A. Versuche über das Elektrisieren in verdünnter Luft und in verschiedenen Luftarten
I. Versuche in verdünnter Luft

[668] Der Ruhm, zuerst unter der Glocke der Luftpumpe elektrisiert zu haben, gebührt dem berühmten 's Gravesande, dem hierin van Marum nachfolgte. Man sehe des Letztern Abhandlung über das Elektrisieren, deutsche Übersetzung, S. 69 ff.

Was durch den Versuch des Letztem entschieden ist,


daß die Luft, obgleich in hohem Grade verdünnt, doch elektrische Erregung verstattet,

mit diesem Satze stimmen viele andere Erfahrungen überein; daß[668] man aber daraus nichts gegen unsere Hypothese vom Ursprung der elektrischen Erscheinungen folgen könne, davon überzeugen mich folgende Gründe:

a) die Luft kann nur bis zu einem gewissen Grade verdünnt werden.

b) Daß im völlig luftleeren Raum keine elektrische Erregung möglich ist, beweisen die Barometer, die, wenn nur das Vakuum in ihnen erreicht ist, nicht leuchten.

c) Van Marum selbst bemerkt, die elektrischen Funken in verdünnter Luft seien nicht so häufig als in freier Luft, aber sie seien viel länger und breiten sich mehr in einzelnen Strahlen aus. (Man erinnere sich hier an das Verhalten der mitgeteilten Elektrizität in verdünnter Luft, wie z.B. eine Glasröhre, in der die Luft verdünnt ist, durch einen kleinen Funken mit einem strahlenden Lichte völlig erfüllt wird usw.) Es ist wahrscheinlich, daß die Ursache dieser Verbreitung die größere elektrische Leitungskraft der verdünnten Luft ist.

d) Es sind doch Erfahrungen vorhanden, welche beweisen, daß nur ein gewisser Grad der Luftverdünnung noch Erreichung von Funken verstattet. »Barletti«, so erzählen Brugnatellis Annali di Chim. T. V., »hat in Gegenwart der berühmtesten italienischen Naturlehrer die Versuche von Hawkesbee, Musschenbroek und Nollet wiederholt und gefunden, daß im ganz luftleeren Raume Stahl an Stein gerieben keine Funken, höchstens ein mattes Leuchten zeigt und keinen Eisenkalk gibt«. Vgl. Scherers Nachträge zu den Grundzügen der neuen ehem. Theorie, S. 207. Pictet (Versuch über das Feuer. Deutsche Übersetzung, S. 189) hatte die Luft unter der Glocke so weit verdünnt, daß sie nur noch eine 4 Linien hohe Quecksilbersäule hielt. Er meinte anfänglich das Reiben der beiden Substanzen, die er dazu anwandte (eine Schale von gehärtetem Stahl und ein Stück Diamantspat), die in freier Luft Funken erregten und Strahlenbüschel zeigten, habe nicht einmal Licht, geschweige denn Funken erregt; da er aber den Versuch in einer vollkommenen Dunkelheit abermals vornahm, bemerkte er an den Berührungspunkten nur einen phosphorartigen Schein, demjenigen[669] ähnlich, den man beim Aneinanderschlagen harter Steine in der Dunkelheit erblickt.


II. Versuche in verschiedenen Luftarten

1. Wenn die elektrische Materie nur zerlegtes Oxygene ist, so muß sie in der Lebensluft weit stärker als in der gemeinen atmosphärischen Luft erregt werden.

2. Wenn beim Elektrisieren irgend eine andere Materie, z.B. das Azote, ins Spiel kommt, so kann in reiner Lebensluft keine Elektrizität erregt werden.

3. Wenn zum Elektrisieren die Gegenwart der Lebensluft erforderlich ist, so muß es unmöglich sein, Elektrizität in mephitischen Luftarten zu erregen.

Diese drei Sätze wird man von selbst zugeben.

Die ersten Versuche über die Erregung der Elektrizität in verschiedenen Medien hat van Marum gemacht. Es ist sehr zu bedauern, daß seine Versuche nicht mit der Präzision angestellt sind, die man jetzt, nachdem man die genauesten Versuche über das Verbrennen als Muster vor sich hat, zu verlangen berechtigt ist; daß man z.B. bei seiner Art, die Glocke der Luftpumpe mit einer besonderen Luftart zu füllen, nicht versichert ist, daß die atmosphärische Luft völlig ausgeschlossen wurde. Gleichwohl ist dies eine unnachläßliche Bedingung der Genauigkeit dieser Versuche, wodurch sie freilich um vieles beschwerlicher werden.

Es bleibt daher nach van Marums Versuchen immer zweifelhaft, ob, wenn durch irgend eine Luftart das Elektrisieren nicht verhindert wurde, der Grund davon nicht in der atmosphärischen Luft lag, mit welcher jene Luftart vermischt blieb. Es ist daher kein Wunder, daß seine Resultate widersprechend sind, z.B. aus einigen Versuchen zieht er selbst (S. 96) den Schluß, daß alle sauren Luftarten, wenn sie mit der gemeinen vermischt werden die Erweckung der elektrischen Materie verhindern, in einem andern Versuch aber geschieht die Erweckung der elektrischen Materie in kohlensaurem Gas (fixer Luft) ebenso gut als in der[670] gemeinen Luft. Indes sind doch diese Versuche bei all ihrer Unvollkommenheit merkwürdig, weil sie zeigen, wie viel man von vollkommeneren Versuchen zu erwarten berechtigt ist. Ich werde daher die merkwürdigsten anführen.


1. Versuche mit sauren Luftarten

a) Mit kohlensaurem Gas.

aa) Van Marum füllte die ausgepumpte Glocke »mit der Luft aus der Mitte eines Torfkohlenfeuers«. Da die Glocke zum Teil davon erfüllt war, ward noch einige elektrische Kraft erweckt, ob sie gleich kaum den sechsten Teil derjenigen, welche man in freier Luft mit derselben Maschine erhalten konnte, betrug; als aber die Glocke ganz mit dieser Luft angefüllt wurde, geschah gar keine Erweckung mehr. – NB. Van Marum hatte sich vorher überzeugt, daß diese Luft kein Leiter der elektrischen Materie sei.

bb) Van Marum füllte die ausgepumpte Glocke mit einer Luft, welche er durch einen Aufguß von Vitriolsäure auf Kalk erhalten hatte. Seiner Beschreibung nach bleibt es sehr zweifelhaft, ob es ihm bei diesem Versuch gelang die gemeine Luft ganz auszuschließen. Der Erfolg war, daß die Erweckung in dieser Luft völlig so (also auch ebenso stark?) als in der atmosphärischen Luft geschah. Hier sind also widersprechende Resultate.

b) Mit Salpeterdämpfen.

Van Marum stellte »den dampfenden Salpetergeist« unter die große Glocke, unter welcher die Elektrisiermaschine stand, und sah, »daß die Erweckung der elektrischen Materie dadurch augenblicklich merklich vermindert wurde. Nach Verlauf einer Minute war die Erweckung schon über die Hälfte vermindert, und innerhalb drei Minuten schon so ganz gehemmt, daß der Deckel, dem die Elektrizität des Reibzeugs mitgeteilt wurde, nicht imstande war, den geringsten Leinwandsfaden in einer sehr geringen Entfernung anzuziehen«. NB. Van Marum hatte sich überzeugt, daß die Salpeterdämpfe nicht leiten.[671]

c) Mit kochsalzsaurer Luft.

Der Erfolg war derselbe wie beim vorhergehenden Versuch; dieses Gas bewies sich nicht als einen Leiter der elektrischen Materie; aber es widerstand der Erweckung derselben ebenso geschwind und vollkommen als der Dampf des rauchenden Salpetergeistes.


2. Versuch mit entzündlicher Luft

Da der Ausgang dieses Versuchs merkwürdig war, so will ich van Marums eigne Erzählung davon hersetzen.

»Wir verdünnten die Luft unter der Glocke, in welcher die Elektrisiermaschine stand, aufs Äußerste, und füllten sie nachmals mit entzündlicher (aus Eisenfeile mit verdünnter Vitriolsäure entwickelter) Luft an. Da aber diese Vermischung eine merkliche Wärme an nimmt, so gab das Wasser, womit die Vitriolsäure verdünnt worden war, vielen Dampf von sich, der zugleich mit der brennbaren Luft der Eisenfeile in die Glocke drang und die innere Seite des Zylinders beschlug.

Wir stellten den ganzen Apparat vors Feuer, während daß wir auf der andern Seite, welche vom Feuer ab stand, ein Gefäß mit Kohlen setzten. Aber ob wir gleich zwo ganzer Stunden damit fortfuhren, konnten wir doch die Glocke nicht inwendig allenthalben von der Feuchtigkeit befreien. Da wir keine Hoffnung hatten unsern Zweck zu erreichen, so hielten wir es für ratsam, die Glocke während der Nacht der kalten Luft auszusetzen (das Fahrenh. Thermometer stand auf 13°), und vermuteten, so wie alles Glas, so feucht es auch ist, durch die Kälte trocken wird, auch unsere Glocke auf diese Weise inwendig von ihrer Feuchtigkeit zu befreien. – Am folgenden Morgen, als ich die Glocke rundum sorgfältig betrachtete, konnte ich keine Feuchtigkeit mehr daran bemerken; worauf ich denn alsobald versuchen wollte, wie es nun mit der Erweckung der elektrischen Materie in dieser Luft beschaffen sei, und siehe da, nachdem ich die Scheibe drei- bis viermal umgedreht hatte, entstand – um diese Scheibe eine schwache blaue Flamme, welche, indem sie sich augenblicklich in der ganzen Glocke verbreitete, dieselbe mit einer Gewalt zerschmetterte, daß der Schlag, ob[672] er gleich in einem Oberzimmer geschah, die Glasfenster des ganzen Hauses, und selbst im Keller, mit ebenso vieler Gewalt erschütterte, als ob eine ansehnliche Menge Pulver angesteckt worden wäre«.

Die übrigen Umstände kann man in der angeführten Schrift S. 93 ff. lesen.

Ich bemerke nur so viel. – Daß dieses Gas sich entzündete, ist Beweis genug, daß es mit atmosphärischer Luft vermischt war, weil nur eine solche Vermischung eine Explosion möglich macht42.

42

»Die Erzählung van Marums muß für künftige Versuche große Vorsicht empfehlen, besonders, wenn es wahr ist, daß jeder Körper beständig eine eigentümliche Lufthülle um sich hat, und also wohl auch in unvermischtem brennbarem Gas eine Explosion veranlassen kann.« Zusatz der ersten Auflage.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 668-673.
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