Allgemeine Ansicht des Weltsystems.
(Zusatz zum ersten Kapitel.)

[283] Sehr bedeutend haben die Alten und nach ihnen die Neueren die reale Welt als natura rerum oder die Geburt der Dinge bezeichnet:[283] denn sie ist derjenige Teil, in welchem die ewigen Dinge oder die Ideen zum Dasein kommen. Dieses geschieht nicht durch Dazwischenkunft eines Stoffs oder Materie, sondern durch die ewige Subjekt-Objektivierung des Absoluten, kraft deren es seine Subjektivität und die in ihr verborgene und unerkennbare Unendlichkeit in der Objektivität und Endlichkeit zu erkennen gibt und zu Etwas macht. Dieser Akt ist, wie wir aus dem Vorhergehenden wissen, in dem An sich nicht von seinen entgegengesetzten getrennt, und erscheint als dieser überhaupt nur dem, welches selbst in ihm liegt und sich nicht durch die entgegengesetzte Einheit integriert, wodurch es sich in sein An sich oder absolutes Dasein rekonstruierte.

Durch den Akt selbst nämlich, in welchem das Absolute seine Einheit in der Unterscheidbarkeit zu erkennen gibt, hat jede in das Besondere gebildete Einheit das notwendige Bestreben in sich selbst zu sein und in der Besonderheit oder Art ihrer Identität als solcher das Wesen erkennbar zu machen. Wie also das Universum überhaupt, so wird auch jedes Ding in der Natur nur von seiner Einen Seite, nämlich der der Einbildung seines Wesens in die Form, erkannt.

Da nun das Ding nicht in der Sphäre des Für-sich-selbst- und In-sich-selbst-Seins als solcher existieren kann, ohne in seiner Besonderheit zu sein, diese aber nur in der bloß relativen und unvollkommenen Identität erkennbar ist (weil in der absoluten Form alles eins ist), so erscheint es notwendig mit bloß relativer Identität des Unendlichen und Endlichen und, weil diese von der absoluten, der Idee, immer und notwendig nur ein Teil ist, in der Zeit; denn die Zeitlichkeit ist in Ansehung eines jeden Dings eben dadurch gesetzt, daß es nicht alles, was es seinem Wesen oder der Idee nach sein kann, in der Tat und der Form oder Wirklichkeit nach ist.

Die Form nun der Objektivierung des Unendlichen im Endlichen, rein als solche in der Unterscheidbarkeit aufgenommen, als Erscheinungsform des An sich oder Wesens, ist die Leiblichkeit oder Körperlichkeit überhaupt. Inwiefern also die in jener Objektivierung der Endlichkeit eingebildeten Ideen erscheinen, insofern[284] sind sie notwendig körperlich; inwiefern aber in dieser relativen Identität als Form gleichwohl das Ganze sich abbildet, so daß sie auch in der Erscheinung noch Ideen sind, sind sie Körper, die zugleich Welten sind, d.h. Weltkörper. Das System der Weltkörper ist demnach nichts anderes als das sichtbare, in der Endlichkeit erkennbare Ideenreich.

Das Verhältnis der Ideen zueinander ist, daß sie ineinander sind, und doch jede für sich absolut ist, daß sie also abhängig und unabhängig zugleich sind, ein Verhältnis, das wir nur durch das Symbol der Zeugung ausdrücken können. Unter den Weltkörpern wird demnach eine Unterordnung stattfinden, wie unter den Ideen selbst, nämlich eine solche, welche ihre Absolutheit in sich nicht aufhebt. Für jede Idee ist diejenige, in der sie ist, das Zentrum: das Zentrum aller Ideen ist das Absolute. Dasselbe Verhältnis drückt sich in der Erscheinung aus. Das ganze materielle Universum verzweigt sich von den obersten Einheiten aus in besondere Universa, weil jede mögliche Einheit wieder in andere Einheiten zerfällt, von denen jede als die besondere nur durch fortgesetzte Differenzierung erscheinen kann. Es muß aber unter Weltkörpern die erste Identität verstanden werden, in der noch nichts gesondert ist, obgleich mit der ersten Sonderung des Weltkörpers, als endlichen, auch die fernere Sonderung dessen was in ihm ist gesetzt wird, so daß er, selbst endlich, auch keine andere als endliche Früchte tragen kann. Denn so wie er selbst eine Idee ist, die durch sich selbst, als besondere Form, erscheint, so können auch alle andern Ideen, die ihm eingebildet sind, und die er aus sich hervorbringt, nicht in ihrem An sich, sondern nur durch einzelne wirkliche Dinge objektiv werden. Von jener ersten Identität sind also das, was wir organische und unorganische Materie nennen, selbst wieder nur Potenzen. Insofern ist der Weltkörper in seiner ersten Identität nicht unorganisch, da er zugleich organisch ist; nicht organisch in dem Sinn, daß er nicht zugleich das Unorganische oder den Stoff, den das Organische außer sich hat, in sich selbst hätte. Wir nennen Tier nur das relative Tier, für welches der Stoff seines Bestehens in der unorganischen Materie liegt; der Weltkörper aber ist das absolute Tier, das alles, dessen es bedarf, also auch das, was für das[285] relative Tier noch als unorganischer Stoff außer ihm ist, in sich selbst hat.

Das Sein nun und Leben aller Weltkörper, welches in der Erscheinung dem der Ideen gleicht, ruht in der gedoppelten Einheit aller Ideen, der, wodurch sie in sich selbst, und der, wodurch sie im Absoluten sind. Diese beiden Einheiten sind aber wieder eine und dieselbe Einheit. Die erste ist die, in welcher das Unendliche sich in ihrer Besonderheit expandiert, die andere die, in welcher ihre Besonderheit in die Absolutheit zurückkehrt, jene, wodurch sie in sich selbst, außer dem Zentro, die andere, wodurch sie im Zentro sind.

Inwiefern nun diese beiden Einheiten mit denen der Ausdehnungs- und Anziehungskraft verglichen werden können, welche die bisherige Physik als allgemeine Prinzipien eines Natursystems ihren Theorien zugrunde gelegt hat, wird in den folgenden Zusätzen genauer beantwortet werden. Indes verweisen wir den Leser, welcher von den Gesetzen des Weltsystems nach der Lehre der Naturphilosophie weiter unterrichtet sein will, auf das Gespräch: Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge (Berlin bei Unger 1802), sowie auf die ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie, § VII, in der Neuen Zeitschrift für spekulative Physik, ersten Bandes zweites Heft.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 283-286.
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