Achäer und Mykene

[389] 286


Achaia ist der Landname in Argos und Phthia geworden. Sieben gegen Theben. Die hellenisch redenden Stämme nannten sich so, weil sie im Lande Herren geworden waren. Pelasger sind Seevölker.[389] Eingleisiges Denken: ›Nur die‹ griechische oder ›die‹ vorgriechische Sprache! Alles indogermanisch Klingende ist dem Griechischen zuzurechnen. Aber es gab viele Sprachen, viele nichtgriechisch-indogermanische, viele nichtindogermanisch-nordische. Viele vorgriechisch-westliche. Wozu den Tatbestand vereinfachend fälschen? Nur damit ein System zustande kommt. So ist die Geschichte nicht, und so lernt man sie nicht verstehen.


287


Daß die Achäer nicht griechisch sprachen, versteht sich von selbst. Daß die Schachtgräberleute eine nordische Sprache redeten, ist sicher. Deshalb braucht es noch nicht griechisch, nicht einmal indogermanisch gewesen zu sein. Das erste ist so gut wie ausgeschlossen, das zweite halte ich für sehr wahrscheinlich.


288


Man ist darauf versessen, alles ›griechisch‹ zu nennen, als ob damit irgend etwas erreicht wäre – außer der Verwischung geschichtlicher Tatsachen. Dieser oberflächliche Gebrauch des Griechennamens – denn was kann um 1500 ›Griechen‹ bedeuten? Hellene ist ein Kulturbegriff, wie civis Romanus um 200 v. Chr. ein Zivilisationsbegriff war. Deshalb ist die Bezeichnung helladisch sinnlos.


289


Der Name Agamemnon stammt aus der Achäersprache, die im 14. Jahrhundert in der Argolis die der Herren war. Er wird ein weithin berühmter oder berüchtigter Piratenhäuptling gewesen sein, der vielleicht einmal einen besonders wilden und beutereichen Zug gemacht hatte – gegen Knossos, Phaistos oder dergleichen –, was können wir davon wissen! Aber das Bild des Heerkönigs, der gegen Troja zog, ist eine Schöpfung griechischer Phantasie, die nur die Namen benutzte, die aus der Urzeit her einen Klang hatten. Reallexikon Homer Bd. V, Karo. Von Mykene wußte man nichts als den Namen. Wie es aussah –[390] keine Ahnung. Was alte Lieder im Iliastext an archaischen Waffen zeigen, geht noch lange nicht bis 1400 zurück, sondern höchstens [bis] 1200. Klytaimnestra echt, alt. Mutterrecht. Wie Ödipus!


290


Ob diese Danaer eine frühe hellenische Mundart geredet haben oder überhaupt eine indogermanische oder vielleicht einer der andren nordischen Sprachgruppen angehörten, das wissen wir nicht. Besteht etwa ein Zusammenhang zwischen diesem Namen und denen der großen südrussischen Ströme Tanais, Danubius? Tanais – Don. Dan – Dnjepr, Dan – Dnjestr. Danubius – Donau.


291


Die Kanzleischreiber der Hethiter waren recht unvorsichtig, wenn sie den Namen Achijava so schrieben, wie sie ihn hörten, statt auf einen Philologieprofessor von heute zu warten, der ihnen die korrekte Transkription beigebracht hätte. Es war so, als wenn heute ein einfaches Dienstmädchen das Wort Spanien so schreibt, wie es in deutscher Aussprache gehört wird, wenn man das Schriftbild nicht vor Augen hat: Schpahnjen. Wenn nach tausend Jahren jemand dies Schriftgebilde sieht, ohne die genaue deutsche Aussprache der Buchstaben um 1900 zu kennen, würde er auf ein ganz andres Land raten.


292


Gesichtsmasken [sind] nur männlich, königlich. Das Gesicht als Ausdruck der Persönlichkeit [ist] bei der Totenfeier erhalten. Trebenischte – ein Stamm, der die Sitte konserviert hat, Gipsmasken der Skythen. Porträt? Nein! Es genügte zu wissen, daß es ›ihn‹ darstellen sollte – [was] später z.B. durch [eine] Beischrift erklärt [wurde]. Man ›erkannte‹ ihn nicht, sondern ›wußte‹, daß er es war. Verwesung, Aufbahrung bei dem Bestattungsakt.[391]


293


Wenn schon ›kretisch-mykenisch‹ ein unglücklicher Begriff ist, von der Oberfläche der Zivilisation, des Kunstgewerbes aus, dann ist ›mykenisch‹für sich vollends irreführend. [Hier] Schachtgräber, [dort] Burg und Kuppelgrab. Nirgends unter den bisher gemachten Entdeckungen stoßen zwei Welten so unmittelbar im Ausdruck ihres Weltgefühls aufeinander.


294


Ganz verfehlt ist das von Wace und Meyer empfohlene neue Schema von dreimal drei ›helladischen‹ Perioden auf dem Festland. War schon die minoische Einteilung von Evans nicht passend, da die geschichtlichen Abschnitte der Kamares-, Kafti-, Achäerzeit verwischt statt betont wurden, so wird hier mit dem Namen der Hellenen Mißbrauch getrieben. Es gibt bis ins 13. Jahrhundert keine Stämme griechischer Sprache.


295


Bei den Achäern muß man wie bei den Pelasgern immer mit der Möglichkeit rechnen, daß ganz fremde Stämme, die sich an ihren Unternehmen beteiligten, von den Betroffenen auch so genannt wurden. Vgl. die Goten, Hunnen, Tataren, Araber. Endlich, sobald der Name der einer Landschaft wird, nennen die andern jedes Bevölkerungselement, das hier wohnt, mit dem Landnamen. Achäer ist also durchaus keine sprachliche Einheit, weder der Herkunft, noch der Rasse oder dem Volkstum nach. Sicher ist nur, daß die große Oberschicht weder ›griechisch‹ sprach noch aus dem Norden kam.


296


Die Achäer kamen von Libyen. Die Griechen (Danaer) nahmen den Landnamen unbekannter Endung als Volksnamen. Die Hethiter [zitierten ihn] vielleicht noch in der libyschen Form,[392]


297


Aquaivascha: Mir wird gesagt, daß nach streng philologischen Grundsätzen eine Umschreibung von Aquaivascha in Achäer unmöglich ist. Dahin kommt man mit fachwissenschaftlicher Methode, wenn man keine geschichtliche Anschauung besitzt. Nach solchen Grundsätzen kann Mailand nicht Milano sein.


298


Die Kuppelgräberstämme haben kein ›Reich‹. ›Sie sind‹ Einzelstämme. Nur an den Küsten, überall von Lesbos bis Volo. Ihre Sprache (oder Sprachen?) ist verschwunden. Viele vorgriechische Wörter und Namen mögen übrig geblieben sein. Der arkadisch- cyprische Dialekt existiert erst seit 1250, [der] der nordischen Barbaren, die hier alles zerstörten, dann aber Seefahrer wurden. Hundert Jahre später bilden sich die dorischen Stämme. ›Agamemnon‹ ist nur ein Name. Wenn es Agamemnon-Kulte gibt, so hafteten sie ursprünglich an einem Kuppelgrab, in dem er bestattet war. Heldenlieder der Achäer an Lagerfeuern – das gab es in Afrika überall. Nur die Namen blieben. Ist Menelaos vielleicht sogar griechisch Atreus? Vielleicht haben Schliemann (Agamemnongrab) und Forrer (Atreushaus) doch recht?


299


Der Name, der in den hellenisch sprechenden Ländern achaivoi gesprochen wurde (seit 1000 etwa), ist der Landname achaivis (Doris, Elis). Er wurde um 1300 in der Kanzlei von Hattusas achijawa geschrieben. Von Ägypten in Hieroglyphen etwa achaivascha, sekelascha, maschauascha. Lateinisch Achivi, Achaia.


300


Der Name Aquaivascha: Leider ist es heute gelehrte Unsitte, solche Namen Laut für Laut zu vergleichen, um festzustellen, ob sie ›dasselbe‹[393] bedeuten. Aber solche Übertragungen werden in der wirklichen Geschichte nie von Gelehrten gemacht, sondern ergeben sich von selbst im Volksmund, der die gehörten Namen sich mundgerecht macht. Auch wir tun das im wirklichen Leben, wir sagen Japanesen, Marokkaner, Franzosen, ohne einen Gelehrten zu fragen. Der Achäername wurde Jahrhunderte später von den Griechen abgeschliffen, mit eigener Endung versehen, geschrieben. Die Schreiber in Chatti und Theben schrieben, was sie hörten.


301


Daß aus einem Appellativ ein Eigenname wird und umgekehrt, geschieht unendlich oft. In Vorderasien war Chabiri die Bezeichnung von Kriegertrupps, die bald hier, bald dort Unterkommen suchten, Söldner wurden, zuweilen auch Herren, ohne bestimmte Sprache und Rasse. Zuletzt ist in Palästina, [während] der Königszeit, der Name [Chabiri] neben dem Israels genannt, zunächst, in der Philisterzeit, noch unterschiedlich, dann ohne Unterschied gebraucht. So war es hier ohne Zweifel. Die Achaivascha [sind] ein Stamm aus Tunis, der sich im Peloponnes festsetzte, die Bevölkerung unterwarf und dann weiterwanderte. Später wurde [ihr Name] ein Landname, den nun die Bevölkerung ohne Unterschied der Sprache und [der] Rasse erhielt.


302


(Meyer 2, 1, 249): Der Name Argos, Argeier umfaßt den ganzen Peloponnes, ebenso die Namen Danaer und Achäer. Das sind also alles Volksnamen, die zu weiten Landbegriffen geworden sind. Vielleicht hatte Argos die Bedeutung von Landratte, und Achäer Seefahrer. Was wissen wir? Später wurde Achäer die Bezeichnung verschiedener Küstenstrecken (Thessalien, Italien, Korinth) und Argos der Name der Ebene von Mykene, die Stadt zuletzt. Die Hellenen [waren] ein Stamm in Thessalien, nach Homer, in Mittelgriechenland, wurden allmählich zum Sammelbegriff. Aus manchen Stellen der Ilias (249 Meyer)[394] scheint hervorzugehen, daß die Völker dieses Namens noch nicht identisch waren. Aber der äolische Dichter hält sie alle für ›Griechen‹.


303


Achäer: Ursprünglich ist es der Name eines libyschen Schwarmes, danach die Landschaft auf dem Peloponnes. Danach heißen die Stämme auf dem Peloponnes Achaiwoi, endlich die Griechen. Daß man mit philologischen Buchstabenvergleichen da nichts ermitteln kann, ist selbstverständlich. Diese Achiver waren viele Schwärme, wahrscheinlich sehr verschiedener Sprache und Rasse. Kein ›Reich‹. Agamemnon repräsentiert nur die weitgehende Macht von Mykene über andre Einheiten. Freiwillig, nicht gezwungen. Auch in der Ilias ist das ›Reich‹ Agamemnons nur Mykene. Man sollte die Ilias genauer lesen: Keine Vasallen, sondern Verbündete, sehr lose.


304


Danaer: Vermutlich waren es die nördlichen Stämme, von denen der arkadisch-cyprische Dialekt herrührt (1400), die später von den dorischen unterworfen [worden] sind. (1200). Labyrinth ist die Bezeichnung der Ruine von Knossos. Es spukte, die großen Wandfiguren wurden lebendig. Aus den -nthsprachen (achäisch)?


305


Kuppelgräber: Die Häuptlinge kamen aus dem Westmittelmeer. Kleine Raubzüge führen nicht zu so großen Grabbauten. Der Name Achäer bezeichnete ursprünglich die Königsgräber der Küsten: Argos, Pylos, Orchomenos. Dann, seit 1300, wurde es der allgemeine Name für See-Eroberer, wie Attila ein Germanenheld wurde. Der Name A[chäer] beweist also nichts für die Rasse, Sprache, das Volkstum, so wenig wie später der Name Pelasger (vgl. Hünen, Goten).[395]


306


Es ist sehr wohl möglich, daß die Burgen von Mykene und Tiryns (und Troja VI, das damit verwandt ist, ›achäisch‹) von Nordstämmen erobert und bewohnt wurden, wie der Palatin. Wie Theoderich in Ravenna, hat man einheimische ([dort] byzantinische) Baumeister bauen lassen. Über die Zeit und Art der Verdrängung der libyschen Achäer kann also die Baugeschichte wenig aussagen. Unter den achäischen Häuptlingen mögen sich Krieger von jeder beliebigen Herkunft befunden haben, nordische Söldner, entlaufene Soldaten der Kafti, Ägypter. Vielleicht hat auch einmal ein Trupp von nationaler Geschlossenheit sich empört und die andern unterworfen oder getötet. Nur das ist sicher: die nordischen Leute hingen nicht an einer symbolhaften Gestaltung des Grabes. Sie werden die Kuppelgräber geplündert und vielleicht ihren Häutpling irgendwo darin vergraben haben, denn sie hätten nicht daran gedacht, K[uppeln] zu bauen. So lange das geschah, waren die Libyer Herren. Es kam ihnen nicht auf den Bau, sondern [auf] die Bestattung und die Feier an.


307


Die ursprünglichen ›Achäer‹, die sich im Ostpeloponnes festsetzten, waren sicher Nordafrikaner oder Sarden. Beschneidung, dunkle Haut. Aber der gefürchtete Name dieser Piraten wird allmählich zum Gattungsnamen für Seehelden – vgl. Normannen, Turscha, Pelasger. Um 1400 wird mit diesem Namen die große Anzahl von Stämmen zusammengefaßt worden sein, von verschiedenster Herkunft und Sprache; selbst die Häuptlinge waren nicht immer libyscher Abkunft. ›Goten‹ war ein Sammelname für ein Gemisch, von Byzantinern geprägt. Ebenso [entstanden die Namen] Sarazenen, Korsaren. Allmählich oder durch einen großen Sieg dringen griechisch oder indogermanisch redende Stämme in den Bereich dieses Namens ein.[396]


308


Wenn Achäer sich an dem Libyerkrieg gegen Merneptah beteiligten im Bund mit S[arden], S[ikulern] und Turscha, dann waren sie vielleicht schon im Begriff, nach der Zerstörung ihrer Raubsitze im Peloponnes neue Sitze zu suchen. Ein Schwärm von ihnen stellte sich in den Sold der Libyerhäuptlinge in Barka, andre suchten, an der Küste von Kleinasien, in Kypros, sich festzusetzen, sicher im Bunde mit griechisch sprechenden Korsaren. Vielleicht waren sie auch in Süditalien, wo der spätere Name Großgriechenland möglicherweise schon da war, als im 8. Jahrhundert die ersten griechischen Kaufleute ihre Emporien gründeten.

[Der] Thebanische Krieg [ist] älter als [die] Ilias – irgendein Zug vom Peloponnes her gegen die reichen Sitze in Orchomenos und Theben (Kuppelgräber, -essosnamen). Ob es libysche oder griechische Achäer waren, wissen wir nicht. Möglich ist es, daß die Eroberer oder Unterlegenen nach dem Golf von Jolkos gingen, woran der Name Achaia haftet.


309


Der Name Achäer hat also dasselbe Schicksal gehabt wie die bisher noch nicht in ihrer Verwandtschaft beachteten der Tocharer und Bulgaren – beide sind ursprünglich Namen türkischer Reiterstämme – wie Magyaren, Chazaren, Tataren –, dann des besetzten Landes, dann der in diesen sich durchsetzenden indogermanischen Sprache. Aber genauso wie man heute ›die Tocharer‹ ein indogermanisches ›Volk‹ nennt, nur weil eine Sprache diese Bezeichnung führt, so hat man es mit den Achäern getan. Weil bei Homer das der Name der griechisch sprechenden Bel[agerer] ist, so sind ›die Achäer‹ der Geschichte ein ›indogermanisches‹ Volk. Und wo der Name der Achijava auftaucht, in den ägyptischen und hethitischen Urkunden, da redet man von ›Griechen‹. Diese Verwechslung von Namen, Sprachen und Volk soll hier enden, denn erst dann kommt die unzweifelhafte geschichtliche Tatsache zur Geltung.[397]


310


I. Die Schachtgräberleute sind altindogermanisch, südrussisch, aus Steppen. Streitwagen, Holzbau.

II. Dann die ›Achäer‹ (afrikanisch-spanisch), Kuppelgräber, die Namen (Agamemnon, Odysseus).

III. Dann der Strom aus Mitteleuropa, Zerstörung der Kultur, 1400, Megaron, Geometrie, Kunst, Lanze, Axt.

Welche dieser Schichten bringt die griechischen Dialekte? Ich glaube III. Die III. Schicht jagt die I./II. nach Kleinasien. ›Kolonisation‹, Troja. Sie kamen aus Waldgebieten. Zeus [von] Dodona. Kannten weder Streitwagen noch Grabbauten. Verbrennung! Dorische Wanderung.

Die Knossier hatten wohl Söldner. Sie selbst hatten keine Freude an Krieg und Jagd (wie die Ägypter, Phöniker, Karthager). Das ist atlantisch. Es ist möglich, daß die libysche Schicht in Mykene von Söldnern ausging, die Herren wurden. Jedenfalls geschieht die Eroberung zur See, ebenso in Orchomenos, Pylos. Libysche Söldner wurden, wie in Ägypten, so in Kreta zuletzt Herren. Merneptah.


311


Das eigentliche Problem ist schon dadurch verdeckt, daß man von mykenischer oder heute helladischer Kultur redet. Natürlich: die Keramik geht weiter. Aber es ist Bauernware, und die Verfertiger blieben Unterworfene, so oft die Herren wechselten. Aber die Herren machten die Geschichte, nicht die Kochtöpfe.


312


Schachtgräber – dazu gehört keine Burg, sondern ein Ringwall (Fluchtburg). Vgl. Galater in Kleinasien (Stähelin 46), Dorer, Germanen etc.

Die Galater [zeigen] keine Spur von Druiden (Stähelin 46), also ist das vorkeltisch; die Galater haben ebenso den Kult der Attis und der[398] Magna Mater übernommen. Die Hellenen die vorgriechischen Kulte. Ebenso die Italiker. Germanen: Christentum. Es war der ›stärkere Zauber‹.


313


Die Behauptung, daß die ›mykenische Kultur‹ vor den ›Griechen‹ geschaffen sei, ist bei Lichte besehen die Meinung, daß die Häuptlinge, welche in den Schachtgräbern bestattet sind, einen hellenischen Dialekt gesprochen haben. Eine nur philologische Betrachtungsweise. Denn dieser Stamm kann aus dem Norden gekommen sein, ohne hellenisch zu reden. Er kann hellenisch geredet haben, ohne von dorther zu kommen. Hellenen aber gibt es erst seit 1200, so gut wie es Yankees erst ›drüben‹ gibt und nicht in Europa.


314


Mykenisch und helladisch sind falsche Bezeichnungen, die letzte noch mehr als die erste. Denn was hier an Ausdrucksform entgegentritt, stirbt ab, sobald die antike Kultur beginnt. Die sehr verschiedenartigen Stämme, die von Norden kamen, waren sehr primitiv und nahmen deshalb begierig den fremden Geschmack auf: ein Bereich verhältnismäßig einheitlicher Kunst entstand von Sizilien und Etrurien bis Cypern und Syrien – was man früher phönikisch, etruskisch, minoisch nannte. Aber die minoische Welt war schon zerstört. In Westkreta, Barka, Tunis, Sardinen muß anderes entstanden sein.


315


Die Schachtgräber stehen für sich. Die Burg ist viel jünger. In den Schachtgräbern steht die kretische Kunst (Import, gefangene Handwerker) neben einer höchst primitiven eigenen Töpferei und Metallarbeit, Stelen. Woher kommen diese? (Vase, Frankfort.) Die Tracht bleibt eigen. Näheres darüber. Fibeln? Die Kaftitracht ist afrikanisch. Der Kaftistil läßt die primitiven verkümmern und absterben. Das ist die Wirkung der ›achäischen‹ Epoche.[399]


316


Waren die Herren von Mykene ein kleiner Verband kriegerischer Gefolgschaften, der sich hier im Süden festgesetzt hatte, die Spitze eines nachdrängenden Volkstums, oder waren sie über die Bewegung weiter von Norden her fortgezogen, kämpfend, vernichtend, um hier Ruhe zu haben? Das wissen wir nicht und werden es nicht wissen. Aber ebensowenig wissen wir, welche Namen sie selbst führten oder im Munde der Umwohner erhielten. Ungewisse, heimatlos schweifende Namen der späteren Zeiten wie Pelasger, Danaer sind für uns ohne Gehalt. Wir wissen nicht, wie sie entstanden, wo, wann, was oder wie lange sie einen lebenden Verband bezeichneten. Die Methode der Forschung, frühe Namen ohne weiteres auf später vorhandene Völker zu heften und diese damit in ihrem Diarium einzureihen, [das heißt] Etiketten auf Schachteln kleben, ohne zu wissen, was darin ist. Wir wissen nicht einmal, ob die Herren von Mykene vereinzelt lebten, hausten und ausstarben, oder ob sie zu irgendeinem großen Verband gehörten, ob sie sich verwandt fühlten durch Taten oder Sprache oder Schicksal. Eine Nachwirkung hatten sie kaum, denn die ›mykenische Kultur‹ ging von den Erben, den Achäern aus.


317


Weil im griechischen Epos von den Angreifern Trojas als Achäern die Rede ist, waren die Achäer ›Griechen‹. Das ist weder in der antiken noch der abendländischen Kritik ein Problem gewesen. Es war einfach eine Tatsache. Erst die historische Skepsis unsrer Tage sieht oder sollte sehen, daß hier das Fragen not wendig beginnen muß. Aber statt dessen wurde, sobald der Name Achäer in hethitischen Urkunden auftauchte, die Begeisterung laut: Griechen schon im 14. Jahrhundert! Und nun wurde weiter kombiniert und geschlossen: Ein ›Großreich der Achäer‹ war da, das in Kleinasien eingriff.[400]

Die Grundfrage ist nach wie vor nicht: ist der Name Achiva den Achäern der Ilias gleich, sondern: sind diese Achäer die Griechen des 14. Jahrhunderts gewesen? Und weiter: Gab es damals schon Griechen in Hellas? Gab es überhaupt schon Griechen? Und wenn nicht, wer waren diese Achäer?


318


Tiryns: der Rundbau ist altlibysch, Nuraghe, der Palast jünger als Mykene. Höhepunkt etwa nach 1400 (Atreusgrab), wie es scheint, keine nordische Zwischenzeit. Das ›Megaron‹ ist in Wirklichkeit der Hof (Peristyl), dann Atrium, Tablinum, also die altsüdliche Form wie im Pompeji, bei den Mauren, in Florenz. Das echte Megaron, Bauernhaus mit Dach, haben erst die ›Dorer‹ seit 1200 gebracht. Dorer waren wie Sachsen, Franken ein Bund von Stämmen zum Zweck der Eroberung, nach Waffen genannt: Stoßlanze, die heilige Lanze, hasta, die den Streitwagenkampf ablöst (Wurfspeer). Schachtgräber gab es nur in Mykene, Kuppelgräber überall. ›Paläste‹ auf den Burgen ägyptisiert.


319


Agamemnon: Es wird dabei vergessen, daß zwischen der Bestattung des Toten mit der Gesichtsmaske und dem Bau der Burgen von Mykene 200 Jahre liegen! Agamemnon war entweder jener Tote oder der Herr der Burg. Er kann nicht beides gewesen sein.


320


Megaron [war] in homerischer Zeit [die] Bezeichnung eines Herrenhauses und im besonderen dessen Hauptraum. Das Wort ist wahrscheinlich aus einer fremden Sprache übernommen, und schon deshalb ist es [wahrscheinlich], daß auch dieser Typus selbst fremd ist. Aber ist es überhaupt ein Typus? Rechteckig und rund, [das ist] ganz gleichgültig. [Im] Norden [besteht die] Tendenz des Einzelhauses, isoliert. [Von] China bis Nordeuropa. [Es gibt] viel weniger Baukörper (das ist[401] westlich, plastisch) als Wand und Dach. Verzierung, ornamentale Kleinarbeit, Mikrokosmos. Gleichviel ob Zelt, Wohnwagen, Blockhaus, Geflechthaus, [es ist ein] Privathaus. Nicht Grab und Tempel. Im Süden hat die Wohnweise der einzelnen Familie überhaupt keinen Typus entwickelt. Man lebt im Freien. Hof, Haue, Straße, Platz. Wohnzellen, aneinander geklebt. Die ›Paläste‹ der Häuptlinge (Ägypten, Tiryns) sind Wohnung der Bewaffneten [und] Sklaven, ›Regierungsgebäude‹, nicht ›Haus‹.


321


Steinbau: Noch im Germanischen sind alle Worte für Steinbearbeitung und Steinbau Fremdwörter aus dem Westen, vor allem lateinisch (Mauer, Pforte, Tür, Ziegel, Dach). Steinmetz gegen Holzschnitzer. Plastik – Ornament. ›Wand‹ winden, flechten, weben. Nordisch: Pfosten, Fachwerk, Fellverkleidung, Jurte, beweglich. Keine Spuren hinterlassend.


322


Verteidigung: Burg, Rundschild, Bogen. Angriff: Schwert, Axt, Streitwagen. Burg, Sardinien, Tiryns. Der seefahrende Westen legt seine Wohnplätze, wo er die Beute, Weiber und Kinder birgt, auf Inseln, Vorgebirgen, Hügeln an, die er befestigt. In Ägypten beweisen es die gewaltigen Mauern um Tempel und Palastanlagen, überhaupt die Idee der Mauer aus großen Steinen. Der Norden hatte ›Lager‹ (Wagenburgen). Man griff an, statt zu verteidigen. Zu den Schachtgräbern gehört keine Burg, höchstens ein Erdwall. Sparta. Germanen vor, nicht in den Städten. Allmählich verwischen sich die Unterschiede. Im 2. Jahrtausend sind sie aber noch sehr stark.


323


Eteokles nimmt Theben Ἑλλάδος, φθογγον, χέουσαν (griechisch sprechend). Die Gegner, Achäer, Argeier, sind Ἑτεροφωνοι. Diese[402] wiederholte Betonung des Sprachunterschiedes, noch dazu zwischen zwei Gebieten, die zu der griechischen Kernlandschaft gehörten, wäre Äschylus nie in den Sinn gekommen, wenn sie nicht in den alten Sagen eine wichtige Rolle gespielt hätte. Mit den Achäern muß die Tatsache, daß sie fremdsprachig waren, wirksam verbunden gewesen sein.


324


Ohne Zweifel sind die Schachtgräber das Zeichen eines einzelnen Stammes, der mit seinen Streitwagen von Norden her eingedrungen ist, – ein paar hundert Mann vielleicht; aber damit ist nicht gesagt, daß es ›Griechen‹ waren, d.h. daß sie eine sehr urtümliche hellenische Mundart redeten. Irgendwie ›indogermanisch‹ wird sie gewesen sein, aber sicherlich keine von denen, die uns als Schriftsprache erhalten geblieben sind.


325


Seit etwa 1400 haben achäische Seehäuptlinge die Kaftisitze erobert, und sie denken nun an weitere Erfolge. 1350 etwa Hethiterreich, Kypros, Rhodos. Diese Achäerschwärme waren gemischt, von vielerlei ›Rasse‹ und Sprache. Jeder tüchtige Kerl war willkommen. Aber erst um 1200 kommen stärkere Scharen mit Sprachen von griechischem Typus, erobern die Achäerstützpunkte bei Kypros. Dann die Dorer dicht dahinter – vgl. in Italien die Germanenschwärme: Ost-, Westgoten, Langobarden.


326


Was für Eindringlinge waren vor den Schachtgräberleuten? Um 2000? 16. Jahrhundert diese, vielleicht nur ein paar Trupps. Spiralornament? Oder war das früher schon? 15. Jahrhundert ›Achäer‹ überall, wo Kuppelgräber, jene unterwerfend. 14. Jahrhundert neue Nordstämme. Wozu gehören die Namen Danaer? Peloper? Wann kamen die vorgriechischen indogermanischen Sprachen? Wer sind die ›Äoler‹? ›Dorer‹? Wie verhalten sich die verwüstenden Völker der[403] ›ägäischen Wanderung‹ zu den Seevölkern? Pelasger, Tyrrhener? Ist es möglich, daß Pel-oper, Pel-esiti, Pel-aski dasselbe ist?


327


Schachtgräber: Von solchen Anlagen schweigt die Keramik. Diese Herrengeschlechter machten keine Töpfe. Das mußten die Unterworfenen in der Argolis tun. Sie hausten in einem Ringwall auf dem Hügel und wollten gar keine Untertanen in der Nachbarschaft haben. Primitiv, ungeschlacht. Gefangene Handwerker mußten ihnen Waffen und Schmuck fertigen. Wo hätten die Goten und Vandalen Städte gebaut? Wo sie solche fanden und ausnahmsweise nicht zerstörten, da hausten sie in Teilen der Häusermasse. Wenn in der Ilias von Städten die Rede ist, so hatte der Dichter die jonischen Städte von 1000–900 vor Augen. Mykene, Tiryns, Theben waren aber keine Städte, sondern Burgen wie Troja VI (Ilios. Wie Troja II heißt, wissen wir nicht). Das Mykene der Schachtgräber hatte wohl überhaupt keinen Namen. Der Name Mykene gehört zu dem Herrensitz der Kuppelgräberherren.


328


Mykene: die Schachtgräberleute mit ihren Streitwagen konnten militärisch nicht viel anfangen. Argos, die ›Ebene‹ ist zu klein. Das befestigte Straßennetz ist von den Libyern angelegt, wie die Katabothren des Kopaissees: für Saumtiere und Fußsoldaten. Sie haben die Esel eingeführt. Pfeil, Bogen – libysch, achäisch, jonisch, nicht nordisch.


329


Achäer: Griechische Stämme, a) ›Mutterrecht‹. Erotik. Madonna, b) Dionysos. Die nordischen Eroberer sind zu einsam, um innerlich im Chor zu rasen.

Dionysisch ist die südliche, afrikanische Glut, negerhaft, die gegen die nordische Kälte protestiert. Die apollinische Beherrschtheit löst[404] sich im Süden auf. Woher der Gott Dionysos kommt, ist gleichgültig. Es handelt sich um eine Frage der Rasse. Nicht Mutterrecht, sondern wilder Rausch. Karneval. Die nordische Einsamkeit des Ich löst sich im unpersönlichen Rausch. Blutgier. Ebenso in China, Indien.


330


Was wir mykenischen und phönikischen Kunst-Stil nannten, ist der ›achäisch‹-afrikanische Geschmack der Kuppelgräberleute, die nach der minoischen Zeit (1400) die Kaftiwelt beherrschten, bis die seefahrenden Nordstämme sie mit kleinen Eroberertrupps unterwarfen. Ein Mischstil, von eingeborenen Handwerkern verschiedener Nationalität behandelt. ›Phönikisch‹ ist der letzte Rest dieser Kunst, nachdem die Nordbarbaren alles zerstört hatten.


331


Robert I, 298, [vertritt] die sehr alte Geschichte, daß Thyestes mit seiner Tochter πελοπια den Bluträcher zeugt, vgl. die irische Wälsungen-Sage. [Es ist] nordische Auffassung, daß das Blut der Ahnen um jeden Preis erhalten bleiben muß, wenn es die notwendige Tat vollbringen soll. Ganz anders die [Geschwisterehe] der Ägypter, Inkas etc. Der Wagenlenker des Pelops hieß Myrtilos (Mursilis hethitisch) (Robert I, 212–15). Er stammt aus Lesbos, wo Pelops den Brautraub der Hippodameia ausführt. König Oinomaos von Lesbos baut dem Ares einen Tempel aus den Schädeln der erschlagenen Freier.


332


Was wir ›mykenisch‹ nennen, ist kretische Nachahmung. Beide verfallen zusammen seit 1400. Die Kafti waren im Grunde Afrikaner – Tunis, Spanien, Libyen –, die ihren Geschmack am Fremden durch Herübernahme von Lykisch-Kleinasiatischem und Ägyptischem befriedigten. Deshalb war ihr Stil dem der Kuppelgräberleute[405] konform – das ist die Tatsache der ›kretisch-mykenischen‹ Koiné, die seit 1400, wo der maßgebende Mittelpunkt zerstört ist, rasch verfällt.


333


Aulis muß Bedeutung gehabt haben. Graergebiet. Daneben Mykal-essos. Engste Stelle der Straße von Euböa. Hinterland Theben. Sind Iphigenie und Agamemnon hier zu Hause? Haben die Herren von Mykene Theben erobert (Sieben gegen Theben)? Die Kadmeia? Was bedeutet ›Theben‹? Die ›jonische‹ Kolonisation alter Kaftigeschlechter, Seevölkerfamilien, auf alten Bahnen, [von] Milet [zum] Schwarzen Meer, [nach] Phokäa und Euböa [zum] Westmeer. Attika ist Land ohne Flotte und Kolonien. Die Peloper und Danaer. Wenn die jonische Amphiktyonie ›Kafti‹ ist, dann können auch die ›Paläste‹ von Knossos und Phaistos Bundesheiligtümer und [dann kann] Minos Schutzgott sein. Thron des Minos. Javones [ist dann] der Name der unter dem Schutz des Amphiktyonie wohnenden Seefahrer.


334


Nuraghen: Burgen, zu Rundhüttendörfern (biddazze) gehörig. Die Gräber sind die Tombe dei Giganti, Domus de Gianas. Die Größe der Nuraghen setzt [ein] starkes Fürstentum voraus, Herren mit Allgewalt. Vielleicht ist der Nuraghentyp nicht erst in Sardinien, sondern schon in Afrika aus den Rundhütten entwickelt worden, denn sie sind gleich ›fertig‹. Auch die Gräber der Balearen, [auf] Pantelleria [und] Sardinien beweisen Ableitung aus einem formalen Zentrum. Diese Burgen [sind] wie die Herrenhäuser der Antike, die Palazzi in Florenz, auch von Gesinde bewohnt und allgemeines Refugium. Feudalverhältnis. Wie der sikulische Fürst im Anaktoron von Pantalica.

Gewaltige Befestigungssysteme zur Deckung ganzer Landschaften. Zeit: Ende Kuprolithikum bis Bronze, 2. Jahrtausend.

Also sind die Nuraghen mit den mykenischen Bauten gleichzeitig! Vor den Seevölkern. Aber die Seevölker selbst haben hier die letzte[406] Entwicklung erfahren. Vielleicht sind die Schardana wirklich Söldnerbanden aus den Nuraghen! So wie die Aquivascha aus Tunis!


335


Werke dieser Schichten sind die Bewässerungsanlagen am Kopaissee und [an] der Pomündung und die schmale, für Wagen unbrauchbare Heerstraße hinter Mykene, die Paläste, Kuppelgräber: gewaltige Barbarenhäuptlinge, welche die Pracht und Technik der südlichen Kultur ausnutzten, wie Theoderich und andere. Waren es kriegsgefangene Kafti, die das alles schufen? Oder gab es Verträge wie zwischen Hiram und Salomo? Schon diese Landrattenschicht fand überall Fluchtburgen (›Städte‹) vor, so daß Siedlung und Numina samt den Namen dieselben blieben. ›Salamis‹ auf Cypern!


336


Es wird immer von ›Mykene‹ und ›mykenischer Kultur‹ geredet – wie bei kretischer Geschichte immer von Knossos – als ob das eine Einheit wäre. Aber es ist nichts weniger als das.


337


Die Tontöpfe können da nicht weit führen. Es ist selbstverständlich, daß die unterworfene Bevölkerung ihre Töpfe in gleicher Art weiter formte und verzierte, gleichviel, welche Herren in Mykene saßen. Eine viel deutlichere Sprache reden die Gräber. Die Keramik bedarf ihrerseits der Deutung aus andren geschichtlichen Tatsachen, um richtig verstanden zu werden. Die aber sind hier vorhanden. Grab – Waffe (Streitwagen).


338


Schacht und Kuppel – das klingt einfach. Man redet von Beigaben, Totenkult, als ob es sich um dasselbe handle. In Wirklichkeit ist der[407] symbolische Sinn des Schachtgrabes dem des Kuppelgrabes aufs deutlichste entgegengesetzt. Sie haben gar nichts gemeinsam. Die Worte Totenkult und Beigabe haben hier und da ganz andre oder gar keine Bedeutung. Und darüber hinaus: Jede der beiden symbolischen Grabformen hat ein ungeheures Geltungsgebiet hinter sich: [die eine weist] nach Spanien, [die andre] nach China.


339


Wenn von ›mykenischer Kultur‹ die Rede ist, denkt man zu einseitig an Mykene selbst und seine Kuppelgräber. Aber die ›iberischlibysche‹ Form war damals verbreitet. Erhalten haben sich solche Bauten und Spuren davon in Leukas, Pylos, Orchomenos. Da ist also eine große Zahl von Kriegertrupps (oder Stämme mit Weib und Kind), die sich überall auf den alten Kaftiseewegen festsetzten. Seit dem 16. Jahrhundert [besteht] kein Zweifel, daß für sie der Achäername galt. Wenn es sich um Wikinger handelte, ist es wahrscheinlich, daß sie als Männer kamen und mit erbeuteten Weibern Kinder zeugten. Dann ist es aber auch möglich, wie es oft vorgekommen ist (Türken), daß die Sprache dieser Weiber allmählich durchdrang, während die ›Rasse‹ neu entstand.


340


Wenn heute von der Vor- und Frühzeit der Hellenen die Rede ist, dann steigen sofort die Bilder von den Schachtgräbern von Mykene mit den Goldschätzen der Toten, und die Burgen von Tiryns und Mykene, Agamemnon und seine Achäer vor den Augen auf, und es stellt sich ohne weiteres der Name der Hellenen für das alles ein, der Hellenen, die von da an ›hel lenische Kultur‹ und Geschichte gemacht haben. Und die Gelehrten sind eifrig dabei, das alles hinzunehmen. Aber es fehlen noch die Kuppelgräber dazwischen, Architektur ersten Ranges, und der viel ältere gewaltige Rundbau von Tiryns (28 m). Ich habe schon gezeigt, daß hier die frühgeschichtliche Kultur des alten Westens und des etwas jüngeren Nordeurasiens zusammentreffen. Da[408] muß zunächst geschichtlich Ordnung geschaffen werden. Wenn ›Agamemnon‹ in einem der Schachtgräber bestattet wurde, kann er, nicht auf der Burg von Mykene gesessen haben, die 200 Jahre jünger ist. Entweder haben die ›Achäer‹ Schachtgräber gehabt, dann können sie nicht die Kuppelgräber erbaut haben, die genau dort anfangen, wo jene aufhören. Ich gehe von den zwei seelisch ganz verschiedenen Arten der Bestattung aus, in denen zwei Weltanschauungen zum Ausdruck kommen. Schachtgräber gibt es nur in Mykene, Kuppelgräber überall. Dort ein einzelner Stamm, hier eine große Anzahl, eine Stammesgruppe.


341


Auch Wilamowitz wirft Kuppel- und Schachtgräber durcheinander (I, 309). Die Leichenspiele waren kein Opfer an den Toten, sondern zu Ehren der Toten veranstaltet; von dem Eigentum der Toten wurden Preise gestiftet, der Erbe des Besitzes mußte die Freigebigkeit der Toten beweisen. Wenn in nordischen Gräbern (Ur, Skythen) Leichen von Weibern und Dienern lagen, dann waren es nicht Opfer, sondern das Eigentum der Toten, das mitgegeben wurde.


342


Die homerischen Epen kennen nur eine feierliche Art der Bestattung: die Verbrennung der Leiche und das Beisetzen unter einem Erdhügel. Von Schachtgräbern ist nicht im geringsten die Rede und noch viel weniger von den gewaltigen Kuppelgräbern ringsum im Peloponnes, in Phthia etc. Es ist also sicher, daß diese Dichter von der Zeit vor 1200, der Achäerzeit, keine Anschauung mehr hatten. Damals waren die Kuppelbauten sog. ›Schatzhäuser‹, d.h. sie wurden geplündert, und daß unter dem Plattenring Gräber lagen, war vergessen – sonst wären sie auch geplündert worden.[409]


343


Plattenring: Es wäre möglich, daß der für uns namenlose Schachtgräberstamm nicht vernichtet oder vertrieben, sondern unterworfen wurde, so daß er in der Umgebung von Mykene noch hörig saß, und die Erlaubnis erhielt, die Gräber seiner Häuptlinge zu pflegen. Jedenfalls aber, und das ist das Wichtigste, die Achäer hatten die Idee dieser Pflege, denn sie haben den Plattenring in ihre Burg einbezogen: Für sie waren die Toten fortlebend, Heroen des Landes geworden, und man mußte sie gut stimmen, wenn sie nicht Unheil bringen sollten.

Quelle:
Oswald Spengler: Frühzeit der Weltgeschichte. München 1966, S. 389-410.
Lizenz:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon