I. Deduktion der absoluten im Akt des Selbstbewußtseins enthaltenen Synthesis

[63] 1. Wir gehen von dem im vorhergehenden bewiesenen Satz aus: die Schranke muß zugleich ideell und reell sein. Ist dies, so muß, weil eine ursprüngliche Vereinigung von Ideellem und Reellem nur in einem absoluten Akt denkbar ist, die Schranke durch einen Akt gesetzt sein, und dieser Akt selbst muß zugleich ideell und reell sein.[63]

2. Aber ein solcher Akt ist nur das Selbstbewußtsein, also muß auch alle Begrenztheit erst durch das Selbstbewußtsein gesetzt und mit dem Selbstbewußtsein gegeben sein.

a) Der ursprüngliche Akt des Selbstbewußtseins ist zugleich ideell und reell. Das Selbstbewußtsein ist in seinem Prinzip bloß ideell, aber durch dasselbe entsteht uns das Ich als bloß reell. Durch den Akt der Selbstanschauung wird das Ich unmittelbar auch begrenzt; angeschaut werden und Sein ist ein und dasselbe.

b) Durch das Selbstbewußtsein allein wird die Schranke gesetzt, sie hat also keine andere Realität, als die sie durch das Selbstbewußtsein erlangt. Dieser Akt ist das Höhere, das Begrenztsein, das Abgeleitete. Für den Dogmatiker ist das Beschränktsein das erste, das Selbstbewußtsein das zweite. Dies ist undenkbar, weil das Selbstbewußtsein Akt, und die Schranke, um Schranke des Ichs zu sein, zugleich abhängig und unabhängig vom Ich sein muß. Dies läßt sich (Abschn. II) nur dadurch denken, daß das Ich = ist einer Handlung, in welcher zwei entgegengesetzte Tätigkeiten sind, eine, die begrenzt wird, von welcher eben deswegen die Schranke unabhängig ist, und eine, die begrenzend, eben deswegen unbegrenzbar ist.

3. Diese Handlung ist eben das Selbstbewußtsein. Jenseits des Selbstbewußtseins ist das Ich bloße Objektivität. Dieses bloß Objektive (eben deswegen ursprünglich Nichtobjektive, weil Objektives ohne Subjektives unmöglich ist) ist das Einzige an sich, was es gibt. Erst durch das Selbstbewußtsein kommt die Subjektivität hinzu. Dieser ursprünglich bloß objektiven, im Bewußtsein begrenzten Tätigkeit wird entgegengesetzt die begrenzende, welche eben deswegen selbst nicht Objekt werden kann. – Zum Bewußtsein kommen und begrenzt sein ist eins und dasselbe. Bloß das, was an mir begrenzt ist, sozusagen, kommt zum Bewußtsein; die begrenzende Tätigkeit fällt außerhalb alles Bewußtseins, eben darum, weil sie Ursache alles Begrenztseins ist. Die Begrenztheit muß als unabhängig von mir erscheinen, weil ich nur mein Begrenztsein erblicken kann, nie die Tätigkeit, wodurch es gesetzt ist.[64]

4. Diese Unterscheidung zwischen begrenzender und begrenzter Tätigkeit vorausgesetzt, ist weder die begrenzende noch die begrenzte Tätigkeit die, welche wir Ich nennen. Denn das Ich ist nur im Selbstbewußtsein, aber weder durch diese noch durch jene isoliert gedacht entsteht uns das Ich des Selbstbewußtseins.

a) Die begrenzende Tätigkeit kommt nicht zum Bewußtsein, wird nicht Objekt, sie ist also die Tätigkeit des reinen Subjekts. Aber das Ich des Selbstbewußtseins ist nicht reines Subjekt, sondern Subjekt und Objekt zugleich.

b) Die begrenzte Tätigkeit ist nur die, die zum Objekt wird, das bloß Objektive im Selbstbewußtsein. Aber das Ich des Selbstbewußtseins ist weder reines Subjekt noch reines Objekt, sondern beides zugleich.

Weder durch die begrenzende noch durch die begrenzte Tätigkeit für sich kommt es also zum Selbstbewußtsein. Es ist sonach eine dritte aus beiden zusammengesetzte Tätigkeit, durch welche das Ich des Selbstbewußtseins entsteht.

5. Diese dritte zwischen der begrenzten und der begrenzenden schwebende Tätigkeit, durch welche das Ich erst entsteht, ist, weil Produzieren und Sein vom Ich eins ist, nichts anderes als das Ich des Selbstbewußtseins selbst.

Das Ich ist also selbst eine zusammengesetzte Tätigkeit, das Selbstbewußtsein selbst ein synthetischer Akt.

6. Um diese dritte, synthetische, Tätigkeit genauer zu bestimmen, muß erst der Streit der entgegengesetzten Tätigkeiten, aus denen sie zusammengeht, genauer bestimmt werden.

a) Jener Streit ist nicht sowohl ein Streit ursprünglich dem Subjekt als vielmehr den Richtungen nach entgegengesetzter Tätigkeiten, da beide Tätigkeiten eines und desselben Ichs sind. Der Ursprung beider Richtungen ist dieser. – Das Ich hat die Tendenz, das Unendliche zu produzieren, diese Richtung muß gedacht werden als gehend nach außen (als zentrifugal), aber sie ist als solche nicht unterscheidbar, ohne eine nach innen auf das Ich als Mittelpunkt zurückgehende Tätigkeit. Jene nach außen gehende, ihrer Natur nach unendliche Tätigkeit ist das Objektive[65] im Ich, diese auf das Ich zurückgehende ist nichts anderes als das Streben, sich in jener Unendlichkeit anzuschauen. Durch diese Handlung überhaupt trennt sich Inneres und Äußeres im Ich, mit dieser Trennung ist ein Widerstreit im Ich gesetzt, der nur aus der Notwendigkeit des Selbstbewußtseins zu erklären ist. Warum das Ich sich seiner ursprünglich bewußt werden müsse, ist nicht weiter zu erklären, denn es ist nichts anderes als Selbstbewußtsein. Aber im Selbstbewußtsein eben ist ein Streit entgegengesetzter Richtungen notwendig.

Das Ich des Selbstbewußtseins ist das nach diesen entgegengesetzten Richtungen gehende. Es besteht nur in diesem Streit, oder vielmehr es ist selbst dieser Streit entgegengesetzter Richtungen. So gewiß das Ich seiner selbst bewußt ist, so gewiß muß jener Widerstreit entstehen und unterhalten werden. Es fragt sich, wie er unterhalten werde.

Zwei entgegengesetzte Richtungen heben sich auf, vernichten sich, der Widerstreit also, so scheint es, kann nicht fortdauern. Daraus würde absolute Untätigkeit entstehen; denn da das Ich nichts ist als Streben sich selbst gleich zu sein, so ist der einzige Bestimmungsgrund zur Tätigkeit für das Ich ein fortdauernder Widerspruch in ihm selbst. Nun vernichtet aber jeder Widerspruch an und für sich sich selbst. Kein Widerspruch kann bestehen, als etwa durch das Bestreben selbst ihn zu unterhalten oder zu denken, durch dieses Dritte selbst kommt eine Art von Identität, eine wechselseitige Beziehung der beiden entgegengesetzten Glieder aufeinander in ihn.

Der ursprüngliche Widerspruch im Wesen des Ichs selbst ist weder aufzuheben, ohne daß das Ich selbst aufgehoben wird, noch kann er an und für sich fortdauern. Er wird nur fortdauern durch die Notwendigkeit fortzudauern, d.h. durch das aus ihm resultierende Streben ihn zu unterhalten und dadurch Identität in ihn zu bringen.

(Es kann schon aus dem Bisherigen geschlossen werden, daß die im Selbstbewußtsein ausgedrückte Identität keine ursprüngliche, sondern eine hervorgebrachte und vermittelte ist. Das Ursprüngliche ist der Streit entgegengesetzter Richtungen im Ich, die Identität das daraus Resultierende. Ursprünglich sind wir[66] uns zwar nur der Identität bewußt, aber durch das Nachforschen nach den Bedingungen des Selbstbewußtseins hat sich gezeigt, daß sie nur eine vermittelte, synthetische sein kann.)

Das Höchste, dessen wir uns bewußt werden, ist die Identität des Subjekts und Objekts, allein diese ist an sich unmöglich, sie kann es nur durch ein Drittes, Vermittelndes sein. Da das Selbstbewußtsein eine Duplizität von Richtungen ist, so muß das Vermittelnde eine Tätigkeit sein, die zwischen entgegengesetzten Richtungen schwebt.

b) Bis jetzt haben wir die beiden Tätigkeiten nur in ihrer entgegengesetzten Richtung betrachtet, es ist noch unentschieden, ob beide gleich unendlich sind, oder nicht. Da aber vor dem Selbstbewußtsein kein Grund ist, eine oder die andere als endlich zu setzen, so wird auch der Streit jener beiden Tätigkeiten (denn daß sie überhaupt im Widerstreit sind, ist soeben gezeigt worden) ein unendlicher sein. Dieser Streit wird also auch nicht in einer einzigen Handlung, sondern nur in einer unendlichen Reihe von Handlungen vereinigt werden können. Da wir nun die Identität des Selbstbewußtseins (die Vereinigung jenes Widerstreits) in der Einen Handlung des Selbstbewußtseins denken, so muß in dieser Einen Handlung eine Unendlichkeit von Handlungen enthalten, d.h. sie muß eine absolute Synthesis sein, und wenn für das Ich alles nur durch sein Handeln gesetzt ist, eine Synthesis, durch welche alles gesetzt ist, was für das Ich überhaupt gesetzt ist.

Wie das Ich zu dieser absoluten Handlung getrieben, oder wie jenes Zusammendrängen einer Unendlichkeit von Handlungen in Einer absoluten möglich sei, ist nur auf folgende Art einzusehen.

Im Ich sind ursprünglich Entgegengesetzte, Subjekt und Objekt; beide heben sich auf, und doch ist keines ohne das andere möglich. Das Subjekt behauptet sich nur im Gegensatz gegen das Objekt, das Objekt nur im Gegensatz gegen das Subjekt, d.h. keines von beiden kann reell werden, ohne das andere zu vernichten, aber bis zur Vernichtung des einen durch das andere kann es nie kommen, eben deswegen, weil jedes nur im Gegensatze gegen das andere das ist, was es ist.[67] Beide sollen also vereinigt sein, denn keines kann das andere vernichten, doch können sie auch nicht zusammen bestehen. Der Streit ist also nicht sowohl ein Streit zwischen beiden Faktoren, als zwischen dem Unvermögen, die unendlich Entgegengesetzten zu vereinigen, auf der einen, und der Notwendigkeit es zu tun, wenn nicht die Identität des Selbstbewußtseins aufgehoben werden soll, auf der andern Seite. Gerade dies, daß Subjekt und Objekt absolut Entgegengesetzte sind, setzt das Ich in die Notwendigkeit eine Unendlichkeit von Handlungen in Einer absoluten zusammenzudrängen. Wäre im Ich keine Entgegensetzung, so wäre in ihm überhaupt keine Bewegung, keine Produktion, also auch kein Produkt. Wäre die Entgegensetzung nicht eine absolute, so wäre die vereinigende Tätigkeit gleichfalls nicht absolut, nicht notwendig und unwillkürlich.

7. Der bisher deduzierte Progressus von einer absoluten Antithesis zur absoluten Synthesis läßt sich nun auch ganz formell vorstellen. Wenn wir das objektive Ich (die Thesis) als absolute Realität vorstellen, so wird das ihm Entgegengesetzte absolute Negation sein müssen. Aber absolute Realität ist eben deswegen, weil sie absolut ist, keine Realität, beide Entgegengesetzte also sind in der Entgegensetzung bloß ideell. Soll das Ich reell, d.h. sich selbst Objekt werden, so muß Realität in ihm aufgehoben werden, d.h. es muß aufhören, absolute Realität zu sein. Aber ebenso: soll das Entgegengesetzte reell werden, so muß es aufhören absolute Negation zu sein. Sollen beide reell werden, so müssen sie in die Realität gleichsam sich teilen. Aber diese Teilung der Realität zwischen beiden, dem Sub- und Objektiven, ist eben nicht möglich, als durch eine dritte, zwischen beiden schwebende Tätigkeit des Ichs, und diese dritte ist wiederum nicht möglich, wenn nicht beide Entgegengesetzte selbst Tätigkeiten des Ichs sind.

Dieser Fortgang von Thesis zur Antithesis und von da zur Synthesis ist also in dem Mechanismus des Geistes unsprünglich gegründet, und insofern er bloß formell ist (z.B. in der wissenschaftlichen Methode), abstrahiert von jenem ursprünglichen, materiellen, welchen die Transzendental-Philosophie aufstellt.[68]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 63-69.
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