und auf die Straße schaute, so konnte er denselben eine humoristische Hundephilosophie vortragen lassen, welche die Schlagwörter der Hegel'schen Schulsprache auf das Drolligste verwendete. Ich behielt leicht den Gang eines abstracten Raisonnements, er behielt die Pointen guter Anekdoten. Ich war von den tiefsten und schmerzlichsten religiösen Kämpfen bewegt. Ihm, obwohl er auch als Theologe immatrikulirt war, auch theologische Collegia hörte, war mein Zustand völlig fremd. Er empfand das innigste Mitleid mit mir, ehrte auch meine jeweilige Verzweiflung durch stille Schonung, entbehrte aber eines inneren Verständnisses dafür. Da ich damals heftig zwischen den äußersten Extremen schwankte, so wirkte die Nähe einer solchen Gemüthsart, wenn sie mich auch nicht befriedigen konnte, insofern wohlthätig, als sie mich vor einem einseitigen Versinken in Pietismus oder Atheismus, in dialektische Ueberspanntheit der romantischen Scholastik bewahrte. Wir lasen im Sommer 1826 Dante's divina Comedia zusammen, und hierbei wurden wir uns gegenseitig über unsere verschiedene Stellung zur Religion und Philosophie ganz klar. Genthe interessirte lediglich die poetische Form, mich nicht weniger der theosophische Inhalt. Genthe liebte mich grenzenlos und behandelte mich persönlich auch mit aller Zärtlichkeit eines[293] Liebenden, wozu freilich kam, daß er sich auch in meine Schwester verliebt hatte und sich mit ihr um Weihnachten verlobte. Weil er nun für Poesie und Aesthetik die lebhafteste Theilnahme hatte und weil ich für seine unerschöpfliche Komik ihm Empfänglichkeit entgegenbrachte, so vertrugen wir uns doch sehr gut. Ein Hauptgegenstand unserer Gespräche war die Kritik der Jean Paul'schen Vorschule der Aesthetik, eine noch bessere Definition des Lächerlichen und des Humors zu finden. Diese Untersuchungen führten uns auch auf die Komik des Aristophanes. Hinrichs wollte nämlich in seiner Aesthetik den Humor nur als ein Product der christlichen Weltanschauung gelten lassen. Aristophanes sollte sich nach ihm nur auf dem Standpunkt der Satire befunden haben. Hiervon konnten wir uns, je mehr wir von Aristophanes lasen, je vertrauter wir mit seiner Manier wurden, durchaus nicht überzeugen, und ich war schon durch Bohtz in Berlin zu einer günstigeren Auffassung gelangt.

Man wird es nach dem Gesagten begreiflich finden, daß meine literarischen Studien durch Genthe nicht nur keinen Abbruch erlitten, vielmehr recht vielseitig und lebhaft angeregt wurden. – Als ich die Universität Halle bezog, war ich schon geneigt, mich in meiner Melancholie fast ausschließlich auf religiös-philosophische Studien zu beschränken. Durch den Verkehr mit Genthe aber wurde der Reiz literarischer Forschung wieder hervorgelockt. Die Bekanntschaft mit Hofrath Gruber trug das Ihrige dazu bei, und so nahm ich auch das Altdeutsche von Zeit zu Zeit wieder auf. Hier lag mir nun vor Allem der Parcival im Sinn. Lachmann's Preisworte desselben brannten in meiner Seele. Ich hatte so Vielerlei über den Gral gelesen, daß ich keine Ruhe hatte, das Original kennen zu lernen. Die Universitätsbibliothek besaß zum Glück die Müller'sche Sammlung, welche Veldeck's Eneidt, Crimhilden's Rache, den Parcival und Konrad's von Würzburg Trojanischen Krieg enthält. Genthe reiste in den Weihnachtsferien nach Magdeburg. Ich war allein und warf mich nun mit jener staunenswerthen Energie, die wir in der Jugend aufzubieten vermögen, hinter die Lectüre. Ich verschlang gleichsam Wolfram's Verse. Dann ging ich an eine Ueberlegung, in welchen Versen die Hauptpunkte der Composition zu suchen seien. Diese schrieb ich mir sodann ab. Vor Mittennacht,[294] oft darüber hinaus, kam ich nicht zu Bette. Was sollte ich aber weiter mit der neuen Eroberung anfangen? Ich wußte es nicht.

Der Sylvester war inzwischen gekommen. Ich hatte unter den alten Schulkameraden, die auch in Halle studirten, einen treuen Menschen, Namens Minich, einen Theologen, der zu Ostern das Kandidatenexamen ablegen wollte und dem zu Liebe ich in festgesetzten Stunden mit ihm Kirchen- und Dogmengeschichte repetirte. Er wohnte neben der Moritzburg auf einer der Dachstuben der sogenannten Residenz. Er hatte große Angst vor der Prüfung, weil sein Gedächtniß nicht besonders prompt war. Er hatte die Thür seiner Schlafkammer mit großen Bogen beklebt, auf welchen nach der Kammerseite zu die Namen der Kirchenväter, der Päpste, die Jahreszahl ihrer Regierung und die ökumenischen Concile verzeichnet waren. Nach der Zimmerseite zu waren die verschiedenen Confessionen des Protestantismus, ihre Stifter, Reichstage und Religionskriege chronologisch mit großen Buchstaben verzeichnet, damit er Namen und Zahlen immer vor Augen haben konnte. Am Sylvesterabend veranstaltete Minich für seine Freunde einen großen Punsch, bei dem stark getrunken, viel geraucht und gesungen wurde. Spät kam ich nach Hause, schlief schlecht und wachte mit den bekannten katzenjämmerlichen Empfindungen auf. Es war ein frischer, kalter Wintermorgen. Statt, wie ich sonst wohl gethan hätte, zu Rienecker in die Domkirche zu gehen, lief ich zum Thor hinaus in die Seebenschen Berge. Tausend Gedanken wälzten sich in meinem wüsten Kopfe durcheinander. Ich versuchte, mir die Capitel der Phänomenologie des Geistes von der ersten Stufe der sinnlichen Gewißheit bis zur letzten des absoluten Wissens zu recapituliren. Je wohler mir aber auf den schneebedeckten Bergen ward, um so mehr drängte sich mir das Bild Parcival's auf, das ich in den Wochen zuvor so tief eingesogen hatte. Plötzlich kam ich auf das Problem, welche Stelle dann ein Mensch, wie Parcival, in der Stufenreihe der Phänomenologie einzunehmen hätte und sofort dämmerte mir die Bedeutung auf, welche diese mystische Gestalt für das mittelalterliche Ritterthum haben könnte. Parcival wächst bei seiner Mutter Herzelaude in lieblicher Waldeinsamkeit als ein vollkommen Rousseau'scher Wildling auf. Als er zufällig die Entdeckung einer ganz anderen Welt macht, kann die Mutter ihn nicht[295] mehr zurückhalten. Er beginnt seine abenteuerlichen Züge und bildet sich auf ihnen allmälig zu einem vollkommenen Ritter aus. Er gelangt in die Burg des Grals, er erblickt den seltsamen Cultus desselben, aber, von Staunen überwältigt, fragt er nicht nach dem Geheimniß, das sich ihm offenbart. Hätte er gefragt, so würde er an Stelle des kranken Anfortas selber zur Würde eines Gralkönigs gelangt sein. Erst als er von der Burg wieder abreitet, erst als der Knappe, der die Thorflügel hinter ihm zuwirft, ihn eine Gans schilt, wird er inne, ein Versehen gemacht zu haben. Nun beginnt bei ihm die Entzweiung mit Gott und er fällt in einen völligen Unglauben an dessen Vorsehung. Sein Oheim Trevricent giebt ihm eine ausführliche Aufklärung und Parcival arbeitet sich nun schrittweise zur Versöhnung mit Gott hindurch und gelangt durch die Reinheit seiner Gesinnung zum Königthum im Gral. Ueber den Gral selber blieb ich noch sehr im Unklaren, aber der Proceß des Bewußtseins in Parcival lag mir offen. Natürlich mußte sich die Hegel'sche Dialektik für mich auch in diesem Stoff bewähren. Unmittelbare Einheit, Entzweiung und Versöhnung stellten sich zu deutlich heraus. Es kam nur darauf an, die besonderen Momente dieser Stufe zu entdecken, und das gelang mir schneller, als ich erwartete. So dauerte es nicht die erste Woche des neuen Jahres 1827 und die Grundzüge einer Abhandlung über Parcival waren fertig. Ich war so glücklich, Hegel's Phänomenologie mit Wolfram's Parcival verknüpft zu haben! Einen nicht geringen Antheil an der Inbrunst, womit ich arbeitete, hatte aber der Zustand meines eigenen Gemüths. Auch ich war nach einer in religiöser Beziehung ungetrübten Jugend in die furchtbarste Entzweiung zwischen Glauben und Wissen gerathen. Schleiermacher's Dogmatik, de Wette's größeres Werk über die christliche Ethik, das ich mir im Sommer angeschafft und durchstudirt hatte, Tholuck's Collegium über Dogmatik und sein Roman: »Die wahre Weihe des Zweiflers«, den er gegen de Wette's Roman »Theodor« richtete, hatten mich durch die vielen Widersprüche zwischen ihnen nur immer unglücklicher gemacht. – Die Bekanntschaft mit Hinrichs und seinen Schriften hatten angefangen, mir wieder einigen Halt zu geben, aber erst die Phänomenologie Hegel's schwemmte gleichsam meine ganze Vergangenheit weg, erhob mich über meinen empirischen Menschen und[296] stellte mich auf einen ganz neuen Boden. Die Ahnung, daß auch ich, wie Parcival, vom Zweifel zur Versöhnung werde durchdringen können, hauchte ich meiner Darstellung ein. Wie wunderlich auch dies Beginnen war, so war es doch ein sittlich und religiös reines und zum höchsten Ziel treibendes.

Als Genthe nach Neujahr von Magdeburg zurückkam, brachte er mir von meinem Freunde Eduard Hänel eine Aufforderung mit, die auch an ihn ergangen war, ihm etwas zum Druck zu geben. Hänel faßte seinen Beruf als Buchdrucker vielseitig auf. Nachdem er längere Zeit in Hamburg und England verweilt hatte, den Farbendruck zu studiren, in welchem er sich später zu Berlin für den Druck unserer Staatspapiere auszeichnete, war er bei der Buchhandlung Heinrichshofen in Magdeburg als Volontär vorübergehend eingetreten, um auch das Geschäft des Verlags und Sortiments fachmäßig kennen zu lernen. Unter der Firma Heinrichshofen verlegte er nun einige Druckwerke, die er bezahlte und in seiner Officin druckte. Genthe hatte einen ganzen Roman fertig liegen. Er verrieth schon in seinem Titel: »Don Enrique von Toledo« die Nachahmung des Cervantes, aber er enthält in der That viel Eigenartiges, viel tief und wahr Empfundenes, viel gut erfundene Züge, und war in einer ruhigen, vortrefflichen Prosa erzählt. Hier und dort war auch ein Gedicht eingeflochten. Genthe widmete dies Buch mir und meiner Schwester. Er hat poetisch nie wieder etwas Besseres hervorgebracht. Dies erste, längst vergessene Buch blieb auch sein Bestes. Was sollte ich aber Freund Hänel anbieten? Ich hatte mich auch wieder mit einem Roman getragen, den ich »Wolfhart« betitelte. Ich hatte es auf diesem Felde mit einer Fortsetzung des Ofterdingen versucht. Ich hatte in Tieck-Hoffmann'scher Manier einen Roman, »Graf Gundolf«, geschrieben. Jetzt wollte ich die Idee der Religion recht universell dar stellen. Es fehlte mir aber an dichterischer, an epischer Erfindung. Die Reflexion überwog in mir. Es blieb bei einer Skizze. In den Begebenheiten und Gefühlen dieses Wolfhart schlug ein Theil meiner Berliner Erfahrungen nieder. Das war der Hauptgewinn, den ich davon hatte. Für einen Andern war das Product wenig genießbar. Natürlich konnte diese Skizze kein Buch füllen. Ich mußte also noch für weiteren Druckstoff sorgen. So schrieb ich[297] denn eine Abhandlung über den Begriff des Romans, die ich der Skizze voranschickte. Dann machte ich eine Auswahl aus meinen Gedichten und gab zuletzt eine Abhandlung über Wolfram's Parcival, die, trotz ihrer phänomenologischen Einkleidung, welche die ganze altdeutsche Schule billig mit Staunen erfüllen mußte, doch noch, am Ende des Büchleins, das Gescheiteste darin war.

Diese bunte Sammlung betitelte ich recht prosaisch: »Aesthetische und poetische Mittheilungen von Karl Rosenkranz.« Eine Widmung fehlte selbstverständlich auch nicht. Sie war an meine Freunde Volk, Simon, Genthe und Nöldechen gerichtet. Zum ersten Male genossen wir nun, Genthe und ich, die Freuden und Leiden der Correcturbogen und zur Ostermesse waren unsere literarischen Erstlinge in elegantem Umschlag für den Buchhandel fertig. Hänel gab Jedem von uns funfzig Thaler Honorar, und so waren wir über die ganze Angelegenheit sehr vergnügt. So sehr war die ganze Zeit noch in die Romantik versunken, daß meine schwachen Experimente von den Journalen nicht ohne Gunst und Ermunterung aufgenommen wurden. – Eine Folge wenigstens hatte mein Buch, die Erwähnung verdient. Ich hatte einen Landsmann Schulze in Magdeburg, mit dem ich auch einigermaßen verkehrte. Er war Jurist. Ein ernster, sittlich und religiös tiefer Sinn und rege Theilnahme an der Literatur zeichneten ihn vortheilhaft aus. Dieser treffliche Mensch wurde durch meine Abhandlung über den Parcival veranlaßt, sich genauer mit ihm zu beschäftigen und hat ihm in der Folge den besten Theil seines Lebens gewidmet. – Ein Beamter fürchtete damals sich mißliebig zu machen, wenn er neben seinem Beruf merken ließ, daß er literarische Allotria treibe. Man verübelte ihm dies als eine Beeinträchtigung seiner Amtspflichten.

Immermann hatte sich freilich darüber hinweggesetzt, indessen gerade die Art und Weise, wie die höheren Vorgesetzten in Magdeburg eine solche Unschicklichkeit besprachen, schüchterte die jungen Leute ein. Mein Freund Volk hat, auch als er schon wohlbestallter Regierungsrath in Erfurt war, auf keiner seiner vielen Schriften seinen Namen genannt. Er schrieb anonym oder pseudonym. Zuletzt hatte er den Namen Ludwig Clarus angenommen, um damit zwei Damen, Luise und Clara, zu verherrlichen, denen er sich zum Ritter geweiht hatte. Mein wackerer[298] Freund Schulze nannte sich San-Marte, und unter diesem Namen hat er sich durch eine große Thätigkeit, welche stets Wolfram von Eschenbach und dem Gral zugewandt blieb, einen wohlverdienten Ruhm erworben.

So war nun mein Triennium zu Ende, d.h. die Zeit, welche ein Theologe gewöhnlich zu studiren pflegt. Hinrichs aber hatte mir so viel von Daub in Heidelberg vorgesprochen, wie derselbe der größte Deutsche lebende Theologe sei, der Schleiermacher bei Weitem überbiete, daß ich die größte Sehnsucht hatte, diesen Mann persönlich kennen zu lernen. Nicht wenig trug natürlich auch das Verlangen dazu bei, das romantische Heidelberg zu schauen und die Orte zu besuchen, in denen die Geschichte des Deutschen Mittelalters vorzüglich gespielt hatte. Ganz speciell aber war es die Unruhe, die mich über den Titurel erfaßt hatte. Den Druck von 1477 konnte ich mir nicht verschaffen. Auf der Heidelberger Bibliothek aber waren zwei Handschriften vom Titurel, eine ältere und eine jüngere. Was für Entdeckungen ließen sich da vielleicht machen? Die große Güte meines lieben Vaters setzte meiner Uebersiedelung nach Heidelberg kein Hinderniß entgegen.

Ich könnte nun noch Mancherlei von dem Studentenleben in Halle erzählen, allein ich will es übergehen, da dasselbe in seiner damaligen Gestalt oft genug geschildert worden ist, ich auch, obwohl ich viel Bekannte hatte, doch verhältnißmäßig zurückgezogen lebte. Nur eines Studenten will ich noch gedenken, weil er mir für die Signatur der ganzen Zeit zu charakteristisch erscheint. Es war ein Pommer, ein Theologe, ein hochgewachsener, blasser Mensch, mit grauen, erloschenen Augen und langen Haaren. Er konnte in's Unendliche hin trinken, ohne betrunken zu werden, weshalb er den Namen Schlauch empfangen hatte. Nur unter diesem habe ich ihn gekannt. Für gewöhnlich war er still und in sich versunken. Wenn er aber einige Gläser oder auch Flaschen getrunken hatte, fing er an, gesprächig zu werden. Die fahlen Augen begannen zu phosphoresciren und plötzlich pflegte er uns dann zu fragen, ob er uns nicht etwas erzählen solle? Das war seine Leidenschaft. Er erzählte mit der höchsten Behaglichkeit, indem er die Personen der Geschichte oft ganz dramatisch mit einander reden ließ. Allmälig hatte er gewisse Themata, auf die er immer wieder zurückging,[299] sie jedoch bei einem neuen Vortrag auch nach Laune, Gelegenheit und Bedürfniß veränderte, wozu vorzüglich die Episodenerfindung beitrug. Gern hörte man ihm zu und es war unter uns ausgemacht, daß wir, da er ein armer Schlucker war, stets die Zeche für ihn bezahlten. Dieser akademische Rhapsode, Schlauch geheißen, hatte nun vorzüglich einen Cyklus von Geschichten ausgebildet, den er: »Reisen unseres Herrgotts mit Herrn Satanas zur Erkundung der besten Dogmatik« betitelte. Früherhin habe ich selber noch gar Mancherlei daraus vortragen können. Leider sehe ich jetzt, daß ich fast Alles vergessen habe und mich darauf beschränken muß, eine allgemeine Vorstellung von diesem echt Halle'schen Studentenwitz zu geben.

Er fing damit an, den Satanas sich bei dem Herrgott über die schlechte Behandlung beklagen zu lassen, die ihm jetzt von den Rationalisten zu Theil werde. Er ließ den Herrn mit »Sie« vom Satan tituliren, während er von ihm per »Er« tractirt wurde. Gott fragte, womit er seine Klage beweise? Sie erlauben, antwortete der Teufel, daß ich Ihnen zunächst aus Wegscheider's dogmatischen Institutionen die mich betreffenden Stellen mittheilen darf. Nachdem dies geschehen, erkennt Gottvater die Berechtigung seiner Beschwerde an, will sich aber selber von dem Zustande der Dogmatik auf den Deutschen Universitäten überzeugen und schlägt dem Satanas vor, mit ihm eine Revisionsreise zu machen. Dieser macht allerlei komische Einwendungen, nimmt jedoch schließlich an. Sie werfen sich nun in die Maske zweier Studenten und fangen ihre Wanderung auf der Erde an. Vor den Menschen verkehren sie mit einander im Duzcomment, für sich allein jedoch wieder per Sie und per Er. Hierdurch entstand eine sehr wirksame Abwechselung. – Schlauch war nun in der Erfindung ergötzlicher Verlegenheiten, in welche die Reisenden gerathen, unerschöpflich. Sie kommen z.B. in ein Wirthshaus, worin nur ein Bett vorhanden ist, welches ihnen als ein zweischläfernes angewiesen wird. Als sie nun zur Ruhe gehen wollen, behauptet Gottvater, daß er unmöglich mit dem Satan dasselbe Bett theilen könne. Dieser sucht zu beweisen, daß er als ermüdeter Fußreisender dasselbe Recht darauf habe. Gottvater will aber nur dogmatische Gründe gelten lassen. Er citirt Bibelstellen, Auctoritäten der Theologie. Satanas opponirt mit andern Stellen. So[300] disputiren sie, bis zuletzt Satanas überführt wird, daß er mit der Gnade zufrieden sein müsse, auf dem Teppich vor dem Bett schlafen zu dürfen. – Zum Kranklachen für uns Studenten waren nun die Scenen, worin Schlauch Gottvater und Satanas ihre Nachschriften von Vorlesungen der Professoren, bei denen sie hospitirten, vergleichen ließ, oder worin Satanas dem Herrgott die Entdeckung glaubte mittheilen zu müssen, daß die Menschen nicht blos nicht mehr an ihn, sondern sogar nicht mehr an Gott selber glaubten.

Bei solchen Bemerkungen drückte sich Satanas immer mit einer gewissen Schüchternheit aus, denn Schlauch verstand nicht ohne Kunst das Verhältniß der beiden Hauptpersonen seiner lustigen Schnurren so zu halten, wie es die Bibel im Eingang des Hiob darstellt. Satan blieb immer ein Diener des Höchsten. Er war in der Oekonomie des Heils von ihm als der Versucher der Menschen angestellt, Gottvater behandelte daher seine dünnen Einfälle mit Nachsicht. Die Pointe des Ganzen wurde im Wintersemester die Frage nach dem Verhältniß der rationalistischen Dogmatik von Wegscheider zur supranaturalistischen von Tholuck, wobei Schlauch nicht verfehlte, beide Professoren, die auch in ihrer äußeren Erscheinung völlige Extreme waren, auf dem Katheder selber vorzuführen und drastisch zu copiren. Was meinen Sie, ließ er Satan den Herrn fragen, wenn ich dem verstockten Wegscheider in meiner infernalen Figur einmal auf seinem Studirzimmer erschiene, ihn von meiner Persönlichkeit zu überzeugen? – Würde Ihm gar nichts helfen, brummte Gottvater; dieser Verblendete würde Ihn nur für eine Sinnestäuschung halten. – Aber, fuhr Satan fort, bei Professor Tholuck sollte ich mich doch wohl bedanken, sich, nach Kräften wenigstens, meiner persönlichen Existenz angenommen zu haben. – Er ist und bleibt doch, entgegnete der Herr, ein dummer Teufel. Sieht Er denn nicht, daß dieser Tholuck sich sogleich an Luther's Beispiel erinnern und Ihm das Tintenfaß an den Kopf werfen würde?

Manche von meinen damaligen theologischen Bekannten haben hinterher theils große Carrière gemacht, theils im Kampfe der Systeme sich wunderlich genug umhergeworfen. Ich gerieth jedoch mit Keinem von ihnen in Conflict, wahrscheinlich weil ich zu sehr mit mir selber und mit der Philosophie beschäftigt war. Nur ein einziger Student[301] verleidete mir im Winter gar manche Stunde. Es war ein Philologe, ein Verwandter von mir. Er war ein Plagegeist unserer ganzen Familie. Ich habe hinterher noch öfter die Beobachtung machen können, daß in großen, vielverzweigten Familien sehr gewöhnlich ein mißrathenes Subjekt vorkommt, welches unaufhörlich die unangenehmsten Verlegenheiten erzeugt und sich Jedem zur Unzeit und zur peinlichsten Belästigung aufdrängt. Als Menschen verabscheut man solche Buben, aber der Ehre der Familie halber hilft man ihnen, so gut es geht, fort, manchmal auch nur aus Ekel, um sie los zu werden. An Besserung ist selten zu denken. In späteren Jahren habe ich jedoch erlebt, daß ein solcher Verwahrloster dem Rauhen Hause bei Hamburg übergeben und dort wirklich zu einem sittlichen Menschen umgewandelt wurde. In der Regel verräth sich das böse Genie solcher Individuen schon auf der Schule. Auch jener Student war als Schüler bereits von Gymnasium zu Gymnasium geschickt. Mein Vater hatte ihn endlich in Magdeburg aufgenommen. Als er hier aber in einer Nacht ein Attentat auf eine hübsche Magd machte, und diese am Morgen bei meinem Vater klagbar ward, warf ihn dieser, der in solchen Dingen keinen Spaß verstand, sofort aus dem Hause. Er machte dann in Berlin bei der Universität das Abiturientenexamen und wurde immatriculirt. Ich vermied seinen Umgang und berührte mich nur einige Male mit ihm bei Verwandten. Nach einigen Monaten wurde er religirt. Seine Mutter kam nach Berlin und bewirkte durch ihre Bitten, daß das Ministerium ihm die Erlaubniß gab, eine andere Universität beziehen zu dürfen.

Darüber war es Michaelis 1826 geworden, wo er nach Halle kam. Bevor er aber hier noch immatriculirt wurde, betrank er sich mit Sinnesgenossen und warf eine geleerte Kümmelflasche durch ein Fenster des Senatszimmers auf der Waage. Er wurde als der Thäter ermittelt und zu sechs Wochen Carcer verurtheilt, nachdem es seinem Vater, der selber in Halle studirt hatte, mit vieler Mühe gelungen war, die schon für ihn beschlossene Exclusion rückgängig zu machen. Dieser Student, ein großer, starker, nicht unbegabter Mensch, wurde meine Qual. Da ich ihm nach einer in Berlin mit ihm gemachten Erfahrung kein Geld borgte, so entlieh er Bücher von mir, namentlich einen schön[302] eingebundenen Tacitus, um sie, wie ich später erfuhr, zu verkaufen. Er kam von Zeit zu Zeit zu mir, wenn er ganz ausgehungert war und stopfte sich dann mit Brod und Bier bei mir voll. Er verdarb mir durch seine Planmacherei, in die Armee zu treten, oder nach Rußland zu gehen u.s.w. schöne Stunden. Als ich in den Weihnachtsferien dem Studium des Parcival oblag, schloß ich mich, aus Furcht vor seinem Besuch, ein, was ich sonst nie thue. Seit ich Halle verlassen, habe ich ihn nicht wieder gesehen. Ich hörte, daß er bald auch Halle hatte meiden müssen und nach Kiel gegangen war. Er war inzwischen mündig geworden und sein Vater weigerte sich, die Schulden, die er stets von Neuem anhäufte, zu bezahlen. Er sank daher in äußerste Dürftigkeit herab, die ihn zwang, zeitweise durch niedrige Handleistungen bei den Studenten sich zu ernähren. Manchmal raffte er sich auf, ihnen einen Vortrag im Saal einer Kneipe zu halten und nahm dafür eine Pränumeration von ihnen auf, welche sie ihm theils aus Mitleid, theils des Jocus halber gewährten. So soll er unter Anderem ein Lustspiel vorgetragen haben, worin er die Caricatur eines Preußischen Lieutenants schilderte, den er jeden Augenblick die unsinnige Kraftformel: »Haar und Karbatschenstiel« anbringen ließ. – Ich bin, da ich als Professor zwar nicht so excentrische, aber doch ähnliche dem Untergang zutaumelnde Subjekte kennen gelernt habe, über die Unverwüstlichkeit derselben oft erstaunt und kann sie mir nur dadurch erklären, daß sie, von Mutter Natur ursprünglich mit einer gewissen Ueberfülle ausgestattet, viel ursprüngliche Kraft in sich bergen. Ihr Leichtsinn läßt sie in den Tag hinein leben. Sie kommen selten zu einer tieferen Empfindung ihrer moralischen Unwürdigkeit. Stärkere Anwandlungen der Reue werden durch den Trunk gescheucht. Das unfreiwillige Fasten, welchem sie sich periodisch unterwerfen müssen, wirkt reinigend auf ihre Gesundheit. Wenn sie wieder zu Geld gelangen, genießen sie mit einer Lust, die man gesehen haben muß, ihre thierische Intensität zu fassen. Sie sind in ihrem Müssiggang doch stets mit Entwürfen von anständig scheinenden Plänen beschäftigt, durch deren Vorspiegelung sie von der Gutmüthigkeit der ehrlichen Tröpfe Nutzen zu ziehen hoffen. Die Fußwanderungen, zu denen die Noth sie zwingt, erhalten ihre Rüstigkeit noch bis zu einem gewissen Punkt, wo sie, physisch und moralisch ausgehöhlt,[303] plötzlich zusammenbrechen. – Ich hatte jenen Verwandten fast aus dem Gedächtniß verloren, sollte aber 1848 ganz unerwartet an ihn erinnert werden, als ich nach Berlin berufen ward, in das Ministerium zu treten. Er war, wie dies häufig bei so verlorenen Menschen der Fall ist, nach mancherlei Irrfahrten doch wieder in seine Heimath zurückgekommen. Er preßte seinen Eltern ab und zu Geld ab und lebte zuletzt als Winkelschreiber in Magdeburg. Daß ich es so weit bringen sollte, sogar Minister zu werden, versetzte ihn in die äußerste Wuth gegen mich. Er hatte mich als Gymnasiast und Student gekannt, und nun setzte er sich hin, Alles, was er von mir und meiner Familie wußte, in der scheußlichsten Weise zu entstellen und mich durch die infamsten Verdächtigungen und Verleumdungen, durch die elendesten Schmähungen, in demokratisch radicalen Blättern zu discreditiren. Er rächte sich dafür, daß mein Vater ihn, seiner Lüderlichkeit halber, aus dem Hause geworfen, und daß ich ihm in Halle Wohlthaten erzeigt hatte. Er starb bald darauf in cynischer Verkommenheit.

Von Halle nach Magdeburg sind nur eilf Meilen Wegs. Man konnte sie mit der Post oder auch mit Journalieren zurücklegen, die vom Gasthof zum goldenen Ring am Markt in den frühesten Morgenstunden abfuhren und gegen zehn Uhr in Magdeburg anlangten. Das war für uns Studenten die gewöhnliche Reisegelegenheit. In der Haupt- und Residenzstadt des Herzogthums Anhalt-Bernburg wurde eine Stunde Mittag gemacht. Die Gesellschaft war sehr gemischt, oft sehr langweilig oder geradezu unangenehm. Als ich nun gegen Ostern in dieser Weise nach Hause fuhr, suchte ich nach einem Thema, welches mich die langen Stunden im Stillen beschäftigen und von meiner Umgebung abziehen könnte. Bald fiel ich auf ein solches. Karl Immermann hatte mir zum Dank dafür, daß ich ihm das Original von Gryphius Theater aus Berlin besorgt hatte, seine Bearbeitung von dessen Trauerspiel, Cardenio und Celinde, geschenkt. Es versteht sich nach Allem, was ich früher über mein Verhältniß zu Immermann gesagt habe, daß ich seine Arbeit damals für eine sehr bedeutende hielt. Ich beschäftigte mich nun auf der so prosaischen Fahrt von Halle nach Magdeburg mit dem Gedanken zu einer kleinen Schrift, durch welche ich das Publikum in ein besseres Verständniß der Dichtung einführen[304] wollte, und zauderte auch nicht, gleich in der ersten Woche meines Aufenthalts im väterlichen Hause die Abhandlung zu Papier zu bringen. Was that ich aber? Verständigerweise hätte ich auf Gryphius selber zurückgehen müssen, was in sofern keine Schwierigkeiten bot, als Ludwig Tieck das Stück 1817 im zweiten Theile seines Deutschen Theaters hatte abdrucken lassen, woher es mir auch bekannt war. Sodann hätte ich die Behandlung zu besprechen gehabt, welche Achim von Arnim zu Anfang dieses Jahrhunderts dem Stoff unter dem Titel: Halle und Jerusalem, hatte angedeihen lassen. Diese weitläufige Composition war wohl einer der wildesten Schößlinge der Romantik. Das Halle'sche Studentenleben wird darin getreulich conterfeit, denn Cardenio studirte in Halle. Die Zauberin Tiche wurde in eine intriguante Kriegsräthin umgewandelt. Die Missionsanstalt des Halle'schen Waisenhauses machte die Brücke von Halle nach Jerusalem, wo der ewige Jude zu größerem Effekt herbeigezogen wurde. Zuletzt hätte ich zeigen müssen, wie Immermann wieder mehr auf die psychologischen Motive zurückging, welche Gryphius in seinem Vorwort mehr andeutet, als ausführt. Nichts von alle dem! Ich interpretirte, in der Manier von Hinrichs Erklärungen zum Faust, lauter Kategorien der Hegel'schen Phänomenologie in die Personen hinein. Ich glaubte, etwas recht Schönes zu Stande gebracht zu haben, aber meine Bekannten, denen ich das Machwerk vorlas, lachten mich geradezu aus. Besonders meine halb naturphilosophische Construction der Hexe Tiche verfiel ihrem Spott. Ich hatte das Schriftchen drucken lassen wollen, kühlte mich aber bald ab, und endete damit, es noch vor meiner Abreise von Magdeburg den Flammen als eine Verirrung zu übergeben.

Quelle:
Rosenkranz, Karl: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, S. 272-305.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon