Litfaß, Ernst

[629] Litfaß, E. Die heutige Buchdruckerei von Ernst Litfaß Erben in Berlin wurde im Jahre 1795 von Ernst Joseph Gregorius Litfaß begründet. Sie hat sich im damaligen Berliner Leben bald eine hervorragende Stelle erworben und wurde als Zentralstelle für den Bezug von allerhand Volksbüchern, Bilderfibeln und Katechismen bald allgemein bekannt. Zur Zeit der Befreiungskriege erschienen bei ihr die Extra-Blätter mit den Siegesdepeschen. Litfaß starb aber schon 1816, als sein jüngster Sohn Ernst Theodor Amandus Litfaß ein acht Tage altes Kind war. Die Witwe verheiratete sich zum zweitenmale mit dem bekannten Berliner Buchdrucker und Buchhändler Leopold Wilhelm Krause – dem Verleger von Burchhardts Organ des deutschen Buchhandels, der Norddeutschen Buchhändler-Zeitung, die von 1834-50 erschienen ist – unter dessen Leitung das Geschäft einen neuen großen Aufschwung nahm, auch auf dem Gebiete eines fruchtbaren und lukrativen Verlages. Letzterer gewann mit der 1825 erfolgten Verbindung mit M. G. Saphir eine neue Richtung, die sich durch die Herausgabe der »Berliner Schnellpost« ankündigte. Das mit Geist und sprühendem Witz geleitete Blatt erweckte Aufsehen »das schmetternde Signalhorn des fahrenden Postillons erweckte ganz Berlin aus dem Schlafe; Saphir und Angely, Ludwig Rellstab und die schöne Henriette, Hering und Zedlitz, Cosmar und Gubitz, die Theater, Alles war in Aufruhr. Wie umgewandelt war die Berliner Welt, in welcher von nun an außer dem großen Kurfürsten auf der Langen Brücke auch der steinerne Apollo aus dem Tiergarten seine Runde machte«. Um Saphir bildete sich nach und nach ein weiter Kreis; es erschienen Schriften von Oettinger, Dr. Sobernheim, Bratscheck, Adam u. a.; der jüngere Berliner Dichterverein mit Namen wie Fr. v. Sallet, R. Heilmann, J. Minding, L. Schweitzer, H. Marggraff, Zitelmann, Dr. Kletke etc. ließen bei Krause zwei Jahrgänge ihres »Frühlings-Almanachs« erscheinen. Der »Berliner Figaro« wurde unter Oettinger gegründet usw.

In diesem Kreise wuchs Ernst Litfaß auf; er gewann dadurch bleibende Eindrücke und mannigfaltige Anregung. Nach Besuch der Schule widmete er sich dem Buchhandel und trat 1845 ins väterliche Geschäft ein, das er nach dem Tode Krauses, am 16. 1. 1846 ganz übernahm. Unter seiner speziellen Redaktion war bereits früher mit der Herausgabe des »Declamatoriums«, einer geschickt zusammengestellten und mit Geschmack ausgewählten Sammlung ernster und heiterer poetischer und prosaischer Vorträge, begonnen worden, ein Unternehmen, das große Verbreitung fand und guten Gewinn abwarf. Seiner Energie ist auch die endliche Vollendung des bekannten Riesenwerkes der »Krünitzschen Encyklopädie«, zu verdanken, welches mit[629] dem 1856 erschienenen 248. Bande seinen Abschluß fand; sein ehemaliger Originalverleger war Johann Friedrich Leich in Leipzig. Die Offizin wurde von Litfaß gänzlich reformiert: Die alten Holzpressen bei Seite geschafft und dafür Schnellpressen eingestellt, neue Schriften gegossen und nach französisch-englischem Muster der Buntdruck eingeführt. Im Verein hiermit ging Litfaß mit einer Erweiterung des Anschlagwesens vor, namentlich inbezug auf die Formatvergrößerung und Ausstattung der Anschlagzettel. Ein Plakat, 20 Fuß lang und 30 Fuß breit, wie es die Ausstellung des Jahres 1846 zierte, hatte Berlin noch nicht gesehen, was Wunder, wenn die Litfaßzettel bald überall populär waren.

Eine glückliche Idee war die 1851 erfolgte Schöpfung des »Berliner Tages-Telegraphen«, das einem unstreitigen damaligen Bedürfnisse abhalf und daher aufs beste reussierte. Es brachte als einziges Organ sämtliche Theaterzettel in ihrer ganzen Ausführlichkeit und war ein praktischer Wegweiser für Konzerte, Bälle und Vergnügungen aller Art. Die spätere Verbindung des Blattes mit der »Theater-Zwischenakts-Zeitung« war als ein neuer Erfolg anzusehen. Erwähnt sei hier, daß Litfaß nach dem Entstehen und guten Erfolge des »Telegraphen« seinen Geschäftsfreunden mehrmals öffentliche Ballfeste gab, welche er »Telegraphen-Bälle« nannte und die sich bald zu den populärsten und beliebtesten Karnevalsvergnügungen Berlins gestalteten. Sie waren die bürgerlichen Almacks von Berlin und der Volksmund nannte sie nur die »Litfaß-Bälle«.

Schon längere Zeit, namentlich nach seiner Rückkehr von mehreren Reisen nach Brüssel, Paris, London etc. hatte sich Litfaß mit dem Gedanken beschäftigt, wie der Unsitte, Häuser und Bäume mit Plakaten zu bekleben zu steuern sei. Er kam auf den Gedanken, dafür Säulen von architektonischer Form, die zugleich als Zierde gelten konnten, zu errichten und diese zum Anschlag zu benutzen. Der von ihm unter Zuziehung sachverständiger Männer ausgearbeitete Plan, der für die Residenz 150 Säulen vorsah, wurde 1854 dem Polizeipräsidium zur Genehmigung eingereicht. Dasselbe entschied sich nach einer glücklichen Idee des General-Polizeidirektors von Hinkeldey dahin, daß fünfzig Straßenbrunnen mit einer, den steinernen Säulen gleichenden, hölzernen Umhüllung und einer zweckmäßigen Pumpenkonstruktion versehen und ferner hundert massive Säulen aufgestellt werden sollten. Beide erhielten einschließlich der Krönung vom Pflaster ab eine Höhe von 91/2 und einen Umfang von 93/4 Fuß. Daß das Unternehmen allgemeines Aufsehen erregte, daß sich ihm tausenderlei Schwierigkeiten, Verhandlungen, ja auch Prozesse entgegenstellten, war vorauszusehen, doch Litfaß ließ sich durch nichts beirren. In der unten angegebenen Quelle schildert Tietz den Abschluß der[630] Angelegenheit wie folgt: »Der Tag der Uebergabe zur öffentlichen Benutzung der Säulen, der 1. Juli 1855, wurde für Litfaß ein ein wirklicher Ehrentag. – Schon am frühen Morgen begrüßte ihn ein brillantes Ständchen, zu dem sich ein starkes Musikchor eingefunden hatte. Die vor dem Fenster seiner Wohnung stehende Säule war reich bekränzt. Die Straßenecken waren wie durch einen Zauber in der vorhergehenden Nacht von den flatternden Ueberresten einer überwundenen Zeit gereinigt, während die Säulen in ihrem neuen papiernen Schmucke prangten; in fast allen Konzert-Etablissements wurde der Annoncir-Polka – komponiert von Musikdirektor Kéler Béla – gespielt und mit Applaus begrüßt..... Ja, sogar die Leierkasten durften dem allgemeinen Strom nicht wiederstehen.... Man hörte auf allen Höfen das neue Unternehmen in Säulenliedern besingen, unter denen sich besonders eines unter dem Titel »Litfaß 150 Kinder«, das gleichzeitig gedruckt und mit Litfaß Porträt käuflich war, besonders auszeichnete. Die Miniaturnachbildung der Säulen erfolgte schnell zu tausenden nützlichen und luxuriösen Gegenständen; sie dienten zu Necessairen, Platina-Feuerzeugen, Zigarren-Reservoirs, Neujahrsscherzen und dergleichen mehr.«

Nach Art des Geschäftsbureaus der dramatischen Künstler rief Litfaß 1856 eine »Centralkanzlei für Künstler jeden Genres« ins Leben, die sich bald eines eingeteilten Beifalles zu erfreuen hatte. Drei Jahre lang bestand das Institut – Litfaß mußte es wegen Ueberbürdung mit anderen Arbeiten schließlich aufgeben – und hat während dieser Zeit für die bedeutendsten Künstler Europas Reisen nach London, Stockholm, St. Petersburg, Paris, New-York usw. unternommen und die eingegangenen Aufträge zu voller Zufriedenheit erledigt.

Neben der Kultivierung des Anzeigenwesens, in dem sich gegen Ende der 50er Jahre des abgelaufenen Jahrhunderts die Strömung dahin geltend machte, daß man jetzt durch gefällige, geschmackvolle Form, saubere Ausführung und anziehende Ausstattung der Plakate das Publikum zu fesseln suchte – widmete sich Litfaß eifrig seinen verschiedenen Verlagsunternehmungen. Beifällig aufgenommen wurden die lithographierten Theaterpläne sowie eine Sammlung gediegener Poesien ernsten und heiteren Inhalts unter dem Titel »E. Litfaßs poetischer Krystallpalast«.

1858 rief Litfaß ein umfangreiches Formularmagazin ins Leben; die Druckereieinrichtungen verbesserte er andauernd und gliederte der Offizin 1868 eine lithographische Anstalt an. 1861 wurde das Haus Adlerstraße 6, in dem sich die Offizin seit Bestehen befand, käuflich erworben und abermals die Geschäftsräume erweitert und umgestaltet.[631]

1871 feierte Litfaß unter außerordentlicher Teilnahme der Berliner Bevölkerung das 25jährige Jubiläum seiner Geschäftsleitung. Dabei wurde erinnert an die unausgesetzt tätige Liebesarbeit des Geheimen Kommissionsrates Ernst Litfaß, die er seit 15 Jahren in ausgiebigster Weise entfaltete. Vom Jahre 1856 ab, wo Litfaß vom Prinzregenten von Preußen, dem nachmaligen Kaiser Wilhelm I. zum Ehrenmitgliede der allgemeinen Landesstiftung zur Unterstützung der vaterländischen Veteranen und invaliden Krieger ernannt wurde, datiert seine umfassende Tätigkeit auf dem Gebiete werktätiger Menschenliebe, die ihm zur höchsten Ehre gereichte. Der durch seinen Beruf fast überlastete Mann versäumte nie eine Gelegenheit, wo es galt Gutes zu stiften und Leiden zu mildern. Unvergessen bleiben die großartigen Festlichkeiten, welche er bis kurz vor seinem Tode im Krollschen Etablissement bei jeder Gelegenheit veranstaltete, wo es galt, schnell Hilfe zu schaffen, und bei denen er stets in uneigennützigster Weise sämtliche Kosten auf sich nahm und den Reinertrag an die betreffenden Komitees abführte. Erwähnt mögen hier nur sein: die Totenfeier für den verunglückten Feuerwerker Dobermont (1857) und die Feste zum Besten Opfer des dänischen, des böhmischen und des französischen Krieges.

Litfaß starb am 27. 12. 1874 in Wiesbaden, wohin er sich zur Kur begeben hatte; das Geschäft kam an seine minderjährigen Erben.

Seit 1880 befindet sich die Konzession für die Plakatsäulen nicht mehr in Händen der Firma, da die Pachtsumme von 35000 Mk. von der Firma Nauck & Hartmann in Berlin überboten wurde.

Quellen: Fr. Tietz, E. Litfaß industrielle und private Wirksamkeit, Berlin 1871 (vergl. auch Allgem. deutsche Biographie Band XVIII).

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 4. Berlin/Eberswalde 1907, S. 629-632.
Lizenz:
Faksimiles:
629 | 630 | 631 | 632

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon