Erstes Kapitel.
Von Attraktion und Repulsion überhaupt, als Prinzipien eines Natursystems

[274] Wir setzen indes voraus, daß die Gesetze wechselseitiger Anziehung und Zurückstoßung allgemeine Naturgesetze seien, und fragen, was aus dieser Voraussetzung notwendig folgen müsse.[274]

Sind beide allgemeine Naturgesetze, so müssen sie die Bedingungen der Möglichkeit einer Natur überhaupt sein. Zunächst aber betrachten wir sie nur in bezug auf die Materie, insofern sie Gegenstand unserer Erkenntnis überhaupt ist, abgesehen von aller spezifischen und qualitativen Verschiedenheit derselben. Sie müssen also vorerst als Bedingungen der Möglichkeit der Materie überhaupt betrachtet werden, und es muß keine Materie ursprünglich gedacht werden können, ohne daß zwischen ihr und einer andern Anziehung und Zurückstoßung stattfinde.

Dies setzen wir voraus. Ob und warum das so sein müsse, wird späterhin untersucht werden.

Materie ist uns vorjetzt nichts, als überhaupt etwas was, nach drei Dimensionen ausgedehnt, den Raum erfüllt.

Setzen wir nun Anziehung und Zurückstoßung zwischen zwei ursprünglichen Massen, denn dies ist das Geringste, was wir voraussetzen können; diese Massen können wir so klein, oder so groß denken, als wir wollen, mit der Einschränkung jedoch, daß wir beide als gleich annehmen (denn bis jetzt haben wir keinen Grund, sie als ungleich anzunehmen), so ergibt sich folgendes: Ihre anziehenden und zurückstoßenden Kräfte müßten sich wechselseitig aufheben (wechselseitig sich erschöpfen), ihre Attraktions- und Repulsionskraft ist nur eine gemeinschaftliche, und da sie ihr Dasein im Raume nur durch jene Kräfte offenbaren, so fällt auch der Grund der Verschiedenheit zwischen ihnen hinweg, sie können nicht als Entgegengesetzte, sondern nur als eine Masse betrachtet werden.

Aber keine Materie ist und kann sein anders, als durch Wirkung und Gegenwirkung anziehender und zurückstoßender Kräfte; befindet sich also außer jenen beiden Grundmassen A und B nicht eine dritte C, gegen die sie jetzt ihre gemeinschaftliche Wirkung richten, so sind A und B, da sich ihre Kräfte wechselseitig aufheben und jetzt nur Eine gemeinschaftliche Kraft vorstellen, in der Tat = 0, denn es ist nichts da, worin sie wirken, und nichts, was in ihnen wirken könnte; setzen wir aber eine dritte (den beiden ersten immer noch gleiche) Masse, so wird dies das reinste, schönste und ursprünglichste Verhältnis sein.[275]

Denn zwei gleiche Massen können als solche nicht außereinander und demnach verschieden sein, ohne in einer dritten wieder eins und ineinander zu sein, und zwar so, daß sie in dieser dritten sich nicht summieren oder eine die andere vermehrt: denn sonst wären sie wieder nur in jener und nicht außereinander, sondern so, daß die zwei unter sich und mit der dritten eins und jede der beiden ersten zugleich die ganze dritte und ihre eine Seite sei. Denn allgemein können zwei Dinge, wie Plato im Timäus sagt, ohne ein Drittes nicht bestehen, und das schönste Band ist dasjenige, welches sich selbst und das Verbundene auf das Beste zu Eins macht, so daß sich das Erste zu dem Zweiten wie dieses zu dem Mittleren verhält.95

Nehmen wir aber anstatt der zwei gleichen Grundmassen A und B zwei ungleiche an, so werden sich zwar ihre beiderseitigen Kräfte nicht wechselseitig, aber die Kraft der einen (etwa A) wird die der andern (B) völlig aufheben, und so haben wir immer wieder nur Eine Masse, die einen Überschuß von Kraft hat, den wir uns nicht denken können, ohne ihm sogleich wieder ein Objekt zu geben, an dem er sie nütze.

In beiden Fällen also müssen wir, um das Verhältnis zwischen zwei Grundmassen zu denken, schon ein zweites, in welchem sie beide zu einem dritten stehen, hinzudenken, und dies gilt von der kleinsten, wie von der größten Masse.

Betrachten wir das Verhältnis zwischen drei ursprünglichen gleichen Massen, die sich alle wechselseitig anziehen und zurückstoßen, so wird zwar keine einzelne ihre Kraft an der andern erschöpfen, denn jede einzelne stört in jedem Augenblick die Einwirkung der einen auf die andere, da jede (nach der Voraussetzung) in jeder andern auf gleiche Weise das Zentrum hat und auf gleiche[276] Weise außer ihr ist. Nach demselben Grunde, nach welchem A oder B eine Einwirkung von C erfahren müßte, erfährt dieses die gleiche von A und B und umgekehrt; es ist also bei dieser Gleichheit der Bestimmungsgründe überall keine Wirkung und, da diese sich in der Körperwelt als Bewegung ausdrückt, auch überall keine Bewegung. Diese könnte unter den angenommenen Massen nur gedacht werden, wenn A und B auf die gleiche Weise, wie C sich in sie zerlegt, sich wieder in andere und so zerlegte, daß die Gleichheit mit der dritten nur im Ganzen, aber nicht im Einzelnen existierte: nur in diese sekundäre Massen fiele die Bewegung, weil nur von diesen jede für sich mit der dritten ungleich ist, obschon sie im Ganzen die vollkommenste Einheit mit derselben darstellend.96

Soll also Bewegung in einem System entstehen, so müssen die Massen als ungleich angenommen werden. Daraus folgt allein schon, daß die ursprünglichste Bewegung vermöge dynamischer Kräfte keine geradlinigte sein kann. Dies muß auch so sein, wenn anders je ein System von Körpern möglich sein soll. Denn, da es der Begriff von System mit sich bringt, daß es ein in sich selbst beschlossenes Ganzes sei, so muß auch die Bewegung im System als lediglich relativ vorstellbar sein, ohne doch auf irgend etwas außer dem System Vorhandenes bezogen[277] zu werden. Dies wäre aber unmöglich, wenn alle Körper des Systems sich nach einer geraden Linie bewegten. Dagegen bedarf ein System, in welchem untergeordnete Körper um einen gemeinschaftlichen, unverrückbaren Mittelpunkt Linien beschreiben, die sich der Kreislinie mehr oder weniger annähern, eines außer ihm vorhandenen empirischen Raums nicht einmal in bezug auf mögliche Erfahrung (damit seine Bewegung als relativ vorgestellt werden könne). Denn in der Tat ist (wie Newton schon und Kant gezeigt haben) die Bewegung in einem solchen System ohne alle Beziehung auf einen außer ihm vorhandenen empirischen Raum doch keine absolute, sondern relative Bewegung, relativ nämlich in Beziehung auf das System selbst, in welchem die Körper, die zu ihm gehören, ihre Verhältnisse zueinander kontinuierlich verändern, aber immer nur in bezug auf den Raum, den sie selbst durch ihre Bewegungen (um den gemeinschaftlichen Mittelpunkt) einschließen. In bezug auf jedes andere mögliche System ist das vorausgesetzte System schlechthin Eines.

Gesetzt also auch, es wäre einem noch höheren untergeordnet, so würde das die Verhältnisse des Systems unter sich, als eines in sich selbst beschlossenen Ganzen, nicht ändern. Alle Bewegung in diesem System findet nur in bezug auf das System selbst statt. Jede Bewegung also, die ihm in Beziehung auf ein anderes System zukäme, wäre notwendig Eine Bewegung des ganzen Systems (als Einheit betrachtet). Eine solche Bewegung des ganzen Systems (in bezug auf ein System außer ihm) wäre, bezogen auf das System selbst, absolute, d.h. gar keine Bewegung (und so muß es sein, wenn das System ein System sein soll). Wohin auch im Weltraum das Ganze sich bewege, das System in sich selbst bleibt dasselbe, seine Körper beschreiben ins Unendliche fort dieselben Bahnen, und die innern Verhältnisse, worauf z. E. der Wechsel der Zeiten, der Klimate usw. auf dem einzelnen Körper beruht, begleiten das System auch durch die Laufbahn, für welche Jahrtausende keinen Maßstab abgeben.

Da also das untergeordnete System in bezug auf das höhere Einem Körper gleichgilt, und da man sich die Anziehungskräfte des ganzen Systems im Mittelpunkt vereinigt denken kann, so müßte der Zentralkörper (als Planet, der die übrigen als Trabanten[278] mit sich führte) zugleich einem höheren System angehören, ohne daß dieses Verhältnis auf die inneren Verhältnisse des untergeordneten Systems Einfluß hätte. Denn die Kraft, mit welcher der Zentralkörper gegen den Mittelpunkt eines andern Systems gezogen wird, ist zugleich auch die Kraft, mit der er die Planeten seines Systems anzieht. So beruht auf denselben Gesetzen, auf welchen das einzelne System beruht, auch das System der Welt, und mit der Auflösung des Problems, wie Materie überhaupt ursprünglich möglich ist, ist auch das Problem eines möglichen Universums aufgelöst.

Hat man die Prinzipien der allgemeinen Anziehung bis auf ihre ganze Höhe verfolgt,97 so kann man nun wieder zum einzelnen Weltkörper des Systems herabsteigen. Auf ihm muß nach demselben Gesetz, das ihn in seiner Bahn erhält, alles dem Mittelpunkt zustreben. Diese Bewegung gegen den Mittelpunkt des größeren Körpers heißt dynamisch, weil sie vermöge dynamischer Kräfte geschieht. Jede Bewegung aber ist nur relative, und der apagogische Beweis eines Satzes, daß aus seinem Gegenteil eine absolute Bewegung erfolgen müßte, gilt überall mit gleicher Evidenz. Jede Bewegung ist relativ, heißt: ich muß, um Bewegung wahrzunehmen, außer dem bewegten Körper einen andern setzen, der wenigstens in bezug auf diese Bewegung ruht, ob er gleich in bezug auf einen dritten, insofern ruhenden Körper selbst wieder bewegt sein kann, und so ins Unendliche fort. Daher die zur Möglichkeit der Erfahrung notwendigen sinnlichen Täuschungen z.B. von Ruhe der Erde und Bewegung des Himmels, die der Verstand zwar aufdecken, aber nie vernichten kann.

Nicht genug; im Körper, der sich bewegt, selbst muß relative Ruhe stattfinden, d.h. die Teile des Körpers, indem sie alle ihr Verhältnis zu andern Körpern im Raume ändern, müssen ihr Verhältnis unter sich nicht ändern, und wenn sie es ändern, so müssen, um dieses wahrnehmen zu können, andere da sein,[279] die es nicht ändern, d.h. der Körper muß wenigstens beharrend sein, auch wenn er nicht in beharrlichem Zustande ist.

Die Materie (als solche) ist keiner Veränderung ihres Zustandes fähig, ohne Einwirkung äußerer Ursache. Dies ist das Gesetz der Trägheit der Materie, das vom Zustand der Ruhe und Bewegung ganz gleich gilt. Allein die Materie kann durch äußere Ursache nicht bewegt werden, es sei denn, sie setze ihr tätige, bewegende Kräfte (Undurchdringlichkeit) entgegen. Ruht also der Körper, oder bewegt er sich, durch äußere Kräfte getrieben (denn beides ist in dieser Rücksicht völlig gleichgültig), so muß die Wirkung seiner eigentümlichen Bewegungskräfte als unendlich klein gedacht werden; im ersten Fall, weil er in seinem Zustande beharret, im andern, weil er ausdrücklich durch äußere Ursache in Bewegung gesetzt sein soll. Die relative Ruhe also, die dem Körper in bezug auf sich selbst zukommt, findet statt, er mag in bezug auf Körper außer ihm in Ruhe oder in Bewegung gedacht werden.

Allein ich kann mir ebensowenig Bewegung ohne Ruhe, als Ruhe ohne Bewegung denken. Alles, was ruht, ruht nur insofern, als ein anderes bewegt ist. Die allgemeine Bewegung des Himmels nehme ich nur wahr, insofern ich die Erde als ruhend ansehe. So beziehe ich selbst die allgemeine Bewegung auf partiale Ruhe. Allein gerade so wie die allgemeine Bewegung partiale Ruhe voraussetzt, setzt diese wieder eine noch partialere Bewegung, diese eine noch partialere Ruhe voraus, und so ins Unendliche. Ich kann mir die Erde in bezug auf den Himmel nicht als ruhend vorstellen, es sei denn, daß auf ihr selbst wieder partiale Bewegung stattfinde, und diese partiale Bewegung z.B. der Luft, der Ströme, der festen Körper, wieder nicht, ohne in ihnen selbst partiale Ruhe vorauszusetzen usw.

In jedem Körper also, der sich bewegt, denke ich mir innere Ruhe, d.h. ein Gleichgewicht der innern Kräfte; denn er bewegt sich nur, insofern er Materie innerhalb bestimmter Grenzen ist. Bestimmte Grenzen aber können nur als Produkt entgegengesetzter, wechselseitig sich beschränkender Kräfte gedacht werden.[280]

Allein dieses Gleichgewicht der Kräfte, diese partiale Ruhe des Körpers kann ich mir nicht denken, als in bezug auf das Gegenteil – aufgehobenes Gleichgewicht und partiale Bewegung. Dieses aber soll jetzt, indem der Körper sich bewegt, nicht stattfinden, denn er soll sich als Körper, d.h. als Materie innerhalb bestimmter Schranken (in Masse) bewegen. Also kann ich mir auch jenes gestörte Gleichgewicht (die partiale Bewegung im bewegten) Körper nicht als wirklich, aber ich muß es notwendig als möglich denken. Diese Möglichkeit aber soll keine bloß gedachte, sie soll eine reale Möglichkeit sein, die in der Materie selbst ihren Grund hat.

Aber die Materie ist träg. Bewegung der Materie ohne äußere Ursache ist unmöglich. Also kann auch jene partiale Bewegung nicht eintreten ohne äußere Ursache. Nun kann aber, so viel wir bis jetzt wissen, nur ein bewegter Körper einem andern Bewegung mitteilen. Die partiale Bewegung aber, von der wir sprechen, soll völlig verschieden sein von jener, die durch Stoß, durch Mitteilung bewirkt wird, – sie soll ihr sogar entgegengesetzt sein. Also kann es keine Bewegung sein, die ein bewegter Körper dem andern mitteilt – also – dies folgt notwendig – muß eine Bewegung sein, die auch der ruhende Körper dem ruhenden mitteilt. Nun heißt jede Bewegung, die durch Stoß bewirkt wird, mechanisch, Bewegung aber, die der ruhende Körper im ruhenden bewirkt, chemisch; also hätten wir eine Stufenfolge der Bewegungen – nämlich:

Allen übrigen Bewegungen geht notwendig voran die ursprüngliche, dynamische (die nur durch Kräfte der Anziehung und Zurückstoßung möglich ist). Denn auch mechanische, d.h. durch Stoß mitgeteilte Bewegung kann nicht stattfinden, ohne Wirkung und Gegenwirkung anziehender und zurückstoßender Kräfte im Körper. Kein Körper kann gestoßen werden, ohne daß er selbst rebellierende Kraft äußere, und keiner kann sich in Masse bewegen, ohne daß in ihm Kräfte der Anziehung wirken. Noch viel weniger kann eine chemische Bewegung stattfinden, ohne ein freies Spiel der dynamischen Kräfte.

Der mechanischen gerade entgegengesetzt ist die chemische Bewegung. Jene wird einem Körper durch äußere[281] Kräfte mitgeteilt, diese im Körper zwar durch äußere Ursachen, aber doch, wie es scheint, durch innere Kräfte bewirkt. Jene setzt im bewegten Körper partiale Ruhe, diese setzt, gerade umgekehrt, im unbewegten Körper partiale Bewegung voraus.

Wie sich die chemische Bewegung zur allgemeinen dynamischen verhalte, ist so schnell nicht ausgemacht. So viel ist gewiß, daß beide nur durch anziehende und zurückstoßende Kräfte möglich sind. Die allgemeinen Kräfte der Anziehung und Zurückstoßung aber, insofern sie Bedingungen der Möglichkeit einer Materie überhaupt sind,98 liegen jenseits aller Erfahrung. Dagegen setzen die Kräfte der chemischen Anziehung und Zurückstoßung bereits die Materie voraus und können deshalb gar nicht anders als durch Erfahrung erkannt werden. Jene werden, da sie aller Erfahrung vorangehen, als absolut-notwendig, diese als zufällig gedacht.

Die dynamischen Kräfte aber können nicht in ihrer Notwendigkeit gedacht werden, als nur insofern sie zugleich in ihrer Zufälligkeit erscheinen. In jedem einzelnen Körper sind anziehende und zurückstoßende Kräfte notwendig im Gleichgewicht. Aber diese Notwendigkeit wird gefühlt nur im Gegensatz gegen die Möglichkeit, daß dieses Gleichgewicht gestört werde. Diese Möglichkeit nun müssen wir in der Materie selbst suchen. Der Grund davon kann sogar gedacht werden als ein Bestreben der Materie, aus dem Gleichgewicht zu treten und sich dem freien Spiel ihrer Kräfte zu überlassen. Wenigstens heißt Materie, in welcher wir keine solche Möglichkeit voraussetzen (die keiner chemischen Behandlung fähig ist), im besondern Sinne des Worts, tote Materie. –

Aber die träge Materie bedarf, um das Gleichgewicht ihrer Grundkräfte zu verlassen, einer äußern Einwirkung. Sobald diese aufhört, sinkt sie in ihre vorige Ruhe zurück, und das ganze chemische Phänomen ist nicht sowohl ein Bestreben, das Gleichgewicht zu verlassen, als ein Bestreben, das Gleichgewicht zu behaupten. Aber weil das Wesen der Materie im Gleichgewicht[282] ihrer Kräfte besteht, so mußte die Natur notwendig über diese Stufe erst zu höheren emporsteigen.

Denn wenn einmal der erste Schritt vom Notwendigen zum Zufälligen getan ist, so ist gewiß, daß die Natur auf keiner tiefern Stufe stehen bleibt, wenn sie zu einer höheren fortgehen kann. Dazu aber ist genug, daß die Natur Einmal ein freies Spiel der Kräfte in der Materie verstatte; denn, wenn diese einmal aus dem Gleichgewichte tritt, das sie erhält, so ist es auch nicht unmöglich, daß irgend ein Drittes (was es nun sei) diesen Streit freier Kräfte permanent mache, und daß so die Materie (jetzt ein Werk der Natur) in diesem Streit selbst ihre Fortdauer finde. Also liegen wirklich schon in den chemischen Eigenschaften der Materie die ersten, obwohl noch völlig unentwickelten Keime eines künftigen Natursystems, das in den mannigfaltigsten Formen und Bildungen bis dahin sich entfalten kann, wo die schaffende Natur in sich selbst zurückzukehren scheint. So ist zugleich ferneren Untersuchungen der Weg bis dahin vorgezeichnet, wo in der Natur das Notwendige und das Zufällige, das Mechanische und das Freie sich scheidet. Das Mittelglied zwischen beiden machen die chemischen Erscheinungen.

So weit also führen in der Tat die Prinzipien der Attraktion und Repulsion, sobald man sie als Prinzipien eines allgemeinen Natursystems betrachtet. Um so wichtiger ist es, den Grund und unser Recht auf den uneingeschränkten Gebrauch derselben tiefer aufzusuchen.

Da die Kraft der allgemeinen Anziehung überall der Quantität der Materie proportional ist, so wird sie künftig auch quantitative, sowie die der partiellen (chemischen) Anziehung, weil sie auf Qualitäten der Körper zu beruhen scheint, qualitative heißen können.

95

Statt des letzten Passus heißt es in der ersten Auflage: setzen wir aber eine dritte (den beiden ersten immer noch gleiche) Masse, was folgt?

Diese, vermöge ihrer ursprünglichen Anziehungs- und Zurückstoßungskraft, wird A und B nötigen, ihre gemeinschaftlichen Kräfte jetzt gegen sie zu richten, die Kraft jeder einzelnen wirkt gemeinschaftlich auf die beiden übrigen, und jede einzelne verhindert nun, daß nicht die beiden übrigen ihre ursprünglichen Kräfte aneinander erschöpfen.

96

Der letzte Passus lautet in der ersten Auflage so: Betrachten wir das Verhältnis zwischen drei ursprünglichen, gleichen Massen, die sich alle wechselseitig anziehen und zurückstoßen, so wird zwar keine einzelne ihre Kraft an der andern erschöpfen, denn jede einzelne stört in jedem Augenblick die Einwirkung der einen auf die andere. Allein nach demselben Gesetz, nach welchem z.B. C die Einwirkung von B auf A störet, stört A hinwiederum die Einwirkung von C auf B. In diesem Augenblick aber wird die Einwirkung von A auf C durch B gestört, und so dauert dieser Wechsel ins Unendliche fort, weil er sich ins Unendliche fort selbst wiederherstellt. Die Einwirkung jeder einzelnen auf die beiden übrigen also muß zwar beständig fortdauern, weil sie immer wiederhergestellt wird, aber sie muß in jedem einzelnen Augenblicke als unendlich klein gedacht werden, weil sie immer wieder gestört wird, und da die ursprünglichen Kräfte der Materie nur als bewegende Kräfte wirken können, so wird die Bewegung, welche jede einzelne in beiden übrigen bewirkt, als unendlich klein vorgestellt. In einem Systeme von Körpern also, die alle als gleich angenommen werden, findet keine Bewegung statt.

97

Daß ein Weltsystem überhaupt möglich ist, dafür gibt es keinen weiteren Grund, als die Prinzipien der Attraktion und Repulsion. Daß aber das Weltsystem dieses bestimmte System ist, kann und muß einzig aus Gesetzen der allgemeinen Anziehung erklärt werden, warum? – davon späterhin ein Mehreres.

98

Dies wurde oben ausdrücklich vorausgesetzt.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 274-283.
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