Breitkopf & Härtel

[89] Breitkopf, Familie [Härtel, Volkmann und Hase]. Bernhard Christoph Breitkopf, am 2. 3. 1695 zu Clausthal i. Harz als Sohn einer Bergmannsfamilie geboren, erlernte in Goslar die Buchdruckerei, kam nach kurzer Wanderschaft 1718 zum zweitenmale nach Leipzig und gelangte durch Heirat in den Besitz der Müllerschen 1664 von Joh. Georgi begründeten Druckerei, die freilich sehr in Verfall geraten war. Als Gründungstag seiner Firma ist der 27. 1. 1719 anzusehen. Breitkopf war indes ein tüchtiger Fachmann;[89] mit Hilfe von Gönnern gelang es ihm bald, sich herauszuarbeiten, sodaß schon 1732 am Sperlingsberge ein stattliches eigenes Haus, der »goldene Bär« erstand, welches Haus das Geschäft 135 Jahre beherbergt und ihm das Druckerzeichen des Bären verliehen hat.

Bereits 1722 war die Offizin der Größe nach die dreizehnte am Orte, 1742 bei verdreifachter Gesellenzahl die dritte, und bald darauf galt Breitkopf als der erste Drucker Deutschlands. Neben der Druckerei war eine Verlagshandlung entstanden, welche 1723 als erstes Verlagskind eine hebräische Handbibel auf Subskription brachte. Die Meßkataloge von 1725-1761 weisen einen Verlagsbestand von 656 Werken auf, vornehmlich fach- und schönwissenschaftliche Werke, sowie wissenschaftlichen Bibelverlag. Einen besonderen litterarischen Charakterzug verliehen der Firma die Beziehungen zu J. Ch. Gottsched (1700-1766) und dessen geistreicher Gemahlin Ludovica Adelgunda Victoria Kulmia (1713-1762), die im goldenen Bären wohnten. Aus seiner Verlagspraxis seien genannt neben 11 Schriften Gottscheds und Frau, A. L. Muratoris Geschichten von Italien, die vielbegehrten Werke von J. J. Mascow, Clodius, Cramer, Lichtwehr und Uz. Von hervorragender Bedeutung war die 1746-1773 erschienene Litteraturzeitung »Neue theologische Bibliothek« von F. W. Kraft. 1745 übergab Breitkopf die Druckerei, zu der er 1746 noch die Hollesche und 1771 die Eisfeldische hinzukaufte, seinem einzigen Sohn, der, wie ihm schon Gottsched prophezeit hatte, ihn noch überstrahlen sollte, während er selbst das Verlagsgeschäft bis 1762 weiterführte, von wo ab die Firma: Bernhardt Christoph Breitkopf & Sohn lautete. Hochbetagt und geehrt starb er am 26. 3. 1777; vom schlichten Harzer Druckgesellen hatte er sich zum ersten Buchdrucker Deutschlands aufgeschwungen.

Sein Sohn und Nachfolger, Johann Gottlob Immanuel Breitkopf, geb. am 23. 11. 1719, war von Natur sehr aufgeweckt und begabt, zeigte aber durchaus keine Neigung, den sehnlichsten Wunsch des Vaters zu erfüllen und die berühmte Firma weiter zu führen. Er wollte sich nach Besuch der Nikolaischule und des Privatunterrichts beim Magister Schwabe der Gelehrtenlaufbahn widmen und setzte es auch durch, daß er, neben der Erlernung des väterlichen Geschäftes, sich auch den Studien hingeben durfte. Der spätere »Regenerator der deutschen Typographie«, ihr Förderer und gelehrter Geschichtsschreiber, der Begründer des Musikalienhandels, – wurde derselben dadurch gewonnen, daß ihm Albrecht[90] Dürers Werk: »Unterweysung der messung mit dem zirkel unn richtscheyt in Linien ebnen und gantzen corporen u. s. w.«, Nürnberg 1625, in die Hände fiel. Er fing mit großem Eifer an, die Buchstaben mathematisch zu berechnen, ließ in seiner Offizin – sein Vater hatte sie ihm schon im 26. Lebensjahre übergeben – Lettern von schöner Gestalt schneiden und gießen, verbesserte die national deutsche Frakturschrift, welche ihre ursprüngliche schöne, kräftige Form ganz verloren hatte und äußerte seine Ansichten über lateinische und deutsche Schriften in seiner Abhandlung: »Ueber Bibliographie und Bibliophilie« 1793. Durch seine im Jahre 1754 gemachte epochemachende Erfindung, den Satz von teilbaren und beweglichen Notentypen in solcher Einfachheit herzustellen, daß es möglich war, gedruckte Musikalien mit Erfolg zum Gegenstande des Verlages zu machen, ist er der Begründer des Musikalienhandels geworden. Mit seinen 340 Zeichen konnte er alles setzen, was im Reiche der Töne vorkam. Das erste mit seinen beweglichen Notentypen gedruckte Musikwerk war eine Komposition der Kurfürstin Marie Antonie Walpurgis von Sachsen: Jl trionfo della fedeltà.« Dieser seiner ersten Leistung als Musikalienverleger folgte von da ab der Druck einer Reihe bedeutsamer Kompositionen, von Ph. C. Bach, C. H. Graun, J. A. Hiller, Leop. Mozart u. A., teils für eigene, teils für fremde Rechnung.

Breitkopfs Geist ruhte nicht, er ging nun dazu über, die Buchdruckerkunst für die Herstellung von Landkarten dienstbar zu machen. Er hat darüber in seiner Schrift: »Ueber den Druck der geographischen Karten«, 1777, gehandelt; auch schon 1774 und 1779 hatte er zwei praktische Versuche unternommen. Dann versuchte er mathematische Figuren durch bewegliche Typen darzustellen, wollte schließlich die Strichlagen des Kupferstechers durch parallel laufende Linienstücke ersetzen und Porträts durch Typen darstellen und Chinesisch mit beweglichen Lettern drucken. Die Druckproben, die er unter dem Titel »Exemplum typographiae Sinicae figuris characterum ex typis mobilibus compositum 1789« nach Rom sandte, trugen ihm den Dank Pius VI. ein, blieben aber ohne weitere Ausbeutung. Nicht unerwähnt dürfen seine technischen Verdienste bleiben. Er vereinfachte den Bau der Druckerpresse und erleichterte ihre Handhabung, verbesserte die Metallegierung, die seine Gießerei so berühmt machte und seinen Schriften in der ganzen Welt Nachfrage verschaffte. Die Fachlitteratur, der sich Breitkopf ebenfalls widmete, verdankt ihm eine Anzahl wertvoller und interessanter Arbeiten, so die Schrift: »Ueber die Geschichte der Erfindung[91] der Buchdruckerkunst« (1779), ferner: »Versuch, den Ursprung der Spielkarten, Einführung des Leinenpapiers und den Anfang der Holzschneidekunst zu erforschen« I. Teil (1784); die letztere mag gewissermaßen als Abschluß gelten für seine 1770 angelegte, 1782 aber infolge ungeheurer Verluste wieder verkaufte Spielkartenfabrik – sie hatte das gleiche Schicksal wie die von ihm errichtete Tapetenfabrik, die ihrerseits den Zweck verfolgte, die englischen Papiertapeten mit Kattunmustern zu verdrängen und an ihre Stelle vollständige Zimmerauskleidungen mit Verzierungen im »guten Geschmacke, den die griechische und römische Baukunst lehret« zu setzen. – Ferner schrieb Breitkopf »Ueber die Schriftgießerei und Stempelschneiderei« und »Buchdruckerei und Buchhandlung in Leipzig«, veröffentlicht 1778 und 1793 in Zeitschriften. Sein Hauptwerk aber, das er als seine wissenschaftliche Lebensaufgabe betrachtete, war eine kritische Geschichte der Buchdruckerkunst, die indessen nicht zur Vollendung gelangt ist, trotzdem er wegen derselben mit den hervorragendsten Gelehrten seiner Zeit wie Lessing, Meusel u. s. w. in Verbindung gestanden hatte.

Bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten kam ihm wesentlich seine umfangreiche Bibliothek zu statten, sie umfaßte 1799 laut dem zweibändigen Katalog 19511 Nummern. In seinem Musikalienverlag dominieren die Komponisten Philipp Emanuel Bach, C. J. Graun, Leop. Mozart und J. A. Hiller. Werfen wir noch einen Blick auf ihn als Buchverleger. Zunächst begegnen wir Adelung, dem hervorragenden Sprachforscher, für ihn dasselbe, wie für seinen Vater sr. Zt. Gottsched. Adelungs grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, 2. Aufl. 1793-1801, kann als Vorläufer der Arbeiten Grimms und Sanders gelten. Dann sind zu erwähnen: de Heinichen, Dictionnaire des artistes dont nous avons des estampes, sowie weitere Werke von Kanzler und Winckelmann. – Auch eine Reihe Zeitschriften, teils von ihm selbst angeregt, erschien bei ihm; so das »Magazin der neueren französischen Literatur«, die »Leipziger gelehrte Zeitung«, das »Magazin des Buch- und Kunsthandels«, »Für ältere Literatur und neuere Lecture von Kanzler und Meißner« u. a.

Um das Bild dieses seltenen Mannes vollständig zu machen, sei noch erwähnt, daß die Verwaltung von sechs Häusern und die seines Rittergutes Abtnaundorf auf ihm lastete. Dabei fand er noch Zeit, sich gemeinützigem Wirken in seinem Fache zu widmen. Die Aufhebung des aus dem Mittelalter stammenden Kornuten- und Depositionswesens beim Lossprechen der Buchdruckerlehrlinge ist sein[92] Verdienst J. G. J. Breitkopf starb, 74 Jahre alt, am 28. Januar 1794, und hinterließ eine der größten Buchdruckereien der Welt, welche 400 verschiedene Schriftgattungen, 16 Sorten Noten, sowie einen großen Vorrat Verzierungen nebst Vignetten besaß, und 120 Gehilfen beschäftigte. – Ein Freund des Breitkopfschen Hauses, Prof. Hausius, entwarf in einer Bibliographie Breitkopfs ein lebenswarmes Bild vom Streben und Charakter des Mannes, den die Geschichte der Druckkunst und des Musikalienhandels als Reformator ehrt, dem aber auch die Geschichte des Buchhandels neben Phil. Erasmus Reich einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die grundlegenden Reformen des Buchhandels verdankt.

Sein Thätigkeitsdrang wandte sich auch nach auswärts, er besaß Buchhandlungen in Bautzen (Drachstedt), Dresden (seit 1783 die von Mich. Gröll gegründete) und Görlitz, welch letztere aber schon 1791 an Dr. Carl Christian Richter verkauft worden ist, dessen Handlung später einging.

Sein jüngerer Sohn Christoph Gottlob Breitkopf, geb. am 22. 9. 1750, wurde sein Nachfolger. Teilhaber war er bereits seit 1793 zusammen mit seinem Schwager Chr. Gottl. Stopp, daher die Firma auch bis 1796 Breitkopf, Sohn & Comp. firmierte. Im Jahre 1796 trat Gottfried Christoph Härtel, geb. am 27. 1. 1763 in Schneeberg, als Gesellschafter ein, infolgedessen das Haus von 1798 an »Breitkopf & Härtel« firmierte.

Der Schneeberger Bürgermeistersohn G. C. Härtel hatte als Jüngster von 12 Geschwistern die Lateinschule in Annaberg besucht und gehörte seit 1780 der Universität Leipzig an, wo er die Rechte studierte und sich dann als Hauslehrer in Dresden niederließ. 1789-1794 als Privatsekretär des Grafen Schönburg in Glauchau mit Kunst- und Altertumswissenschaften sich beschäftigend, gedachte er später sich der Diplomatie zu widmen, bis ihn sein Freund Breitkopf zum Universalerben einsetzte.

Mit Härtels Eintritt war in das Geschäft ein neuer Aufschwung gekommen. Er legte 1805 eine Stein- und Zinndruckerei, sowie eine, später wegen Raummangels wieder aufgegebene, Pianofortefabrik an und widmete seine Aufmerksamkeit dem Musikalienverlag; unter seiner Leitung erschienen die autorisierten »Ouvres complètes« W. A. Mozarts in 17 Bänden (1798-1816), J. Haydns in 12 Bänden (1800-1806), M. Clementis in 13 Bänden (1803 bis 1818) und J. L. Dusseks in 12 Bänden (1814-1818) als würdige Vorläufer der modernen Volksausgaben sowohl als der späteren[93] kritischen Gesamtausgaben; sowie ferner die erste musikalische Zeitschrift in Deutschland, »die Allgemeine musikalische Zeitung«, sowie (1812-1834) die »Neue Leipziger Litteraturzeitung«. Als Gottlob Breitkopf am 7. April 1800 das Zeitliche segnete, führte Gottfried Härtel die Firma als allgemeiner Inhaber weiter; nach seinem Tode, am 25. 7. 1827 auf seinem Rittergute Cotta, folgte ihm in der Fortführung der Handlung zunächst sein Neffe Florenz Härtel, bis dann seine Söhne, 1832 Raymund Härtel, geb. 9. 6. 1810, und 1835 Dr. Hermann Härtel, geb. 27. 4. 1803 eintraten.

Hermann Härtel war von dem Vater frühzeitig in der Kunstwissenschaft unterwiesen worden, studierte die Rechte, erhielt 1827 Zulassung zur Advokatur und ward 1828 Doctor juris. Die Jahre 1829-30 verbrachte er in Italien, ganz den Kunstinteressen sich widmend. Am 19. 8. 1835 an die Spitze des väterlichen Geschäfts getreten, hat er dasselbe in Gemeinschaft mit seinem Bruder durch 40 Jahre mit Energie und Umsicht geleitet. Daneben wirkte er in Vergleichsausschüssen, im Sachverständigen-Verein, als Vertrauensmann von Regierungen und Volksvertretern, wie seit 1852 als Sekretär des Vereins der deutschen Musikalienhändler erfolgreich für Klärung und Fortbildung der litterarischen Rechtsbegriffe. Er starb am 4. 8. 1875.

Raymund Härtel, ein begabter Musikliebhaber, hatte vornehmlich auf Reisen nach Frankreich und Rußland in jüngeren Jahren Beziehungen für den Musikalienverlag zu knüpfen versucht, widmete sich aber nach Eintritt seines Bruders mit besonderem Erfolge der Druckerei. Er war langjähriger Oberältester der Leipziger Buchdruckerinnung und Vorsitzender der sie ablösenden Genossenschaft, wie der Buchdruckerunterstützungskassen, ferner Schatzmeister des deutschen Buchdruckervereins, 1851-1880 Schriftführer und Vorsitzender des Vereins der Buchhändler zu Leipzig, sowie endlich als Leipziger Stadtältester thätig. Er starb am 9. 11. 1888.

Unter den beiden Brüdern Hermann und Raymund repräsentierte der Musikverlag die hervorragendsten Werke der neuen Blüteperiode der Kunst: Thalberg, Mendelssohn, Schumann, Chopin, Hade, Wagner, Meyerbeer u. a.; Schubert und Weber wurden nach Heimfall des Eigentumsrechtes an die Nation in revidierten Ausgaben veröffentlicht. Die Gesellschaftsunternehmungen der Bach- und Händelgesellschaft wurden gefördert und die erste Gesamtausgabe die Werke Beethovens als Verlagsunternehmung thatkräftig durchgeführt, sodann 1866 die »Ausgabe Breitkopf-Härtel«, eine mäßig[94] billige Klassikerausgabe, unternommen. Das Verzeichnis des musikalischen Verlages umfaßte schon bei Dr. Hermann Härtels Tode 15000 Nummern und überspannte das gesamte Gebiet der Musik, von den alten Meistern bis zum Schöpfer des deutschen Musikdramas fehlte kaum ein gefeierter Name.

Der Bücherverlag brachte theoretische Werke über Musik von Chludny, Hauptmann, L. Köhler, Lobe, Marx, Richter, Schicht, Volkmar u. a. und biographische Denkmäler großer Tonkünstler wie Bach, Händel, Mozart, sowie die strengere Fachwissenschaft. In der Theologie sind an hervorragendsten Autoren vertreten: K. August und K. Alfred v. Hase, Baumgarten-Crusius; im juristischen Verlag: Puchta, Ihering, Wächter; im medizinischen: A. W. und R. Volkmann, Pigoroff; in dem philologischen und philosophischen: G. Hermann, O. Jahn, Bursian, O. Donner, G. Fechner, Weiße; Petersen veranstaltete Ausgaben von Schriften des Caesar, Livius, Persius, Seneca, Theophrat; die Kunstarchäologie wurde durch Werke von Bemdorf, Conze, Helbig, Jahn, Michaelis, Schöne, Stephani bereichert; ferner sind zu nennen C. v. Wolzogens Nachlaß, sowie das 6bändige Hauslexikon, eine Encyklopädie praktischer Lebenskenntnisse in 3 Auflagen und die Bildnisse berühmter Deutscher.

Die wachsende Bedeutung der Buch- und Notendruckerei, die 1875, wo das Haus an 400 Personen beschäftigte, mit 26 Schnellpressen und 31 Handpressen arbeitete, hatte bereits 1867 eine Verlegung nach dem neuerbauten Fabrikgebäude an der Nürnbergerstraße notwendig gemacht.

Nachdem Wilhelm Volkmann, Enkel Gottfr. Härtels und einem Geschlechte entstammend, das seinen Stammbaum bis ins 16. Jahrhundert zurückführt, Bruder des berühmten Chirurgen Rich. von Volkmann, geb. am 12. 6. 1837, bereits, seit 1867 als Prokurist der Firma angehört hatte, war er 1873 Teilhaber geworden und 1884 Mitbesitzer.

Seine Schulbildung in Dorpat, Halle und Zerbst empfangend, begann er seine buchhändlerische Laufbahn bei Ed. Anton in Halle, besuchte dann kurze Zeit Vorlesungen an der Leipziger Universität und trat nach vorübergehendem Aufenthalte bei Burdach in Dresden in das Haus Breitkopf & Härtel zur Erlernung des Buchdrucks ein. Die Hebung dieses Zweiges des großen Geschäftes ist auch sein Hauptverdienst geworden. Seine aufopfernde Thätigkeit im Vorstande des Deutschen Buchdruckervereins und des Börsenvereins, zuletzt als des letzteren 1. Schatzmeister, und nicht weniger seine[95] hervorragende kommunale Thätigkeit als Leipziger Stadtrat, ist allbekannt. – 1875 war auch Dr. Georg Oscar Imanuel Hase als Teilhaber eingetreten. Beide haben den Musikverlag hauptsächlich nach drei Seiten hin planmäßig ausgestaltet: erstens durch Erwerb von Originalschöpfungen, z. B. von Albert, d'Albert, Bargiel, A. Becker, Belicay, Bronsart, Bruch, Enno, Gnade, Gouy, Habert, H. Hofmann, Huber, Jadassohn, J. Klengel, Krug-Waldsee, Liszt, Nicodé, Raff, Reinecke, Röntgen, Gebrüder Scharwenka, Svendsen, R. Wagner, Wallnöfer, Weingartner u. a.; sodann 1877 durch Begründung einer billigen »Volksausgabe Breitkopf & Härtel«, welche in etwa 2000 Bänden die klassische und moderne Musiklitteratur zu demselben Preise wie die Edition Peters und die Kollektion Litolff umfaßt, drittens durch die erstmalige Veranstaltung von kritischen Gesamtausgaben der Werke G. Pierluigi de Palestrinas, Orlando di Lassos, Schützens, Grétrys, Mozarts, Schuberts, Schumanns, Mendelssohns, Chopins, Lanners und Strauß'. Uebernommen wurden die Monatshefte für Musikgeschichte und neu begründet die Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft (1885-95), als deren Fortsetzung die Publikationen der Internationalen Musikgesellschaft anzusehen sind. Erwähnt sei hier auch die musikalische Textbibliothek und das typographische Notenpapier, sowie die Chor- und Orchesterbibliothek in mehreren tausend Nummern, welche an Stelle der fliegenden Blätter das Stimmenheft zum billigen Einheitspreise von 30 Pf. für die Nummer setzt. Als ein neues Gebiet wurde die ältere deutsche Militärmusik erschlossen. An Sammelwerken wurden außer der Musica sacra, herausgegeben von Frz. Commer u. a., übernommen die Musikpublikationen ausländischer Gesellschaften und Institute, so aus Dänemark, England, Frankreich, Italien, Niederlande und Schweden. – Daneben begann die Firma mit dem monumentalen Unternehmen der Herausgabe der »Denkmäler deutscher Tonkunst«, die mit Unterstützung des Preußischen Staates durchgeführt, noch nicht abgeschlossen sind; sie werden auf Werke deutscher Tonkünstler des 16.-18. Jahrhunderts beschränkt sein. Den gleichen Anschluß hat die Firma in Oesterreich und Spanien gesucht und gefunden.

Seit dem Jahre 1876 geben zwanglose Mitteilungen von vorbereiteten und erschienenen Unternehmungen des Musikverlags Kenntnis; seit 1883 erscheinen Monatsberichte des Verlags in mehreren Sprachen; so verzeichnet z. B. das alphabetische und systematische Verzeichnis des Musikalienverlages bis 1893 über 20000 Werknummern.[96]

1878 wurde ein »Lager klassischer und moderner Musikwerke und Musikschriften« eigenen wie fremden Verlags in stilvollen Einbänden errichtet, dessen alljährlich vervollständigtes Verzeichnis eine Musikbibliothek von weit über 3000 gleichartig gebundenen Werken deutscher Verleger in Breitkopf & Härtelschem Einbande in 57 Gruppen bietet. Der völkerverbindenden Kunstvermittelung dienten die Uebernahme des Vertriebes für Deutschland und Oesterreich der großen Musikverlage G. Ricordi & Co. in Mailand (1891-1902) und W. Bessel & Co. in St. Petersburg (seit 1886).

Das seit 1883 entwickelte Kommissionsgeschäft der Firma zählt zur Zeit 113 Kommittenden. Zweigniederlassungen wurden begründet 1883 in Brüssel, 1890 in London und New-York.

Auf den Buchverlag des Hauses, namentlich aus der Musikwissenschaft müssen wir noch einen kurzen Blick werfen. Den großen wissenschaftlichen Lebensbeschreibungen der schöpferischen Geister wurde besondere Beachtung geschenkt. So erschienen Biographien von Bach, Haendel, Haydn, Mozart, Liszt, Wagner, J. Strauß u. v. a., woran sich die Serien der Briefwechsel, Tagebücher etc.

der großen Meister schlossen. Hier sind auch die großen Sammelwerke wie Böhmes altdeutsches Liederbuch, Erk-Böhmes 4 bändiger deutscher Liederhort und La Maras Musikschriften (Briefe und Charakterköpfe) zu nennen. Musiktheoretische Werke schrieben namentlich H. Riemann, A. Richter, Tiersch, Westphal, Gevaert u. s. w.; die meisten Unterrichtswerke dieser Art sind auch in englischer und französischer Sprache erschienen.

Mit dem beginnenden Verlage der poetischen Werke von Richard von Volkmann-Leander, Felix Dahn und Otto Devrient wurde nach einem Zeitraum von 100 Jahren wiederum das Gebiet der schönen Litteratur betreten. Es schlossen sich diesen drei Hauptvertretern an Ludwig Anzengruber, W. Kirchbach, L. von François, Sophie Junghans, Therese Dahn, A. Weimar, L. Clement, G. von Oertzen u. a.

Bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat sich der Buchverlag auf die Gebiete aller vier Fakultäten verteilt. In der Theologie bildete der Kirchenvater der Gegenwart Karl von Hase den Mittelpunkt, dessen Lebenswerk 1890-94 in einer Gesamtausgabe erschien.

In der Jurisprudenz waren es die neueren Werke R. von Iherings, H. Schulzes, F. v. Liszts, Adolf Randas die hervorragten, daneben liefen Monographien einer großen Anzahl von Professoren und praktischen Juristen.[97]

Die Thätigkeit für die Medizin beschränkte sich im Wesentlichen auf wissenschaftliche Zeitschriften: Centralblatt für Chirurgie, für Gynäkologie, für innere Medizin. R. von Volkmann begründete die Sammlung klinischer Vorträge, die in neuer Folge von E. von Bergmann, W. Erb und F. von Winckel fortgeführt wurde.

Die Sprachwissenschaft ist durch Namen vertreten wie Fr. Zarncke, B. Delbrück, G. Meyer, E. Sievers, O. Bremer, Daniel Sanders etc., während die Geschichtswissenschaft Werke von Karl von Hase, F. Dahn, H. Nissen, L. Volkmann, G. Th. Fechner, H. Kirchmayr u. a. bringt.

Stadtrat W. Volkmann, begabt mit offenem Blick für das Praktische und seltenem Organisationstalent, der die technischen Zweige der Firma in die Bahnen des modernen Großbetriebs hinübergeleitet hat, starb am 24. 12. 1896 und an seiner Statt trat Dr. Ludwig Volkmann, geb. 9. 1. 1870 in Leipzig, als Teilhaber in die Handlung ein. Dieser besuchte die Teichmannsche Privatschule, das Nikolaigymnasium, erlernte in Bonn den Buchhandel, und studierte zu gleicher Zeit an der dortigen Universität Naturwissenschaft. Im Hinblick auf seinen zukünftigen Beruf gab er sich dann dem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Nationalökonomie hin, in München, Leipzig, Florenz und Rom. 1892 promovierte er in München zum Doktor der Philosophie und war seit Herbst 1873 im väterlichen Hause in Leipzig thätig. Vom Studium der Kunstwissenschaft herkommend, ist es sein Bestreben gewesen, die künstlerische Ausstattung der Druckarbeiten zu fördern, er hat den Versuch unternommen, durch Herausgabe von billigen Einzelblättern dem deutschen Volke seine Künstler näher zu bringen.

Dr. Oskar von Hase, der Sohn des berühmten Jenaer Kirchenhistorikers, wurde am 15. 9. 1846 geboren und besuchte das Gymnasium in Eisenach, später in Meiningen. Dann trat von Hase bei Gustav Marcus in Bonn in die Lehre. An der Bonner Universität ließ er sich dann als Student immatrikulieren und hörte namentlich bei Anton Springer Kulturgeschichte und bei von Sybel Revolutionsgeschichte und Politik. Die folgenreichste Anregung bot jedoch eine zur Zeit der Kämpfe 1866 durch einen Freundschaftsdienst redlich verdiente, aber von Graf Itzenblitz nicht amnestierte Karzerzeit, die zum erstmaligen Befassen mit der Geschichte des deutschen Buchhandels führte. Nach 7 Jahren in der Fremde folgte in der Heimat ein Studienjahr, das hauptsächlich der Volkswirtschaft gewidmet war; es wurde mit der Doktorprüfung beschlossen, zu der von Hase die Dissertation über die Nürnberger Buchhändlerfamilie der Koberger schrieb, die[98] er ein Jahr später als Buch herausgab. Vorübergehend, zur Aufklärung, bei Breitkopf & Härtel in Leipzig thätig, ging von Hase dann nach Genf und kehrte zu Beginn des 1870er Krieges nach Deutschland zurück, um als Freiwilliger ins Heer einzutreten. Mit dem eisernen Kreuz dekoriert kehrte er nach der großen Parade der gesamten Nordarmee auf den Schlachtfeldern von Amiens nach der Heimat zurück und trat am 1. Mai 1871 bei Breitkopf & Härtel als Buchhandlungsgehilfe ein. 1873, nachdem er kurz vorher noch mit dem Vater Italien besucht und reiche Eindrücke empfangen hatte, wurde er Prokurist der Leipziger Firma, 1890 deren Teilhaber. Dem Buchhandel ist er keine fremde Persönlichkeit und der Börsenverein sowohl als auch der Buchgewerbeverein haben ihm viel zu danken. Außer seiner Thätigkeit im Vorstande des Börsenvereins, beruht sein Hauptverdienst in der Schaffung eines deutschen Buchgewerbevereins, des 1884 von ihm begründeten Centralvereins f. d. ges. Buchgewerbe mit dem deutschen Buchgewerbemuseum. Als Nachfolger Kapps ist er berufen, dessen angefangene »Geschichte des deutschen Buchhandels«, für deren Bearbeitung er bereits 1876 im Auftrage des Börsenvereins einen Plan ausgearbeitet hatte, zu vollenden, auf die der gesamte Buchhandel mit Spannung wartet. Als Vorsteher des Vereins der deutschen Musikalienhändler ist er in jüngster Zeit vornehmlich für die Neugestaltung des Urheber- und Aufführungsrechtes eingetreten; auch seines hervorragenden Wirkens im deutschen Buchdruckerverein sei gedacht. Ausführliches über diese hochersprießliche Vereinsthätigkeit, – seine vielen Ehrenämter hat er inzwischen alle abgegeben – für die er als Hauptziel betrachtete: Ein einiges deutsches Buchgewerbe unter Führung des Buchhandels, in lebendiger Selbstverwaltung der einzelnen Glieder, aber im geschichtlich gewordenen Verkehrszentrum stark und einheitlich genug organisiert, um einem Weltbuchhandel als Grundlage zu dienen – findet sich in der 1898 erschienenen Haseschen Familienchronik.

Endlich möge noch kurz auf seine fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen hingewiesen werden; er verfaßte »Die Koberger, Buchhändlerfamilie zu Nürnberg« (Doktorschrift) 1869, neue Ausgabe 1870; »Breitkopf & Härtel, Buchdrucker, Buch- und Musikalienhändler zu Leipzig« (1875, neue Ausgabe 1894 – bildet einen ergänzten Abdruck aus der Allgemeinen deutschen Biographie); »Brieffbuch der Koberger zw Nurembergk« (1881); »Die Koberger, eine Darstellung des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes in der Zeit des Ueberganges vom Mittelalter auf die Neuzeit« (1885);[99] »Förderung des ältesten Buchhandels durch die Stadtbehörden« (1886): »Die Entwickelung des Buchgewerbes in Leipzig (1887). 1893-94 behandelte er für die »Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte« die Erscheinungen des Buch- und Schriftwesens.

Quellen: Börsenblatt 1869, 1875, 1897; K. G. Hausius, Biographie J. G. J. Breitkopfs; Rilleken in Dtsche. Buchhdlr.-Akad. 1888; Fischers Mitteilungen 1897; Schultz Adreßbuch Jahrgang 1889, 1898; Hase, Breitkopf u. H. 1894; vergl. auch alle einschläg. Sammelwerke und die im Artikel selbst erwähnten Hilfsmittel.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 1. Berlin/Eberswalde 1902, S. 89-100.
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