Bahnhotels

[415] Bahnhotels. Die Errichtung von Hotels in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe ist durch die Natur des Eisenbahnverkehrs in so hohem Maße gerechtfertigt, daß nahezu überall die ersten Neubauten, die im Bereich der außerhalb größerer Orte gelegenen Bahnhöfe entstehen, dazu bestimmt sind, dem in der Station von und zur Bahn verkehrenden Publikum Unterkunft und sonstige Beherbergung zu bieten.

Solche Hotels in der Nähe der Bahnhöfe werden zumeist von dritten Personen, nicht von den Eisenbahnunternehmungen selbst, errichtet. Im Zuge neuer Bahnlinien entstehen derart vielfach Hotels, die ein Produkt des neuen Eisenbahnverkehrs sind. Solche Hotels, die mit dem Eisenbahnunternehmen selbst in keinem Zusammenhange stehen, finden sich in allen größeren Städten, die an sich Verkehrszentren sind, dann in Abzweigestationen, häufig aber auch in Mittelstationen.

Vielfach haben aber die Eisenbahnunternehmungen selbst die Errichtung von B. übernommen und deren Betrieb ihrem eigenen Eisenbahnunternehmen dienstbar gemacht. Auf dem europäischen Festlande kommen derartige Verhältnisse nur vereinzelt vor. So besitzt die österreichische Südbahngesellschaft großartige Hotelanlagen auf dem Semmering, in Toblach und in Abbazia, die österreichischen Staatsbahnen ein Hotel in Zell am See.

Aus der Zeit der Braunschweigischen Privatbahn rührt die Beteiligung der preußischen Staatseisenbahnverwaltung an dem Hotel Harzburger Hof in Bad Harzburg her.

Auch in Frankreich besitzen einzelne große Privatbahnen B., so gehören z.B. der Paris-Lyon-Méditerranée 4 »Terminus-Hôtel« genannte B., u. zw. in Lyon, Marseille, Briançon und Veynes.

Die amerikanischen Eisenbahngesellschaften haben gleichfalls an geeigneten Orten ihres Eisenbahnnetzes B. erbaut; so beispielsweise die Atchison, Topeka und Santa-Fé-Eisenbahngesellschaft in Les Vegas, Hot Sprongs und in ihrer westlichen Endstation Guaymas, am Meerbusen von Kalifornien.

Alle diese Unternehmungen erreichen aber bei weitem nicht die großartigen Riesenetablissements der englischen Eisenbahngesellschaften. Die englischen, im gegenseitigen Wettbewerb stehenden großen Eisenbahngesellschaften erblicken im Hotelbetrieb ein geeignetes Reklamemittel, um die Reisenden durch die vortrefflichen Einrichtungen ihrer Hotels für ihre Wettbewerbslinie anzulocken.

Diese englischen B., wie in London, Liverpool und in vielen anderen Eisenbahnzentren, sind in den Aufnahmsgebäuden der Station selbst untergebracht und bilden zumeist die Straßenfront des Stationsgebäudes oder stehen mit dem Aufnahmsgebäude in baulicher Verbindung. Bei Tiefbahnhöfen, wie etwa in Edinburg, sind die Hotelräume mit den Bahnhofräumen[415] durch Aufzüge für Personen und Gepäck verbunden. Die Reisenden übernachten mit Vorliebe in diesen B., da sie von dort aus mit den frühen Morgenzügen am bequemsten abreisen können.

In Großbritannien und Irland gibt es etwa 100 Hotels, die von den Eisenbahnverwaltungen betrieben werden, darunter gilt das Midland Hotel in Manchester als das vollkommenste Hotel Englands, das North British Station Hotel in Edinburgh für das größte in Schottland und das Slieve Donard Hotel in Newcastle, County Down, für das größte in Irland, wo erst durch Mitwirkung der Eisenbahngesellschaften das Hotelwesen auf eine recht lobenswerte Höhe gebracht worden ist. In London gehören das Grand Hotel der Midland Railway und das Liverpool Street Hotel der Great Eastern zu den größten der dortigen Riesenhotels, während das Euston Hotel und das Great Northern Hotel der gleichnamigen Gesellschaft sich wegen ihres Komforts besonderer Gunst der Reisenden erfreuen. Die Eisenbahngesellschaften benötigen zur Anlage von Hotels besonderer parlamentarischer Genehmigung.

Auch außerhalb der großen Städte besitzen die englischen Eisenbahngesellschaften eine Anzahl von Hotels. Ein Teil derselben stammt noch aus der Zeit, wo es nicht möglich und üblich war, die Nacht durch zu reisen. Diese Hotels gehen immer mehr zurück, hingegen ist die zweite Art der außerhalb der Städte angelegten Hotels im Aufblühen begriffen. Es sind das jene, die an der Küste, im Gebirge oder an Sportplätzen für Touristen, Sommerfrischler und Sportsleute angelegt worden sind.

In Verbindung mit den Hotels haben die Eisenbahngesellschaften vielfach eigene Waschanstalten und Bäckereien. Die Great Northern hat ihre Bäckerei in Peterborough, die North Western deren zwei, eine in Rugby und eine in ihrem Euston Hotel in London, letztere genießt den Ruf, die besten Semmeln (Vienna rolls) zu liefern.

Die B. samt Erfrischungsräumen, letztere sind in den Hotels oder in den Warteräumen untergebracht, werden von den Bahngesellschaften meist selbst betrieben; sie werden aber auch im ganzen Umfange oder nur teilweise (wie die Erfrischungsräume in Southampton der London and South-Western-Bahn) verpachtet (s. Bahnhofswirtschaften).

Daß die kulturell hochstehenden Japaner diese englischen Einrichtungen übernehmen, wird nicht verwundern. Die japanischen Eisenbahnen haben an vielen wichtigen Punkten und namentlich auf der ihnen durch den Frieden von Portmout zugefallenen mandschurischen Eisenbahn, wie in Dairu (dem russischen Dalny), Port Arthur, Mukden, nach englischem Muster B. eingerichtet, die sie in eigener Regie betreiben.

Außer diesen selbständigen Hotelanlagen ist noch der Einrichtung der Passagierzimmer zu gedenken.

Auf manchen Eisenbahnen, namentlich in Österreich, bestehen Passagierschlafzimmer in den Bahnhofsgebäuden selbst, die den Zweck haben, den Reisenden Unterkunft zu bieten. Diese Passagierzimmer stehen regelmäßig mit den Bahnhofswirtschaften in Verbindung und werden von den Pächtern derselben instand gehalten und den Reisenden zu einem meistens von den Bahnverwaltungen festgesetzten Preis vermietet.

Literatur: Hartwich, Aphoristische Bemerkungen über das Eisenbahnwesen und Mitteilungen über die Eisenbahnen Londons. Reisestudien über die Anlagen und Einrichtungen der englischen Eisenbahnen. Elberfeld 1877. – Lefèvre et Cerbeland, Les chemins de fer. Paris 1888; sowie mehrfache Artikel in der Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen. – Frahm, Das englische Eisenbahnwesen. Berlin 1911.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 1. Berlin, Wien 1912, S. 415-416.
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