§ 57. Herbart.

I. Einleitung. Metaphysik. Psychologie.

  • [328] Literatur: Die Literatur über Herbart ist sehr groß; vgl. die neueste Zusammenstellung in H. Zimmer, Führer durch die deutsche Herbart-Literatur 1910. Sie hat aber noch keine erschöpfende Gesamtdarstellung[328] seiner Philosophie hervorgebracht. Die beste Einführung bieten wohl noch immer die beiden Schriften seines Schülers und Herausgebers Hartenstein: Probleme und Grundlehren der allgemeinen Metaphysik 1836, und: Grundbegriffe der ethischen Wissenschaften 1844; ferner Hartensteins Einleitung zu Bd. I seiner Ausgabe von Herbarts kleineren Schriften, 1842; und Drobisch, Über die Fortbildung der Philosophie durch Herbart, Lpz. 1876. Eine gute zusammenfassende Schilderung besitzen wir seit 1903 in: W. Kinkel, Joh. Fr. Herbart, Sein Leben und seine Philosophie (mit zahlreichen Literaturangaben). Eine kurze populäre Zusammenstellung des Wichtigsten gibt des eifrigen Herbartianers O. Flügel: Herbarts Lehren und Leben (Teubner) 1907; desgl. F. Franke, Herbart, Grundzüge seiner Lehre 1909.
    Herbarts Sämtliche Werke hat G. Hartenstein (der Herausgeber Kants) in 12 Bänden, Lpz. 1850 – 52 (2. Aufl. Hamburg 1883 ff.) herausgegeben, wozu 1893 ein 13. Band: Nachträge und Ergänzungen gekommen ist. Vollständiger ist die neue Ausgabe der Werke »in chronologischer Reihenfolge« von K. Kehrbach (1887 ff.), fortgesetzt von O. Flügel, 15 Bde., 1887 – 1909, dazu Bd. 16 – 19: Briefe, Urkunden und Register, herausg. von Th. Fritzsch 1913. Die pädagogischen Schriften edierten O. Willmann (2. Aufl. 1880) und Bartholomäi (7. Aufl. von E. v. Sallwürk 1903), die Philosophischen Hauptschriften Flügel und Fritsch. 3 Bde. 1913 f. Das Lehrbuch nur Einleitung in die Philosophie ist neu herausg. von K. Häntsch (Phil. Bibl.) 1912 (mit ausführl. Einleitung).

1. Leben und Schriften, Einteilung seiner Philosophie. Johann Friedrich Herbart, am 4. Mai 1776 als einziger Sohn eines Justizrats in Oldenburg geboren, schon auf dem Gymnasium mit Wolffscher und Kantischer Philosophie bekannt, ging, nachdem er den Widerstand seiner Eltern überwunden, 1794 nach Jena, um Fichte zu hören, äußerte jedoch bereits dort seine Bedenken gegen die Ich-Lehre und kritisierte die in deren Sinne gehaltenen beiden ersten Schellingschen Schriften (1796). Die seiner Universitätszeit folgenden Jahre (1797 – 1800) brachte er – wie Kant, Fichte und Hegel – zunächst als Hauslehrer zu, und zwar in der Berner Patrizierfamilie von Steiger. Sein schon damals vorhandenes Interesse für Pädagogik ließ ihn die Bekanntschaft Pestalozzis machen. Seine Zöglinge beschäftigte er hauptsächlich mit Poesie (Homer) und Mathematik, während er den Unterricht in Moral und Geschichte auf später verschob. Nach zweijährigem Aufenthalte im Hause seines Freundes J. Smidt in. Bremen, habilitierte er sich 1803 in Göttingen als Privatdozent der Philosophie und (als erster) der Pädagogik, wurde 1806 daselbst außerordentlicher, 1809 in Königsberg, auf Wilhelm von Humboldts Empfehlung, ordentlicher Professor[329] (nach Krug, dem Nachfolger Kants) und Direktor des von ihm gegründeten ersten pädagogischen Seminars. Seine Hoffnungen, Hegels Nachfolger in Berlin zu werden, erfüllten sich nicht. Von 1833 bis zu seinem Tode (14. August 1841) lehrte er wieder in Göttingen, sich streng auf seine Vorlesungen, Studien und pädagogischen Bestrebungen beschränkend. Von öffentlichen Angelegenheiten hielt der unpolitische, beinahe weltabgewandte Mann sich fern; an dem Schritt der »Göttinger Sieben« (1837) hat er nicht teilgenommen.

Die wichtigeren Werke Herbarts sind: Allgemeine Pädagogik 1806. Hauptpunkte der Metaphysik 1806/08. Allgemeine praktische Philosophie 1808. Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie 1813 (am besten zur Einführung geeignet). Lehrbuch zur Psychologie 1816. Psychologie als Wissenschaft, neugegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik 1824/25. Allgemeine Metaphysik nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre 1828/29. Kurze Enzyklopädie 1831. Umriß pädagogischer Vorlesungen 1835 (populär, auch bei Reclam).

Herbarts Denken ist im Gegensatz zu dem Gefühlsüberschwang seiner romantischen Zeitgenossen, rein verstandesmäßig. Ähnlich wie Christian Wolff, mit dem er überhaupt in seiner nüchternen Art manches gemein hat, ist diesem mathematisch gerichteten Geiste Wahrheit und Deutlichkeit der Begriffe der höchste Maßstab. Alles Pathos liegt ihm, auch im Stile, völlig fern. Sein Standpunkt will »die richtige Mitte zwischen mystischer Anschauung und Empirismus« suchen. Philosophie ist nach Herbarts, in bewußtem Gegensatz zu Schelling und mit einer gewissen Anlehnung an Kant, aufgestellter Definition: Bearbeitung der in der Erfahrung gegebenen Begriffe. Aus den Hauptarten dieser Bearbeitung ergeben sich die einzelnen Teile der Philosophie: Die Logik bezweckt Verdeutlichung der Begriffe, die Metaphysik oder theoretische Philosophie mit ihren drei Anwendungen: Naturphilosophie, Psychologie und Religionsphilosophie oder natürlicher Theologie, deren Berichtigung; die Ästhetik endlich, die bei Herbart auch die Ethik, ja alle »praktischen« Wissenschaften als »Kunstlehren« in sich schließt, betrachtet die von Beifall bezw. Mißfallen begleiteten Begriffe, welche sie durch Wertbestimmungen ergänzt. In der formalen Logik hat Herbart nichts Eigentümliches geschaffen. Wir beginnen daher mit seiner


2. Metaphysik einschl. Naturphilosophie.

  • [330] Literatur: Vgl. Capesius, Die Metaphysik H. s in ihrer Entwicklungsgeschichte, 1878.

Herbart hat sich öfter als einen Kantianer, »aber vom Jahre 1828«, dem Erscheinungsjahre seiner eigenen Metaphysik, bezeichnet. In der Tat hat er mit Kant nur die nüchtern-besonnene Opposition gegen die Spekulationen der philosophischen Romantik und das Ausgehen von der Erfahrung gemein. Aber »Erfahrung« bedeutet bei ihm nicht, wie bei Kant, wissenschaftliche Naturerkenntnis, sondern den sehr vieldeutigen Begriff des »Gegebenen«. Ferner nimmt er zwar mit Kant an, daß »die Welt der Erfahrung nur eine Welt der Erscheinungen sei«, aber das Ding-an-sich ist ihm kein Grenzbegriff, sondern ein durch die Empfindung verbürgtes Reales, das nicht wegzuschaffen ist, und das er daher in seiner Metaphysik ergründen will. Metaphysik ist die Wissenschaft vom Realen, genauer, wie wir gleich sehen werden, von den Realen, weshalb man seine Lehre auch wohl als Realismus bezeichnet. Die Logik hat dieser Realphilosophie gegenüber nur eine formale Bedeutung; sie ist für die Metaphysik nur da, um ihr den unerschütterlichen Satz des Widerspruchs zu liefern: Was sich widerspricht, kann nicht wahr, nicht wirklich sein. Nun stecken aber die Grundbegriffe der Erfahrung voller Widersprüche. Die drei philosophisch wichtigsten sind: der Begriff eines Dinges mit mehreren Eigenschaften (Substanz), der der Veränderung überhaupt (damit auch derjenige der Kausalität), und der des Ich. Diese Widersprüche müssen nach Herbart durch die »Methode der Beziehungen« so lange bearbeitet, d.h. umgebildet werden, bis daraus eine widerspruchsfreie Realität hervorgeht; der nun einmal vorhandene Schein ist fortzuschaffen, bis wir auf das zu findende »Sein« stoßen, das ihm zugrunde liegt. Denn wie der Rauch auf das Feuer, so weist aller Schein auf ein Sein zurück. Letzteres ist die »absolute Position«, bei der es »sein Bewenden haben« soll. So führt der Begriff eines Dinges mit verschiedenen Eigenschaften, den wir beständig vor Augen haben, mit Notwendigkeit auf den Gedanken, daß viele einfache »wirkliche« Dinge oder Reale existieren müssen: ein gegen den Monismus der spekulativen Idealisten gerichteter und von Herbart als »qualitativer Atomismus« bezeichneter Standpunkt, der indessen mehr, als an Demokrits[331] Atome, an Leibniz'-Wolffs Monadenlehre erinnert, oder auch als ein in den Plural übersetzter Eleatismus (vgl. Bd. I, § 6) bezeichnet werden könnte.

Nachdem die »Methodologie«, der erste Teil von Herbarts Metaphysik, uns auf die richtige Methode (»der Beziehungen«) geführt, schildert der zweite, die »Ontologie«, den Charakter des wahren Seienden. Das sogenannte »Ding« mit seinen verschiedenen Eigenschaften ist nur ein »Zusammen« von besonderen »Realen«, ein Stück Zucker z.B. ein System von weißen, von süßen, von rauhen usw. Realen. Jedes einzelne Reale ist infolge seiner Eigenschaften schlechthin einfach und unwandelbar; denn für das wahrhaft Seiende gibt es keinen Wechsel. Das einzige »wirkliche Geschehen« (die Veränderung) in der Welt besteht in der Selbsterhaltung (man fühlt sich an das »suum esse conservare« des Spinoza erinnert) der einzelnen Realen gegenüber den ihnen von anderen Realen drohenden Störungen, also in den wechselnden »Beziehungen« zwischen ihnen. Auf diese Selbsterhaltungen bezw. Widerstände und Störungen meint Herbart den gesamten »Schein«, d. i. die ganze Physik und Psychologie, also die Naturwissenschaft überhaupt zurückführen zu können; denn Erklären heißt nichts anderes als: die Widersprüche beseitigen. Die in die Erscheinung tretenden Eigenschaften und Veränderungen sind nur »zufällige Ansichten«; sie bleiben dem eigentlichen Wesen der Dinge fremd.

Die Metaphysik des nur »scheinbaren« Geschehens zerfällt in 1. die »Synechologie« oder Lehre von der Stetigkeit, vom Zusammenhängenden, welche die Grundlage zur Naturphilosophie bildet, und 2. die »Eidolologie« oder Lehre von den »Bildern«, d.h. Vorstellungen unseres Ich, die in die Psychologie ausmündet. Die Synechologie versucht zu zeigen, daß der Raum und die ihn erfüllende Materie ein »objektiver« Schein sein müsse, indem das Zusammensein der Realen für jede Intelligenz (nicht bloß die menschliche!) die räumliche Form des Außereinander ebenso annehmen muß, wie die zeitliche des Nacheinander. Die Raumbestimmungen sind bloß notwendige Auffassungsweisen des Zuschauers; real ist die Materie nur als »Summe einfacher Wesen«. Durch das »Aneinander« der letzteren wird die »starre« (»diskrete«), durch den Übergang der Punkte ineinander die stetige Linie erzeugt und der intelligibele Raum der einfachen Realen, im Unterschiede von dem »phänomenalen«[332] Raum unserer Wahrnehmung, hergestellt; analog verhält es sich mit der Zeit. Daran anschließend suchen die Umrisse der Naturphilosophie die einfachsten Naturerscheinungen, d.h. die chemischen, und weiter die der Wärme, der Elektrizität, der Schwere und des Lichts durch die »starken« und »schwachen«, »gleichen« (nahezu gleichen, nicht sehr ungleichen) und »ungleichen« (sehr ungleichen) Gegensätze der Elemente zueinander zu erklären: so daß er sich auf diesem Gebiete seinen »idealistischen« Gegnern gar nicht sehr entgegengesetzt zeigt, indem auch er die »sogenannte Physik« aus metaphysischen Prinzipien ableitet. Auch die sogenannten Lebenskräfte der Biologie sind ihm nichts Ursprüngliches, sondern stellen nur ein System von Selbsterhaltungen dar, durch welches ein Wesen (Organismus) konstituiert wird. Die Zweckmäßigkeit in der Natur vermag Philosophie nicht zu erklären; hier tritt der religiöse Glaube ein (s. unten S. 337). Ein Zusammenhang mit der modernen Naturwissenschaft wird nicht angestrebt.


3. Psychologie.

Wie die Synechologie in die Naturphilosophie, so geht die Eidolologie über in Herbarts Haupt- und Grundwissenschaft, deren Verallgemeinerung ihn offenbar überhaupt erst zu den Abstraktionen seiner Metaphysik gebracht hat: die Psychologie. Auch unser eigenes Ich, die sogenannte »Seele«, ist ein an sich unerkennbares Reale, das bloß den Boden für das Zusammensein der mannigfach wechselnden, einander hemmenden und fördernden Vorstellungen abgibt. Die Psychologie ist demnach die Lehre von den Selbsterhaltungen der Seele oder vielmehr ihrer Vorstellungen. Denn die Seele selbst ist eine absolute einfache Substanz, deren Beschaffenheit uns immer unbekannt bleiben wird; wir merken ihr Vorhandensein nur an ihrer Selbsterhaltung gegen die Störungen von außen, d.h. eben an ihren Vorstellungen. Aufgabe einer wissenschaftlichen, »exakten« Psychologie, wie Herbart sie erstrebt, ist nun eine mathematisch begründete Statik und Mechanik dieser Vorstellungen. Eine solche ist möglich, wem man die Vorstellungen als Kräfte auffaßt, die einander je nachdem hemmen, verdunkeln, im Gleichgewicht halten oder fördern. Keine Vorstellung wird ganz und für immer vernichtet, sondern nur vorübergehend unter die Schwelle des Bewußtseins herabgedrückt, über die sie sich[333] bei gegebener Gelegenheit wieder erhebt. Im Bewußtsein herrschend ist eine Vorstellung, wenn sie durch keine andere gehemmt ist. In der Regel aber findet eine solche Hemmung statt. Gleichartige Vorstellungen verschmelzen, ungleichartige komplizieren sich (z.B. grün und sauer zu dem Bild der Gurke), in beiden Fällen entweder vollkommen oder unvollkommen. Mehr als drei Vorstellungen sind nur selten im Bewußtsein vereinigt. Jede Vorstellung verliert nun um so mehr von ihrer Stärke (Intensität), je stärker die neuauftauchende hemmende Vorstellung ist. So entsteht ein ganzes System von Kräften und Gegenkräften, das den allgemeinen mechanischen und statischen Gesetzen unterliegt, also mathematisch bestimmbar ist. Als »Statik« des Geistes sucht die Psychologie die Gesetze der im Gleichgewicht befindlichen Vorstellungen auf; sie bestimmt z.B. ihre Hemmungssumme, d.h. die Summe dessen, was aus dem Bewußtsein gedrängt wird (= der Summe aller Vorstellungen minus der stärksten), oder das Hemmungsverhältnis, d.h. das Verhältnis, in welchem sich der Verlust auf die verschiedenen Vorstellungen verteilt. Als »Mechanik« des Geistes dagegen erörtert sie den Wechsel oder die Bewegung der Vorstellungen, ihr Aufsteigen und Sinken, ihre Assoziation und Reproduktion, und sucht sie in genaue mathematische Formeln zu kleiden.

Herbart polemisiert gern und oft gegen die im 18. Jahrhundert übliche Lehre von den Seelenvermögen, mit Recht, soweit darunter etwa völlig getrennte Gebiete psychischer Erscheinungen verstanden werden. Denn Vorstellen, Wollen und Fühlen verflechten sich beständig miteinander. Aber ebensowenig darf ihre Eigenart verdunkelt werden. Das vergißt Herbart, indem er alle übrigen seelischen Vorgänge von dem Vorstellungsmechanismus ableitet. Nur die einfachsten Vorstellungen oder Empfindungen (z.B. der Töne, Farben, Gerüche) werden ihm zufolge selbsttätig von der Seele hervorgebracht. Dagegen sind Wille, Gefühl, Begierde, Verstand, Vernunft usw. nur Vorstellungsverhältnisse. »Gefühl und Begierden sind nichts neben und außer den Vorstellungen.« Wird eine Vorstellung zeitweilig unter die Schwelle des Bewußtseins herabgedrückt, so bleibt doch ein Streben vorzustellen zurück. Indem dieses Streben sich gegen Hindernisse »heraufarbeitet«, wird daraus das Begehren (der Trieb), welches Wille heißt, wenn es sich mit der Vorstellung der Erreichbarkeit des Erstrebten[334] verbindet. Der Charakter eines Menschen beruht darauf, daß gewisse Vorstellungsmassen, durch »Apperzeption« (Aufnahme) verwandter herangewachsen, die herrschenden geworden sind und nun die entgegenstehenden niederhalten. Der Wille hängt also von dem Vorstellen ab, Freiheit bedeutet nur Bestimmbarkeit durch verschiedene Motive; Herbart ist entschiedener Determinist. Das Gefühl entsteht, wenn sich eine Vorstellung zwischen zwei gegeneinander wirkenden Kräften im Gleichgewicht erhält, weshalb Gefühle (wie Freude, Trauer u. a.) selten ganz ungemischt sind.

Den physiologischen Sitz der Seele denkt sich Herbart im Gehirn. Hier empfängt sie vermittelst der Zentralnervenbahnen die »Störungen« von außen, d. i. von seiten der in ihrer nächsten Umgebung befindlichen einfachen Realen, gegen die sie, sich selbsterhaltend, in den »Vorstellungen« sich zur Wehr setzt. Neue Vorstellungen üben Reize aus, aber es gibt eine Grenze für deren Stärke, nach dem Gesetze der abnehmenden Empfänglichkeiten. Im übrigen hat sie weder Ort noch Zeit, und ihre Unsterblichkeit »versteht sich«, wegen der Zeitlosigkeit alles Realen, »von selbst«.

Gegenüber einer unwissenschaftlichen Psychologie, die in gefühlsmäßigen Betrachtungen oder bloßer Beschreibung seelischer Zustände aufging, hat Herbart den verdienstlichen Versuch gemacht, den bunten Wechsel der psychischen Vorgänge als die gesetzmäßige Kombination und Assoziation elementarer Vorgänge (der Empfindungen und Vorstellungen) zu begreifen. Indessen, so sehr auch der Ernst und der Scharfsinn anzuerkennen sind, mit denen er eine streng naturwissenschaftliche Erklärung des geistigen Lebens zu geben versuchte: die Mathematik ist doch nur für bestimmte, eng begrenzte Gebiete der Psychologie – wir erinnern u. a. an ihre schon in Kants Kritik der Urteilskraft hervorgehobene Unentbehrlichkeit zur Bestimmung der musikalischen Tonintervalle – ein nicht zu entbehrendes Hilfsmittel; sie versagt beim heutigen Stand der Erkenntnis, wenn man mit ihr die Probleme der vielgestaltigen Welt der Gefühle zu lösen unternimmt. Herbarts Psychologie ist denn auch in ihrem mathematischen Teile selbst von seinen Anhängern heute fast allgemein aufgegeben worden.[335]

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2, Leipzig 51919, S. 328-336.
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