5. Die deutsche Währung

Obgleich der »Rentenmarkfriede« es heute vielen überflüssig erscheinen lassen wird, über Fragen der Währung ernsthaft nachzudenken, scheint es mir doch notwendig, die Geschichte des Todeskampfes der deutschen Mark noch einmal zu überblicken, denn die Rentenmark war von Anfang an als Zwischenlösung gedacht und ist nichts anderes, und die Lösung der unlösbaren Reparationsfrage wird das Problem unserer Zukunftswährung aufs neue stellen, und zwar in ernstester Form.

Die Geschichte der Papiermark ist von der des Parlamentarismus unserer Direktorialzeit nicht zu trennen. Die Unwissenheit seiner verantwortlichen Vertreter, der bezeichnende Materialismus, mit welchem die Währung als technisches Spezialproblem aufgefaßt wurde, die Feigheit und Unaufrichtigkeit in den einzelnen Maßregeln oder dem Mangel an solchen haben es bewirkt, daß man die Dinge erst bis zu erschreckenden Zuständen treiben ließ, um dann in plötzlicher Angst einzugreifen, ohne daß man sich den tieferen Sinn der Katastrophe vorher klargemacht hätte. Darüber geriet die Wirtschaft infolge des jahrelangen Mangels an einem echten Wertmaß und an vertrauenswürdigen Zahlungsmitteln derart in Verwirrung, daß sie weder den feindlichen Mächten noch sich selbst ein richtiges Bild ihrer Lage zu geben verstand. Der scheinbare Glanz, wie er z.B. in den phantastischen Dividendenziffern zum Ausdruck kam, hinter denen nichts stand, täuschte das Ausland in furchtbarer Weise über unsere Zahlungsfähigkeit und grenzenlose Verarmung, und das Inland über den Verbrauch der Substanz und die Notwendigkeit, mehr arbeiten zu müssen. Die produktive Wirtschaft ist heute so unterwühlt, daß sie neue Währungsexperimente nicht mehr ertragen würde. Etwa seit 1920 hatten Kauf und Verkauf gegen »Geld« den Charakter eines unvermeidlichen Betrugs, und trotzdem standen Industrie und Landwirtschaft dem sinkenden[250] Kurs mit der Ahnungslosigkeit eines Laien gegenüber und hielten ihn vielfach für ein Rettungsmittel statt für eine der wirksamsten Ursachen des Verfalls. Die Regierung hatte die Papiermark im Sinne einer verschlechterten Goldmark, also die eigene Währung, zum Tode verurteilt, und zwar in dem Augenblick, wo sie die Erlaubnis zur Ausgabe der ersten »wertbeständigen« Anleihe gab, die dem Sinne nach das alte Wertmaß aufgab, ohne daß jemand den Zusammenhang bemerkt, geschweige denn auf die Notwendigkeit eines raschen Ersatzes hingewirkt hätte. Die Währung wurde weiterhin als Frage zweiten Ranges behandelt, deren Lösung sich bis zur Aufrollung der Reparationsfrage und darüber hinaus vertagen ließ.

Ich hatte schon im Sommer 1923 nach einigen Seiten hin gewarnt und die Währungsfrage als die dringlichste von allen bezeichnet. Ich sah voraus, daß die Regierung des Ruhrwiderstandes mit diesem zugleich am Währungsverfall zugrunde gehen werde, und zwar durch die Erschütterung der inneren Lage, die durch das tägliche angstvolle und aufreizende Rechnen mit beständig wachsenden Riesenziffern psychologisch unhaltbar wurde.1 Statt die Notwendigkeit einer Mehrarbeit einzusehen, was seit dem Rechnen mit Rentenmark ganz von selbst geschah, schrie man in planlosem Entsetzen nach einer Senkung der ohnehin billigsten Preise der Welt. Beim Rechnen mit mehr als dreistelligen Ziffern ist es den meisten Menschen, auch den Gebildeten, ganz unmöglich, ihren kleinen Haushalt zu überblicken und die Preise richtig abzuschätzen. Während das Ausland uns auskaufte, schwankte das Inland zwischen nervöser Sparsamkeit und überstürzten Ausgaben hin und her. Der Wohnungsbolschewismus, das heißt die zwangsweise Festsetzung von Pfennigmieten, die durch eine lange Ziffernreihe erdrückend wirkten und trotzdem nicht die geringste Ausbesserung gestatteten, ließ den Häuserbestand,[251] einen der wertvollsten Reste unseres Volksvermögens, zerfallen, legte das Baugewerbe still, das mit den verwandten Industrien vor dem Kriege zuweilen fast ein Zehntel der Arbeiterschaft ernährt hatte und jetzt die Arbeitslosigkeit mit ihrer ungeheuren Belastung der Finanzen so gut wie ganz hätte verhindern können; belastete die Finanzen weiter durch den Ausfall an Steuern dieser Gewerbe und der Hausbesitzer, und schuf durch das immer rücksichtslosere Zusammenpferchen der Menschen und die Aufhebung der Heiligkeit des eigenen Heims eine solche Summe von Schmutz, Haß, Gemeinheit und Stumpfheit gegen alle äußere – und also auch innere – Kultur, daß alles dies schlimmer wirkte als ein zweiter Krieg. Was in diesen Monaten seelisch und sachlich zugrunde gegangen ist, läßt sich heute noch gar nicht absehen.

Dazu kam das Verbrechen der Devisenpolitik, mit dem man wie ein Kind, das die zerbrochene Tasse versteckt, die Folgen des Sterbens der Mark zu verdecken suchte. Solange sich im Zahlungsverkehr Devisen und Papiermark mischten und man den Austausch wenigstens als Möglichkeit empfand, fiel etwas von dem Vertrauen, das jene genossen, auch für diese ab. Erst als man beide künstlich trennte, trat für das allgemeine Empfinden ein absolut wertvolles Geld, das eben deshalb in die Winkel getrieben wurde, einem absolut wertlosen gegenüber. Erst seit dem verlor die Mark den letzten Halt. Die vorhandenen Zahlungsmittel wurden sämtlich Gegenstände eines täglichen Glücksspiels und büßten damit endgültig die Fähigkeit ein, Werte zu messen. Der Devisenhandel, der nun erst recht blühte, vergiftete den gesamten Warenverkehr. Man hätte im Gegenteil eine Anzahl von Edeldevisen als gesetzliche Zahlungsmittel zulassen und außerdem erlauben sollen, daß von Ausländern im Inland Zahlung in Devisen verlangt wurde. Sie würden gerade damals in Masse ins Land geströmt sein, hätten ein solides Element in den Zahlungsverkehr gebracht und den Übergang zu einer eigenen wertbeständigen Geldart kürzer und reibungsloser gestaltet. Statt dessen erfolgte nun ein Sinken des Markwertes zu mikroskopischen[252] Beträgen, bis unter dem Kabinett Stresemann in der glorreichen Endkurve von der Million zur Billion ein Weltrekord der Entwertungsgeschwindigkeit aufgestellt wurde, der voraussichtlich nie überboten werden wird. Den Abschluß dieser Taktik bildete der amtliche Mißbrauch des Berliner Dollarkurses, der mit Rücksicht auf den Lebensindex dem Auslandskurs gegenüber willkürlich bewegt wurde, um die Preisziffern niedrig zu halten, der aber eben damit den letzten Wertansatz, den Goldpreis, auf Wochen hinaus zum Gegenstand einer ganz neuen Spekulation gemacht hat.

Inzwischen griff nun, da der Staat versagte, die öffentliche Meinung kaum bewußt ein und schuf das Schlagwort vom wertbeständigen Gelde, das sich zu einer fixen Idee entwickelte und endlich dahin führte, daß die Kali-, Kohlen-, Getreide-, Elektrizitätswährungen dutzendweise emporschossen, rein psychologisch stabilisiert durch den Aberglauben, daß man ein Zahlungsmittel als Eigengröße durch den bloßen Vergleich schaffen könne. Aber dem Eingreifen der Privatkreise als solchem lag doch ein richtiges Gefühl zugrunde, und dieses führte zu dem Helfferichschen Plan einer Getreiderentenwährung und von ihm aus zur Entstehung der Rentenmark. Der tragende Gedanke selbst ist auch heute noch kaum deutlich erkannt worden, vielleicht nicht einmal von seinen Urhebern. Es handelt sich um den Verzicht des Staates auf die Schöpfung von Zahlungsmitteln zugunsten der Privatwirtschaft. Der Kredit der deutschen Wirtschaft und das Vertrauen auf ihre Ehrlichkeit und Leistungsfähigkeit ersetzte den nicht mehr vorhandenen Kredit der parlamentarischen Regierung. Deutschland ist heute das einzige Land der Welt, das eine reine Privatwährung besitzt. Die Rentenmarkscheine sind Anweisungen auf unbeweglichen produktiven Besitz und deshalb formal nicht dem Wechsel, sondern der Hypothek gleichartig.

Indessen handelte es sich bei Einführung des neuen Zahlungsmittels um eine doppelte Aufgabe: den Gedanken richtig zu fassen und bei dem furchtbaren Mißtrauen gegen alle vom Staat unterstützten Währungsexperimente die Überleitung[253] taktisch durchzuführen. Diese zweite und schwierigere, zunächst fast aussichtslose Aufgabe, die ein Akrobatengeschick voraussetzte, ist von Dr. Schacht überraschend sicher bewältigt worden. Aber sie kämpfte und kämpft heute noch gegen eine neue Gefahr: Durch die Stillegung der Notenpresse ist dem Staat eine wichtige Einnahmequelle verstopft worden und es war vorauszusehen, daß er versuchen mußte, irgendwie zu einem Ersatz zu gelangen. Nun liegt jede Währung in einem Staate, auch wenn sie nicht die Währung des Staates ist, und sie war hier um so mehr dessen Zugriffen ausgesetzt, als es sich gewissermaßen um fremden Kredit handelte, auf den man einen Druck ausübte. Diese Gefahr ist durch die Machtbefugnisse des Währungskommissars nur scheinbar ausgeschaltet. In gewissen Fällen muß er sich entscheiden, ob er den Staatshaushalt oder die banktechnische Sicherheit der Währung voranstellen soll. Es wäre vielleicht möglich gewesen, die Rentenmark durch eine englisch-amerikanische Bankengruppe garantieren zu lassen, unter Übertragung der hypothekarischen Sicherheit: dann würde ein sehr wirksames Einspruchsrecht gegen verdeckte Eingriffe in die Währungslage bestehen. Es gibt mehrere Arten von Inflation, z.B. durch Diskontierung von Schatzwechseln, die auf Rentenmark lauten, bei Privatbanken oder durch die Prägung von Metallgeld ohne Metallwert, das den Kredit der Rentenmark für sich ausnützt; und es gibt mehrere Arten, eine Deckung anzugreifen. Der Wert einer Hypothek hängt vom Ertrag der belasteten Sache ab, also nicht vom Stoff, sondern von der Leistung. Wenn die Steuergesetze den Ertrag vernichten, so ist der Wert der eingetragenen Schuld fraglich geworden. Die Steuern selbst sind gewissermaßen kurzfristige Hypotheken mit sofortiger Kündigung, die immer an allererster Stelle stehen, da sie ausbezahlt werden müssen.

Man muß sich hier das Verhältnis von Währung und »Geld« klarmachen. »Geld« ist ein reines Wertquantum, das man sich vorstellt, indem man bei einem Geschäft von der stofflichen Art der Ware und des Zahlungsmittels absieht. Es wird also durch eine einfache Ziffer ausgedrückt, und Mark ist wie Meter nur[254] der Maßstab, nach welchem die Ziffer ermittelt wird.2 Wenn heute ein Geschäftsmann eine gebrauchte Maschine gegen Rohstoffe tauscht, zieht er im Geiste von den Gegenständen den abstrakten Wert ab, den er in Mark mißt und vergleicht. Diese Gewohnheit, »in Geld zu denken«, fordert es durchaus nicht, daß im Warenverkehr ein Zahlungsmittel existiert, das den gemessenen Wert als Sachwert enthält. Die Metallgewichte, die wir Münzen nennen, sind in wachsendem Grade durch Urkunden (Banknoten) und diese durch Überschreibungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr ersetzt worden, also völlig entbehrlich. Das Vertrauen, das diesen schriftlichen Verkehr der Werte möglich macht, beruht allein darauf, daß das Wertmaß eine feste Größe ist, und das wird immer wieder dadurch in Frage gestellt, daß die Herstellung von Zahlungsmitteln nicht des Bedarfs wegen erfolgt, sondern eine Einnahmequelle bildet. Im alten Ägypten gab es trotz des hochentwickelten Kreditverkehrs überhaupt kein Zahlungsmittel, sondern nur feststehende Maßangaben bei schriftlicher Verrechnung, so daß der Begriff einer Währungskrise undenkbar ist. Für uns aber ist der Zusammenhang zwischen Währung und Politik folgenreicher als der zwischen Währung und Wirtschaft. Zwischen Käufer und Verkäufer tritt das Zahlungsmittel als Übergangs- und Normalware besonderer Art, deren Herstellung überall ein Vorrecht der Regierungen ist und deren Menge sich also nach dem Geldbedarf des Staates richtet. Wird dieser übermäßig, so redet man von Inflation. Ihre ursprüngliche Form ist die Münzverschlechterung, die von geldbedürftigen Staaten manchmal soweit getrieben wurde, daß Silbermünzen kaum noch Spuren von Silber enthielten. Das war also die Verschlechterung und Fälschung einer Ware, die der Hersteller den Käufer als vollwertig anzunehmen zwang.

Hierin tritt nun mit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts eine große Wendung ein, und zwar im Zusammenhang[255] mit der – an anderer Stelle besprochenen3 – rasch um sich greifenden Ablösung beweglicher Vermögen von den produktiven Werten, nämlich vermittelst der Aktie. So wie sich die Eigenschaft des Besitzes von der Fabrik in Gestalt einer papiernen Urkunde trennt, so trennt sich mit der Banknote die Eigenschaft eines bestimmten Wertes von der dafür hinterlegten Münze, und beide, Aktie wie Banknote, können nun von Hand zu Hand wandern, ohne daß der flüchtige Besitzer das Vorhandensein einer Deckung nachzuprüfen vermag. Damit wird das Zahlungsmittel aus einer Ware zum Wechsel, der auf einen irgendwo tatsächlich oder angeblich vorhandenen Schatz ausgestellt ist. Aber im Fall des Papiergeldes ist die Ausstellung des Wechsels durch den Staat eine stets offene Einnahmequelle, die Einlösung auf unbestimmte Zeit vertagt und der Aussteller sein eigener Richter in bezug auf Treu und Glauben. Da diese Wechsel in unbegrenzter Masse hergestellt werden können – in ganz anderem Umfang als minderwertige Münzen – und da das Wertmaß zugleich an ihnen haftet und durch sie dargestellt wird, so gerät die Währung in die Schwankungen des Wechselkurses, wofür die Assignaten das erste berüchtigte Beispiel gaben. Die Währungspolitik kreditunfähiger Staaten bestand also im Grunde darin, den Wechselkurs gewaltsam zu halten, ohne die Ursache seines Verfalls zu beseitigen, die zunächst in der übermäßigen Herstellung der Scheine bestand, aber nicht in ihr allein.

Da der erste Umstand von der heute herrschenden materialistischen Auffassung des Problems überschätzt wird, so muß die seit Adam Smith als Allheilmittel empfohlene »Goldwährung« auf ihre eigentliche Bedeutung hin untersucht werden. Eine Goldwährung in dem Sinne, wie er heute allgemein vorausgesetzt wird, gibt es überhaupt nicht.4 Der Umlauf von Banknoten soll durch eine Goldreserve gedeckt sein – aber das Wort Deckung hat einen doppelten Sinn. Heute versteht man darunter die sachliche Sicherheit.[256] Aber entweder ist ein Land in der Lage, sein Papiergeld überhaupt durch irgend etwas zu decken, dann kann an die Stelle von Gold auch ein Bestand von Warenwechseln, eine Hypothek oder endlich die bloße Bürgschaftserklärung der Regierung treten. Genügt das aber nicht, so wird auch eine Goldreserve an sich nicht imstande sein, den Notenkurs zu sichern. Wäre es auf die Sachdeckung allein angekommen, so waren die Assignaten der französischen und die Papiermark der deutschen Revolution die beiden bestgedeckten Papiere der Welt. Aber vor dem Kriege gelang es der russischen Regierung nicht, den Papierrubel auf dem Goldkurs zu halten, trotz einer der größten Goldreserven der Welt, und umgekehrt wird niemand bezweifeln, daß die Pfundnote nicht um einen Penny gesunken wäre, wenn die englische Regierung durch ein Gesetz die viel kleinere Goldreserve aufgegeben und durch eine Bürgschaft ersetzt hätte. Hier entscheidet die moralische Deckung über das Vertrauen, welches der Sachdeckung entgegengebracht wird, und macht diese damit eigentlich überflüssig. Kein Land ist so arm, daß es seinen Papiergeldumlauf nicht durch die Bereitstellung seines Volksvermögens sichern könnte, aber es fragt sich, ob die Regierung dazu entschlossen ist, um jeden Preis, um der Ehre willen, oder ob sie dazu neigt, die Sachdeckung anzugreifen – woran sie niemand hindern kann, da sie keinen Richter über sich hat –, entweder um die Folgen einer elenden Finanzwirtschaft zu verdecken oder um politische Ziele zu verfolgen oder aus Mangel an Mut zu unpopulären Maßregeln. Die moralische Deckung für die Assignaten trugen die Jakobiner und das Direktorium, die für die Papiermark die Sozialisten und der mit ihnen verbundene Parteiklüngel. Der Kurs beider Papiere enthält das öffentliche Urteil darüber, was diese Deckung wert war. In Deutschland haben diese Kreise mit Einführung der Rentenmark als Privatwährung darauf verzichtet, den eignen moralischen Kredit weiterhin einer Probe auszusetzen. In Frankreich wagten sie es, bis zu ihrem Sturz durch Napoleon.

Sie haben in dieser Zeit alle Finanzexperimente gemacht,[257] welche Männern ohne Sachkenntnis, Weitblick und Aufrichtigkeit in verzweifelten Lagen einfallen, und die wir infolgedessen seit 1919 ebenso erlebt haben und beinahe in derselben Folge: Eine Reihe von Zwangsanleihen, von der ersten, die Mirabeau empfahl, bis zur letzten, die Napoleon nach seinem Staatsstreich sofort einstellen ließ; andere Formen der Ablistung von Vermögensteilen unter den Bezeichnungen Prämienanleihe und Einkommensteuer, die letztere mit der naiven Bestimmung, das Einkommen abzuliefern, soweit es einen gewissen Betrag überstieg. Dann die Ausgeburten einer blinden Angst: die seit dem 27. Juli 1793 mehrfach wiederholte Schließung der Börse und eine Devisen Verordnung, was damals die Beschlagnahme von Münzen, fremden Geldsorten und Edelmetall und das Verbot des Handels mit ihnen bedeutete. Auf Übertretung stand Todesstrafe, was selbstverständlich ohne alle Wirkung blieb. Dann überstürzte Sparmaßregeln: die Umstellung der in Assignaten bezahlten Beamtengehälter auf wertbeständige Bruchteile der Friedenssätze (1795, etwa gleichzeitig mit dem Versuch einer Hypothekenaufwertung und Unterstützung der Kleinrentner mit unzulänglichen Beträgen) und gleich darauf die Einleitung eines Beamtenabbaus, wie sich versteht unter Schonung des Anhangs der Jakobiner, der in Masse einen Unterschlupf gerade in den höheren Stellen gefunden hatte. Dann infolge der wachsenden Geldentwertung die bekannten Maßregeln mit den bekannten Schicksalen: der aus den Kreisen von Industrie und Handel stammende Vorschlag einer Währungsbank und damit einer auf dem Kredit der Wirtschaft aufgebauten Privatwährung wird im März 1796 mit der Begründung abgelehnt, daß er die Autorität des Staates, d.h. der regierenden Partei verkürze. Aus demselben Grunde fiel gleichzeitig der Vorschlag einer Weizenwährung. Dafür wurde das Allheilmittel beschränkter Revolutionäre mit der üblichen Mißachtung des Eigentums der andern immer wieder hervorgeholt: Die am 26. Juli 1793 eingeführte Zwangswirtschaft mit amtlicher Festsetzung der Preise, vergeblichen Strafandrohungen, dem Aufblühen des Schleichhandels und dem Anreihen der[258] Stadtbevölkerung vor leerstehenden Bäckerläden – alles das unter großem Beifall der Finanzleute, die glänzend daran verdienten. Die Lieferanten und Gesellschaften schössen überall auf und verbanden sich mit den Jakobinern in einflußreichen Stellen, die reich werden wollten. Gegen eine dieser Gesellschaften, Hirsch & Baer (Cerf-berr), welche die Armee von Italien ausbeutete, mußte Napoleon einen sehr vorsichtigen Krieg führen, da der regierende Direktor Barras daran beteiligt war. Es folgte die Einführung einer neuen Währung mit der Ausprägung von Frankenstücken, die sofort aus dem Verkehr verschwanden; die feierliche Stillegung der Notenpresse im Februar 1796; die Ausgabe von Reskriptionen, einer Art Schatzwechsel, um den dringendsten Geldbedarf der Regierung zu befriedigen, und als Ersatz für die Assignaten die Ausgabe von Mandaten, welche durch Bereitstellung der beschlagnahmten Güter von Adel und Kirche sachlich gedeckt waren. Die moralische Sicherheit dafür, daß die sachliche nicht insgeheim angegriffen wurde, trugen aber mitten in dieser zweiten Schreckenszeit der Revolution wieder die Jakobiner, und der Grad des Vertrauens auf ihre Ehrlichkeit kam darin zum Ausdruck, daß die Mandate, im Unterschied von der Rentenmark eine reine Staatswährung, in der ersten Woche auf die Hälfte, in drei Monaten auf nichts sanken, worauf weite Gebiete von Frankreich zum Natural- und Tauschverkehr übergingen und ohne fremde Geldsorten nichts Wertvolles mehr zu haben war. Es gab von da an nur noch ein Mittel, das Vertrauen auf die Währung zu heben, nämlich die Abdankung der Jakobiner und ihres Anhangs, und da sie sich selbst zu dieser Stützung des Franken nicht entschlossen, so übernahm es schließlich Napoleon. Der Kurs stieg nach dem 18. Brumaire in wenigen Tagen auf das Dreifache.

Die deutsche und die französische Direktorialzeit unterscheiden sich nun aber darin, daß diese die Ehre Frankreichs in der Eroberung fremder Länder sah, welche die siegreichen Heere zu ernähren hatten, während jene, die zu ertragen Deutschland die Ehre hat, die Eroberungen des Feindes im eigenen Lande mitansieht und zu diesem Zweck dessen Heere[259] ernährt.5 Der Währungsverfall hatte infolgedessen im Sommer 1922 und im Herbst 1923 ein Tempo angenommen, das diesem Unterschied entsprach, und würde sich mit der Sachverständigenkonferenz und deren Ergebnis entsprechend fortgesetzt haben, wenn man ihm nicht mit Aufhebung der Staatswährung die Möglichkeit des symbolischen Ausdrucks entzogen hätte.

Als die private Rentenmark als Zwischenlösung Vertrauen gefunden hatte, war die allgemeine Meinung die, daß es sich nur um den Übergang zu einer neuen Staatswährung handeln könne. Es läßt sich darunter nicht gut etwas anderes verstehen als eine Form, welche der Staat nach eigenem Ermessen schafft und für deren Sicherung er auf gleichem Fuße mit ausländischen Kreditgebern verhandelt, wenn das nötig und möglich ist. Inzwischen mußte es stutzig machen, daß das klare Endziel sich durch eine verwirrende Reihe von Bankprojekten, die wechselnd an den Horizont gezaubert wurden, immer mehr den Blicken der Öffentlichkeit entzog. Neben Banken, die Begriffe blieben, entstand die Golddiskontbank als ein großes Wort für etwas, das man früher einen kleinen Auslandskredit genannt hätte – etwa in der Höhe von vier Wochenraten der geforderten Reparationsleistung. Dann aber begann die Frage eine überraschende Wendung zu nehmen, nämlich durch Verlegung des Schauplatzes von Berlin nach Paris und die Verwicklung der künftigen Währung in den Reparationsplan. Geschah das zufällig oder planmäßig? Ging es von deutscher Seite aus, wurde es von dieser gebilligt oder bekämpft oder gar nicht begriffen? Tatsache ist, daß die Privatwährung durch eine Staatswährung ersetzt werden soll, aber durch eine von fremden und feindlichen Staaten in gänzlich unverbindlicher Form, so daß damit das Damoklesschwert einer beständig drohenden Währungskrise über dem deutschen Volk aufgehängt würde, das die Reparationsforderungen erfüllen soll und nicht kann.

An den Verhandlungen, die von Direktoren des Morgantrusts[260] als Vertretern Amerikas geleitet wurden,6 waren deutsche Sachverständige beteiligt. Wer sandte sie? Waren sie in die Pariser Absichten und diejenigen Morgans eingeweiht? Haben sie Einfluß darauf ausgeübt? Bestand ein Einfluß bestimmter nichtamtlicher Kreise? Es soll nicht vergessen werden, daß der Einzug der fremden Sachverständigen in Berlin von unserer Finanz- und Franzosenpresse wie der von Siegern begrüßt wurde.

Dann kam der Eifer, sie zu informieren, der geräuschvolle Optimismus in amtlichen Erklärungen, aber auch die zunehmende Geheimhaltung dessen, was in Paris kein Geheimnis war. Wußte man nichts? Wußte man es, ohne es hindern zu können, oder wollte man es nicht hindern? Endlich trat das Ergebnis zutage. Es wurde eilig mit Unterschlagung der belastendsten Teile veröffentlicht, von der eingeweihten Presse mit betonter Zustimmung aufgenommen und die so hergestellte Billigung des deutschen Volkes, das in Wirklichkeit von der Tragweite der Bestimmungen keine Ahnung hatte und sie großenteils gar nicht kannte, dem Ausland als Tatsache zur Anschauung gebracht. In jedem andern Lande würde der Staatsgerichtshof Gelegenheit finden, diese Vorgänge genau aufzuklären. Haben die verantwortlichen Kreise an dem Ergebnis mitgearbeitet? In welcher Richtung? Mit welchem Erfolg? Wenn ohne Erfolg – womit läßt sich das Schweigen und die Haltung während und nach dem Abschluß rechtfertigen? Und wenn ohne Voraussicht der Ergebnisse und ihrer Folgen – wann beginnen die Inhaber sehr verantwortungsreicher Ämter, wenn sie trotz offenkundigen Mangels an Eignung und beständiger Mißerfolge an ihnen festhalten, dafür – verantwortlich zu werden?

Tatsache ist, daß der gesamte Besitz des Reiches ausgeliefert wird; daß die wesentlichen Einnahmequellen, welche die verarmte Wirtschaft bedrücken und trotzdem nicht einmal[261] die eigenen notwendigen Staatsausgaben decken, ausgeliefert werden ohne Angabe, woher ein Ersatz kommen soll; daß der produktive unbewegliche Besitz, vor allem die Industrie, ausgeliefert wird – die Landwirtschaft hat man, ohne Zweifel nur aus Rücksicht auf die Stimmung der ländlichen Wählermassen, etwas vorsichtiger behandelt: Alles das zur hellen Freude des beweglichen Finanzkapitals, des deutschen und fremden, das mit der Auswertung dieser ungeheuren Pfändermasse durch einen im Entwurf schon aufgebauten Riesentrust die Möglichkeit von Riesengewinnen auftauchen sieht. Das Vorbild geben der amerikanische Öl- und der französische Wiederaufbauskandal. Welchen Einfluß hatten diese Finanzkreise und Morgan auf die Verhandlungen? In welchem Umfang hatte man sich über die Verknüpfung der Pfänder mit internationalen Kreditgeschäften im voraus verständigt? Endlich wird die von Friedrich dem Großen ins Leben gerufene Reichsbank, die alte preußische Staatsbank, mit Einschluß der Renten- und Golddiskontbank ausgeliefert, um eine in Deutschland arbeitende Reparationsbank fremder Trusts zu werden, welche Kredit und Währung völlig in Händen hat.

Das alles vollzieht sich als der letzte Akt der Außenpolitik eines Parteiklüngels, dessen rechte Seite hier beendet, was die linke in Versailles begonnen hatte: den Verkauf eines ganzen Volkes in die Sklaverei, nachdem man es durch eine Mißwirtschaft von fünf Jahren seelisch entwaffnet und durch den Lärm der Parteipolitik über sein Schicksal getäuscht hat. So haben bis jetzt nur Häuptlinge von Negerstämmen gehandelt – nicht einmal sie, denn sie sorgten dafür, daß die Gegenseite Verpflichtungen übernahm, während jene es immer wieder lächelnd ertrugen, daß dergleichen Verpflichtungen nicht gegeben oder nicht gehalten wurden, ohne daß das eigne Selbstbewußtsein darüber verloren ging.

Damit würde, wenn die Herrschaft dieses Klüngels nun kein Ende nimmt, die Frage der deutschen Währung für uns gleichgültig geworden sein. Das Wertmaß für eine verkaufte Ware geht nur den Käufer an. Ich setze aber den Fall, daß es für die Mehrheit des Volkes nun endlich der Schande genug[262] ist und daß andrerseits durch die weltpolitische Entwicklung das uferlose Problem der Einigung über die Beute mehr und mehr in die großen ungelösten Machtfragen hineingezogen wird, und wiederhole deshalb: die Sicherheit und das Vertrauen auf eine künftige deutsche Währung hängen nur mittelbar von der Wirtschaftslage ab, nämlich von einer aktiven Handelsbilanz, dem Devisenzufluß, der Befriedigung des Kapitalbedarfs von Industrie und Landwirtschaft und vom Steuerertrag, während das alles unmittelbar von der großen Politik abhängt. Versagt sie, so zerfällt die Wirtschaft und die Währung wird zum Problem. Erfüllt sie ihre Aufgabe, so ist damit bereits das eine wie das andere gestützt. Die Politik hängt aber nicht von Einrichtungen, sondern von Persönlichkeiten ab. Und deshalb gibt es letzten Endes nur Personalkredit, für das Wirtschaftswesen eines ganzen Volkes wie für jedes einzelne Unternehmen. Und deshalb ruht auch im tiefsten Grunde jede Währung auf dem Personalkredit der verantwortlichen Minderheit von Regierenden. Der Assignatenkurs war von militärischen Erfolgen und der Verbesserung oder Verschlechterung der Wirtschaftslage ziemlich unabhängig. Seine Kurve zeigt zwei Augenblicke stärkster Senkung: den Zusammentritt der gesetzgebenden Versammlung, als sich herausstellte, daß sie nur Schwätzer, keine Führer enthielt, und den Antritt des Direktoriums, dessen sachliche und sittliche Eigenschaften man richtig bewertete; und drei Augenblicke eines plötzlichen Anstiegs: vorübergehend im Herbst 1792, als Danton die Diktatur ergriff, im Frühling 1793 mit der Diktatur Robespierres, und dauernd im Herbst 1799 mit dem Staatsstreich Napoleons, der den Kurs binnen drei Tagen verdoppelte.

1

Hier setzte denn auch die Taktik des Parteiklüngels ein, welche wie 1917 den Widerstand nach außen untergrub, diesmal um einerseits die nationale Stimmung innerhalb der Arbeiterschaft wieder zu zerstören, und anderseits um der Sitte, durch überparteiliche Kabinette den Parteiministern die Staatskrippe zu sperren, ein gründliches Ende zu machen.

2

Unt. d. Abdl. II, S. 600 ff. Alle ursprünglichen Geldsorten wie Mine, Talent, Pfund, Mark sind schon dem Namen nach Gewichtseinheiten, nach denen ebensogut Korn wie Gold oder Silber gemessen werden konnte.

3

S. 138 ff.

4

Unt. d. Abdl. II, S. 612 ff.

5

S. 170.

6

Um, wie der amerikanische Senator La Follette schrieb, dafür zu sorgen, daß die finanziellen Verpflichtungen, deren Gläubiger die Banken sind, bis zum letzten Cent bezahlt werden, wenn auch die Regierung der Vereinigten Staaten keinen Dollar von den Summen zurückerhält, die sie den Alliierten während des Krieges vorgestreckt hat.

Quelle:
Oswald Spengler: Politische Schriften. München 1933, S. 249-263.
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